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Ich wurde von einer Frau missbraucht, doch niemand hat mir geglaubt

Photographed by Rockie Nolan
Es ist gar nicht so lange her, da war ich ein 13-jähriges, naives Mädchen, queer noch dazu, aber das hatte ich noch niemandem gesagt. Es fühlt sich an, als hätte ich seitdem ein ganzes Leben verlebt. Zu der Zeit wohnte ich noch in einem traditionellen Haushalt. Ich hatte eine wilde Vorstellungskraft und einen unstillbaren Durst für die Welt da draußen. Das alles änderte sich von einem Tag auf den anderen, als ich eine Frau kennenlernte, die schnell mein Vertrauen gewann - und mich schließlich meiner Unschuld beraubte.
Es fing alles damit an, dass ich für einen Familienurlaub packte. Meine Mutter teilte mir mit, dass ich das Zimmer mit meiner Freundin und ihrer älteren Verwandten teilen würde. Ich war sofort abgetörnt von dem Gedanken daran, mein Zimmer mit Erwachsenen teilen zu müssen, aber als eher optimistischer Pre-Teen war ich entschlossen, trotzdem die beste Woche meines Lebens zu haben.
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Als es soweit war, war ich schon so aufgeregt, dass ich die Flure entlang rannte und mein Zimmer suchte. Ich steckte den Schlüssel in die Tür und rannte ins Zimmer, um meine Freundin zu umarmen, die mit ihrer Tante bereits angekommen war - eine Frau um die 30 mit langen Haaren, grünen Augen und einem Lächeln, das ich nie wieder vergessen werde. Diese vermeintlich harmlose Frau, die ich gerade beschrieben habe? Sie ist pädophil.
Nicht alle Pädophile sind glatzköpfige, bärtige Männer, die Kindern Schokolade anbieten oder sie im Supermarkt ansprechen. Mit 13 Jahren war ich darauf vorbereitet worden, vor genau solchen Typen wegzurennen, aber nicht vor dieser Frau. Sie schien einzigartig zu sein, und sie faszinierte mich. Ich wollte ihr bis ans Ende aller Tage zuhören - so charismatisch redete sie. Ihre Körpersprache war so einladend, dass ich für immer bei ihr bleiben wollte.
Innerhalb von sechs Monaten hatte sie das Vertrauen meiner Eltern und mir gewonnen. Sie nahm mich mit ins Einkaufszentrum, führte mich zum Mittagessen und ins Kino aus - wir gingen überall hin, wo 13-jährige eben gerne hingehen wollen. Ich habe sie fast fünf Mal pro Woche gesehen. Meine Sexualität verwirrte mich, und das hat sie für sich ausgenutzt; sie erzählte mir oft, dass niemand mich so verstehen würde wie sie, und dass sie so gerne in einer Beziehung wäre. Alles, was ich wollte, war Liebe, und sie löste in mir das Gefühl von Schmetterlingen im Bauch aus. Wir fingen an, uns gegenseitig „Ich liebe dich” zu sagen. In meinem jugendlichen Kopf glaubte ich wirklich und ehrlich, verliebt zu sein. Sie hatte eine seltsame Macht über mich; ihr Wunsch war mein Befehl. Nichts anderes auf der Welt zählte noch.
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Obwohl die Anzeichen von Missbrauch da waren, ignorierte ich sie. Ich hatte das Konzept von Missbrauch noch nicht richtig verstanden, aber ich verstand durchaus, was richtig und was falsch war - und ich wusste, dass das alles nicht gerade als richtig durchgehen konnte. Das fing etwa einen Monat nach unserer ersten Begegnung an, da zwang sie mich, sie zu küssen. Innerhalb von sechs Monaten wurde meine unschuldige Schwärmerei zu einer dunklen und gewalttätigen Angelegenheit. Nachdem ich monatelang ihre sexuellen Avancen und tastenden Hände abzuwehren versuchte, wurde sie manipulativ und beschimpfte mich verbal, sodass ich sie irgendwann ließ. Sie sagte Dinge wie „Es ist egal, was du willst” und „Das ist okay, weil ich dich liebe.”

Sie sagte Dinge wie „Es ist egal, was du willst” und „Das ist okay, weil ich dich liebe.”

