Mein Mann hat von dem plötzlichen Tod seiner Freundin Louise auf Facebook erfahren. Ihr Bruder hat die News in ihre Timeline gepostet. Direkt über einem Video von dem Gitarre spielendem Gorilla Koko. „Wow! Love this!“, hatte Louise ein paar Tage vorher geschrieben, was dann zu der letzten Facebook-Message wurde, die sie in Welt geschickt hat.
Ich traf Louise zum ersten Mal vor acht Jahren, als mein Mann und ich anfingen zu daten. Die beiden kannten sich schon Jahre. Sie war ein paar Jahre älter als er und vergötterte ihn, aber nicht auf eine unangenehme Art. Sie war superfreundlich, sie war authentisch und lustig und klug.
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Sie addete mich auf Facebook und likte die Bilder, die ich von unseren Katzen postete und die Artikel, die ich schrieb. Wir blieben sporadisch in Kontakt, wie das eben so ist, wenn man in unterschiedlichen Städten wohnt und sich nicht so häufig sieht.
Und dann, an einem Morgen vor ein paar Wochen, schaute mein Mann von seinem Laptop auf und drehte sich mit großen Augen zu mir.
„Oh mein Gott“, sagte er, „Louise ist tot.“
Es war unglaublich schwer zu begreifen, dass sie plötzlich gegangen war. Besonders als ich auf ihre Facebook-Seite ging, auf der sie noch total lebendig wirkte. Ihr digitaler Fußabdruck war frisch und aktiv. Ihre kürzlich veröffentlichten Posts und Likes gaben uns das Gefühl, dass sie immer noch unter uns war.
Ihr Tod kam unerwartet. Sie starb alleine in ihrem Apartment; ihre Leiche wurde erst Tage später gefunden.
Ich wollte sie anrufen oder ihr schreiben, um zu sehen, ob das wirklich wahr war.
Der Tod, besonders der plötzliche Tod eines jungen Menschen ist tragisch, unbegreiflich, und sinnlos. Die bleibende digitale Präsenz des Verstorbenen verstärkt das um ein Vielfaches. Ich steckte in meiner Verleugnung fest – der ersten der fünf Stufen von Trauer, laut der Schweizer Psychologin Elisabeth Kübler-Ross. Darauf folgen nach ihrem Modell die Wut, das Verarbeiten, die Depression, und die Akzeptanz.
Doch Kübler-Ross konnte, bevor sie 2004 selbst verstarb, sicherlich nicht den Einfluss von Social Media auf den öffentlichen Trauerprozess vorhersehen. Ein trauriges Gesicht, R.I.P.-Posts auf der Timeline, Abschiedsnachrichten. Wenn heute jemand geht, bleibt er*sie digital weiterhin bestehen.
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Und genau das hinderte auch mich daran, Louises Tod zu verarbeiten. Ihre Facebook Seite wurde plötzlich zu einer Pinnwand der Erinnerungen. Die meisten Nachrichten sprachen sie ganz direkt an.
„Ich habe von deinem Tod erfahren“, postete ein Freund, als ob Louise einfach auf einem Trip wäre, aber zwischendurch mal Facebook checken könnte. „Du sollst in Frieden ruhen.“
„Ich habe noch das Buch mit dieser wunderbaren Notiz, dass du mir gegeben hast“, schrieb ein anderer Freund. „Ich werde dich und deinen Sinn für Humor vermissen!“
Ich persönlich habe schon genug Probleme damit, mir meine eigene Sterblichkeit vor Augen zu führen, ohne mir dabei noch Sorgen machen zu wollen, wie ich mein Facebook-Profil aus dem Jenseits pflege.
Natürlich richten sich diese Nachrichten an Louise irgendwie auch an ihre Angehörigen. Facebook kann für die Überlebenden zum virtuellen Versammlungsort werden, um Geschichten, Informationen und Trauer zu teilen. Allerdings ist Trauer ein komplexer Prozess, der oft über die Unmittelbarkeit von Social Media hinauswächst.
