Dein Traumjob soll eigentlich genau das sein: ein Traum – das ultimative Ziel, ein lebenslanger Wunsch. Ich hatte schon seit meiner Kindheit auf meinen hingearbeitet. Mir wurde immer eingeredet, ich müsste tolle Noten bekommen und viel Geld verdienen, um als „erfolgreich“ zu gelten. Glück und Zufriedenheit schienen da nie eine Rolle zu spielen.
Diesem Weg folgte ich ganz brav. Ich machte zwei erstklassige Uni-Abschlüsse. Vergiss das wilde Studi-Leben: Ich verbrachte meine gesamte Zeit in der Bibliothek. Ich feierte nicht, bis die Sonne aufging, lag nicht jeden Samstag und Sonntag verkatert im Bett und musste nie auf den letzten Drücker eine hektisch zusammengeschusterte Hausarbeit abgeben. Stattdessen inhalierte ich die empfohlene Literatur und lernte so viel, dass ich vor Stress krank wurde.
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Als ich nach dem Studium feststellte, dass ein Arbeitsplatz ein sehr anderer Ort ist als die Uni, musste ich erstmal schwer schlucken. Deine Vorgesetzten sind nicht dafür da, dir etwas beizubringen; sie interessieren sich mehr für Profit als für deine individuellen Erfolge. Aber ich lernte, mit diesem System klarzukommen.
Sieben Jahre später hatte ich schon für mehrere Firmen gearbeitet und mein Einstiegsgehalt mehr als vervierfacht. Ich bekam etwa alle sechs Monate eine Beförderung und wurde andauernd von Headhuntern kontaktiert. Meine Karriere arbeitete ich ab wie eine To-do-Liste: Ich musste X tun, um Y zu erreichen – zum Beispiel brachte mir ein Management-Seminar einen Senior-Titel ein.
Die Pandemie beschleunigte diese Entwicklung dann zusätzlich. Ich war dankbar dafür, überhaupt einen Job zu haben, und weil ich ansonsten nur sehr wenig anderes zu tun hatte, legte ich jede Menge Überstunden ein und verdoppelte dadurch das Wachstum meiner Abteilung. Als Belohnung bekam ich ein sechsstelliges Gehalt und einen noch höheren Titel. Es war schon meine dritte Beförderung innerhalb der 18 Monate, die ich inzwischen für diese Firma arbeitete. Ich war schockiert. Mein Titel kam quasi zehn Jahre zu früh – ich war noch nicht mal 30. Ich glaubte damals, das sei alles, was ich mir je erträumt hatte.
Daraufhin wuchs mein Arbeitspensum enorm, und meine Vorgesetzten wurden immer abhängiger von meinem „Output“. Unsere Beziehung wurde immer toxischer, weil sie meine Überstunden und stressigen Deadlines in Form von Geschenken und teuren Drinks „wiedergutmachen“ wollten.
Mein enormes Gehalt war mir fast schon peinlich, aber ich hoffte, dass es mein Leben angenehmer machen und meine berufliche Belastung ausgleichen würde. Ich bestellte mir organische Kochboxen, meldete mich in einem luxuriösen Fitnessstudio an und gönnte mir Kurzurlaube in Fünf-Sterne-Hotels. Natürlich gammelten die Kochboxen trotzdem so vor sich hin, ich wurde im Urlaub aus dem Büro angerufen und hatte nie die Energie zum Sport.
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Weil ich immer Angst hatte, eine dringende E-Mail zu verpassen, hatte ich das Gefühl, mir morgens keine Zeit zum Duschen gönnen zu können. Ich stand um 3 Uhr morgens auf, um möglichst früh in den Arbeitstag zu starten und saß dann bis nachmittags im Pyjama vorm PC. Mein Partner machte mir irgendwann klar, dass das alles nicht normal war – und mir wurde plötzlich bewusst, wie farblos mein Leben eigentlich war. Ich trank viel Alkohol, sah blass aus und war dauernd angespannt. Ich hatte keine Hobbys und langweilte meinen Partner mit meinem täglichen Gejammer über die Firmenpolitik.
