Lily Fulop ist die Autorin von Wear, Repair, Repurpose: A Maker's Guide to Mending and Upcycling Clothes. Noch mehr Tipps und Inspiration zum Thema nachhaltige Moe findest du auf ihrem Instagram-Account @mindful_mending.
In der Zeit des Social Distancings fühlen sich viele abwechselnd unglaublich gestresst und panisch und dann wieder unendlich gelangweilt. Indem du die Wohnung nicht verlässt, rettest du Leben, aber das heißt nicht, dass du dich immer super fühlst – besonders, wenn du wie ich schon vor Corona unter psychischen Problemen gelitten hast. Gerade in diesen unsicheren Zeiten ist es für mich persönlich deswegen umso wichtiger, Achtsamkeit zu praktizieren und mich selbst zu beschäftigen. Also repariere ich Kleidung.
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Ich bessere Klamotten aus, die Löcher, Schmutzflecken oder andere Anzeichen dafür haben, dass sie getragen wurden. Dadurch sehen sie wieder hübscher aus und ich kann sie noch eine Weile anziehen. Im Grunde geht es darum, das zu schätzen, was man hat – auch, wenn es nicht perfekt ist – und das zu reparieren, was kaputt ist. Neu ist nämlich nicht immer besser.
Bei den meisten Upcycling-Aktionen musst du etwas nähen. Deine Hände bekommen also eine monotone und dadurch sehr beruhigende Aufgabe und dein Kopf muss sich voll und ganz auf diese eine Sache konzentrieren. Gleichzeitig kannst du deine kreative Ader ausleben, indem du einzigartige Kleidung kreierst. Ich sag nur bunte Patches auf den Löchern deiner Lieblingsjeans oder Stickereien auf den Kaffeeflecken deines T-Shirts. Es ist eine meditative, entschleunigende Arbeit. Es ist produktiv und sehr befriedigend. Und: Es ist nachhaltig.
Wenn du nicht nähen kannst, aber prinzipiell Interesse an Upcycling hast, ist jetzt der perfekte Zeitpunkt, es zu lernen. (Sofern du Zeit und Energie dafür hast, was natürlich nicht bei allen so ist! Manche sind froh, wenn sie es überhaupt irgendwie schaffen, Arbeit, Kinder und Haushalt unter einen Hut zu bekommen.) Viele Arten der kreativen Beschäftigung können gegen Ängste helfen, besondere das Upcycling kann hilfreich sein, wenn du unter Eco-Anxiety leidest. Es ist eine konkrete Maßnahme, um etwas gegen die fehlende Nachhaltigkeit in der Modeindustrie zu tun.
Die wachsende Nachfrage an Fast Fashion (angetrieben durch das Wachstum der Konsumgesellschaft) sorgt für riesige Mengen an Abfall und einer steigenden Umweltverschmutzung. Unternehmen stellen Kleidungsstücke so schnell und billig her wie möglich, um mit den ständig neuen Trends und dem Markt mithalten zu können. Außerdem wollen sie so Menschen mit geringerem Einkommen die Möglichkeit geben, sich modische Kleidung leisten zu können. Aber diese Produkte haben kein ewiges Leben, weil weder die Qualität gut noch der Style lange gefragt ist. Manche Menschen kaufen sich sogar Outfits, von denen sie vorher schon wissen, sie werden es nur einmal anziehen und dann nie wieder. Warum soll man sich auch lange Gedanken machen, ob man ein Kleidungsstück nun kauft oder nicht, wenn es nicht viel mehr kostet als ein Kaffee und ein Stück Kuchen im Lieblingscafé. Erst kaufen, dann überlegen, ob man es überhaupt anzieht, scheint bei einigen die Devise zu sein.
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All diese Billigklamotten werden früher oder später ausrangiert und landen dann häufig auf der Mülldeponie. Wenn man bedenkt, dass die meisten Kleidungsstücke mittlerweile zumindest zum Teil synthetische Fasern (also Plastik) enthalten, sind unsere Outfits praktisch stoffgewordene Plastikstrohhalme. Laut der Umweltorganisation Fashion Revolution wird beim Abbau von Kleidung Methan (ein Treibhausgas) freigegeben. Und bei synthetischen Stoffe kann es hunderte von Jahren dauern, bis sie komplett zersetzt sind. Aber wenn du dich um deine Kleidung kümmerst und sie repariert, kannst du sie lange vor ihrem Ende auf der Müllhalde bewahren und die Menge an Klamotten, die du in deinem Leben verbrauchst reduzieren.
Upcycling ist ein Widerstand; eine Abfuhr an die Art von Kapitalismus, bei dem der Profit wichtiger als der Planet ist. Es ist eine Form des Aktivismus (#craftivism). Es zeigt, dass wir wirklich versuchen, den Abfall und unseren negativen Einfluss auf die Umwelt zu reduzieren; dass wir nicht jedem Trend nachlaufen und auch sonst nicht ständig neue Klamotten kaufen müssen. Wenn wir uns die Zeit nehmen, die Dinge zu reparieren, die wir ohnehin schon besitzen, steigt ihr Wert außerdem für uns, denn es steckt schließlich unsere eigene Handarbeit darin.
