Die Jugend war schon immer eine Zeit voller Emotionen. Heutzutage müssen Teenager jedoch noch zusätzlich mit anderen, neuen Problemen fertig werden. Problemen, die einen großen Einfluss auf ihre seelische Gesundheit haben können. Das kann sogar so weit gehen, dass sie sich selbst verletzen.
Was ist Selbstverletzung?
Die Wohltätigkeitsorganisation für psychische Gesundheit Mind definiert Selbstverletzung als „sich selbst verletzen, um mit tiefen Gefühlen, schmerzhaften Erinnerungen oder überwältigenden Situationen und Erfahrungen umzugehen”. Es umfasst alles vom Ritzen über Vergiften bis hin zu Verbrennen, Beißen und Über- oder Unterernährung.
Erschreckende Zahlen
25 bis 35 Prozent aller Teenager in Deutschland haben sich bereits mindestens einmal absichtlich selbst verletzt, manche machen es sogar regelmäßig. In Europa hat Deutschland damit eine der höchsten Prävalenzraten (Prävalenzraten beschreiben, wie oft ein Symptom oder eine Störung/Krankheit in einem bestimmten Zeitraum in einer bestimmten Population vorkommt). Laut einer europäischen Studie treten Selbstverletzungen besonders häufig bei „alternativen“ Jugendlichen auf – also Teenagern, die sich mit einer alternativen Jugendkultur wie Gothic, Emo oder Punk identifizieren.
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Mögliche Gründe
Neben demografischen Faktoren, wie etwa Einwanderung oder Geschlecht, und sozialen Hintergründen wie dem sozioökonomischen Status der Eltern zählen beispielsweise Mobbing, Missbrauch, Vernachlässigung und begleitende psychiatrische Erkrankungen zu den Risikofaktoren für nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten. Demzufolge ist die Selbstverletzung oft eine Reaktion auf einen emotionalen Zustand.
Aber auch Gender-Stereotypen und Sorgen um das eigene Aussehen tragen zu den hohen Betroffenenzahlen bei, wie eine Untersuchung von The Children's Society zeigt. Kinder, die in Gruppen sind, bei denen Mädchen hübsche Kleider haben müssen und Jungs tough sein müssen geht es oft psychisch schlechter.
Und dann sind da noch die sozialen Medien…
Laut einer Untersuchung der Krankenkasse DAK sind in Deutschland etwa 100.000 Jugendliche abhängig von den sozialen Medien, wobei Mädchen häufiger betroffen sind als Jungen. Mögliche Folgen der Sucht können u.a. Schlafmangel, Stress, Depressionen, Einsamkeit und Realitätsflucht sein.
Und selbst, wenn sie nicht abhängig sind, scheinen es Mädchen im Teenageralter generell schwerer zu haben, weil sie beispielsweise auf Instagram und Co. oft auf ihr Äußeres beschränkt werden. So zeigen Studien aus Großbritannien, dass viele britische Mädchen unglücklich sind (was in Deutschland ähnlich aussehen dürfte).
Erfahrungen einer jungen Frau
Eine junge Frau, die Erfahrungen mit Selbstverletzung gemacht hat ist Loveday Quarry. Die 19-jährige Studentin schnitt sich zum ersten Mal, als sie 12 Jahre alt war. Ihre psychische Gesundheit wurde im Teenageralter immer schlechter und sie begann, ihre Haut aufzukratzen und ihre Nahrungsaufnahme einzuschränken. „Ich verletzte mich für etwa vier Jahre selbst und dann noch mal im Alter von 16 bis 18 ziemlich regelmäßig. Seit ich studiere hatte ich nur ein paar Rückfälle“, erzählt sie.
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„Ich habe damit angefangen, weil ich einfach nicht happy mit mir war. Heute triggern mich vor allem Streits oder Fehler, die ich gemacht habe. Mein Aussehen und mein Gewicht sind aber auch immer noch Auslöser für mich. Immer, wenn ich Angst hatte oder mich nicht gut genug für etwas gefühlt habe (was eine Zeit lang sehr häufig vorkam), verletzte ich mich.“
Zwar ist Loveday immer noch nicht komplett gesund, aber ein Gedanke hat ihr oft geholfen: Gefühle gehen irgendwann vorbei. „Ich habe gelernt, dass niemand immer glücklich sein kann. Glück ist ein vergänglicher Zustand und es ist normal, in gewissen Situationen auch mal unglücklich zu sein. Ich muss mich also nicht dafür bestrafen, wenn ich emotional auf etwas reagiere“.
Weil ein Großteil der Gesellschaft bisher keine genaue Vorstellung von selbstverletzendem Verhalten hat, versucht Loveday, ein Bewusstsein dafür zu schaffen. „Das häufigste Missverständnis ist, Selbstverletzung sei ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Ich habe mich nie für meine Narben oder frischen Wunden geschämt. Ich mache es nicht, damit es andere Menschen sehen und kommentieren. Es ist für mich immer noch eine Form der Selbstbestrafung und ich habe nicht das Gefühl, Hilfe zu brauchen, nachdem ich mich selbst bestraft habe”.
Quarry hat sich vor kurzem ein Semikolon neben eine ihrer Narben auf dem Handgelenk tätowieren lassen. Es ist eine Hommage an das Project Semicolon, das sich mit seelischer Gesundheit und Suizidprävention beschäftigt. „Ich liebe die Metapher. Autor*innen benutzen beim Schreiben ein Semikolon, wenn sie den Satz hätten beenden können, sich aber dagegen entschieden haben. Wir sind die Autor*innen unseres eigenen Lebens. Für mich steht mein Tattoo für die Entscheidung, den Satz – also mein Leben – weiterzuführen, statt es zu beenden“.
Wenn du (oder eine Person, die du kennst) Hilfe benötigst, kannst du die Hotline der TelefonSeelsorge unter 0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222 anrufen oder den Chat der TelefonSeelsorge nutzen.