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„Long-COVID“: das Sex-Problem, über das niemand spricht

Foto: Karen Sofia Colon
Disclaimer: Manche Personen, die in diesem Artikel erwähnt werden, identifizieren sich selbst als nicht-binär. Daher verwenden wir für sie die Form „er:sie“ als Alternative zum englischen genderneutralen Pronomen „they“.
„Sagen wir es mal so: Meinen Sommerurlaub wollte ich eigentlich wandernd in einem Nationalpark in Südwales verbringen. Covid hat aber mein Pläne durchkreuzt“, sagt Sasha und lacht dabei etwas. Jetzt fällt es ihm:ihr aber bei weit weniger anstrengenden Aktivitäten als Wandern schwer, nicht außer Atem zu geraten. Er:sie beschreibt nämlich, dass er:sie momentan beim Sex oft mittendrin aufhören muss, weil ihm:ihr die Puste ausgeht. „Das ist mir einige Male passiert, als ich fast gekommen wäre. Weil ich einfach keine Luft mehr bekam, blieb mir nichts anderes übrig, als zu stoppen.“
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Er:sie erkrankte im vergangenen März an COVID. Seitdem leidet diese 33-jährige Person, die sich selbst als nicht-binär identifiziert, unter den Langzeitfolgen des Coronavirus. Die Symptome, zu denen chronische Müdigkeit, Kurzatmigkeit und Brustschmerzen gehören, werden für Betroffene zu ständigen Begleitern. Früher konnte Sasha weite Strecken mit dem Fahrrad zurücklegen und war ein Fan von Bouldern und Klettern, jetzt hat er:sie Schwierigkeiten damit, es ohne fremde Hilfe in die Geschäfte in der Nähe zu schaffen. „Die meiste Zeit über habe ich nur sehr wenig Energie“, erklärt er:sie. „Ich kann nicht lange stehen. Wenn ich tagsüber einen kurzen Spaziergang mache, benutze ich jetzt seit Neuestem einen Gehstock – zum einen, damit ich etwas zum Abstützen habe, wenn meine Kraft nachlässt, zum anderen aber auch als visuelle Hilfe für die Leute um mich herum, um mir so etwas mehr Raum zu verschaffen.“
Das Post-COVID-Syndrom (PCS), das auch als Long-COVID bekannt ist, ist ein sich abzeichnendes Problem für unser Gesundheitswesen. Fast jede:r siebte an Covid-19 Erkrankte hat länger als vier Wochen mit Symptomen und Beschwerden zu kämpfen. Die Zahl der Betroffenen weltweit könnte in die Millionen-Höhe schnellen, wenn die Pandemie so weiter wütet.
Laut Fachleuten scheint die Wahrscheinlichkeit, langfristige Symptome zu haben, verwirrenderweise nicht damit zusammenzuhängen, wie krank eine Person ist, wenn sie sich zum ersten Mal mit dem Coronavirus ansteckt. Long-COVID ist derzeit noch ein wenig erforschtes Phänomen. Deshalb betonen einige Expert:innen, wie dringend der Bedarf nach weiteren Untersuchungen in diesem Bereich ist. Dieses Syndrom könnte ihnen zufolge nämlich zu einem „erheblichen Gesundheitsproblem weltweit“ werden.
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In der Post-COVID-Klinik gehen die Broschüren rund ums Thema Atemnot beim Sex weg wie warme Semmeln.

