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Gehen lesbische Frauen schneller eine feste Bindung ein als heterosexuelle?

Photographed by Eylul Aslan.
Dass ich sie liebe, habe ich meiner Freundin, die mittlerweile meine Ehefrau ist, nach ziemlich genau einem Monat gesagt. Als wir zusammenkamen, hatte ich gerade zwei Jahre rumgedated, aber das war das erste Mal, dass ich diese drei Worte ausgesprochen, beziehungsweise überhaupt bei jemandem gefühlt habe. 
Meine Liebe für sie ist heute noch so groß wie damals vor sechs Jahren. In meinem Freundeskreis wird der Fakt, dass ich sie so schnell bekundet habe, jedoch immer noch als Running Joke verwendet. „Warum ich ‚Ich liebe dich‘ so schnell gesagt habe? Weil ich eine Lesbe bin.“ Haha.
Das Vorurteil, Frauen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen würden sich mit Lichtgeschwindigkeit binden, gehört zu den hartnäckigsten überhaupt – neben der Abneigung gegen Rasierer und der unsterblichen Liebe für Leonardo DiCaprios Frisur aus Romeo + Julia. Das Klischee wird auch als "Urge to Merge" (Drang, zu verschmelzen) oder "U-Haul-Syndrome" bezeichnet, was seinen Ursprung im US-amerikanischen Unternehmen U-Haul hat, das Umzugswagen vermietet. Lea DeLaria machte Anfang der 90er einen Witz darüber, dass lesbische Frauen extrem schnell zusammenziehen würden. Frage: „Was bringt eine Lesbe zum zweiten Date mit?“ Antwort: „Ein U-Haul.“ Die Annahme dahinter ist, Frauen, die Frauen lieben, verzichten auf eine lange Kennenlernphase und stürzen sich direkt in eine ernsthafte Beziehung. Ich persönlich kenne einige Paare, bei denen es genau so ablief. Aber ist das die Norm? Oder Zufall?
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Auch wenn die Sprüche aus den 90ern stammen, entwickelte sich der Stereotyp laut eines Artikels von Shauna Miller für The Atlantic bereits in den 50ern und 60ern. Damals war es für gleichgeschlechtliche Paare nicht sicher, sich offen auf der Straße zu zeigen. Die Umstände zwangen sie dazu, sich zu verstecken. Zusammen zu leben machte es so ganz einfach leichter überhaupt zusammen zu sein. 
Aber wie sieht es heute aus? 2019 genießen wir, zumindest theoretisch, die Freiheit, lieben zu können, wen wir wollen. Die Gründe fürs Zusammenziehen sind heute demzufolge die gleichen wie bei heterosexuellen Paaren. Abgesehen davon, dass man so mehr Quality Time miteinander verbringen kann, spart man sich das Hin- und Hergefahre und die doppelte Miete. Sicherheit ist heute dagegen – in Mittel- und Westeuropa – nur noch selten ein Grund. 
Es gibt sogar Untersuchungen, die die komplette "U-Haul-Syndrom-Theorie" widerlegen: Laut einer US-amerikanischen Studie der Stanford University im Jahr 2018 ziehen lesbische Paare nicht schneller zusammen als heterosexuelle. Befragt wurden 3.000 Paare (inklusive 220 weiblicher Paare) und das Ergebnis lautete: Entgegen der landläufigen Meinung deuten die Resultate darauf hin, dass es keine signifikanten Unterschiede bei den relativen Zahlen zum Zusammenleben in Bezug zu verschiedenen Paartypen gibt. Und dennoch kannte fast jede Person mit der ich gesprochen habe mindestens ein lesbisches Paar, das dem Stereotyp gerecht wird.

