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Warum ich keine Lust mehr darauf habe, die Meilensteine von Pärchen zu feiern

„Was ist real? Wie definierst du real?“ – Morpheus, Matrix, 1999
Ich hatte einen Sommer mit sechs Hochzeiten. Einen Frühling mit sieben Babyshower-Partys. Ein Jahr mit neun JGA-Wochenenden. Nicht Tagen. Wochenenden. Warum auch immer. Und obwohl ich jetzt ein Lied davon singen könnte, wie sich diese Events auf die Finanzen eines Singles auswirken – und das könnte ich stundenlang machen –, möchte ich heute nicht über Geld, sondern über Gefühle reden.
Die Meilensteine anderer Menschen zu feiern, ist so eine Sache. Eine ziemlich knifflige, um ehrlich zu sein, denn sie hinterlässt mich immer wieder zwiegespalten. Auf der einen Seite bin ich überglücklich: Eine Person, die ich liebe, ist jetzt verheiratet, schwanger oder irgendwas anderes, was diese Person enorm freut. Das ist doch toll! Ich schreibe zwar manchmal wie der größte Grinch, aber ich habe ein großes Herz. Wirklich! Ich freue mich unglaublich, wenn Menschen, die ich liebe, glücklich sind. Und wie man an den unzähligen Einladungen an meinem Kühlschrank sehen kann, machen Verlobungen, Hochzeiten und Babys die Leute glücklich. Sonst würden sie diese Momente ja nicht feiern, richtig? Auch wenn es manchmal etwas viel ist, freue ich mich wirklich von ganzem Herzen und bin voller Dankbarkeit, dass meine Freund*innen und meine Familie diese Dinge erleben.
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Auf der anderen Seite bin ich tieftraurig. Ich habe dieses Glück nicht. Ich habe eine sehr, sehr lange Zeit versucht, es zu finden. Ohne Erfolg. Alles, was mir jetzt noch bleibt, ist anderen dabei zuzuschauen, wie sie ihr Glück finden. Es ist egal, was ich mache, wie sehr ich es mir auch wünsche und was ich alles verändere. Nichts erinnert dich so sehr daran, dass du single bist und erfolglos versuchst, es nicht zu sein, wie den ersten Tanz von Ehefrau und Ehemann zu beobachten. Sorry, aber das ist eine echte Qual. Und die erlebe ich immer und immer wieder.

Es ist unglaublich anstrengend, das eigene Leben um die Partys anderer Menschen herumzubauen.

Und dann ist da noch ein rein physischer Aspekt: Ich bin komplett ausgelaugt. Mein Akku ist bei Null angekommen. Ich meine, wie viele Freunde und Freundinnen habe ich eigentlich?! Müssten die nicht langsam alle mal unter der Haube sein? Es ist unglaublich anstrengend, das eigene Leben um die Partys anderer Menschen herumzubauen. Und da spreche ich noch nicht mal vom Stress, der durch das Vor- und Nacharbeiten entsteht – schließlich muss ich mir für die Hochzeit oder den JGA nicht selten einen oder mehr Tage Urlaub nehmen. Und auch nicht von der Zeit, die für die An- und Rückreise draufgeht oder das Besorgen des Geschenks. Oder oder.
Es gibt tausende Artikel und Podcasts zum Thema: Wie überlebe ich in der Datingwelt?, aber kann mir bitte mal jemand verraten, wie ich sieben JGAs überstehen soll? Wer verrät mir, wie ich es schaffe, mich drei geschlagene Stunden mit der Tante von wem auch immer zu unterhalten und dabei immer zu lächeln? Ich bin einfach ausgepowert. Müde. Kaputt.
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Manchmal beobachte ich mich selbst bei diesen Events. Wie ich dastehe, mich mit den anderen Gästen unterhalte und das Universum anflehe, dass mich heute niemand fragt: „Und wie läuft's bei dir so in der Liebe?“. Auf einer gottverdammten Hochzeit! Irgendwann ist meine Belastungsgrenze einfach überschritten. Und dann höre ich mich selbst reden. Davon, wie toll alles läuft. Ich verstecke mich hinter meinem Job und frage mich, ob ich das mache, weil meine Karriere der einzige Bereich in meinem Leben ist, bei dem sich meine Bemühungen tatsächlich ausgezahlt haben. In diesem Moment geht es mir nicht darum, den Menschen zu erzählen, was wirklich in mir vorgeht; ich versuche einfach nur dafür zu sorgen, dass es mir weniger beschissen geht. Weniger ausgegrenzt. Es reicht schließlich, dass ich mich schon allein räumlich gesehen sehr weit weg vom glücklichen Paar befinde. Der Single-Tisch steht selten direkt neben dem Brauttisch. Alleinstehende Frauen auf Hochzeiten gelten als traurig und verzweifelt. Glaubst du nicht? Dann schau dir an, was passiert, wenn der Brautstrauß in so ziemlich jedem Film, der seit 1995 gedreht wurde, geworfen wird. Wenn ich allein zur Hochzeitsgesellschaft dazustoße, werde ich direkt abgestempelt. Auch wenn ich selbst – nach viel Selbstreflexion und harter Arbeit – ziemlich gut damit klarkomme, single zu sein, ändert das nichts daran, wie andere mich wahrnehmen. Wie sie mit mir umgehen. Jahr für Jahr.

Ich frage mich, ob ich weniger traurig und erschöpft wäre und mehr Freude empfinden könnte, wenn es genauso große Partys für Singles gäbe.