Rosie, Krankenschwester
Rosie*, eine 25-jährige Krankenschwester, die sich um Patient:innen mit Atemwegserkrankungen kümmert, hat die Auswirkungen des Post-COVID-Syndroms letzten Sommer mit eigenen Augen gesehen, als sie bei ihrer Arbeit viele Leute kennenlernte, „die Monate nach ihrer COVID-Erkrankung in die Klinik überwiesen wurden und völlig außer Atem waren und erschöpft wirkten“, beschreibt sie. „Ihnen geht die Puste aus, wann immer sie sich anstrengen müssen. Als Anstrengung zählen hier aber nicht nur Aktivitäten wie Spazierengehen oder Treppensteigen, sondern auch Selbstbefriedigung oder Sex mit dem Partner oder der Partnerin.“ Die Krankenschwester erzählt uns von einer Beobachtung, die sie und ihre Kolleg:innen machten: „In der Post-COVID-Klinik gehen die Broschüren rund ums Thema Atemnot beim Sex weg wie warme Semmeln.“ Nachdem klar wurde, wie beliebt diese Infoblätter der Britischen Lungenstiftung zu sein schienen, fing Rosie damit an, Long-COVID während der Gespräche mit ihren Patient:innen anzusprechen und bat ihre anderen Mitarbeiter:innen darum, es ihr gleichzutun.
„Dieses Gesundheitsproblem ist nicht etwas, über das oft gesprochen wird oder was vielen Menschen im Kopf herumschwirrt. Es sollte aber auf keinen Fall unterschätzt werden“, hebt sie hervor. Sie beschreibt, wie sehr sich Long-COVID-Symptome wie Müdigkeit, Atemlosigkeit und Haarausfall in Kombination mit einem Trauma und den (körperlichen und geistigen) Auswirkungen des Genesungsprozesses auf das Selbstbewusstsein und die eigene Körperwahrnehmung auswirken können. „All diese Faktoren haben einen Einfluss auf unsere sexuelle Gesundheit, wie wir unser Körperbild wahrnehmen, und wie sexy wir uns fühlen.“
Jennifer kann das nachvollziehen. Sowohl sie als auch ihr Mann haben sich zu Beginn des ersten Lockdowns mit COVID-19 angesteckt. Während sich ihr Mann schnell erholte, begann Jennifer einige Monate später über Long-COVID-Symptome zu klagen. „Es kommt aus dem Nichts und nimmt dich völlig in Beschlag. Manchmal wird mir schwindelig, wenn ich die Treppe außer Atem hochlaufe. Nur ein einziges Mal in meinem Leben habe ich mich so müde gefühlt: Das war nach der Entbindung, als ich ganze 40 Stunden lang wach blieb.“
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Was sie aber wirklich aufwühlt, sind die Auswirkungen, die ihre gesundheitlichen Probleme auf die Beziehung zu ihrem Mann hat, sowohl auf emotionaler als auch auf sexueller Ebene. „Vor der Pandemie hatten wir zwar nicht das beständigste Sexleben, ich denke aber, dass wir damals glücklicher waren.“ Seit ihrer Erkrankung letztes Jahr hatten die beiden nur einmal Sex miteinander. „Es fühlte sich ganz anders an“, sagt sie offen. „Natürlich habe ich versucht, es mir nicht anmerken zu lassen, aber ich bekam zeitweise einfach keine Luft mehr. Außerdem war ich danach hundemüde.“ Nach dem Sex fühlte sie sich so, als hätte sie gerade ein intensives Training hinter sich gebracht. Als ich sie frage, ob sie sich wegen ihrer Symptome in Sachen Sex zurückhalten würde, antwortet sie: „Ja. Ich zerbreche mir ständig den Kopf darüber, dass wir es nicht mehr tun und frage mich nonstop, wie sich das auf unsere Beziehung auswirken wird.“
„Die Symptome halten mich körperlich zurück. Das stimmt. Außerdem fühle ich mich aber einfach nicht mehr attraktiv, zumindest nicht in sexueller Hinsicht“, sagt sie und erklärt, dass ihr Haarausfall ihr Selbstvertrauen erschüttert hat. Zudem fühlt sie sich durch die Müdigkeit, Atemlosigkeit und Gelenkschmerzen, mit denen sie jetzt zu kämpfen hat, dreimal älter.
Sarah*, eine andere Frau, die an Long-COVID leidet, kann ebenfalls ein Lied davon singen, wie sehr dieses Gesundheitsproblem ihre Beziehung in Mitleidenschaft gezogen hat. Die 35-Jährige, die vor mehr als elf Monaten an COVID erkrankte, berichtet, dass ihre Muskeln und Brust häufig noch wehtun. Sie ist frustriert darüber, dass ihr Zustand ihr Liebesleben beeinträchtigt. Während sie vor COVID noch zweimal pro Woche Sex mit ihrem Mann hatte, kommt es jetzt nur alle paar Monate dazu. Kurz und knapp sagt sie: „Ich möchte zwar Sex mit meinem Mann haben, bin dazu aber körperlich nicht in der Lage, weil sich meine Schmerzen so nur verschlimmern.“
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Atemlosigkeit ist sicherlich eine besorgniserregende Auswirkung von Long-COVID. Jessica Kirby, Leiterin der Gesundheitsberatung bei der Britischen Lungenstiftung, stimmt dem zu: „Vielen Menschen klagen nach einer COVID-Erkrankung über Kurzatmigkeit. Letztes Jahr haben mehr als 50.000 Personen unsere Website besucht, um sich Tipps zum Thema Atemnot beim Sex zu holen. Diese Zahl ist viel größer als noch im Jahr davor. Das beweist, dass es hierbei eindeutig um ein Phänomen handelt, das Menschen Sorgen bereitet.“

