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Du willst weniger arbeiten? Das sind die Vor- und Nachteile von Teilzeit und Freelancing

photographed by Anna Jay.
Nachdem ich 2016 aus New York zurück kam, wo ich für eine nationale Tageszeitung über die Präsidentschaftswahlen berichtet hatte, kam mir eine Idee. Wie wäre es, wenn ich nur noch halbtags arbeiten würde, damit ich Zeit hätte, mein Portfolio zusammenzustellen und meinen ersten Roman zu schreiben? Ich stellte mir vor, wie ich morgens nach dem Aufstehen meditieren, Bananenbrot backen und nachmittags, mit einem großen Cappuccino neben mir, von Cafés aus arbeiten würde, umgeben von anderen jungen Menschen mit silbernen Macbooks, die genauso flexibel arbeiten wie ich selbst.
Mein Chef fand diese Idee nicht ganz so gut. Als er ablehnte, meinen Vertrag von einer Vollzeit- auf eine Teilzeitstelle zu ändern, entschloss ich, mich selbstständig zu machen. Eine festgelegte Anzahl von Stunden arbeite ich immer noch für meinen ehemaligen Arbeitgeber, um weiterhin einen bestimmten Betrag an festem Einkommen im Monat zu haben.
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Das Arbeitsmodell, mehr als einen Job zu haben, ist deutlich auf dem Vormarsch. Die 22 Jahre alte Yas hat einen Vollzeitjob als Auszubildende bei einer Tageszeitung. Daneben arbeitet sie in den Redaktionen zweier feministischer Publikationen. Dieser Aufgabe widmet sie sich morgens, abends und am Wochenende. „Ich habe gerne zwei Jobs, weil ich so eine unglaublich kurze Aufmerksamkeitsspanne habe. Keine Ahnung ob es an mir liegt oder ein Symptom meiner Generation ist. Es liegt wohl am Internet, dass wir so daran gewöhnt sind, so schnell von einer Sache zur nächsten zu springen. Aber ich mag es, mich mehr als nur einem Projekt zu widmen. Es wäre nur schön, wenn ich mit den beiden Jobs eine bessere Work-Life-Balance hinbekommen würde. Zukünftig würde ich gerne zwei Tage pro Woche in beiden Jobs arbeiten, aber aktuell ist das einfach nicht machbar. Und schaut man sich die hohen Lebenshaltungskosten in den Großstädten an, weiß ich auch nicht, ob es das jemals sein wird.“
Wenn dieses Modell unter jungen, qualifizierten Menschen so beliebt ist, wieso bieten nicht mehr Unternehmen ihren Mitarbeitern flexible Arbeitszeiten an, die fair bezahlt werden? Angharad Salazar Llewellyn arbeitet als freiberufliche Social-Media-Beraterin, Brand Editor und Journalistin und gibt einen Newsletter namens The Flexwork Network heraus. Sie sagt: „Arbeitgeber scheinen flexible Arbeitszeitmodelle immer noch in erster Linie mit jungen Müttern zu assoziieren, aber es wird Zeit, dass sich das ändert. Obwohl ich zwei Kinder habe, ist mein Newsletter nicht nur an Eltern gerichtet. Er wendet sich auch an Menschen, die ihre Eltern pflegen oder diejenigen, die einfach Lust haben mittwochnachmittags mit ihrem Hund Gassi zu gehen, anstatt im Büro zu sitzen.“
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Charlotte Sweeney hat sich mit ihrem eigenen Beratungsunternehmen selbstständig gemacht, ihre Themen sind Vielfalt und Inklusion am Arbeitsplatz. Aus ihrer Sicht ist unsere aktuelle Kultur kürzeren Arbeitszeiten gegenüber nicht besonders positiv gegenüber gestimmt. „Ich persönliche erlebe, dass es in vielen Firmen immer noch Fleißkärtchen für diejenigen Mitarbeiter gibt, die möglichst viele Überstunden machen. Als würde eine möglichst lange physische Anwesenheit etwas über das Engagement und die Motivation des Arbeitnehmers aussagen.“ Tagtäglich von 8 bis halb 7 im Büro vorm Computer zu sitzen, bedeutet nicht, dass wir produktiv sind. In dieser Zeit schreibt ein Großteil der Leute Facebook-Messages oder shoppt bei ASOS. Außerdem sind längere Arbeitszeiten nicht unbedingt zuträglich für die Wirtschaft. Beispielsweise hat Großbritannien eine niedrigere Arbeitsproduktivität als Deutschland, obwohl die Briten im Wochendurchschnitt 1,5 Stunden länger arbeiten als die Arbeitnehmer hierzulande. „Den Fokus auf Produktivität und Output zu legen, statt Motivation mit Überstunden gleichzusetzen, wäre ein sinnvoller Wandel in der Arbeitswelt, der nicht nur den Arbeitnehmern zu Gute käme.“, meint Sweeney.
