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Wir Deutschen meinen die Umwelt zu schützen

Wir trennen Müll, kaufen Bio-Obst und bringen unsere leeren Pfandflaschen brav zum Supermarkt zurück: Man könnte meinen, die Deutschen seien ein umweltbewusstes Volk. Wir greifen lieber zur Papier- als zur Plastiktüte, benutzen Energiesparlampen, fahren mit dem Rad zur Arbeit. Der Umwelt zuliebe. Und weil man sich dann auch einfach ein bisschen besser fühlt.Laut einer Umfrage des Bundesumweltministeriums und des Umweltbundesamts gibt jeder Fünfte in Deutschland an, Klima- und Umweltschutz gehörten zu den wichtigsten Herausforderungen unserer Zeit.
Wenn ich allerdings beim Gassigehen meinen Hund Bolle regelmäßig von Fastfood-Verpackungen, leeren Eisbechern und Coffee-to-go-Bechern wegzerren muss, vermute ich: Sobald der ach so natur- und nachhaltigkeitsliebende Bürger das Haus verlässt, erleidet er eine spontane Attacke von Umweltdemenz, gepaart mit akuter Kurzsichtigkeit.
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Obwohl wir die Umwelt lieben, hinterlassen wir Müll auf unseren Straßen

Anders kann ich es mir nicht erklären, warum Menschen erst massenweise Soja-Latte, Naschkram und Pizza kaufen und dann den Weg zum Mülleimer nicht finden oder den Eimer treffsicher verfehlen. Gerade als Hundehalterin fällt mir oft auf, wie viel Müll auf Gehwegen, Grünflächen und neben Mülleimern liegt – schließlich muss ich wegen Bolle den Blick auf den Boden gerichtet halten, um zu beobachten, ob er vielleicht in Glasscherben tritt oder irgendwo hin macht. Und obwohl man meinen würde, München sei für eine Großstadt ziemlich sauber (ist es vergleichsweise wahrscheinlich auch), liegt doch mehr Abfall auf den Straßen, als man glauben möchte.
Deswegen wage ich ein Experiment: Dieses Mal nicht nur mit kleinen Hundekotbeuteln, sondern mit einer großen Mülltüte ausgestattet, laufe ich gemeinsam mit Bolle durch die Straßen Münchens und sammle auf, was mir an Müll in den Weg kommt.

Mein Experiment: Wie viel Müll kann ich beim Gassigehen sammeln?

Es ist der 15. August, Feiertag in Bayern – die Straßen sind leer, die Sonne scheint. Der Tag ist so schön, dass er geradezu schreit: Such’ nach Müll. Deck mein dreckiges Geheimnis auf. Also hänge ich mir Bolles Leine über den Arm, ziehe ein paar Handschuhe über werfe meinen Blick zwischen parkende Autos und auf kleine Grünflächen am Straßenrand. Kleinvieh macht auch Mist – ich versuche, jedes Bisschen Müll aufzupicken. Zugegeben, viel Müll liegt hier in der Wohngegend nicht herum. Trotzdem sammle ich erste Pappkartons, Kaffeebecher und Trinktüten auf.

Deutschland ist europaweiter Müll-Meister

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Was Verpackungsmüll angeht, belegen die Deutschen im europaweiten Vergleich einen traurigen Spitzenplatz: 220,5 Kilogramm produzieren wir pro Kopf pro Jahr. Das sind über 53 Kilogramm mehr als der europäische Durchschnitt. Einen großen Teil davon machen Take-Away-Verpackungen aus, wie Wissenschaftler der Berliner Humboldt-Universität in einer Studie zu Littering, sprich der Vermüllung öffentlicher Plätze, herausgefunden haben.
Coffee-to-go und Salat aus der Plastikschale ist nicht nur praktisch, sondern irgendwie auch schick. Wer fühlt sich nicht mondän, wenn er mit seinem Chai Latte morgens ins Office fährt? Wer fühlt sich nicht gesund, wenn er Quinoa mit Avocado aus einem Plastikbecher gabelt?
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Leider ist mit dem Entstehen der To-Go-Gesellschaft auch unser Müllproblem gewachsen. Die Münchner zum Beispiel verbrauchen jährlich 190.000 Einwegbecher. Deutschlandweit sind es unglaubliche 320.000 Becher pro Stunde. So ein Coffee-to-go ist im Durchschnitt nach 15 Minuten ausgetrunken, dann landen die Becher schon im Mülleimer. Oder auch daneben.
So sagt Tanja Wielgoß, Chefin der Berliner Stadtreinigung BSR, der Süddeutschen Zeitung: “To-Go ist ein Grund, warum die Mülleimer so oft überfüllt sind. Denn das ist meist ein sehr voluminöser Müll.”