Ich zerbreche mir ständig den Kopf darüber, dass wir's nicht mehr tun und frage mich nonstop, wie sich das wohl auf unsere Beziehung auswirken wird.

jennIFER
Diese Zahl erfasst auch Personen, die an anderen Atemwegs- und Langzeiterkrankungen wie Asthma oder einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) leiden. Nichtsdestotrotz zeigt der Anstieg – ob nun in Zusammenhang mit COVID oder nicht –, dass mehr Menschen Rat zum Thema Kurzatmigkeit suchen als zuvor. Was kannst du also tun, wenn du zu jenen Personen gehörst, denen beim Sex krankheitsbedingt die Puste ausgeht?
Kirby betont, dass Atemlosigkeit nicht das Ende des Sexlebens oder einer Beziehung sein muss. „Wenn du beim Sex keine Luft bekommst, solltest du das Tempo etwas runterschrauben oder eine Pause einlegen. Wenn dir ein Inhalationsgerät verschrieben wurde, kannst du mittendrin aufhören und Gebrauch davon machen – falls notwendig.“ Im Allgemeinen rät die Expertin dazu, häufige Pausen zu machen, Stellungen zu wechseln oder der anderen Person die Zügel zu überlassen, wenn das Ganze zu viel werden sollte.
In der besagten Broschüre werden auch Stellungen vorgestellt, die sich für Menschen eignen, die mit Kurzatmigkeit kämpfen. Ein Beispiel: Beide liegen seitlich, entweder einander zugewandt oder eine Person mit dem Rücken zur anderen. „Was einen entscheidenden Unterschied machen kann, ist es, jene Stellungen zu vermeiden, durch die Druck auf den Brustkorb ausgeübt wird“, erklärt Kirby. „Entscheidet euch zudem für solche, die nicht so viel Energie in Anspruch nehmen. Ihr könnt auch ein Kissen verwenden, um den Komfort auf diese Weise zu maximieren.“
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Das Infoblatt enthält außerdem Tipps dazu, wann Betroffene am besten Sex haben sollten und wie sie in Vorbereitung darauf mit ihren Symptomen umgehen können. Zudem zeigt sie einige weniger anstrengende Stellungen (mit praktischen Illustrationen) und gibt Ratschläge dazu, wie man dieses Thema bei einem Gespräch mit der besseren Hälfte oder Ärzt:innen anschneiden kann.
Auch wenn vieles im Laufe der letzten Jahre liberaler geworden ist, ist das Sprechen über Sex immer noch mit einem Stigma behaftet. „Anfangs spricht niemand darüber, weil es alles andere als eine Priorität zu sein scheint“, sagt Rosie. „Wenn es um unsere Lebensqualität geht, so spielt Geschlechtsverkehr aber eine große Rolle... Ich denke, dass vor allem junge Leute es als selbstverständlich hinnehmen, Sex ganz problemlos und komfortabel – ohne jegliche gesundheitliche Einschränkungen – haben zu können.“
Sasha muss sich aber erst noch an seine:ihre neuen Umstände gewöhnen. „Mein Gesundheitsproblem wirkt sich definitiv gewaltig auf meine psychische Gesundheit aus und beunruhigt mich manchmal ganz schön“, sagt er:sie. „Vor dem Sex habe ich nun eine Routine, an die ich mich halten muss. Ohne psychologische und körperliche Vorbereitung geht es nämlich einfach nicht mehr – was für eine Veränderung.“
*Namen von der Redaktion geändert

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