„Ich kenne verdammt viele Heteros, die sich ähnlich verhalten haben. Und ich kenne auch viele queere Frauen, die vor Bindung schreiend wegrennen und schon so einige Herzen gebrochen haben.“

Lu
„Ich denke, da ist auf jeden Fall etwas dran!“, sagt Rosie, 26 und lesbisch. „Noch bevor ich offiziell mit einer neuen Freundin zusammengezogen bin, habe ich dieses Bedürfnis, jede wache Minute mit ihr zu verbringen und empfinde starke Gefühle.“ Lu, eine 25-jährige queere Frau sieht das ähnlich: „Ich LIEBE es, Witze über das Klischee zu machen, dass lesbische und queere Frauen beim zweiten Date gemeinsam ein Haus kaufen – besonders, weil ich eine Freundin habe, die tatsächlich beim zweiten Date beschlossen hat, mit ihrer Partnerin auszuwandern, obwohl sie gerade mal eine Woche zusammen waren“. Allerdings meint Lu, das Phänomen würde sich nicht nur auf Frauen, die Frauen daten oder nicht-binäre Menschen beziehen. „Ich kenne verdammt viele Heteros, die sich ähnlich verhalten haben. Genau so kenn ich viele queere Frauen, die vor Bindung schreiend wegrennen und schon so einige Herzen gebrochen haben.“
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Wenn wir die Studie jetzt mal für einen Moment ignorieren und uns auf die Aussagen der Frauen und meine persönlichen Erfahrungen konzentrieren, stellt sich mir eine Frage: Gibt es denn eine logische Erklärung dafür, dass queere Paare eventuell öfter Nägel mit Köpfen machen? Die Antwort lautet jain. Denn die genauen Gründe dafür sind schwer auszumachen, aber es gibt ein paar Theorien. 
Laut eines Bustle-Artikels könnte es zum Beispiel an der Kombination von Heterosexismus und verinnerlichter Lesbenphobie liegen. „Wir leben in einer Gesellschaft, die allen Frauen sagt, in einer Beziehung zu sein ist das eins der wichtigsten, wenn nicht sogar das wichtigste Ziel im Leben. Dazu kommt dann noch ein niedriges Selbstbewusstsein, das durch die internalisierte Lesbenphobie entstanden ist, und schon hast du alle Zutaten für das U-Haul-Symdrom zusammen“, so Dr. Lauren Costine.
Eine andere Theorie besagt, wenn ein Paar aus zwei Frauen besteht, wird die doppelte Menge an Oxytocin produziert, dem “Liebeshormon“, das uns angeblich dazu bringt, uns schneller zu binden. Diese Behauptung ist allerdings mehr als fragwürdig, nicht zuletzt, weil sie auf einem cis-zentrierten Blick auf Beziehungen beruht und weil die Annahmen zu Oxytocin von Studien kommen, die an Wühlmäusen durchgeführt wurden und nicht an Menschen. Außerdem wurden sie genutzt, um konservative Ansichten zu Abtreibung und Enthaltsamkeit voranzutreiben

Wenn du dann jemanden kennenlernst, der das versteht und dich zurück liebt, dann können die Euphorie und die Erleichterung dafür sorgen, dass du die Vorsicht über Bord wirfst.