Die 30-jährige Hayley Smith hat ihren Job gekündigt, nachdem sie ihren Chef nach einer stressbedingten Erkrankung um einige Tage Homeoffice im Monat bat und dieser ablehnte. Nach einigen Monaten Auszeit gründete sie ihre eigene PR-Agentur. „Wenn man, so wie ich, ein Burnout und psychische Probleme bekommt, bringt das aus meiner Sicht niemandem was. Besonders für einen selbst ist das schlimm, und einen anderen Job zu finden wird unter solchen Umständen auch schwerer.“
Aber auch immer mehr Männer sind mit dem 9-to-5-Modell nicht mehr glücklich. Tom Ali ist 33 Jahre alt und hat sich gerade von seinem Vollzeitjob in einem Konzern verabschiedet, um mehr Zeit mit seinem kleinen Sohn verbringen zu können. „Ich hatte nach Gleitzeit gefragt, und meine Vorgesetzten haben mir eine halbe Stunde am Abend eingeräumt, um nicht in den Feierabendverkehr zu geraten. Ich bin aber auch jahrelang eine halbe Stunde früher zur Arbeit gekommen. Trotzdem war das alles, was sie mir anbieten konnten. Offensichtlich sehen sie ihre Mitarbeiter nicht als individuelle Personen mit Privatleben an.“ Nun hat er einen Halbtagsjob, zahlt trotzdem in die Rentenkasse ein und hatte neben seinem Familienleben außerdem Zeit, sich selbstständig zu machen.
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Trotzdem treffen in der Regel vor allem Frauen die Entscheidung, ihren Vollzeitjob an den Nagel zu hängen, um ihre Stunden zu reduzieren oder sich selbstständig zu machen. Professor Tom Schuller hat das Buch The Paula Principle: How and Why Women Work Below Their Level of Competence geschrieben. Er erklärt, dass sich wesentlich mehr Frauen als Männer für Teilzeitstellen entscheiden. Und die Männer, die ihre Stunden reduzieren, sind „in der Regel schlecht ausgebildet“. „Deswegen verdienen die Männer in Teilzeit weniger als die Frauen. Das liegt auch daran, dass Arbeitgeber bei Mitarbeitern mit reduzierten Stunden in der Regel eine geringere Motivation vermuten. Diese Denkweise aus den Köpfen der Leute zu bekommen ist die größte Herausforderung, der wir uns stellen müssen, um die Arbeitswelt zu ändern.“ In Deutschland liegt die Gender Pay Gap bei 21 Prozent. Laut Schuller ist einer der fünf Faktoren, die zu diesem Unterschied führen, dass Frauen ihre Work-Life-Balance wichtiger ist und sie nicht so oft nach Führungspositionen streben wie Männer. Die anderen Faktoren – Diskriminierung am Arbeitsplatz, Kinder, Pflege von Eltern und Verwandten sowie der Mangel an weiblichen Vorbildern und vertikalen Netzwerken unter Frauen – sind jedoch ebenso dafür verantwortlich zu machen, dass Frauen nicht nur weniger verdienen als ihre männlichen Kollegen, sondern sie auch ihren Weg auf der Karriereleiter schneller aufgeben.
Aber es gibt viele führende Wirtschaftsgrößen und auch Feministinnen, die Frauen dazu ermutigen wollen, es ihren männlichen Kollegen gleichzutun und eine Vollzeitstelle zu besetzen, anstatt den Männern den Vortritt zu lassen. 2006 schrieb Linda Hirshman das Buch Get to Work: A Manifesto for Women of the World. Darin schreibt sie, dass die Entscheidung vieler Frauen, ihre Vollzeitstelle aufzugeben, selten eine wirklich freie ist. In einem System, das für Männer gemacht wurde, werden Frauen ihrer Meinung nach in der Regel dazu verdonnert, ihr Humankapital der Gesellschaft zu opfern, indem sie Angehörige pflegen, Kinder bekommen und emotionale Aufgaben übernehmen sowie den Großteil der Hausarbeit erledigen. All diese unbezahlte Arbeit sorgt zwar maßgeblich dafür, dass unsere Gesellschaft funktioniert, stellt jedoch kein Produkt dar, das auf dem Weltmarkt zu verkaufen ist. Frauen sollten deshalb sicherstellen, dass ihre Partner genauso viel Zeit mit der Kindererziehung und im Haushalt verbringen.
