Die Ausstellung zeigt 30 eindrucksvolle Porträts von Menschen über 40, denen Bex in den drei Jahren, in denen das Projekt entstand, begegnet ist. „Es gab und gibt immer noch nicht genug Sichtbarkeit der älteren trans Community in den Medien“, sagt Bex gegenüber Refinery29. „Ich wusste, dass alle Beteiligten faszinierende Geschichten zu erzählen hatten. Insbesondere Aufklärer*innen wie Stephen Whittle, der die transaktivistische Gruppe Press For Change mitbegründet hat, mit der wir für Hen eine Partnerschaft eingegangen sind.“
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Neben den Fotografien zeigt die Ausstellung auch einen Kurzfilm, von dem Bex sagt, dass er ihr und ihrem Co-Regisseur Luke Sullivan erlaubte, tiefer in die Geschichten der Protagonist*innen einzutauchen. Mit Hilfe der auf Film gebannten Interviews konnte sie eine größere Intimität herstellen, die auch daraus resultiert, dass sie bei einigen Teilnehmer*innen zu Hause filmen durften. „Bei den Interviews für dieses Projekt war es von vornherein klar, dass wir uns weniger auf den Genderaspekt beziehen wollten, sondern eher die Identität der einzelnen in den Vordergrund stellen wollten. Das war, was wir im Film zeigen wollten“, erklärt Bex.
Die Ausstellung öffnete am vergangenen Montag, also am 1. April, in London ihre Pforten und wird dort eine Woche lang zu sehen sein. Das Datum ist nicht zufällig gewählt: Am 31. März war International Transgender Day of Visibility. Refinery29 sprach einige Tage vor dem Ausstellungsbeginn mit Bex, die mit der Crowdfunding-Kampagne zur Finanzierung ihrer Werkschau und deren Vorbereitung eigentlich schon alle Hände voll zu tun hatte. Die Künstlerin nahm sich trotzdem die Zeit, uns ein Interview über ihr Hen-Projekt zu geben. Herausgekommen ist ein Gespräch über die Gesamtsituation der transgender Community über 40, die tollen Menschen sie in den letzten drei Jahren getroffen hat und wieso es wichtig ist, einen öffentlichen Diskurs zu führen.
Du hast drei Jahre lang an diesem Projekt gearbeitet. Was war die Initialzündung?
Mir war aufgefallen, dass in den Medien kaum ältere transgender Personen gezeigt werden und ich wollte ihnen sowohl eine Stimme geben, als auch ein Vermächtnis schaffen. Ich habe mich dabei auf Menschen konzentriert, die sich als transgender oder non-binär identifizieren und älter als vierzig Jahre sind.
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Ich selbst bin mit einigen Genderstereotypen großgeworden. Die Leute haben oft geglaubt, ich sei ein Junge und mein Bruder ein Mädchen. Barbies und die Farbe Pink haben mich nie interessiert. Ich habe mich gefragt, wieso eine Frau nicht auch einige vermeintlich maskuline Züge haben kann und andersrum. Klar ist es etwas sehr anderes, sich als transgender zu identifizieren, aber das war der Startpunkt meines Interesses an der trans Community. Dieses Schwarz-Weiß-Denken, das in so vielen Teilen der Gesellschaft vorherrscht, zwingt viele Individuen ein engstirniges Konzept auf. Das wollte ich mit meinem Projekt angehen.
Hast du in den letzten Jahren eine Veränderung festgestellt, wenn es darum geht, wie wir über Gender sprechen? Sicher gibt es noch viel zu tun, aber sind die Schritte, die unsere Gesellschaft unternimmt, genug?