„Social Media kann Verwirrung in den Prozess unserer Trauer bringen“, sagt die in Los Angeles ansässige Leichenbestatterin Caitlin Doughty. „Ich habe ein paar Freunde die durch langjährigen Krebs oder Selbstmord gestorben sind oder aber durch Unfälle plötzlich aus dem Leben gerissen wurden. Aber ihre Profile sind immer noch dieselben, sie werden nicht älter, sie verwesen nicht, sie sterben nicht. Das kann trügerisch sein.“
„Es gibt keine tiefere menschliche Erfahrung als echte, ungehinderte Trauer“, sagt Doughty. „Neben dem toten Körper einer Person zu sitzen, die du liebst, kann zu Verzweiflung und existenzieller Angst führen, aber ultimativ auch zur Akzeptanz. Das kann kein Facebook-Status ersetzen. Der Trauerprozess ist körperlich.“
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Meine erste richtige, nahe Erfahrung mit dem Tod war als Erwachsene, als ich an dem Sterbebett eines meiner besten Freunde, Joe, saß. Ich kannte ihn seit der Highschool und er war eine der albernsten, weisesten, cleversten Personen, die ich kannte. Im Alter von nur 36 Jahren starb er an einer seltenen Form von Lungenkrebs. Eine Woche lang war ich mit seiner Familie und anderen geliebten Menschen bei ihm im Hospiz, hielt seine Hand, während er in einem tiefen Morphinschlaf lag. Ich lauschte seiner schwerfälligen, ratternden Atmung, langsam und schmerzhaft, immer mit dem Gedanken daran, wann es wohl sein letzter Atemzug sein würde. Bis er dann kam.
Kurz nach seinem Tod überredete mich Joes Vater zurück in das Zimmer zu gehen.
„Komm, geh zu Joey“, sagte er, während er mir vorsichtig die Hand auf den Rücken legte, „Er sieht so friedlich aus.“
Meine Füße wollten nicht. Ich musste mich überwinden, um sie zu bewegen. Ich setzte mich vorsichtig an den Rand des Bettes neben seinen Körper. Ich berührte seinen Arm, der immer noch warm war. Ich legte meine Hand auf seine Brust. Sein Vater verließ leise den Raum.
Und dann schrie ich. Ich weiß nicht, woher dieses Geräusch kam, aber ich schrie. Ich brüllte. Ich legte meinen Körper an seinen. Als ich keine Tränen mehr übrig hatte, stand ich auf und ging zurück in die Halle zu den Angehörigen.
Man kann diese körperliche Erfahrung nicht bei jedem Tod mitmachen. Aber vielleicht ist das Ausbleiben dessen der Grund dafür, dass ich mich so leer und unbefriedigt fühlte, als ich Louises Tod online erfuhr.
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In der echten Welt fühlt es sich unmöglich genug an, etwas zu finden, was dabei hilft mit der Trauer klar zu kommen. Die Übervereinfachung des Traumas der Trauer auf Facebook erschien mir unerträglich.
„Ich fühle mich, als hätte mir jemand ins Herz geboxt“, emailte mein Mann mir einige Tage, nachdem wir von Louises Tod erfahren hatten von der Arbeit aus. Dieser Ungläubigkeit und Traurigkeit überschwemmte uns langsam und in unerwarteten Momenten.
Louise und ich sind immer noch Facebook-Freunde. In ein paar Monaten wird Facebook mich daran erinnern, ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Ich besuche immer noch ihre Seite; ich lese alte Nachrichten von ihr. Ich lerne eine neue Form der Trauer. Vielleicht ist da der Trost, dass sie immer noch da ist, dass ihre Freunde immer noch auf ihre Seite schreiben, wie besonders sie war und wie sehr sie sie vermissen. Und ich vermisse sie auch.
Ich schaue mir meine eigenen Facebook-Posts an – ein Foto meines Mannes auf dem Gipfel des Mount Whitney, das großartige neue Sia-Video, Bilder von meinen Karten. Wir alle werden sterben, und das ist angsteinflößend und unvorstellbar. Aber wir alle leben weiter, auf Facebook.