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Hirshmans Argumentation ist auch zwölf Jahre nach Erscheinen ihres Buches noch aktuell und wurde in der Zwischenzeit von etlichen Menschen in verschiedenen Worten ausgeführt. Besonders berühmt ist Sheryl Sandbergs internationaler Bestseller Lean in. Hier führt die ehemalige Facebook Executive aus, dass Frauen sich durch Jobs beißen sollten, die ihnen nicht unbedingt Spaß machen, um später, auf Senior-Level, dafür belohnt zu werden. Es winken hohe Gehälter, Verantwortung und die Chance, männerdominierte System von innen heraus zu verändern.
Es ist schwer zu sagen, ob diese Theorien, die darauf abzielen, die weibliche Rolle in der Arbeitswelt aufzuwerten, tatsächlich bereits zu einer realen Verbesserung für Frauen oder Unternehmen geführt hat. Im selben Jahr, in dem Lean In veröffentlicht wurde, verbot die damalige CEO von Yahoo, Marissa Mayer, ihren Mitarbeitern von zu Hause aus zu arbeiten.
Ein Großteil der Theorie bezieht sich außerdem auf verheirate Frauen in Konzernumfeldern, nicht auf Mittzwanzigerinnen, die Single sind. Die Beraterin Ella beispielsweise machte sich vor zwei Jahren im Alter von 26 Jahren selbstständig. Sie langweilte sich in ihrem alten Job. Als sie ihre Vorgesetzten nach einer neuen Weiterentwicklungsmöglichkeit fragte, bekam sie ein simples „Nein“ als Antwort. „Jetzt arbeite ich nie mehr als vier Tage die Woche, kann mir aussuchen für wen ich arbeiten möchte und habe Zeit für ein Leben außerhalb der Arbeit.“ Aber es gibt auch Nachteile. „Ich bekomme kein Krankengeld und zahle nicht in die gesetzliche Rentenversicherung ein. Würde ich schwanger werden, hätte ich keinen Mutterschutz. Wenn ich Kinder haben möchte, müsste ich vorher in ein Angestelltenverhältnis auf Vollzeitbasis zurückgehen.“
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Unsere Wirtschaft ist immer stärker abhängig von Menschen, die in Teilzeit oder als Freelancer arbeiten, weil sie die Unternehmen weniger kosten als Vollzeitmitarbeiter. Natürlich ist es schön, dass die meisten von uns einen Job haben, aber es gibt genug Wirtschaftstheorien, die beweisen, dass umso günstiger die Arbeitskraft der Menschen ist, mehr Leute in Beschäftigungsverhältnissen sind. Gerade die Geschäftsmodelle jüngerer Unternehmen basieren nicht selten auf der Umlagerung des Geschäftsrisikos auf eine Horde junger Freelancer und Arbeitnehmer mit halben Stellen, die schön günstig und froh sind, überhaupt Arbeit zu haben. Zwar haben diese Menschen mehr Freizeit, die (gesetzlichen) Vorteile, die Vollzeitangestellte haben, bleiben ihnen jedoch verwehrt. So ist der Traum des selbstbestimmten Lebens mit wenig Arbeit ist in der Regel recht schnell ausgeträumt.
Die Freelancer, mit denen wir gesprochen haben, Ella, Tom und Hayley, haben uns alle begeistert von den Vorteilen ihres Arbeitsmodells erzählt. Was sie allerdings auch gemeinsam haben, ist, dass ihre ehemaligen Arbeitgeber nicht bereit waren, die Karrieren ihre Mitarbeiter an ihre Lebensumstände anzupassen.
Es muss doch möglich sein, nicht acht Stunden am Tag an ein Büro gebunden zu sein und trotzdem in die gesetzliche Rentenkasse einzuzahlen. Oder halbtags zu arbeiten und trotzdem Verantwortung zu übernehmen. Oder als Freelancer ernst genommen zu werden. Unternehmen müssen sich darüber bewusst sein, dass wir die neuen, produktiven, engagierten und internetaffinen Arbeitskräfte sind und trotzdem entschlossen sind, ein Leben außerhalb unseres Berufs zu führen. Mit einem Kulturwechsel in der Arbeitswelt wäre allen geholfen.
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