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Ist meine Selfcare eigentlich Selbstsabotage?

Illustrated by Assa Ariyoshi
Auf den Begriff „Selfcare“ stieß ich zum ersten Mal vor ungefähr zwei Jahren und ich muss zugeben: Ich war von Anfang an begeistert von dem Konzept. Ich meine was sollte man daran bitte nicht mögen? Es geht im Endeffekt darum, etwas Wellness und kostbare Me-Time in den Alltag zu integrieren. Mich einfach nur um meine Bedürfnisse und um mein Wohlbefinden zu kümmern. „Nein“ zu  sagen, ohne Schuldgefühle zu haben. Und gerade ich, die schon lange mit Ängsten zu kämpfen hat, brauche viel Zeit für mich, damit es mir gut geht.
Aber so schön sich all das auch anfühlen mag, ein Problem gibt es dabei: Ich nutze die Selfcare oft als Ausrede, um Situationen, die Angst in mir auslösen könnten, fernzubleiben. In letzter Zeit habe ich einige Treffen kurzfristig abgesagt, Events, bei denen viele Menschen sind, generell vermieden und selten etwas Neues ausprobiert. Aber im Namen der Selbstfürsorge geht das in Ordnung, oder?
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Leider habe ich dadurch schon viel zu viele unglaublich tolle Gelegenheiten verpasst. Jobangebote, von denen ich schon immer geträumt habe. Veranstaltungen, zu denen ich das Glück hatte, eingeladen zu werden. Sogar Abendessen mit Freund*innen, von denen ich absurderweise glaubte, sie würden meine Ängste triggern. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die Sache mit der Selfcare völlig falsch angehe, denn im Laufe der Zeit ist sie zu einer Art Selbstsabotage für mich geworden.

Wenn wir uns ständig nur in unserer Komfortzone bewegen, geben wir den Ängsten die Macht, über unsere Gedanken zu herrschen

Mit diesen Gedanken im Kopf, habe ich mich mit Dr. Hamira Riaz, einer klinischen Psychologin zusammengesetzt, um von ihr zu erfahren, ob meine Vermutung, ich sabotiere mich und bezeichne es als Selfcare, so stimmt. Und siehe da: Sie gibt mir recht. Laut der Psychologin kann Selfcare problematisch sein, wenn wir sie auf die falsche Weise anwenden. „Wenn wir uns ständig nur in unserer Komfortzone bewegen, geben wir den Ängsten die Macht, über unsere Gedanken zu herrschen“, sagt sie. „Wir alle haben Dinge, vor denen wir uns fürchten und die uns in irgendeiner Form zurückhalten. Sich mit Ängsten und Sorgen auseinanderzusetzen, verlangt uns psychisch viel ab und das ist nun mal unangenehm. Aber durch das Erfolgserlebnis, das mit dem Durchsetzen und Erreichen eines Ziels einhergeht, stärken wir uns noch viel mehr.“
Das ist wahr. Ich rede von Selfcare, lasse mich aber streng genommen von meiner Schüchternheit leiten. Schon allein in meinem Job ist das zu sehen: Als freiberufliche Journalistin ist mein Kontakt zu anderen sowieso schon auf ein Minimum begrenzt. Und trotzdem schaffe ich es, mich aus vielen Verabredungen und der Teilnahme an Veranstaltungen herauszureden. Ist das nun wirklich Selbstfürsorge oder lege ich mir nur selbst Steine in den Weg?
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Ehrlich gesagt will ich gar nicht rausgehen und neue Kontakte knüpfen – alleine fühle ich mich wohler. Aber so langsam habe ich Zweifel, dass meine soziale Zurückhaltung gut für meine Karriere ist oder sich auf langfristige Sicht positiv auf mein Wohlbefinden auswirkt. Tatsache ist, jeden Tag alleine zu arbeiten, kann anstrengend sein. Ich sehne mich danach, Freund*innen aus meiner Branche zu haben, bleibe aber trotzdem lieber alleine zuhause.
Vor kurzem habe ich in dem Buch Sorry I’m Late, I Didn’t Want To Come von Autorin Jessica Pan, den Begriff „Selfcoddling“, sprich Selbstverwöhnung, aufgeschnappt. Dazu schreibt die Autorin folgendes: „Ich nutzte mein introvertiertes Wesen, um mich von anderen abzuschirmen. Obwohl ich meine zurückgezogene Welt genoss, fragte sich ein Teil von mir, was mir dadurch alles entging... Ich wollte nicht an meine Unsicherheiten und Ängste gebunden, sondern frei und aufgeschlossen sein“.
Dr. Riaz erklärt den Unterschied zwischen Selfcare und Selfcoddling so: „Durch Selfcare fühlst du dich langfristig gut, weil sie dir ein gutes Selbstwertgefühl vermittelt. Selfcoddling dagegen beschert dir oft nur ein kurzfristiges emotionales Hoch. Ist das vorbei, verfallen die meisten in ein Tief, das ihnen viele gute Chancen in der Zukunft verwehren kann.“ Na toll!

