Ich bin in der goldenen Ära der Rom-Coms aufgewachsen: in den späten 90ern und frühen 2000ern, als Filme wie Wie werde ich ihn los – in 10 Tagen, 30 über Nacht, Miss Undercover, Ungeküsst und Sweet Home Alabama – Liebe auf Umwegen Blockbuster waren. Diese Filme hatten einen tiefgreifenden Einfluss auf mich. Und ich weiß, ich bin nicht die einzige, der es so geht. Doch meine Erkenntnis war nicht, dass es das größte Ziel im Leben ist, möglichst jung zu heiraten. Oder dass die Chancen sehr hoch sind, von einem extrem gut aussehenden, charmanten und alleinstehenden Mann auf der Straße angerempelt zu werden. Was ich aus den unzähligen Schnulzen mitgenommen habe ist: Wenn ich erwachsen bin möchte ich in eine Großstadt ziehen, in einem stylischen Apartment wohnen, supercoole Klamotten tragen und – und das ist das Wichtigste – einen Traumjob haben. Wovon ich träumte war kein Diamantring und auch keine Bilderbuchhochzeit, sondern ein cooler, gut bezahlter Job, der mich erfüllt.
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Bis heute werde ich übertrieben wütend, wenn Frauen in Filmen und Serien hart erkämpfte Karrierechancen wegwerfen – nur wegen eines Mannes, der ihre Ziele nicht unterstützt. Ich habe Lauren Conrad immer noch nicht verziehen, dass sie nicht nach Paris gegangen ist. Ich bin immer noch stinksauer, dass Andy Sachs aus der Limo ausgestiegen ist. Und ich kann es immer noch nicht fassen, dass Carrie Bradshaw ihre Kolumne aufgegeben hat, um diesem verschrobenen Künstler nach Paris zu folgen. (Warum eigentlich immer Paris?) Aber in letzter Zeit frage ich mich, ob ich sie nicht zu schnell geurteilt habe. Haben diese Frauen vielleicht doch die richtige Entscheidung getroffen, als sie Beförderungen über Bord warfen und ein verlässliches Einkommen gegen die Hoffnung auf Romantik eintauschten? Ist die Idee eines Traumjobs ein Mittel zum Zweck – dafür, ambitionierte Frauen dazu zu bringen, das kapitalistische Hamsterrad nicht zu verlassen, selbst wenn sie dadurch die Dinge im Leben verpassen, für die es sich lohnt zu leben? Und nein, ich spreche nicht von Kindern und einem Mann. Ich spreche von Freizeit, physischer und psychischer Gesundheit und Hobbys, denen man nicht nur nachgeht, weil sie „gut für den Lebenslauf“ sind. Wir leben in einer Welt, in der verlockend aussehende, angeblich fortschrittlich eingestellte Unternehmen regelmäßig negative Schlagzeilen machen, weil sie ihre Angestellten schlecht behandeln. Einer Welt, in der Gender-Diskriminierung und Rassismus immer noch unsere Gehälter beeinflussen und in der die Idee einer „Work-Life-Balance“ eher ein theoretisches Konzept als die Realität ist. Deswegen ist es auch kein Wunder, das viele über den Begriff Traumjob mittlerweile nur noch lachen können. Allein die Bezeichnung ist fragwürdig, denn, wie viele auf Twitter posten, träumt ja niemand von Arbeit.
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Job-Coach Megan Hellerer sieht das ähnlich. Sie ist der Meinung, einen Traumjob als etwas zu sehen, das man erwerben muss, als ein Ziel, an dem man ankommen muss, als etwas, das du bist und nicht als etwas, das du tust, als Statussymbol spiegelt definitiv Gesellschaft wieder, in der wir leben. Eine Gesellschaft in der das kapitalistische Denken und die Produktivität tief verankert sind. Hellerer sagt: „Das ‚Traumjob‘-Konzept schwingt bei jeder Coaching-Unterhaltung, die ich führe, in zwei verschiedenen Formen mit – und beide sorgen für Verzweiflung. Entweder geht es das Gefühl der Ernüchterung, das aufkommt, wenn man im Traumjob scheitert oder um das Gefühl der Lähmung, wenn eine Person ihr Leben oder ihre Karriere nicht beginnen kann, weil sie nicht mit Sicherheit weiß, was ihr Traumjob ist.“
Es ist also verständlich, dass viele junge Arbeitnehmer*innen keinen Bock mehr haben auf toxische Denkweisen, die Produktivität und Erfolg über alles stellen. Selbst vor Corona genossen wir deutlich weniger Jobsicherheit als die Generation unserer Eltern es getan haben, doch laut einer kürzlich durch geführten globalen Studie von Deloitte, verlor allein bis Mai 2020 einer von fünf Millennials seinen oder ihren Job. Die Millennial-Generation ist außerdem die erste, die weniger Geld verdient als die vorhergehenden. Eine Untersuchung von New America aus dem Jahr 2019 fand heraus, Millennials verdienen im Schnitt 20 Prozent weniger als es Boomer in ihrem Alter getan haben – und das, obwohl sie im Schnitt gebildeter sind.
