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Online-Dating: Wenn du deinen Vergewaltiger auf Tinder triffst

Photographed by Poppy Thorpe
Es hat viele Jahre der intensiven Therapie zur Behandlung ihrer posttraumatischen Belastungsstörung gebraucht, bis Caroline* es schaffte, mit dem, was sie erlebt hatte, klarzukommen. Mit Mitte 20 wurde die junge Frau von ihrem damaligen Freund vergewaltigt. Verständlicherweise konnte sie nach diesem traumatischen Erlebnis lange Zeit keinem Mann mehr trauen und als Konsequenz ging sie nicht mehr auf Dates, denn vor allem der Gedanke mit einem Mann wieder intim zu werden, machte ihr Panik.
Die Tatsache, dass ein Ex-Partner ihr das angetan hatte, machte alles nur noch schlimmer für sie. Und obwohl sie wusste, dass es – rein statistisch gesehen – sogar wahrscheinlicher ist, von jemanden missbraucht zu werden, den man kennt, machte es sie fertig, dass gerade ein vertrauter Mensch seine Macht ihr gegenüber so ausgenutzt hatte.
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2018 fühlte sich Caroline dann aber bereit, das Geschehene hinter sich zu lassen; sie sagte sogar ihrem Therapeuten, dass sie jetzt wieder auf Dates gehen möchte. Alles war also endlich mal wieder gut – bis sie das Profil ihres Ex-Freundes auf Tinder aufblitzen sah.
„Ich hatte sehr hart daran gearbeitet, wieder Mut zu fassen und mich überhaupt bei der Dating-App anzumelden“, sagt sie. „Ich war zwar anfangs noch etwas nervös, aber wollte unbedingt auch diesen Teil meines Lebens wiederbeleben – ich wollte daten.“

Mir wurde eiskalt, ich hatte das Gefühl, ich müsste mich jede Sekunde übergeben – und noch 20 Minuten nachdem ich sein Profil gesehen hatte, konnte ich nicht aufhören zu zittern.

Caroline
Als sie aber ihren Ex fand, hatte sich all das Selbstbewusstsein in Luft aufgelöst. „Mein ganzer Körper hat darauf reagiert. Es war unglaublich. Mir wurde eiskalt, ich hatte das Gefühl, ich müsste mich jede Sekunde übergeben – und noch 20 Minuten nachdem ich sein Profil gesehen hatte, konnte ich nicht aufhören zu zittern“, sagt sie. Und obwohl sie unter Schock stand, meldete Caroline das Profil gleich bei Tinder und erklärte ausführlich, warum er die App nicht mehr nutzen sollte – doch auf ihre Nachricht, bekam sie keine Antwort.
Die Erfahrung, die Caroline mit ihrem Ex gemacht hat, ist leider kein Einzelfall. Fast jede siebte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Opfer sexueller Gewalt. So ein Vorfall kann sich besonders stark auf das Intimleben der Personen auswirken, meint Psychotherapeutin Dr. Naomi Watkins-Ligudzinska.
„Wenn eine Frau sexuelle Gewalt erfahren hat, kann sich das auf viele Bereiche ihres Lebens auswirken: Sie können anderen Menschen nicht mehr vertrauen, fühlen sich nie wirklich sicher und in manchen Fällen kann das Erlebte sogar zu sozialen Ängsten führen“, sagt sie. „Außerdem kann die Lust am Austausch von Zärtlichkeiten komplett verloren gehen. Der Gedanke, dass jemand dich berührt macht dir nämlich so große Angst, sodass du immer auf Distanz gehst und niemanden an dich heranlässt.“
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Durch eine Therapie, kannst du laut der Pyschotherapeutin an diesen Problemen zwar gut arbeiten, wenn du aber das Profil deines Täters oder deiner Täterin entdeckst, kann dich das wieder zurück an den Anfang katapultieren und all die Fortschritte sind mit einem Mal weg.
„Erstens: Du machst dir wieder Sorgen um deine Sicherheit – wenn du sein oder ihr Profil sehen kannst, dann kann er oder sie das eben auch und das bringt alle Alarmglocken zum Läuten“, erklärt sie. „Und dann kommen auch noch die Schuldgefühle ins Spiel, denn du weißt, dass andere Menschen auf dieser App auch potentielle Opfer werden können. Dadurch fühlst du dich schlecht, weil du die Person nicht bei der Polizei gemeldet hast. Und dann ist da noch die Wut: Diese Person hat dir so etwas Schlimmes angetan und trotzdem kann sie mit ihrem Leben weitermachen oder sogar noch andere Menschen verletzen. Das sind eine Menge Gefühle: Wut, Trauer, Angst...“
So wie Caroline ihre Erfahrung beschreibt, trifft es Dr. Watkins-Ligudzinska also genau auf den Punkt: „Zuerst spürte ich nur blanke Angst, aber danach musste ich mit noch so vielen anderen Dingen klarkommen. Ich machte mir Sorgen um die anderen Frauen, die er vielleicht daten würde. Dann hatte ich Schuldgefühle, weil ich ihn nicht angezeigt hatte und dann war ich wütend, weil ich mir dachte, dass selbst eine Anzeige an dieser Situation nichts geändert hätte. Er lebte sein Leben, ging mit Frauen aus und sein Verhalten hatte keinerlei Konsequenzen für ihn.“

Oberflächlich wirkt er ja wie ein ganz netter Typ. Er sieht gut aus und wirkt sehr liebevoll – bestimmt hat er viele Matches.