Sie zwang mich, mit ihr Sex zu haben, und manchmal brachte sie andere Erwachsene - immer Männer - ins Spiel. Wenn diese Männer dabei waren, war ich viel weniger kooperativ. Ich hatte mich eh fremden Männern gegenüber unwohl gefühlt, ganz besonders gegenüber denjenigen, die sie kannte (eben jene glatzköpfigen Typen mittleren Alters), vor denen ich hätte wegrennen sollen. Das erste Mal, als das passierte, dachte ich wirklich noch: Das ist mein schlimmster Albtraum. Ich habe tagelang danach noch geweint und darüber nachgedacht, mich selbst umzubringen. Ich hatte meine Belastungsgrenze erreicht und ich wusste, dass etwas mit dieser Situation absolut nicht in Ordnung war.
Mein Widerstreben machte sie wütend, und sie nutzte diese Wut, um mich zu verletzen. Ich kann heute immer noch die Narben sehen, die sie an meinem Körper hinterlassen hat. Handabdrücke dort, wo sie mich würgte; Kratzer, Schnitte und Wunde dort, wo ich mich wehrte; und die selbst zugefügten Wunden da, wo ich mich für sie unattraktiv machen wollte. Aber zu der Zeit konnte auch die härteste Selbstverstümmelung eine machtbesessene Pädophile nicht zurückhalten.
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Ich fühlte mich komplett alleine. Ich wusste, dass ich nur aus dieser Missbrauchssituation herauskam, wenn ich jemandem davon erzählte, aber sie hatte mir eingetrichtert, dass sie nie wieder mit mir reden würde, wenn ich “unser Geheimnis” lüftete. Ich war jung, verwirrt und dachte, dass ich tun müsste, was eine Erwachsene - also sie - mir sagt.
Der einzige Ausweg, der sich für mich anbot, war Selbstmord. Ich war 14 und ich dachte, es sei besser zu sterben, als eine Person zu enttäuschen, die mir sagte, dass sie mich liebte. Ich fing an nach dem Auto zu suchen, vor das ich mich werfen könnte; oder nach einer Brücke für meinen letzten Sprung. Diese Selbstmordgedanken hielten noch Jahre nach dem Missbrauch an.
Die 11 Monate sexueller, physischer und verbaler Vergewaltigung kamen zu einem abrupten Ende als ich versucht habe, einem Familienmitglied davon zu erzählen. Ich hatte damals noch nicht das Vokabular, um richtig zu beschreiben, was mit mir gemacht wurde - und ich hatte furchtbare Angst, Ärger zu bekommen. Also habe ich die Geschichte ein bisschen schöngeredet und erzählt, dass sie und ich in einer “Beziehung” seien. Ich wollte so diskret wie möglich sein, also habe ich nie etwas von den sexuellen Übergriffen erzählt, und nur gesagt, dass wir Händchen hielten.
Es war nur eine Frage der Zeit bis ein großer Teil meiner Familie - sowohl der kleine als auch der erweiterte Kreis - die Geschichte kannten, oder zumindest dachten, die Geschichte zu kennen. Die meisten haben schnell irgendwelche Anschuldigungen ausgesprochen und mir die Schuld gegeben. Ich wurde als emotional labil, als Lügnerin, als dramatisches Kind und verzweifelt nach Aufmerksamkeit bezeichnet. Wieder wurde mir von Erwachsenen gesagt, ich sollte ruhig sein, also blieb ich ruhig.
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Sobald die Geschichte über unsere Beziehung ans Licht geraten war, hörte ich nie wieder etwas von ihr. Aus einem energetischen, glücklichen Kind wurde ein ängstliches, stummes Wesen, das mit niemandem mehr redete. Ich dachte: wenn ich rede, dann hören die Menschen meine Scham und die Schuld, die ich in mir spürte. Ich wurde selbst-destruktiv und fiel in das tiefe Loch der Drogensucht. Meine Vergewaltigerin ist einfach davon gekommen, während ich bloßgestellt und beschämt wurde. Ich machte es den Erwachsenen in meinem Leben nach und gab mir selbst die Schuld.
Verschreibungspflichtige Medikamente und Selbstverstümmelung lösten bei mir Erleichterung aus. Niemand redete mit mir darüber, was passiert war; ich blieb im Dunkeln zurück, mit einem gebrochenen Herzen und vielen unbeantworteten Fragen. Ich hatte nie richtig verstanden, dass ich sexuell missbraucht worden war, und es hat Jahre gedauert, bis ich den Verlust meiner „ersten Liebe” verkraftete; bis ich verstand, dass das Vergewaltigung war. Ich wollte nur diese Liebe nochmal spüren. Ich fühlte mich einsamer als je zuvor. Ich ritzte mich, um Kontrolle über meinen Schmerz zu bekommen, und nahm Tabletten, um die Leere in mir zu betäuben.