Ich frage mich, ob ich weniger traurig und erschöpft wäre und ein wenig mehr Freude empfinden könnte, wenn es genauso große Partys für Singles gäbe. Sind wir doch mal ehrlich: Es gibt keine Feste, bei denen die Meilensteine Alleinlebender gefeiert werden. Als ich die 10-Jahres-Marke meines Single-Daseins überschritten habe, habe ich das nicht zusammen mit 100 Gästen und einem zweitägigen Event gefeiert. Ich habe kein Wochenende mit acht meiner besten Freundinnen in London verbracht, als ich eine Beförderung bekam und auf einmal so viel wie niemals zuvor verdiente. Wäre da überhaupt irgendjemand gekommen? Hätte das irgendjemand ernstgenommen?
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Ich denke, wir übertreiben es mit den Hochzeits- und Baby-Feierlichkeiten. Jetzt ist es raus. Die Verlobungsparty, der Junggesell*innenabschied, die Geschenke, die Hochzeit inklusive Probeessen, Zeremonie, Sektempfang und das Gruppenevent wie der Brunch am nächsten Morgen. Die Bekanntgabe der Schwangerschaft, die Babyshower, das Schwangerschaftsshooting, das Fotoshooting direkt nach der Geburt und die „Heute bin ich XY Monate“-Fotos. Wie wäre es denn mal mit „Heute vor XY Monaten habe ich meine Dating-Apps gelöscht“-Fotos?
Stempel' mich ruhig als verbittert ab, aber ich möchte das aussprechen, weil ich weiß, dass es anderen Singlefrauen genauso geht wie mir. Fakt ist: Das Leben von Alleinstehenden feiern wir nicht im Ansatz so sehr wie das von Pärchen. Es gibt keine Meilensteine, Anlässe oder Rituale, die Reisen, Hotelaufenthalte, Geschenke und aufeinander abgestimmte Outfits rechtfertigen würden. Ja, ich hatte eine wunderschöne Geburtstagsparty zu meinem Dreißigsten. Es war ein Outdoor-Dinner an einer langen Tafel mit den 20 Menschen, die ich am meisten liebe. Meine Mutter ist extra eingeflogen. Es war sehr großzügig von meinen Freund*innen und ich bin sehr dankbar dafür, so viele Leute in meinem Leben zu haben, die mich so sehr lieben. Aber es war ein Geburtstag, und den feiern, soweit ich weiß, verheiratete Menschen auch.
Ich glaube, ich kann keine anderen Menschen mehr feiern. Nicht, bis wir anfangen, Singles genauso zu feiern wie Paare. Die R29-Kolumne, auf die ich bisher die meisten Reaktionen erhalte, ist „Struggles einer Singlefrau: Wie mich mein Couchtisch fast umbrachte“. Darin erzähle ich davon, wie ich meinen neuen 24-Kilogramm-Tisch ganz allein in den fünften Stock geschleppt habe. Ohne jemanden um Hilfe zu bitten. Je öfter alleinstehende Frauen mir für diese Leistung gratulieren, desto wütender werde ich auf mich selbst, weil ich keine Geschenke für diese persönliche Höchstleistung, diesen Erfolg verlangt habe. Ich habe keine Wunschliste bei Sephora hinterlegt. Ich habe niemanden darum gebeten, mich zu feiern – so wie es Paare machen. Weil das Feiern der Meilensteine und Errungenschaften von Singlefrauen in unserer Gesellschaft nun mal nicht so wichtig ist.
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Früher habe ich die eine oder andere Hochzeit ausfallen lassen, weil ich es mir finanziell nicht leisten konnte. Heute nehme ich Einladungen nicht an, weil ich es mir emotional nicht leisten kann.

Ich verlange nicht, dass wir weniger freudige Anlässe feiern. Im Gegenteil. Heiratet, habt Babys. Good for you. Aber ich bin außen vor. Mein Leben steht nicht auf der Liste der offiziellen Gründe, die nach einer Party schreien. Sich 11 Jahre lang ausgeschlossen zu fühlen und gleichzeitig permanent die Meilensteine anderer feiern zu müssen, ist einfach nicht cool. Es ist zu viel. Früher habe ich die eine oder andere Hochzeit ausfallen lassen, weil ich es mir finanziell nicht leisten konnte. Heute nehme ich Einladungen nicht an, weil ich es mir emotional nicht leisten kann.
Ich habe viel gemacht, um mein Selbstwertgefühl zu verbessern, damit ich mich nicht mehr so fühle als wäre ich weniger Wert als andere, weil ich single bin. Ich will mich genauso über meine persönlichen Meilensteine freuen (dürfen) wie über die von Paaren. Ich weiß, es wird noch eine Weile dauern, bis die Gesellschaft nachzieht. Aber ich tue was ich kann, damit ich mich besser fühle – und andere Singlefrauen hoffentlich auch. Doch es ist an der Zeit, ein bisschen zu rebellieren.
Was ist mein Äquivalent zur Hochzeit? Was mein JGA? Kann ich förmliche Einladungen inklusive Dresscode rausschicken, wenn ich in eine neue Wohnung ziehe? Würden meine Familie und meine Freund*innen für extra dieses Event einfliegen und sich neue Klamotten kaufen? Das klingt vielleicht erst Mal absurd. Aber auch nicht absurder, als von Menschen zu verlangen, 500 Euro (Anreise, Hotel, Outfit, Geschenk) für etwas zu bezahlen, dass rein statistisch gesehen eine 50/50-Chance hat, von Dauer zu sein. Ich weiß, das will niemand hören. Aber es musste mal raus. Außerdem: Weißt du wie oft ich mir in den letzten 11 Jahren Sprüche und Fragen anhören musste, die ich lieber nicht gehört hätte?
Mein Leben ist es genauso wert, gefeiert zu werden, wie das von anderen. Und bis die Gesellschaft das akzeptiert und meine Gründe für ausgelassene Feste anerkennt und ernst nimmt, bin ich erst Mal raus aus der Sache.

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