Liebe Kelsey,
in der Schule hatte ich eine beste Freundin. Nennen wir sie einfach „Sarah“. Nach der Uni lebten wir uns auseinander, aber ich habe mir keine großen Gedanken gemacht. Ich hatte mich lange Zeit darum bemüht, in Kontakt zu bleiben, aber sie antwortete nur sporadisch und meist verspätet auf meine Anrufe und Nachrichten. Also schloss ich darauf irgendwann, dass wir einfach andere Wege eingeschlagen hatten. Aber das passiert ja manchmal, also kein Problem.
Zehn Jahre nach unserem High-School-Abschluss meldete sie sich dann plötzlich bei mir und fragte mich, ob ich ihre Trauzeugin werden wollte. Ich war überrascht. Aber ich dachte mir auch, Wow, sie muss niemanden haben, den sie sonst noch fragen kann. Also stimmte ich ein. RIESENFEHLER.
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Um direkt zum Ende zu kommen: Ich habe ein Jahr verschwendet und Tausende von Dollar ausgegeben. Außerdem ist ziemlich viel von meinem Selbstwertgefühl auf der Strecke geblieben. Alles, weil ich stets zu ihren Diensten abrufbereit sein musste, mich aber nicht herumkommandieren lassen wollte. Ich war nur bei einer ihrer drei Junggesellinnenabschiede dabei, habe versucht, meine Anwesenheit bei den Bachelorette-Aktivitäten auf einem Minimum zu halten und als ich gebeten wurde, mein piercing für die Trauung zu entfernen, sagte ich nein. Ich gab mein Bestes, um mich durchzusetzen, und kam am Ende trotzdem müde und ausgelaugt aus der ganzen Geschichte hervor. Zudem war ich tief verschuldet und realisierte nur einmal mehr, wie sehr wir auseinanderdrifteten.
Jetzt weiß ich nicht, wie ich diese Freundschaft, oder das Fehlen ebendieser, künftig handhaben soll. Ich weiß, dass sie mich weiterhin als beste Freundin sieht, obwohl der ganze Vorlauf zu ihrer Hochzeit uns beiden hätte zeigen sollen, dass wir einfach nicht aus demselben Holz geschnitzt sind. Darüber habe ich nie geschwiegen.
Jetzt, da die Hochzeit vorbei ist, haben wir außerdem wieder erstaunlich wenig Kontakt zueinander – und ich habe eigentlich viel und regelmäßig Kontakt zu meinen richtigen Freunden. Wir besuchen einander, schreiben uns ständig Nachrichten und hin und wieder sogar Briefe! Zwischen Sarah und mir ist jetzt schon seit Jahren wieder Ruhe – nur zwischendurch ploppt sie auf, wie aus dem Nichts, und tut so, als wären wir nie etwas anderes als beste Freundinnen gewesen.
Wie kann ich ihr beibringen, dass unsere Freundschaft nicht mehr zählt? Dass sie von anderen, wertvolleren Beziehungen verdrängt und ersetzt wurde. Oder sage ich ihr überhaupt irgendetwas? Oder lasse ich sie vielleicht einfach in dem Glauben, dass ich ihre beste Freundin bin? Verdient nicht vielleicht jede*r eine*n beste*n Freund*in, selbst wenn die Gefühle nicht erwidert werden?
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Grüße,
Nicht die Beste
Liebe Nicht-die-Beste,
weißt du, was witzig ist? Jedes Mal, wenn ich mich in einer romantischen Zwickmühle befinde, denke ich: Warum kann nicht alles so einfach sein wie in platonischen Freundschaften? Aber dann kriselt es mal in einer Freundschaft und mir fällt auf: Für romantische Beziehungen gibt es etliche Ratgeber. Für Freundschaften? Nicht so sehr.
Aber das hilft dir vermutlich noch nicht wirklich weiter. Lass uns einmal damit anfangen, warum es dir so geht.
Freundschaften sind genau genommen um einiges komplizierter, weil sie so viel umfassendere, langanhaltende und prägendere Beziehungen sind als romantische – und doch existieren sie ohne jegliche Vorgabe oder Guideline. Es gibt kein Pendant zum Ehevertrag für Freundschaften – außer beispielsweise das Bündnis einer Zweckehe, was an und für sich auch toll, aber eine ganz andere Geschichte ist. Wir Freundinnen und Freunde haben keine Titel, die dem Titel Partner oder Partnerin in Gewichtung gleichkommen. Wir haben Freunde und wir haben beste Freunde, und beide Begriffe können für jeden Menschen etwas anderes bedeuten. Auslegungssache. Aber da kann es schon mal vorkommen, dass du jemanden zum Altar führst, den du gar nicht zu deinem engeren Kreis zählen würdest.