Ich fühlte mich immer noch verloren, aber ich war entschlossen, ein sinnvolles Leben zu führen.

Einige Jahre später starb ein Verwandter wegen Drogenmissbrauch; da wurde ich von der Realität des Lebens eingeholt. Ich verstand, dass Schmerztabletten niemals mindern konnten, was ich innerlich fühlte. Ich musste das alles anders bewältigen. Also nahm ich Kontakt zu einigen engen Verwandten auf und erzählte ihnen ganz genau, was mir passiert war. Sie wurden zu meinen tragenden Säulen, als ich von meinen Süchten herunter kam. Der Entzug von den Tabletten war schmerzhaft und schwierig, aber am Ende bin ich mit 18 Jahren in ein drogenfreies Leben eingetreten. Ich fühlte mich immer noch verloren, aber ich war entschlossen, ein sinnvolles Leben zu führen.
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Ich hatte Glück, so viel Unterstützung von den Menschen um mich herum zu finden. Über meine Erfahrungen zu reden half mehr als alles andere. Nachdem ich mein Schweigen endlich gebrochen hatte, setzte ich mir kurzfristige Ziele für mich selbst. Mit jeder überwundenen Herausforderung fühlte sich mein Leben sinnvoller an. Ich fand schon bald eine Leidenschaft, die mich voran trieb und startete eine Karriere in der Schönheitsindustrie. Ich merkte, dass ich Menschen gerne dabei half, schöner auszusehen und sich auch schön zu fühlen; nichts lässt sich mit dem Gefühl vergleichen, dass ich habe, wenn Kunden mit einem Lächeln aus dem Laden treten.
Insgesamt war es mein unterstützendes Netzwerk und mein eigenes Drängen darauf, die Comfort Zone zu verlassen, was mir am meisten bei meinem Glück geholfen hat. Es hat danach nicht lange gedauert, bis ich mich wieder selbst lieben konnte. Das kam, als ich einfach das Glück nicht finden konnte. Irgendwann habe ich verstanden, dass man Glück auch überhaupt nicht findet, sondern dass es in einem selbst drin steckt. Um es aber für sich selbst nutzen zu können, muss man lernen, sich selbst die Liebe und das Verständnis zu schenken, die man in den dunklen Jahren verloren hatte.
Ich bin kein Teenager mehr und frage mich ständig, wie ich es durch den Missbrauch und die nachfolgende Zeit eigentlich geschafft habe. War es nur Glück? Oder hat mir das Universum irgendwie mitgeteilt, dass mein Sinn auf Erden noch nicht gefunden war? Ich glaube daran, dass es das Letztere ist.
Obwohl meine Vergewaltigerin immer noch auf freiem Fuß ist und es immer noch Leute aus meiner eigenen Familie gibt, die mir nicht glauben wollen, arbeite ich jeden Tag daran, mich selbst zu heilen. Ich möchte in der Lage sein, jungen Frauen und Mädchen wie mir zu helfen, indem ich meine Überlebensgeschichte teile. Auf diese Art und Weise kann ich vielleicht jemanden berühren, der sich genauso verlassen und ungeliebt gefühlt hat wie ich damals.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, meine Wunden seien komplett geheilt. Ich frage mich oft, ob es jemals einen Tag geben wird, an dem ich nicht an sie und an das, was passiert ist, denken werde. Wenn ich an den Orten vorbei laufe, an denen sie mich missbraucht hat; wenn ich das Auto sehe, das sie fuhr, wenn ich bestimmte Songs höre oder Parfüms rieche kriege ich ganz schlimme Flashbacks und fürchterliche Panikattacken. Und ich habe immer noch Albträume. Aber ich weigere mich, von diesen Dingen zurückgehalten zu werden. Ich werde ihr diese Macht nicht geben. Wenn ich zurückblicke und sehe, wie weit ich es inzwischen geschafft habe, dann merke ich, wie viel Macht ich tatsächlich habe - so, als könnte ich die Welt eines Tages erobern.
Ich bin kein Opfer mehr. Ich bin eine Überlebende. Der Missbrauch definiert mich nicht, aber das Bewältigen meiner Erfahrungen hat mir die Kraft gegeben, meine Geschichte zu erzählen und anderen Überlebenden zu sagen: Du bist nicht alleine! *Der Name der Autorin wurde von der Redaktion geändert.
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