Während meine Freund*innen extreme Aktivitäten ausprobierten, schaute ich ihnen lieber aus sicherer Entfernung zu.

Ich lasse mich einfach zu oft von meiner Angst leiten und gehe nicht gerne aus meiner Komfortzone heraus. Dabei gibt es so viele Dinge, die ich schon immer einmal machen wollte. Einem Chor beitreten zum Beispiel. Und ich habe mich oft für eine Probesession angemeldet, bin aber (natürlich) nie hin. Während meine Freund*innen extreme Aktivitäten ausprobierten, schaute ich ihnen lieber aus sicherer Entfernung zu. Sogar meine Hochzeit habe ich in einer kleinen Eckkneipe gefeiert, um mich nicht mit der Planung einer Riesenfeier herumschlagen zu müssen. Und vom Thema Weihnachtsfeiern fang ich gar nicht erst an… 
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Die Frage ist: Liegt das nun mal in meiner Natur? Als schüchterner und ängstlicher Mensch frage ich mich, ob es in Ordnung ist, diesen Gefühlen manchmal nachzugeben.
Ich glaube, ich würde mir nicht so viele Gedanken darüber machen, wenn ich mich bei meinen Entscheidungen wirklich gut fühlen würde. Wie Dr. Riaz meint, kann ich nicht von Selbstfürsorge reden, wenn ich am Ende des Tages mit meiner Entscheidung unzufrieden bin. Meine kleine Kneipenhochzeit bereue ich keinesfalls, das ist sicher – meiner Meinung nach sollten Hochzeiten öfter in Pubs gefeiert werden. Aber der Rest? Der zeigt, dass ich zu Selbstsabotage neige.

Wir brauchen etwas Stress im Leben, damit wir immer versucht sind, unser Bestes zu geben.

Am besten ist es, wenn man ein gutes Gleichgewicht im Leben findet, meint die Psychologin. „Wir brauchen etwas Stress im Leben, damit wir immer versucht sind, unser Bestes zu geben. Es nützt uns nicht viel, den Stress zu vermeiden, nur um die Ängste zu unterdrücken. Aber genauso wenig ist es sinnvoll, sich ständig in stressfördernde Situationen zu stürzen.“ Diesen Ansatz finde ich sehr gut. Für mich geht es in erster Linie darum, kleine Schritte in die richtige Richtung zu machen – ich möchte aus meiner Blase herausbrechen, aber es nicht gleich übertreiben. Glücklicherweise hat Dr. Riaz auch dafür einige Ratschläge parat: „Mit einem Lebensstil, der die eigenen Stärken ins Rampenlicht stellt, kann man im Grunde nichts falsch machen“, sagt sie. „Das bedeutet, man muss Wege finden, um die Eigenschaften und Qualitäten, die einen als Person einzigartig machen, hervorzuheben, anstatt sich damit zu beschäftigen, die eigenen Fehler zu begradigen.“
Ich möchte meine Schüchternheit nicht bekämpfen, aber ich denke, die einzige Möglichkeit, mit ihr klarzukommen, besteht für mich darin, mich nicht von ihr kontrollieren zu lassen. Und es wird Tage geben, an denen ich wieder in alte Muster verfalle, aber das ist okay.
Und zum Thema „aus der Komfortzone heraus“: Vielleicht gehe ich zum nächsten Networking-Event, zu dem ich eingeladen bin. Und vielleicht ist es Zeit, diese erste Chorsession zu besuchen. Aber der kommenden Weihnachtsfeier bleibe ich wahrscheinlich trotzdem fern…

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