Ich glaube nicht, dass eine von euch etwas falsch gemacht hat. Sich aus den Augen verlieren, auseinander leben, das ist zwar traurig, aber auch erstaunlich gewöhnlich. Nach einem Jahrzehnt aus dem Nichts aufzutauchen und zu fragen, ob du ihre Trauzeugin sein möchtest, ist merkwürdig, und ebenso traurig. An deiner Stelle hätte ich wahrscheinlich perplex reagiert und auch direkt Ja gesagt. In der Folge wäre ich wahrscheinlich wirklich wütend auf sie (und auf mich selbst) gewesen dafür, dass ich so viel Zeit und Geld auf die Vorbereitung investiert habe für ein Fest, das nicht einmal ansatzweise nach meinem Geschmack verlief, für eine Person, die mir bei genauerem Hinsehen nicht wirklich am Herzen lag. Wenn es also nach der Argumentation geht, bin ich voll und ganz bei dir.
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Aber lass uns kurz in ihre Haut schlüpfen. Vielleicht hast du Recht und sie hat wirklich keine engen Freunde. Vielleicht hat sie sich dir gegenüber aber auch einfach verpflichtet gefühlt. Nach allem, was ihr vor so langer Zeit einmal miteinander erlebt habt – für manche Menschen ist das Grund genug, eine Bindung fürs Leben einzugehen. Sie hatte möglicherweise das Gefühl, dass sie dich als erste fragen muss, weil du sie in einer wirklich prägenden Phase begleitet hast.
Ganz egal – du hast auf jeden Fall das Recht auf eine Meinung und ich finde auch, dass du definitiv einen weiteren Schritt machen solltest. Davor solltest du allerdings wirklich auch versuchen, ihre Perspektive nachzuvollziehen. Aus deinem Brief kommt hervor, dass du sie wirklich einmal mochtest, dich um die Freundschaft bemüht hast – und wo einmal Liebe war, dort wird gewissermaßen auch immer Liebe bleiben, vielleicht in anderer Form.
Na, kompliziert genug?
Sie erwartet scheinbar Freundschaft, will aber nichts zurückgeben. Du, auf der anderen Seite, interessierst dich mittlerweile auch nicht mehr sonderlich dafür, die Beziehung aufrecht zu erhalten. Noch dazu beschreibst du, dass ihr nicht mehr auf einer Wellenlänge seid, nicht dieselben Dinge mögt oder Werte teilt. So wie es scheint, haltet ihr euch beide mit einer Hand an eurer Freundschaft (oder an dem, was einst eine war) fest, habt aber mit der anderen längst losgelassen. Und jeder, der schon einmal in einer stagnierenden Freundschaft war, weiß, dass es hier nur eine Sache zu tun gibt: Einer von beiden muss den Entschluss fassen und ganz loslassen.
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Ich würde es nicht unbedingt sofort machen. Also nicht anrufen und ihr die Freundschaftskündigung ohne Weiteres vor die Nase knallen. Aber bei eurem nächsten Wiedersehen kannst du darauf achten, wie sie dich behandelt. Sammle deinen Gedanken und schreibe ihr einen Brief. Bereite dich darauf vor, den ersten (wütenden) Entwurf wegschmeißen und einen zweiten (ruhigeren) Brief schreiben zu müssen. Du beendest hiermit eine Beziehung – es ist also ernst. Sei außerdem offen dafür, dass sie eventuell Fragen hat. Biete ihr an, dass sie dich kontaktieren kann, wenn sie reden möchte. Das schuldest du nicht ihr, sondern eurer Freundschaft.
Ja, jede*r verdient eine*n beste*n Freund*in, aber du bist einfach nicht dazu gemacht, ihre zu sein. Sie weiß es nur scheinbar noch nicht. Du schon, deshalb liegt es jetzt an dir, sie gehen und ihre neue beste Freundin finden zu lassen.
Liebst,
Kelsey
Kelsey