Als ich gerade in die Oberschule gekommen war, ging ich in einem Einkaufszentrum an Victoria's Secret vorbei und fühlte einen Stich des Grauens beim Anblick der Fotos von den Models in Unterwäsche. Das war die Zukunft, die ich scheinbar herbeisehnen und anstreben sollte – eine Zukunft voller rüschenbesetzter Tangas und Spitzen-BHs, die mir noch zu groß waren, mit dem Ziel, sexy auszusehen und mich so zu fühlen. Schon als Teenie ließen mich Dessous eher kalt. Natürlich war ich nicht immun gegen den gesellschaftlichen Druck; ein Teil von mir wollte sexy aussehen. Ich sah das Tragen von besonderer Damenunterwäsche aber nicht als Mittel zu diesem Zweck. Selbst als ich älter wurde und Partner:innen hatte, scheute ich mich davor, verführerische, klischeehafte Lingerie zu tragen und entschied mich, mein Geld für gewöhnlichere, praktischere Unterwäsche auszugeben, die ich jeden Tag tragen konnte. Sonst kam ich mir nämlich eher albern als unwiderstehlich vor.
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Klar verstehe ich, warum Dessous als sexy gelten: Sie stellen ein Tabu dar, weil ja schließlich so gut wie niemand sehen soll, was du unter deiner Kleidung trägst. Dessous sind wie ein unanständiges Geheimnis, das du nur mit einzelnen privilegierten Personen teilst. Ich würde aber behaupten, dass Dessous, die mit der Absicht getragen werden, sexy rüberzukommen (also das Zeug, das Jahr für Jahr auf dem Laufsteg der Fashion-Show von Victoria's Secret zur Schau gestellt wird), objektiv gesehen lächerlich aussehen und obendrein unbequem sind.
In unserer sich ständig weiterentwickelnden Gesellschaft würde ich annehmen, dass das Anziehen eines besonderen, kratzig aussehenden Sets von Spitzenunterwäsche in der Hoffnung, Sex zu haben oder Partner:innen zu gefallen, als unangenehm oder peinlich gelten würde. Hast du schon mal Strapse gesehen? Stehen die ganzen zusätzlichen Stoffe, Halterungen und Bänder nicht einfach nur… dem eigentlichen Sex im Weg? Und obwohl es wahr ist, dass Victoria's Secret gerade ein längst überfälliges Rebranding durchläuft, stellen viele Mainstream-Dessous-Marken immer noch Produkte her, die in einer Fantasiewelt existieren, in der Geschlechter binär sind, niemand eine größere Konfektionsgröße als 42 hat und wir uns allgemein den Stereotypen mit Bezug auf das, was als „sexy“ Weiblichkeit zählt, unterwerfen.
Und was ist mit der Rolle, die Männer in diesem Zusammenhang spielen? Du kannst mir nicht erzählen, dass irgendjemand das Zeug von sich aus tragen würde, hätten Kapitalismus und das Patriarchat nicht ihre Finger im Spiel, die uns konditionieren, dass wir es genießen sollen, uns in diese Gefängnisse aus Spitze zu sperren.
Anscheinend lag ich mit dieser Annahme aber falsch. Als ich Freund:innen und Instagram-Follower fragte, was sie über dieses Thema denken, machten ihre Antworten deutlich, was für eine wichtige Rolle Dessous offenbar noch spielen. Eine Person gab an, dass sie Dessous „wahnsinnig ermächtigend“ fände, während eine andere sagte, dass für sie Lingerie heiß wäre, weil sie etwas für sie selbst sei. Eine andere sagte: „In Lingerie fühle ich mich selbstbewusst und heiß, auch wenn ich sie nur für mich trage.“ Mein Standpunkt, dass anzügliche Unterwäsche entschieden unsexy ist, scheint also keine weit verbreitete Meinung zu sein. Außerdem scheint das Unterwäsche-Business nach objektiven Maßstäben zu boomen und ist laut Statista auf dem Vormarsch.