Ich denke, dass es eine Verbesserung gibt, ja, aber es ist wichtig, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Das ist auch einer der Gründe, wieso ich das Projekt realisieren wollte. In dieser Hinsicht hatte [die Feministin] Laurie Penny einen großen Einfluss auf mich. In ihrem Buch Bitch Doktrin: Gender, Macht und Sehnsucht schreibt sie: „Vielleicht wächst die Generation, die heute geboren wird, mit anderen Annahmen auf: Nicht nur, dass alle Geschlechter gleichgestellt sein sollten, sondern auch, dass Gender nicht der wichtigste Teil deiner Identität ist. Für die meisten Menschen ist das immer noch ein unangenehmer Gedanke.“ Was ich versuche zu verstehen und worum es viel in meiner Arbeit geht, ist [zu verstehen], wieso wir eigentlich Labels wie Mann oder Frau brauchen, wenn doch alle gleich behandelt werden sollen. Die Quintessenz ist, dass wir alle Respekt verdienen.
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Wieso hast du dich entschlossen, dich auf Menschen jenseits der 40 zu konzentrieren?
Es gibt nicht annähernd genug Anerkennung ihrer Geschichten und Vergangenheit. Dabei würden sie den Jüngeren der trans Community helfen und hoffentlich einen Safe Space für sie kreieren. Ich habe von einem Großteil der Teilnehmer*innen gehört, dass sie kaum mit jüngeren trans Personen sprechen. Das ist wirklich schade, weil ich glaube, dass es wichtig ist, um das Wissen der transgender Community zu vergrößern und die Bildung in Form von intergenerationellem Feedback und Unterstützung zu verbessern.
Gab es etwas Herausragendes, das du auf deiner Reise mit dem Projekt gelernt oder gehört hast?
Ein Highlight war Irene, die eine der ersten Personen war, die ich 2015 für Hen fotografiert habe. Ich fand sie inspirierend, weil sie bei sich selbst eine Psychoanalyse durchgeführt hat und ich mich sehr für Psychologie interessiere.
Bei den meisten Menschen, mit denen ich gesprochen habe, gab es viel zu wenig offene Gespräche über Identität oder psychische Gesundheit in ihrer Kindheit. Weil sich die meisten in ihrem Umfeld extrem fremd gefühlt haben, als sie aufgewachsen sind, haben sie sich den Büchern zugewandt. Beispielsweise auch Dan, der in Oxford studierte und sich als „Gehirn in einem Kübel“ beschrieb, bevor er die Geschlechtsangleichung vornahm. Weil er sich in seinem Körper fremd fühlte, konzentrierte er sich aufs Lernen. Er wusste nicht, wie er das, was bei ihm los war, benennen sollte. Damals gab es ja noch keine Online-Communities, in denen er sich informieren oder austauschen hätte können.
Oder nehmen wir Stephen Whittle, der sich immer in seine Schulbibliothek zurückgezogen hat und alle medizinischen Bücher gelesen hat, die es dort gab. Er erinnert sich: „Mit 15 habe ich die Beschreibung einer Butch [Anmerkung der Redaktion: eine lesbische oder queere Frau, die sich im Gendersinne tendenziell maskulin präsentiert] gelesen und gedacht, so fühle ich mich aber nicht… Ich fand es schwierig einzuordnen, wo ich hingehöre. Wir sind jeden Sonntag zu meiner Großmutter gefahren und sie hatte dort immer Boulevardzeitungen wie News of the World liegen, in denen es Storys darüber gab, dass Leute Geschlechtsangleichungen hatten. Ich nahm sie oft mit und versteckte sie in meinem Daily Express, damit keiner sah, was für einen Schund ich da las. Erst Jahre später sagte mir meine Mutter, dass sie die ganze Zeit über gewusst hat, was ich tat.“
Indem ich mit der älteren Community gearbeitet habe, habe ich schätzen gelernt, in welcher Welt wir leben. Wir haben so viel Glück, dass wir soviel Zugang zu einer Bandbreite von Einrichtungen für psychische Gesundheit haben und dass wir das Internet unzensiert nutzen können, um verschiedene Themen zu recherchieren und unser Verständnis dafür zu erweitern. Ich habe das Gefühl, dass wir heutzutage wesentlich freier sind, unsere Identität zu verstehen und auszuleben. Es gibt Safe Spaces, in denen Leute ihre Themen kommunizieren können. Leider war das für die Menschen, die ich für Hen fotografiert habe, noch nicht der Fall, als sie aufgewachsen sind.
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