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Ich rede im Schlaf. Ist das normal oder bin ich besessen?

Foto: Ashley Armitage
„Hühner!“, rufe ich. „Hühnerköpfe sind wie Finger in roten Gummihandschuhen!“ Wenn sich das für dich anhört, als würde ich totalen Mist erzählen, hast du absolut Recht. Zu meiner Verteidigung muss ich aber sagen, dass ich keine Ahnung habe, was ich da rede – denn ich schlafe gerade.
In den frühen Morgenstunden werde ich laut meinem Freund zur Quasselstrippe, der hellwach neben mir liegt und mir interessiert dabei zuhört, wie ich Selbstgespräche führe. Manchmal antworte ich mir selbst, manchmal fange ich hysterisch an zu lachen. Damit wecke ich mich dann selbst auf. Er ist davon überzeugt, ich sei besessen. 
Das Reden im Schlaf (wissenschaftlich bekannt als „Somniloquie“) ist dabei aber gar nicht so selten, beruhigt mich Dr. Guy Meadows, der Direktor der virtuellen Schlafklinik Sleep School. „Gerade in der Kindheit ist das Reden im Schlaf sogar sehr weit verbreitet“, meint er. „Zur Parasomnie (das sind abnormale Verhaltensauffälligkeiten im Schlaf) kommt es, wenn das Gehirn in eine neue Schlafphase übergeht; das heißt, an der Grenze zwischen leichtem und tiefem Schlaf. Etwa 20 Prozent aller Kinder leiden an irgendeiner Form der Parasomnie. Dazu gehören unter anderem Schlafwandeln, Albträume oder eben die Somniloquie.“ Die meisten Menschen lassen diese Parasomnie im Laufe der Jugend hinter sich; mit etwa 12 Jahren hat sich das Ganze meist erledigt. „Aber ich bin fast 30“, beklage ich mich bei Dr. Meadows. Er lacht. „Etwa vier Prozent der Betroffenen leiden weiter darunter.“ Scheinbar bin ich also eine Rarität – aber eben nicht allein.
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Die 25-jährige Projektmanagerin Phoebe Herschdorfer ist meine Leidensgenossin. „Wenn ich morgens aufwache, erzählt mir mein Partner meistens, was ich so während der Nacht gesagt habe“, meint sie. „Das kann alles sein – ich habe schon davon gesprochen, was ich doch für eine treue Kundin meiner Bank sei und dass ich der Bank nie würde wehtun wollen, indem ich die Bank wechsle. Und einmal habe ich mich über Verschwörungstheorien zu Ronald und Nancy Reagan und ihrer Rolle im Drogenkrieg in Amerika ausgelassen.“

Im Laufe der Jahre sind aus meinem Murmeln ganze Gespräche, Streits und hysterisches Gelächter geworden. Ich habe dabei ganz eindeutig jede Menge Spaß, aber sollte ich mir deswegen Sorgen machen?

Das kennt auch Lucie Turner, 26. Sie ist selbstständige Markenberaterin und Nanny und wurde von ihrer Mutter früher als „komisches Kind“ bezeichnet, weil sie im Schlaf so viel redete. „Ich sprach über total alltägliche Sachen wie Bruchrechnung oder Einkaufszettel, aber auch über richtig seltsame Dinge. Zum Beispiel weinte ich, weil ich Leute verloren hatte, die es gar nicht gab, oder schrie: ‚Lass mich los, [Familienmitglied], oder ich rufe die POLIZEI!‘“
Ähnliches berichteten ihr dann auch ihre Mitbewohner:innen im Uni-Wohnheim. „Sie meinten, sie könnten mich vor großen Klausuren oder Hausarbeiten-Deadlines durch die Wände streiten hören. Und wenn ich bisher vermieden hatte, ein wichtiges Thema mit anderen zu besprechen, hielt ich diese Gespräche eben im Schlaf und klärte dann alle Probleme. Danach war ich immer total verwirrt, wenn ich aufwachte.“
Ich weiß genau, wie sich Lucie und Phoebe dabei fühlen. Laut meinen Eltern schlafwandle und spreche ich schon im Schlaf, seit ich sehr jung war. Manchmal stand ich dann mitten in der Nacht auf und wühlte mich durch die Küchenschränke, während ich vor mich hinmurmelte. Im Laufe der Jahre sind aus diesem Murmeln ganze Gespräche, Streits und hysterisches Gelächter geworden. Ich habe dabei ganz eindeutig jede Menge Spaß, aber sollte ich mir deswegen Sorgen machen? Und gibt es überhaupt etwas, was ich dagegen tun könnte?
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„Statt um Heilung geht es hier eher um Vorbeugung“, meint Dr. Meadows. „Wir können dich nicht durch Zauberhand vom Schlafreden abhalten; wir können aber sehr wohl die Faktoren reduzieren, die dazu beitragen können.“ Das heißt vor allem eins: gute Schlafhygiene. Und die besteht darin, jede Nacht zur selben Zeit schlafen zu gehen, den Koffein-, Alkohol- und Nikotinkonsum einzuschränken und grelle Lichter zu meiden. „Dabei geht es nicht um Enthaltsamkeit, sondern um Ausgewogenheit und ein besseres Verständnis“, betont Dr. Meadows. „Es kommt dir vielleicht langweilig vor, jeden Tag zur selben Zeit aufzustehen und ins Bett zu gehen, aber es ist das Gesündeste, was wir für uns selbst tun können. Das liegt daran, dass jeder biologische Prozess von unserer inneren Uhr gesteuert wird – wann soll der Körper aktiv sein, wann inaktiv, wann hungrig, wann satt, wann stark, wann entspannt? Unser Körper regelt all das in seinem 24-Stunden-Rhythmus.“