Ein anderer Aspekt des Upcyclings ist das Thema Achtsamkeit. Wenn du Löcher stopfst und kleine Änderungen vornimmst, bist du dazu gezwungen, dein Tempo zu drosseln. Es bringt dir Ruhe und Zeit zum Reflektieren – über das, was du gerade machst oder über andere Dinge in deinem Leben, die vielleicht auch repariert werden müssen, wie Beziehungen oder Gewohnheiten, die nicht gut für dich sind. Außerdem wird vielen beim Nähen, Bügeln und Sticken bewusst, dass sie nicht die ersten sind, die an diesem Kleidungsstück sitzen. Menschen in Sri Lanka oder Bangladesch oder einem anderen Land haben es von Hand gemacht. Sie haben die einzelnen Teile ausgeschnitten und sie mit der Nähmaschine zusammengenäht, nachdem vor ihnen anderen Menschen die Stoffe gefärbt und die Fasern bearbeitet haben. Diese Menschen verdienen meist nicht mal genug, um ihre Lebenshaltungskosten abdecken zu können und dabei bringen sie sich auch noch oft selbst in Gefahr. Nur damit wir billige Klamotten kaufen können.
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Wenn du anfängst, dir den Kreislauf der Bekleidung bewusst zu machen, verändert das die Art und Weise wie du konsumierst. Auf einmal ist es nicht mehr einfach nur ein süßes Top von deinem Lieblingslabel. Es ist ein Objekt, das sich aus Arbeit, Rohstoffen und giftigen Chemikalien zusammensetzt und einmal um die halbe Welt gereist ist, nur um nach kürzester Zeit wieder entsorgt zu werden. Es hat praktisch keinen Wert mehr. Die hässliche Seite der Herstellung zu kennen, hilft uns, unterscheiden zu können, was wir wollen und was wir brauchen. Es hilft uns, bewusster einzukaufen und uns zu überlegen, was wir in unser Leben bringen wollen. Es fühlt sich wirklich gut an, wenn du anfängst, deinen Kleiderschrank (und den Rest deines Lebens) zu kuratieren, damit er am Ende aus den Teilen besteht, die dir etwas bedeuten. Teile, die du gern trägst und die wichtig genug für dich sind, dass du sie reparierst.
Weil unser Leben gerade alles andere als normal ist, denkst du vielleicht, jetzt ist ja wohl kaum die Zeit, die eigene Garderobe komplett zu überdenken. Aber diese globale Pause könnte auch eine Chance für eine Neuorientierung sein. Eine Chance, unser Verhalten zu überarbeiten, damit es besser für den Planeten und unsere mentale Gesundheit ist, weil sie uns ein Gefühl der Klarheit bringt.
Während des Lockdowns in China ging die Luftverschmutzung auf einmal runter, weil die Fabriken schließen mussten. Wenn der Alltag plötzlich zum Stillstand kommt, können wir unsere Auswirkungen auf die Welt klarer sehen. Und ohne die Ablenkungen des täglichen Lebens und den zusätzlichen Stress der neuen Umstände kann uns klarwerden, was uns wichtig ist (Unterhaltungen mit unseren Lieben, sich kreativ ausdrücken, Zeit in der Natur, …).
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Im Moment sind Klamotten natürlich nicht unsere Toppriorität. Wir können in keine Geschäfte gehen und vielen von uns steht weniger Geld zur Verfügung, weil sie in Kurzarbeit sind oder gar nicht mehr arbeiten. Abgesehen davon tragen wir in der Selbst-Isolation praktisch jeden Tag dieselbe Jogginghose. Das bedeutet: Viele von uns haben bereits damit angefangen, ein Slow-Fashion-Mindset zu entwickeln, ohne es zu bemerken! Und vielleicht können wir das ja aufrecht erhalten, wenn die Coronakrise wieder vorbei ist. Denn wenn wir weniger Klamotten kaufen, reduzieren wir die Verschmutzung, die die Textilindustrie verursacht. Wir schaffen Platz in unseren Kleiderschränken (und unseren Köpfen) und können uns auf das konzentrieren, was wichtig ist. Und wenn wir Kleidung reparieren, unternehmen wir aktiv etwas dafür, das kaputte System zu reparieren.
Es gibt viele Dinge in der Welt, die repariert werden müssen und viele von ihnen liegen außerhalb unserer Kontrolle. Das kann sich bestenfalls entmutigend anfühlen und schlimmstenfalls Panik in uns auslösen. Aber mit dem anzufangen, was wir haben und was wir machen können, kann dabei helfen, dass wir uns weniger machtlos fühlen. Weil wir etwas tun. Egal, wie klein es ist. Vergiss nicht: Viele kleine Dinge ergeben zusammen eine große Veränderung. Deswegen versuch doch einfach mal, auf’s Shoppen zu verzichten und stattdessen die Löcher in deinen Klamotten zu stopfen. Du wirst sehen, das fühlt sich toll an.
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