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Hört auf, mein Kind speckig zu nennen

Als meine Tochter zum ersten Mal mit Fat-Shaming in Berührung kam, konnte ich noch darüber lachen. Wir standen gerade am Bahnsteig und warteten auf die U-Bahn. Sie war etwa sechs Monate alt und saß zufrieden in ihrer Babytrage. Zwei junge Frauen, die auf uns zu liefen, lachten und flüsterten, dann sagte die Mutigere der beiden: „Ihr Kind ist aber speckig.”
Und das stimmt, mein Baby ist ziemlich rund. Wenn ihr mich fragt, ist sie aber auch absolut perfekt. Ich liebe ihren Körper – vor allem die Röllchen an ihren Armen und diesen Punkt an ihrem Nacken, der das Weichste ist, was ich jemals berührt habe.
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Wenn es bei diesem einen bizarren Erlebnis in der U-Bahn geblieben wäre, würde ich diesen Artikel sicher nicht schreiben. Aber inzwischen kann ich mit meiner Tochter kaum noch in die Öffentlichkeit gehen, ohne dass fremde Menschen Kommentare über ihr Gewicht machen. Beinahe 50 Personen – ausschließlich Frauen – haben uns inzwischen schon angesprochen. Anscheinend kommen so einige Menschen nicht damit klar, dass sie knapp zehn Kilo wiegt.
Manche scheinen zu denken, sie fett zu nennen sei ein Kompliment, ganz so als ob wir im Mittelalter lebten und ein dickes Baby ein Symbol für Reichtum und Überfluss sei. Schlimmer finde ich aber die, die versuchen, mich zu trösten. Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich verschiedene Variationen des Satzes „Keine Angst, das verwächst sich, wenn sie anfängt zu laufen” gehört habe. Eine Frau ging sogar so weit, mir zu erzählen, dass ihre Tochter ein dickes Baby gewesen war, aber als Erwachsene nur 45 Kilo wiegt. Sie sagte das, als ob sie versuchte mir Hoffnung zu geben.
Meine Tochter wurde schon vieles genannt, von teigig oder gigantisch bis zu „chunky monkey”. Vor Kurzem, als wir abends im Park waren, hatte eine nette ältere Dame das dringende Bedürfnis, ihr Erschrecken über das Gewicht meiner nur acht Monate alten Tochter pantomimisch darzustellen. Aus ihrer enthusiastischen Gestik schloss ich, dass sie mir sagen wollte, dass das schon ok sei. Sie hätte ein Enkelkind mit einem richtig großen Hintern. Die Situation war so albern, dass ich wieder lachen musste. Aber es machte mich auch ziemlich traurig. Wie würde sich meine Tochter fühlen, wenn sie verstehen könnte, was all diese Menschen da sagten? In welchem Alter fangen wir wohl an, mit unserem Körperbild zu kämpfen?
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Jetzt sollte ich euch vermutlich sagen, dass ich selbst schon mein ganzes Leben lang mit meinem Gewicht kämpfe. Ich weiß also, wie es sich anfühlt, wenn man wegen seines Körpers verurteilt wird. In den Jahren vor meiner Schwangerschaft begann ich endlich, endlich, mich in meiner Haut wohlzufühlen. Ich hatte meinen Körper unter Kontrolle, was ein fantastisches Gefühl war. Ich konnte ein paar Kilometer laufen, ohne wirklich ins Schwitzen zu geraten. Und ich konnte in jedes beliebige Bekleidungsgeschäft gehen und etwas finden, das mir passte – was nicht immer so gewesen war.
Naiv wie ich war, dachte ich, mein lebenslanger Kampf mit der Waage wäre vorbei. Dann nahm ich urplötzlich mehr als 20 Kilo zu. Zehn davon verschwanden zwar in den Wochen nach der Geburt meiner Tochter, aber die anderen zehn blieben.
Jetzt ist mein Schrank voller Kleider, die wegen der hartnäckigen Schwangerschaftspfunde zu eng sind. Wenn ich in den Spiegel sehe, werde ich wütend. Es fühlt sich an, als wäre ich von dem Körper, den ich endlich gezähmt hatte, betrogen worden. Ist das nicht ein bisschen zum Lachen? Nach der größten körperlichen Leistung meines Lebens (ich habe einen neuen Menschen erschaffen!) belastet mich jetzt der gleiche Mist wie früher: Ich beschäftige mich beinahe zwanghaft mit Jeansgrößen und lösche alle unvorteilhaften Fotos – zum Teil aus Eitelkeit, aber auch weil ich nicht möchte, dass meine Tochter diese Bilder irgendwann sieht und sich schämt, weil ihre Mutter übergewichtig war.
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Meine Beziehung zu meinem Körper wird immer kompliziert bleiben, aber ich bin mir sicher, dass es schrittweise besser wird. Hoffentlich bevor meine Tochter alt genug ist, um meine Negativität mitzubekommen. Das ist meine Aufgabe. Aber in der Zwischenzeit würde ich gerne jede einzelne Person, die sich berufen fühlt, das Gewicht meiner Tochter zu kommentieren, ins Gebet nehmen. Sich über ihr Gewicht Gedanken zu machen, wenn auch nur kurz, macht euch zu ziemlichen Mistmenschen. Sie braucht eure kritischen Stimmen nicht in ihrem Kopf – und ich übrigens auch nicht. Sie ist ein gesundes, glückliches Baby. Ihr Körper geht euch überhaupt nichts an.
In unserer Welt ist Bodyshaming allgegenwärtig – vor allem Frauen gegenüber. Es macht mich ausgesprochen traurig, dass Menschen sich nichts dabei denken, diese Einstellung sogar einem Baby gegenüber an den Tag zu legen. Meine Tochter hat eine Chance auf ein gesundes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl verdient, unbehelligt von euren Kommentaren. Wenn ich meinen Job gut mache, wird sie irgendwann klug und unabhängig genug durch ihr Leben gehen, um sich einen Dreck darum zu scheren, was irgendjemand über ihr Aussehen denkt.
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