Immer, wenn ich unruhig bin – und das ist im Lockdown quasi ein Dauerzustand –, kommt die Somniloquie besonders stark zurück.

Lucie
Dieser Rhythmus ist aber vor allem im letzten Jahr bei vielen aus der Bahn geraten. Corona hat die Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit verschwimmen lassen, und viele Leute klagen seit der Pandemie über komische Träume oder (Ein-)Schlafprobleme. Und auch Betroffene von Parasomnie bemerken eine deutliche Steigerung ihrer Beschwerden. „Ich rede in letzter Zeit häufiger im Schlaf“, meint Lucie. „Immer, wenn ich unruhig bin – und das ist im Lockdown quasi ein Dauerzustand –, kommt die Somniloquie besonders stark zurück. Durch die ganzen Veränderungen und Unsicherheiten der ersten Pandemie-Monate veranstaltete ich nachts plötzlich regelmäßig Talkshows.“
Phoebe tippt bei ihr auf Stress als Auslöser. „Ich schätze, ich habe ein sehr aktives Gehirn. Meine Träume sind ziemlich lebhaft, und ich erinnere mich morgens immer daran – vielleicht ist das der Zusammenhang: Je lebhafter meine Träume, desto eher reagiere ich auf sie, als sei ich wach. Ich denke, je gestresster oder beschäftigt ich im Alltag bin, desto wahrscheinlicher rede ich nachts.“
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Und auch ich merke, dass Corona meine Symptome verschlimmert hat. Ich bin bipolar; deswegen kann sich der aktive Teil meines Gehirns nie abschalten, vor allem während einer manischen Episode (während der ich meistens tagelang nicht schlafe), und das ist seit der Pandemie nur noch deutlicher geworden. Dr. Meadows überrascht das nicht. „Zu Beginn des Lockdowns blieben die Leute zu Hause und verloren damit ihren Arbeitsweg, der vielen als eine Art Zeitmesser dient. Wir gingen plötzlich später ins Bett und standen auch später auf“, sagt er. „Die verlorenen Ankerpunkte, auf die sich unsere biologische Uhr sonst verlassen konnte, sowie die enorme Unsicherheit zur Zukunft kann sich natürlich auf unsere Psyche und damit unseren Schlaf auswirken. Schlaflosigkeit und -störungen sorgen für einen hohen Stresspegel, der dann wiederum andere Parasomnien wie Schlafreden, -wandeln oder Albträume begünstigt.“ Das Ganze fühlt sich dann schnell an wie ein dauernder Jetlag, meint er. 

Ein Tagebuch zu führen, kann sehr gut dabei helfen, Distanz zwischen dir und deinen Gedanken aufzubauen.

Dr. Guy meadows
Und da stimme ich ihm zu: Wenn ich nachts dauernd aufwache, fühle ich mich tagsüber wie gerädert – und mein Freund genauso, der von meiner nächtlichen Gesprächigkeit schließlich direkt betroffen ist. Was kann ich also tun, um mir und ihm eine ruhige Nacht zu gewährleisten? „Wenn du dir gerade Sorgen machst – sei es nun wegen Corona, deiner Gesundheit oder deiner Finanzen –, solltest du dir vor Augen halten, dass deine Gedanken von dir getrennt sind“, erklärt mir Dr. Meadows. „Ein Tagebuch zu führen, kann sehr gut dabei helfen, Distanz zwischen dir und deinen Gedanken aufzubauen. Dazu kannst du dem besorgten Teil deines Bewusstseins auch einen konkreten Namen geben, um in der dritten Person darüber sprechen zu können. Es geht dabei darum, deine Sorgen anzuerkennen, dein eigenes Bewusstsein dabei liebe- und rücksichtsvoll zu behandeln und es so zu akzeptieren, wie es ist.“
Ich habe beschlossen, mir Dr. Meadows’ Rat zu Herzen zu nehmen und mein hyperaktives Hirn seitdem „Little Miss Chaos“ getauft. Außerdem schreibe ich eine Stunde vor dem Schlafengehen in mein Tagebuch. Dieses Ritual – ergänzt durch eine feste Schlafenszeit, regelmäßige Mahlzeiten und Sport – hilft mir bei einem strukturierten Alltag und sorgt dafür, dass ich meinen Gedanken die Aufmerksamkeit schenke, die sie sich scheinbar wünschen. Selbst dann, wenn sie sich am liebsten mit Hühnern befassen. 
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