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Warum ich finde, dass “toxische Männlichkeit“ der falsche Begriff ist

Design: Tristan Offit
Fast jede Frau, die ich kenne, hat eigene #MeToo-Erfahrungen gemacht. Die logische Schlussfolgerung: Fast jeder Mann hat sich irgendwann, irgendwie schon mal diesbezüglich daneben benommen. Ich jedenfalls kann das von mir bestätigen.
Vor etwa 14 Jahren verabschiedete ich mich von meinem Sohn vor einer Geschäftsreise mit den Worten: „Sohn, du bist jetzt der Mann im Haus.“ Das ließ mich selbst wie angewurzelt stehen bleiben, denn zum ersten Mal fühlten sich die Worte, die da aus meinem Mund gekommen waren, irgendwie merkwürdig an. Ich begriff, dass ich soeben unbewusst und unabsichtlich die Autorität seiner Mutter untergraben hatte. Was zur Hölle hatte ich mir dabei gedacht? Gar nichts. Ich hatte einfach an meinen Sohn weitergereicht, was schon so viele gut meinende Väter vor mir ausgesprochen hatten.
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Das ist nur ein Beispiel dafür, wie uns unsere Gesellschaft formt und wie wir solche unterschwellig vermittelten Werte wie selbstverständlich hin- und übernehmen. Unsere Organisaton A Call To Men versucht, mit Männern zu dieser sozialisierten Männlichkeit ins Gespräch zu kommen. Wir erklären ihnen, dass ihnen – manchmal auch unabsichtlich – beigebracht wurde, Frauen als Objekte, als Eigentum und als weniger wertvoll zu betrachten. Diese Sozialisierung ist auch dafür verantwortlich, dass jeder diesen Satz quasi instinktiv ergänzen kann: „Komm schon, Sohn, du musst schon doller werfen – du wirfst ja wie ein _______!“ Sie erklärt auch, warum Männer viel zu oft schweigen, wenn einer ihrer Freunde oder Kollegen einen abfälligen Witz macht oder eine Frau auf der Straße belästigt. Wer das Verhalten eines anderen Mannes gegenüber einer Frau kritisiert, riskiert damit seine Mitgliedschaft im Männerclub. „Bros before _______, oder?“
Diese Ideologie wird in der Popkultur nur noch weiter verstärkt und verherrlicht. So passt “Männlichkeit“ in einen immer kleineren Rahmen, durch den sich unsere Söhne zu quetschen haben. Wir erwarten von Jungs, etwas „wie ein Mann“ hinzunehmen und „die Eier zu haben“, ihren Willen durchzusetzen. Für dieses Mindset und Verhalten wird oft der Begriff “toxische Männlichkeit“ verwendet, der aus der #MeToo-Debatte nicht mehr wegzudenken ist. Von der Politik über die Entertainment-Branche bis hin zum Sport – die Gewalt gegen und die Diskriminierung von Frauen und Mädchen zieht sich durch unsere gesamte Kultur. Und während der Begriff “toxische Männlichkeit“ zwar zusammenfasst, was vorher nur ein schwammiges Gefühl war, und mehr Menschen denn je in die Diskussion einbezieht, ist seine Verwendung meiner Meinung nach eher schädlich als förderlich.
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Daher beschreiben wir das Problem bei A Call To Men als “Man Box“. Nennen wir solches Verhalten nämlich “toxische Maskulinität“, ermöglicht das den meisten Männern einen ganz einfachen Ausweg. Niemand würde sein eigenes Benehmen wohl freiwillig als “toxisch“ bezeichnen, und sogar der selbstkritischsten Person dürfte ein solches Eingeständnis nur schwer über die Lippen gehen. Erlauben wir Männern, sich mit „Ich bin ja gar nicht so schlimm – guck dir mal den an, der ist toxisch!“ rauszureden, entgeht uns damit die Chance einer Veränderung.
Das andere Problem mit dem Begriff ist: Er impliziert, diese Art der Männlichkeit sei angeboren – was einfach nicht stimmt. Fakt ist, alle Männer werden zumindest unterschwellig dazu erzogen, Frauen als Gegenstände, Besitztümer und wertloser als Männer zu betrachten. Von „Du wirfst wie ein Mädchen“ über den Gender Pay Gap bis hin zu sexistischer Werbung – unsere Kultur untermauert den Standard der männlichen Überlegenheit, überall und jederzeit.
Dazu kommt, Jungen wird schon im Kindergartenalter eingetrichtert, ihre Gefühle runterzuschlucken. Kein Wunder also, dass das Leben in der “Man Box“ wie der einzige Weg wirkt, als echter Mann gelten zu dürfen. Unseren Kleinkindern bringen wir bei: „Große Jungs weinen nicht!“ In der Grundschule heißt es dann: „Reiß dich zusammen“, im Gymnasium wiederum: „Werd doch mal wütend und tu was dagegen!“ Wir legen ihnen nahe, ihre Gefühle zu verdrängen und sich stattdessen mit Aggression zu helfen – und das wird ihnen genau so auch in Videospielen, Musik, Filmen und Pornos vorgelebt.
Die Konsequenzen dieser Sozialisierung beobachten wir nicht nur an Männern, die sich schlecht benehmen und die wir ganz eindeutig als toxisch bezeichnen können. Nein, sie beeinflussen alle Männer – und dieses Konzept der Toxizität grenzt uns zu sehr voneinander ab. Deswegen weigere ich mich, Männer in die Kategorien “schlecht“, “ignorant“ und “gut“ aufzuteilen. Dadurch lassen wir ihnen den Raum für Ausreden wie: „Das trifft nicht auf mich zu – ich bin da raus“, und befeuern bloß weiter das männliche Privileg. Eine solche Aufteilung ermöglicht es Männern, zu schweigen, sich der Debatte zu entziehen und sich selbst vom Thema abzugrenzen. Und genau dadurch entgeht ihnen die Chance, zu lernen und sich weiterzuentwickeln – und herauszufinden, wer sie eigentlich fernab der “Man Box“ sein könnten.
Das hier ist keine Verurteilung von Männern im Allgemeinen – es ist eine Einladung. Je mehr wir ein gesundes, respektvolles Bild von Männlichkeit unterstützen, in dem Frauen und Mädchen geschätzt werden, desto eher verhindern wir damit häusliche Gewalt, sexuellen Missbrauch, sexuelle Belästigung, Mobbing, Homophobie und sogar Waffengewalt und Suizid unter Männern.
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