„Ich fühlte mich auch so... machtlos“, fügt sie hinzu. „Ich konnte zwar die Frauen, die ihn im wahren Leben kannten, warnen; aber offensichtlich war das mit den Frauen in der App nicht möglich. Oberflächlich wirkt er ja wie ein ganz netter Typ. Er sieht gut aus und wirkt sehr liebevoll – bestimmt hat er viele Matches. Und genau deshalb dreht sich mir heute noch der Magen, wenn ich an ihn denke.“
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Tinder wollte keine Stellung zu einem individuellen Fall nehmen, aber sagt gegenüber Refinery29, dass sie „gerade daran arbeiten, Tinder zu einem sichereren Ort zu machen“. Dabei weisen sie auf ihre neuen Sicherheitsfeatures hin, die demnächst auch in Deutschland verfügbar sein werden.
Die neue Version beinhaltet eine Integration von Noonlight, einer Sicherheits-App, die es den Nutzer*innen ermöglicht, Details darüber zu teilen, wen sie wo und wann treffen. Außerdem können sie ein Hilfesignal absenden, wenn sie sich unsicher fühlen. Um sicherzustellen, dass die Personen die sind, für die sie sich ausgeben, wurde auch eine Fotoverifizierung eingeführt und die App weist ausdrücklich auf ihre Richtlinien zum Offline-Verhalten hin: Wenn du dich bei einem Offline-Date falsch verhältst, wird dein Konto gelöscht.
Solche Sicherheitsvorkehrungen dienen natürlich zum Teil dem Schutz der Nutzer*innen vor denjenigen, die die App aus besonders ruchlosen Gründen nutzen; schließlich sind es diese Fälle, die für Schlagzeilen sorgen. Erst kürzlich wurde Tinder in den Mord an Grace Millane verwickelt. Ihr Mörder hatte sie auf Tinder gefunden.
Wenn es um die Gewalt in der Partnerschaft geht, ist die Sache aber nun einmal nicht so einfach – nicht zuletzt, weil es nicht immer eine strafrechtliche Verurteilung gibt. Wie wir wissen, sind die Verurteilungen bei Vergewaltigungen eher die Seltenheit. Die Einführung der Fotoverifizierung mag helfen, mögliche Täter*innen auszusortieren, aber sie wird nicht in der Lage sein, zu erkennen, ob jemand einem oder einer Ex schon einmal Schaden zugefügt hat; vor allem dann nicht, wenn es nie eine Verurteilung gab.
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Anna* machte eine ähnliche Erfahrung wie Caroline. Sie stieß auf Hinge auf ihren gewalttätigen Ex. Bis vor kurzem nutzte die App nämlich dein Facebook-Adressbuch, um dich mit potenziellen Partnerinnen zusammenzubringen.
„Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, dass Hinge sich mit Facebook verbindet, um dir zu helfen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten“, sagt sie. "„Ich hatte nur von Freund*innen gehört, dass diese App eine wirklich nette Alternative den anderen sei, bei denen es mehr darum geht, nur hin und her zu swipen. Leute innerhalb des erweiterten sozialen Kreises zu treffen, ist wahrscheinlich eine großartige Möglichkeit, jemanden kennenzulernen; für mich – eine Person, die von einem Mitglied dieses Kreises sexuell missbraucht wurde – war es aber nicht so toll.

Dass du mit Frauen auf einer Dating-App reden kannst, ist kein Recht und genau deshalb finde ich es völlig in Ordnung, wenn solche Accounts gelöscht werden – gerne auch aus weit weniger traumatischen Gründen.

„Ich fühlte mich nicht mehr sicher, bekam Panik und blockte und meldete ihn – und letztendlich löschte ich die App kurze Zeit später auch.“
Und genau wie Caroline, bekam auch Anna keine Antwort von Hinge. Das Unternehmen wollte auch keine Stellung zu dieser Story nehmen. Nichtsdestotrotz muss man dazu sagen, dass sie seit 2018 die Matches durch Facebookverlinkungen entfernt haben.
„Ich werde höchstwahrscheinlich die App nicht wieder downloaden“, sagt Anna. „Das Ganze hat mich einfach zu sehr getriggert.“
Beide Frauen finden, dass die Apps noch viel mehr tun müssen. Und auch wenn es noch nicht perfekt ist, begrüßt Caroline die neuen Sicherheitsupdates von Tinder und glaubt, dass sie damit schon einen guten Schritt in die richtige Richtung machen. „Wenn mich jemand offline belästigt oder missbraucht, dann sollte die Person auch nicht mehr die Chance haben, die App weiterhin nutzen zu können. Dass du mit Frauen auf einer Dating-App reden kannst, ist kein Recht und genau deshalb finde ich es völlig in Ordnung, wenn solche Accounts gelöscht werden – gerne auch aus weit weniger traumatischen Gründen.“
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„Ich kann schon irgendwie verstehen, warum die Betreiber nicht jeden gemeldeten Account direkt löschen wollen“, fügt Anna hinzu. „Doch sind wir mal ehrlich, in solchen Fällen sollte es nicht ‘Im Zweifel für den Angeklagten‘ heißen.“ Auch wenn es – wie im wahren Leben – hin und wieder Menschen gibt, die falsche Anschuldigungen machen, sagen doch die Mehrheit der Opfer wirklich die Wahrheit.
Abschließend sagt Anna: „Wenn die Apps Frauen wirklich mehr Sicherheit geben wollen und ihnen ihre Sicherheit auch mehr Wert ist als eine hohe Anzahl an User*innen, dann müssen sie eben auf das hören, was wir sagen!“
*Die Namen wurden zum Schutz der Personen geändert.
Bist du oder eine Person aus deinem Umfeld von sexueller Gewalt betroffen? Dann kannst du das Hilfetelefon des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben unter der Nummer 08000 116 016 anrufen.

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