Es ist weder korrekt noch sicher, sich darüber zu definieren, wo oder was man arbeitet, denn die Chancen stehen hoch, dass wie unterbezahlt und überarbeitet sind – und jederzeit gefeuert werden könnten. Außerdem haben wir jetzt die Vokabeln, das Wissen und die Plattformen, um auszudrücken, inwiefern die Arbeitswelt eine sexistische, rassistische und klassistische Institution ist, in der viele überholte Regeln und Gepflogenheiten vorherrschen, die in der modernen Welt jedoch gar keinen Sinn mehr ergeben. Und selbst, wenn du eine Tätigkeit ausübst, die du eigentlich liebst, ist es schwer, sie als Traumjob zu sehen – bei all den Mikoraggressionen die du ertragen musst und den Nebenjobs, die du machen musst, um deine Miete bezahlen zu können. Oder auch einfach nur dem Fakt, dass dich dein „Traumjob“ dazu zwingt, jeden Tag acht Stunden im stickigen Büro absitzen zu müssen, obwohl dein Job es zulassen würde, überall und zu jeder Zeit zu arbeiten.
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„Ich bin auf jeden Fall mit der Idee eines Traumjobs aufgewachsen“, sagt H., 26, die anonym bleiben will, um frei über ihre ehemaligen Arbeitgeber*innen sprechen zu können. „Ich wollte als Redakteurin bei einem Magazin arbeiten und in New York leben, wie jede*r Rom-Com-Protagonist*in. Ich studierte Journalismus und als ich damit fertig war, schienen Magazine nicht länger realistisch zu sein. Ich bekam einen ‚Traumjob‘ bei CNN, der zum Albtraum für mich wurde. Mittlerweile habe ich die Idee eines Traumjobs aufgegeben. Ich wünsche mir jetzt ein Traumleben.“
Ein Teil des Problems könnte sein, das viele der Jobs, die wir kollektiv idealisieren – wie Redakteur*innen, Modedesigner*innen, Musiker*innen etc. – extrem umkämpft sind und anfangs sehr schlecht oder gar nicht bezahlt werden. Viele müssen trotz niedrigem Gehalt jahrelang in einer megateuren Stadt wohnen, unzählige Überstunden machen und für Leute arbeiten, die glauben, man muss eben Opfer bringen, wenn man etwas wirklich will. Gleichzeitig gibt es so viele andere Jobs mit weniger Hollywood-Potential, die letztendlich zu einem glücklicheren Lifestyle und Leben führen könnten. Das ist etwas, worüber sich immer mehr von uns Gedanken machen. „Ich habe diese zwei widersprüchlichen Wünsche: einen Job zu haben, der aufregend und erfüllend ist und sich wichtig für mich anfühlt und einen Job zu haben, der es mir erlaubt, irgendwann mal eine Familie zu gründen, da zu wohnen, wo ich glücklich bin und bei dem ich mir keine Gedanken darum machen, meine Lebenshaltungskosten nicht zahlen zu können“, sagt die 22-jährige Lindsay, eine Publizistin in New York.
„Mir ist bewusst, dass ich als ich jünger war viel Zeit verschwendet habe, die ich damit hätte verbringen können, Spaß zu haben, statt so viele Kurse gleichzeitig zu belegen und auch noch abends und an den Wochenenden zu arbeiten“, sagt die 25-jährige Kayla, die in Philadelphia lebt und in der Modebranche arbeitet. „Mir wurde immer eingetrichtert, dass die Modebranche und der Arbeitsmarkt generell so mörderisch sind, dass ich mich nie traute, zurückzutreten und mein Privatleben zu priorisieren. Außerdem frage ich mich, ob mein Enthusiasmus der Grund dafür war, dass man mich ausnutzte und mir weniger bezahlte als anderen – trotz meiner Berufserfahrung.“
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Viele desillusionierte Arbeitnehmer*innen kommen zu dem Schluss, sie wollen arbeiten, um zu leben und nicht leben, um zu arbeiten. Aber es kann schwer sein, das zuzugeben, wenn sich der Job, von dem du dachtest er wäre dein Traumjob, als Albtraum entpuppt – besonders, wenn du bereits viele Jahre harte Arbeit und eine teure Ausbildung reingesteckt hast, um zu dem Punkt zu kommen, an dem du jetzt bist. Die Pandemie und die damit einhergehende Wirtschaftskrise haben diesen Prozess jedoch für viele beschleunigt – besonders für Menschen, die in Branchen arbeiten, in denen es Stundenkürzungen und Stellenabbau gab und gibt. Und auch diejenigen unter uns, die das Glück haben, weiterhin arbeiten zu können, zwangen die Ereignisse der vergangenen sechs Monate dazu, neu zu bewerten, was im Leben wirklich wichtig ist; was wirklich zählt.
