Der neuste Trend rundum um die Intimzone der Frau in Zeiten des körperorientierten Feminismus kommt dieses Mal aus Russland. Neben einem aufregenderen Sexleben lockt er auch mit dem Versprechen, eine Geburt gänzlich schmerzfrei erleben zu können.
Ich selbst durfte vor wenigen Wochen mein erstes Kind zur Welt bringen und habe mich bereits während meiner Schwangerschaft deswegen zunehmend mit alternativen Methoden des Gebärens befasst. Sie alle hatten das Versprechen gemein, Schmerzen lindern oder zumindest erträglich machen zu können. Ich bin zugegeben durchaus Verfechterin einer selbstbestimmten, natürlichen Geburt (Refinery29 berichtete hier) – eine Geburt gänzlich schmerzfrei erleben zu können, scheint mir zum jetzigen Zeitpunkt und nach meiner persönlichen Einschätzung allerdings eher unrealistisch. Dennoch schwören weltweit immer mehr Frauen auf Methoden wie Hypnoborthing, Intimfitness & Co. Irgendetwas muss also doch dran sein?
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Die neueste Methode setzt weniger auf die Macht des Unterbewusstseins als viel mehr auf zielgerichtetes, bewusstes Training der Vaginalmuskulatur und hört auf den Namen IMBuilding, VUMbuilding oder VUMfit. Täglich mindestens 30 Minuten und maximal zwei Stunden sollen dazu führen, den in Vergessenheit geratenen Part des weiblichen Körpers wieder zu aktivieren und Frau so zu mehr Spaß im Bett und einer schmerzfreien Geburt zu verhelfen.
In der Praxis sieht das dann in etwa so aus: durch die zunehmende Kräftigung der Muskeln entlang des Vaginalkanals ist Frau angeblich in der Lage, die Kontrolle über die Stärke der Kontraktionen selbst zu bestimmen und bei der Geburt davon zu profitieren (klingt für mich eher nach Schmerzlinderung als -befreiung, aber immerhin). Auch wenn das alles nicht verkehrt sein kann – die Tatsache, dass die Methode auf einen russischen, wohlgemerkt männlichen Ingenieur zurückzuführen ist, scheint mir dennoch etwas befremdlich. Vladimir Muranivski befasste sich in den 1960er Jahren mit der Frage, warum europäische Frauen im Vergleich zu asiatischen so viel mehr Probleme bei der Geburt hätten. Seine Beweggründe hierfür habe ich leider nicht rausbekommen, wohl aber seine Antwort: die fand er nämlich im Niveau der Intimmuskulatur, die in östlichen im Gegensatz zu hiesigen Kulturen von kleinauf trainiert wird.
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Einem ähnlichen Prinzip bedient sich auch die Methode der Sexologin Olivia Bryant mit ihrem Online-Programms Awaken The Cervix (Refinery29 berichtete hier), bei dem der Gebärmutterhals – gegen Ende einer Schwangerschaft zusammen mit der Uterus immerhin einer der größte Muskel im weiblichen Körper – durch stimulierende Massagen (wieder) aktiviert wird. Ihr gehrt es lediglich um das Erlebnis einer gänzlich neuen orgastischen Erfahrung, die neu gewonnene Kontrolle über den besagten Bereich des weiblichen Geschlechts kann aber auch hier positive Effekte auf den Verlauf einer Geburt haben. Und im Umkehrschluss verspricht ja auch die Methode IMBuilding, die sexuelle Lust und Qualität der Orgasmen durch die Steigerung der taktilen Wahrnehmung in der Vagina zu fördern.
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Doch wie genau funktioniert das Ganze denn nun? Anatomisch gesehen ist der Vaginalkanal eine fibrös-muskuläre Röhre, die aus drei Schichten besteht: dem Bindegewebe außen, dazwischen einer dünnen Längs- und Ringmuskulatur und innen der Vagina. Die vaginalen Nervenzellen und Blutgefäße sind dabei eng mit denen der Gebärmutter verbunden. Um diese zu aktivieren, setzt sich das empfohlene Training aus drei Einheiten zusammen: einem grundlegenden Programm zur Stärkung der Intimmuskulatur für Anfänger (VUMfit) und für Fortgeschrittene (VUMbuilding), sowie einer Einheit für die Ausbildung der Rektalmuskulatur (RIMbuilding). Durch die Übungen aus allen drei Programmen wird zunächst die Lymphströmung im Becken verbessert und die selbstreinigenden Kräfte des Körpers angeregt. Dadurch wird nicht nur der Beckenboden gestärkt, sondern auch die Muskulatur der Vagina stärker und elastischer. Und das ist am Ende wiederum wichtig um eine Entbindung schmerzfrei als auch gefühlsintensivere Orgasmen oder gar gänzlich neue Orgasmusarten erfahren zu können.
Wie schnell dieser Effekt eintreffen kann und soll, dazu macht das Programm keine verbindlichen Aussagen. Fakt ist: Einmal begonnen, heißt es üben, üben, üben! Wer wirklich dran bleibt und sich akribisch an den Trainingsplan hält, kann nach drei Monaten angeblich erste, spürbare Ergebnisse erzielen. Für alle Sportmuffel sei ein mitunter nicht zu verachtender Nebeneffekt erwähnt: im Vergleich zum normalen Beckenbodentraining verspricht das Training des Vaginalkanals nämlich schon beim Üben eine spürbare Erregung, frei nach dem Motto „Sport ist Lust“. Vielleicht ein Argument, den inneren Schweinehund zu überlisten…
Hierzulande ist die Methode zwar noch recht neu, in Moskau wurde aber bereits 1990 das erste Intimfitnesstudio ins Leben gerufen. Unter der aktuellen Schirmherrschaft von Olga Nikitina als Nachfolgerin von Vladimir Muranivski gibt es mittlerweile sogar ein Partner-Trainingsprogramm, das zusätzlich mehr Spaß zu Zweit verspricht. Da ist es dann vielleicht auch nur noch halb so schlimm, wenn sich die Prophezeiung einer schmerzfreien Geburt nicht erfüllen sollte.
Wer jetzt Lust bekommen hat, in Deutschland gibt es derzeit noch nur im Raum Baden-Baden und Wiesbaden angeleitete Workshops von Yonifit. Für alle, die lieber erst einmal Zuhause und in trauter Einsamkeit Bekanntschaft mit ihrer Intimmuskulatur machen möchten, bietet das Kegeltraining von Intima eine lohnenswerte Alternative. Und wer weiß, vielleicht lässt dann auch das erste Intimfitnesstudio in Deutschland nicht mehr lange auf sich warten.