Ein Müll ist nicht gern allein

Bolle und ich sind mittlerweile am Laimer Platz angekommen, einer etwas belebteren U-Bahn-Haltestelle in der Nähe meiner Wohnung. Mülleimer sind hier zwar vorhanden, zwischen den parkenden Fahrrädern liegen dennoch Eisbecher und Brezeln, die Bolle besonders spannend findet, aber auch große McDonald’s-Tüten.
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Ein Müll ist offensichtlich nicht gern allein: Wo es schon dreckig aussieht, ist die Hemmschwelle nicht so groß, seinen Müll hinzuwerfen. Das bestätigt auch Rebekka Gerlach von der Humboldt-Universität, eine der Leiterinnen der Littering-Studie. Ein weiterer Faktor für Littering sei auch die Verbundenheit zum Wohnort, wie die Studie konstatiert: Wer keinen Bezug zu seiner Umgebung hat, wird nicht sonderlich liebevoll mit ihr umgehen.
Auch die Bewohner des Laimer Platzes scheinen ihr Viertel nicht besonders zu lieben. Je weiter wir die vielbefahrene Fürstenriederstraße hinauflaufen, umso mehr Müll finden wir. Bei einem völlig überquellenden Mülleimer in der Nähe eines Supermarkts gebe ich auf. Drumherum liegen mehr Plastik, Pappbecher und Servietten als im Eimer selbst. Gerade als Hundebesitzerin sieht man viel Müll auf den Straßen.
Und jetzt muss man sich vorstellen: Das ist größtenteils lediglich der Müll, den die Menschen auf dem Weg zum Einkaufen und zurück nach Hause produzieren. Der Haushaltsmüll landet – hoffentlich – in Mülltonnen im Hinterhof.

Große Mülleimer in Berlin, Waste Watcher in Hamburg: So wehren sich Städte gegen Müll

An den Städten geht das Müllproblem natürlich nicht spurlos vorbei, deswegen haben sie verschiedene Maßnahmen ergriffen: In München befinden sich etwa 10.000 Mülleimer, weitere werden regelmäßig aufgestellt. Mit ihrer Aktion “Rein. Und sauber” will die Stadt München auf das Müllproblem aufmerksam machen und zu mehr Eigeninitiative motivieren. Berlin hat am Alexanderplatz extragroße, kugelförmige Mülleimer, sogenannte “Bubbles”, aufgestellt, die mehr Müll fassen sollen. Und Hamburg setzt sogar “Waste Watcher”, sogenannte Müllbeobachter ein, die Strafzettel verteilen dürfen, wenn sie Menschen erwischen, die ihren Müll nicht ordentlich entsorgen. Das Bewusstsein ist zumindest bei den Verantwortlichen der Städte da. Auch finden Maßnahmen zur Vermeidung von Littering in der Regel große Zustimmung bei der Bevölkerung, wie die Studie zu Littering der Humboldt-Universität zeigt.
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“Am Ende kümmert sich schon jemand um meinen Müll”

Allerdings zeigt auch dieser Fall wieder, wie weit Theorie und Praxis auseinander liegen können: Wir finden Müll blöd, schmeißen unseren Kram aber trotzdem auf die Straße. Das hat Bolles und mein Spaziergang uns gezeigt: Wir sind keinen Kilometer gelaufen und waren in sehr gemächlichem Tempo eine halbe Stunde unterwegs. Mein Müllsack ist voll. Ich war auf eigenartige Art und Weise erfolgreich. Zum Abschluss setzen wir uns vor einen Imbissstand und essen eine Kleinigkeit. Den Müllsack stelle ich ein paar Meter entfernt von uns neben einen öffentlichen Mülleimer. Friedlich sieht er aus, wie er dort in der Sonne auf mich wartet, dass ich ihn nach Hause trage und im Hausmüll entsorge.
Wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein Mann auf, läuft auf den Müllsack zu, greift ihn und trägt ihn fort. Dabei lächelt er mich freundlich an, während ich nur verdutzt zurückstarre. Ich schalte zu spät. Sollte ich rufen? Oder hinterherrennen? Aber der Mann ist schon verschwunden. Das absurde Fazit meines Müllsammel-Spaziergangs ist: Am Ende macht deinen Dreck wohl immer jemand anderer weg.

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