Am Ende einer besonders schlimmen Woche hatte ich Herzrasen. In mir machte sich der Instinkt breit, dass ich zwar so weitermachen könnte, es aber nicht mehr wollte. Also reichte ich meine Kündigung ein – und fühlte mich sofort total erleichtert, obwohl es mir Angst machte, die Position nach nur ein paar Monaten aufzugeben. Als meine Kolleg:innen davon erfuhren, gaben sie mir gegenüber zu, ebenfalls unglücklich zu sein und wegen ihres Arbeitspensums Probleme im Privatleben zu haben; sie nahmen das aber einfach so hin. Ich wollte das nicht.
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ch trank viel Alkohol, sah blass aus und war dauernd angespannt. Ich hatte keine Hobbys und langweilte meinen Partner mit meinem täglichen Gejammer über die Firmenpolitik.
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Einer der Vorteile meines eintönigen Lebens war, dass ich nicht viel Geld ausgegeben hatte. Ich hatte während dieser Zeit viel angespart, hatte nur kleine Ausgaben und keine Kinder. Trotz allem ist mir bewusst, dass ich aus einer starken Position heraus gekündigt habe. Die habe ich mir aber auch über viele Jahre voller Überstanden hinweg erarbeitet.
Die anfängliche Erleichterung verpuffte schnell, und die ersten zwei Wochen waren schwierig. Ich schlief viel, fühlte mich aber nie so richtig ausgeruht. Ich hatte auf einmal Panik, eine schlimme Entscheidung getroffen zu haben, und bewarb mich um Jobs, auf die ich eigentlich gar keine Lust hatte. Meine alte Arbeitsstelle meldete sich immer noch mit Fragen bei mir. Ich konnte mich nicht entspannen – ich hatte nicht das Gefühl, mir die Entspannung verdient zu haben.
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Ich musste erst lernen, wieder ich zu sein. Nachdem ich jahrelang nur gearbeitet hatte, fiel mir das nicht leicht. Das Kino wurde für mich zum puren Eskapismus, weil es mich davon abhielt, mich durch mein Handy zu scrollen. Mit der Zeit wurde es für mich zur wöchentlichen Freude, die Kinos meiner Stadt abzuklappern und mich in den Storys anderer Menschen zu verlieren.
Als ich mich der Welt um mich herum allmählich öffnete, wurde ich auch von innen heraus immer positiver. Ich besuchte Kunstgalerien, belebte alte Freundschaften wieder und verbrachte viel mehr Zeit mit meinem Partner. Ich bastelte und dekorierte meine Wohnung und den Garten neu. Während die Blumen blühten, blühte auch ich langsam auf. Ich öffnete mich gegenüber neuen Möglichkeiten und fing an, als Freelancerin zu arbeiten; mir gefielen die Flexibilität und Freiheit daran. Ich habe es heute nicht eilig damit, mir noch einen beeindruckenden Titel oder eine lange Verantwortungsliste aufzuhalsen.
Zum ersten Mal setzte ich meine Gewissenhaftigkeit für mein eigenes Leben, nicht für eine Firma ein, und mir wurde bewusst, wie viel mir über die Jahre hinweg entgangen war. Heute freue ich mich total über mein Leben.
Ich bin so dankbar für die Ehrlichkeit meines Partners. Hätte er diese Worte nie ausgesprochen, wäre ich dem Teufelskreis meines Jobs wohl nie entkommen. Ein toxischer Job war zu meiner Identität geworden, und ich hatte mich im Girlboss-Narrativ verfangen. Ich dachte, meine Stärke käme von meinem Jobtitel, meinem Gehalt, meinen Hosenanzügen und meiner Position. In Wahrheit habe ich mich aber noch nie so sehr wie ich selbst gefühlt wie jetzt, da ich all das hinter mir gelassen habe.
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