„Ich kehre einem ‚Traumjob‘ im Bereich Music Supervision den Rücken, bei dem ich zehn Stunden täglich für 17 Dollar (etwa 14, 50 Euro) pro Stunde arbeitete und keine Benefits bekam“, sagt, 25, die zusätzlich noch zwei Nebenjobs ausführte, um es sich leisten zu können, in Los Angeles zu leben. Sie wurde vor ein paar Monaten wegen der Pandemie gefeuert und hat nicht die Absicht, irgendwann zurückzukehren. „Ich kann glücklicherweise mehr Stunden bei anderen Jobs machen und es ist echt krass, zu sehen, wie sehr sich meine mentale Gesundheit verbessert hat, jetzt, da ich weniger arbeite und mehr verdiene. Aber es ist schon komisch, sich seine Held*innen anzuschauen und plötzlich zu denken, ich will weder das Leben, das du jetzt lebst haben, noch das, das du 20 Jahre gelebt hast, um an diesen Punkt zu kommen.“
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Viele der Faktoren, die zu dieser Ernüchterung geführt haben, wie nicht anders zu erwarten, etwas mit dem Thema Gender zu tun. Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2019 von Cinga, sind Frauen gestresster auf Arbeit als ihre männlichen Kollegen. Es macht die Sache nicht gerade besser, dass viele Arbeitsplätze nicht gerade so konzipiert wurden, dass Frauen – und insbesondere für Frauen of Colour – Erfolg haben können. Und dennoch werden wir alle permanent dazu angehalten, strebsam zu sein.
„Denk mal darüber nach, wer von dem ‚Traumjob‘-Konstrukt profitiert: das sind die Menschen, die Macht haben und die entschlossen sind, den Status quo zu erhalten“, meint Hellerer. „Der wirklich fantastische Aspekt von diesem Mythos ist, die meisten Frauen, die tatsächlich ‚Traumjob‘ bekommen haben, für den sie so lange und hart gearbeitet haben, finden irgendwann heraus, dass er sie nicht erfüllt. Die Seifenblase platzt und dann schlussfolgern sie: Das Problem ist nicht, dass der Job nicht zu ihnen passt. Oder dass das System, Jobs schafft, mit denen sie gar keinen Erfolg haben kann. Oder dass uns die Gesellschaft falsch „programmiert“ hat. Das Problem sind sie selbst. Zumindest glauben sie das. Und das führt dann wiederum zu Selbstzweifeln. Sie beginnen, ihrer Intuition nicht mehr zu trauen und ihr Können, ihr Potential und ihren Wert zu unterschätzen. Dadurch halten sie sich wiederum im Hintergrund, limitieren sich selbst und geben sich mit weniger zu frieden.“
Die Frage ist: Ist es möglich, das Konzept des Traumjobs zu meiden und dennoch einen Job zu finden, der interessant und bedeutsam ist – vielleicht sogar unsere Hauptquelle der Erfüllung? „Mein neuer Blickwinkel ist, ich haben keinen Traumjob habe; ich habe einfach nur analysiert, was ich an vorherigen Jobs mochte und was nicht und dann versucht, mehr oder eben weniger von diesen Dingen zu tun“, sagt Dana, 28. Sie arbeitet im Bereich Kommunikation in New York und ergänzt: „Es sollte verboten sein, jemanden zu fragen, wo er oder sie sich in fünf Jahren sieht“.
Jobexpertin Alison Green von Ask A Manager sagt, es kann hilfreich sein, den Begriff Traumjob neu zu definieren. Vielleicht geht es gar nicht darum, bei einer bekannten Firma zu arbeiten oder einen fancy Jobtitel zu haben. Vielleicht geht es dir im Kern eigentlich darum, einen Job zu finden, der dir Flexibilität bietet oder bei dem du das Gefühl hast, wertgeschätzt zu werden. „Manchmal verwandelt sich ein Job, von dem du gedacht hast, er wäre nur irgendein Job irgendwann in einen Traumjob, wenn du eine Weile gearbeitet hast – wenn die Firma die Angestellten gut behandelt, die Kolleg*innen super sind und die Arbeit erfüllend ist“, erklärt sie. Viele junge Arbeitssuchenden scheinen diesen Ratschlag bereits zu beherzigen: Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2018 von Pentegra heißt es, Millennials (und wahrscheinlich auch Gen Z) sich am meisten von ihrem Job wünschen, ist nicht zwingend ein hohes Einkommen, sondern flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit der Telearbeit und viel Feedback zu ihrer Performance.
Sich von der Idee zu lösen, dass ein Job jemals traumhaft sein kann, fühlt sich befreiend an. Es erlaubt uns, uns endlich all das vorzustellen, was wir wollen und was wir sein wollen – und was noch wichtiger ist: uns genau für diese Dinge auch einzutreten, ohne dabei das Gefühl zu haben, undankbar zu sein. Und wenn wir schon mal dabei sind: Es könnte sich vielleicht lohnen, all diese alten Filme noch mal neu zu anzuschauen, die uns diese eigenartigen, unrealistischen Erwartungen zum Thema Arbeitswelt vermittelt haben. Ich meine: Wenn dir erst auffällt, wie unglücklich du in deinem Job bist, wenn dein 13-jähriges Ich von dir Besitz ergreift oder du einen Typen dazu bringst, mit dir für einen Artikel Schluss zu machen, dann ist dein aktuelles Berufsleben vielleicht doch nicht das, wonach du streben solltest.
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