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Ich wandte mich sogar an Sex-Expertin Ashley Cobb, um herauszufinden, ob sie Dessous sexy findet. Insgeheim hoffte ich, dass sie meine Abneigung gegen Riemchensets teilen würde. „Eigentlich schon“, antwortete sie auf meine Frage, ob sie denn Dessous nur für sich selbst trage. „Mir persönlich hilft Lingerie dabei, mich sexy zu fühlen – nicht so sehr in Hinblick auf Partner:innen, aber sie verleiht mir Selbstvertrauen.“ Ihr Lieblingsset ist ein Babydoll-Teil, das mit einem seidenen Morgenmantel kombiniert wird. „Ich trage solche Mäntel gerne, wenn ich ins oder aus dem Bett steige oder bevor ich dusche… Sie sehen wirklich süß aus und sind megabequem“, sagt sie. „Ich kann diese Kombi tragen, wenn ich zu Hause herumlaufe und wenn die Zeit kommt, sexy zu sein, kann ich den Morgenmantel einfach ausziehen.“
Für mich hat Lingerie jedoch von Natur aus etwas von einer Performance. Ich kann mir nicht vorstellen, das Zeug für mich selbst zu tragen, so wie es Cobb und einige der anderen Leute tun, mit denen ich sprach. Bei der Suche nach konkreten Gründen, warum Dessous als sexy gelten, stieß ich zum Beispiel auf zahlreiche Artikel aus Frauenzeitschriften mit Titeln à la: „Was Männer wirklich über Dessous denken“ und „Männer verraten, was sie tatsächlich von Dessous halten“. Es wird zwar nicht immer so offen gesagt, aber immer wenn ich Artikel lese oder Anzeigen sehe, die für Unterwäsche werben, scheint es mir, dass die gleiche Botschaft im Subtext mitschwingt. Der Zweck von sexy Dessous scheint es zu sein, anderen zu gefallen, insbesondere Männern – und das hinterlässt einen unangenehmen Nachgeschmack in meinem Mund.
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Historisch gesehen liege ich damit nicht falsch. Bei der Recherchearbeit für und dem Schreiben ihres Buches Underneath It All: A History Of Women's Underwear fand Dr. Amber J. Keyser heraus, dass Männer und Frauenfeindlichkeit eine Schlüsselrolle bei der Definition von Schönheitsstandards für Frauen spielten und immer noch entscheidend sind. Im Gegenzug wurden Dessous kreiert, um diesen Standards zu entsprechen. Sie sagte: „Der Mann, der Victoria's Secret gründete, schuf ganz bewusst etwas, das sich auf die Wünsche und Erwartungen von Männern in Hinblick auf Frauen konzentriert.“ Das war mir in der Mittelstufe schon klar.
Nichts davon bedeutet, dass an Cobbs Beziehung – und der Beziehung all der anderen Personen zu Dessous, mit denen ich sprach – etwas nicht stimmt. Laut Dr. Keyser ist es möglich, Dessous zu tragen und sich dabei sexy zu fühlen, ohne sich damit den Normen unserer patriarchalischen Gesellschaft zu unterwerfen. Sie sagt, dass das Tragen von Lingerie sogar ein zutiefst feministischer Akt sein kann. Das Ganze ist aber auch kompliziert, weil es in unserer Gesellschaft Rassismus, weiße Vorherrschaft, Sexismus und eine Form von Vergewaltigungskultur gibt. Während also viele von uns nicht mit der Wimper zucken, wenn sie Spitzenunterwäsche tragen, wird diese Entscheidung nicht in einem Vakuum getroffen. „Ich denke, die Behauptung, dass wir uns in Dessous sexy fühlen, wird durch die Tatsache kompliziert, dass wir unsere patriarchalische und frauenfeindliche Kultur verinnerlichen – es ist schwer, das nicht zu tun –, und das durchdringt jeden Beschluss in unserem Leben, wie auch diese intime Entscheidung“, sagt sie.
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Mit anderen Worten: Manchmal ist das, wodurch wir uns sexy fühlen, durch gesellschaftliche Systeme beeinflusst, gegen die wir aktiv arbeiten. Aber auch so kann das Tragen von Dessous für dich selbst „eine Rückforderung von etwas sein, das dir schon immer aufgezwungen wurde“, sagt Dr. Keyser. „Macht spielt hier eine zentrale Rolle. Als Frauen – selbst heute noch – wird uns nicht beigebracht, und wir werden nicht dazu ermutigt oder dabei unterstützt, unserer eigenen Sexualität, unseren eigenen Wünschen oder unserer eigenen Leidenschaft Ausdruck zu verleihen. Das macht es wirklich schwer zu wissen, was sexy ist, wenn uns kein Raum oder keine Erlaubnis gegeben wird, selbst zu definieren, was sexy ist, weil wir uns in intimen Situationen weiterhin auf das konzentrieren, was sich Männer wünschen und von uns erwarten.“
Wenn eine Frau also dazu in der Lage ist, Dessous von diesen Faktoren zu trennen und es zu genießen, sie zu tragen, weil er oder sie es will – und nicht, weil er oder sie das Gefühl hat, es zu müssen –, finde ich diese Entscheidung lobenswert, und ich wette, er oder sie sieht fantastisch darin aus. Trag also ruhig Strapse, passende Sets oder Tangas, wenn du dich darin selbstbewusst und sexy fühlst.
Nichtsdestotrotz bleibe ich aber zumindest fürs Erste bei meiner Meinung – denn auf dem Boden, am Fußende des Bettes, sehen Dessous doch am besten aus, oder?