Aless
Und dann gibt es noch Frauen, die ganz andere Erfahrungen gemacht haben als Rosie und Lu. Die 23-jährige lesbische Ruby hat mir beispielsweise erzählt, sie hätte über ein Jahr gebraucht, um mit ihrer Freundin zusammenzuziehen. Sie meint, auf manche Lesben würde das Klischee vielleicht zutreffen, aber bei den meisten die sie kennt wäre das nicht der Fall. Der Urge to Merge ist also auf keinen Fall etwas, dass alle lesbischen und queeren Frauen verspüren; das muss man ganz klar sagen. Und wenn dann mal jemand dem U-Haul-Stereotyp gerecht wird, liegt das meist an einer Kombination aus Isolation und emotionaler Offenheit. Laut Aless, einer 21-jährigen Lesbe, man fühle sich beispielsweise sehr einsam und allein, wenn man seine Homosexualität verbergen muss und sich nicht mit dem Großteil der Menschen auf der Welt identifizieren kann. „Wenn du dann jemanden kennenlernst, der das versteht und dich zurück liebt, dann können die Euphorie und die Erleichterung dafür sorgen, dass du die Vorsicht über Bord wirfst.“
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Emotionale Offenheit kann zwar zu übereilten Entscheidungen führen, aber auch sehr positiv sein. Lu hat die Theorie, dass es bei ihr an der Offenheit und der emotionalen Reife der Frauen liegt, mit denen sie zusammen war. „Die meisten Frauen werden so sozialisiert, ihre Gefühle bewusst wahrzunehmen und offen mit ihnen umzugehen. Sie fühlen sich von dieser wundervollen Honeymoon-Phase also nicht überfordert von der Nähe und haben keine Angst vor Bindung oder davor, verletzt zu werden. Sie genießen es einfach. Und falls sie sich doch Sorgen machen, führen sie einfach eine offene Unterhaltung mit ihrer Partnerin darüber.“
Miriam hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Die bisexuelle 25-Jährige erzählte mir, in ihren Beziehungen mit Frauen und nicht-binären Personen haben sich die Dinge deutlich schneller entwickelt als in denen mit Männern. „Ich glaube ich war nie in einer Beziehung mit einer nicht männlichen Person, bei der es länger als ein Monat gedauert hat, bis wir ‚Ich liebe dich‘ gesagt haben. Aber in meiner letzten Beziehung, die mit einem heterosexuellen Cis-Mann war, sah das ganz anders aus. Wir waren fast ein Jahr zusammen und er hat sich schlichtweg geweitert, es zu sagen. Ich glaube es ist ziemlich normal, dass Männer einer festen Bindung lieber aus dem Weg gehen – besonders heterosexuelle Männer. Mein aktueller Partner ist bissexuell und mit ihm ist es anders. Ich denke, seine Sexualität ist einer der Gründe dafür.“
Kritiker*innen glauben, den „Urge to Merge“ gäbe es, weil die Betreffenden hoffen, damit die Probleme des Datings vermeiden zu können. Doch das scheint sich auf queere Frauen in der Pubertät zu beschränken, die nicht einfach daten können, wen sie wollen und oft noch nicht verstehen, warumsie eine Frau daten wollen. 

Will ich mit dieser Person gemeinsam wachsen? Oder will ich nur mit ihr zusammen sein, weil es die einzige Lesbe ist, die ich in den letzten drei Jahren gedated/getroffen habe?

Ruby
Eine Community zu finden, Menschen, die dich mögen und die Art und Weise wie du liebst, kann eine unglaubliche, überwältigende Sache sein – vor allem, wenn du dich jahrelang einsam und allein gefühlt hast. Und wenn du dann die Eine triffst, kann es sich so anfühlen, als würde alles endlich ins rechte Licht gerückt werden. Damit ihr eine Chance auf eine gemeinsame Zukunft habt, solltest du dennoch vorsichtig sein und dich vielleicht nicht Hals über Kopf in eine Beziehung werfen. Ruby rät, sich folgende Frage zu stellen: „Will ich mit dieser Person gemeinsam wachsen? Oder will ich nur mit ihr zusammen sein, weil es die einzige Lesbe ist, die ich in den letzten drei Jahren gedated/getroffen habe?“ Gleichzeitig solltest du dich aber natürlich nicht von deiner Angst, Stereotypen zu entsprechen, aufhalten lassen. In den letzten Jahrzehnten hat sich schon viel getan was die gesellschaftlichen Vorstellungen zu den Themen Dating, Monogami und LGBTQ+ angeht. Queere Liebe und queere Beziehungen werden heute viel mehr akzeptiert – auch bei jungen Paaren. Und wer weiß: Vielleicht gehört auch das U-Haul-Vorurteil irgendwann der Vergangenheit an. Vielleicht aber auch nicht. Auf jeden Fall wird es immer Menschen wie Noora geben. Die 26-jährige Lesbe sieht das Ganze nämlich so: „Große Schritte haben mich noch nie abgeschreckt. Ich hatte nie das Gefühl, in einer Beziehung gefangen zu sein. Ich weiß, im schlimmsten Fall kann ich die Sache ja immer noch beenden. Also stelle ich mich vor die Haustür und warte freudestrahlend auf den U-Haul.“
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