Erinnerst du dich an den Regenbogenfisch? Als ich klein war, haben einfach alle über ihn gesprochen – die Kinder, weil sie ihn so hübsch fanden, die Eltern wegen der tieferen Bedeutung hinter seiner Geschichte. Heute müssen wir allerdings über zwei andere „Fische“ sprechen: den Catfish und den Wokefish. Und glaub mir: Die sind alles andere als schillernd. Und trotzdem – oder gerade deswegen – ist es wichtig, über sie beziehungsweise die Dating-Phänomene die sie beschreiben zu reden. Den Begriff „Catfishing“ gibt es ja schon eine Weile. Neu dazugekommen ist jetzt dagegen das sogenannte „Wokefishing“. Oder auch das Vorschwindeln politischer und moralischer Einstellungen, um an Dates zu kommen.
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Wokefishing ist ein neuer Begriff, erfunden von Serena Smith von Vice. Wokefisher geben fälschlicherweise vor, fortschrittlicher eingestellt zu sein, als sie es tatsächlich sind. Das kann entweder Absicht sein, um mögliche Partner*innen mit scheinbar modernen Ansichten zu blenden, oder unabsichtlich entstehen – wenn jemand nicht wirklich versteht, was es heißt, „woke“ zu sein, erklärt Damone Hoffman, Dating-Coach und Moderatorin vom The Dates & Mates Podcast.
Sie persönlich findet Wokefishing schlimmer als das traditionelle Catfishing, sagt sie. „Viele Leute nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau, was das Alter, die Körpergröße, das Einkommen und andere Dinge angeht, die sich nicht wirklich auf die eigene Persönlichkeit als Partner*in oder eigene Glaubensfragen auswirken“, begründet Hoffman ihre Einschätzung vom Catfishing. „Beim Wokefishing bist du hingegen unehrlich, was deinen Charakter und Grundüberzeugungen angeht. Das ist deutlich irreführender.“
Dr. Danielle Forshee, Familien- und Ehetherapeutin, stimmt ihr zu. „Auf der Lügenskala steht Wokefishing schon eher am schlimmen Ende“, meint sie. „Dabei geht es um mehr als um harmlose Notlügen. Dahinter verbirgt sich manchmal die Absicht, jemanden glauben zu lassen, ihr würdet dieselben Werte teilen.“
Der Begriff “woke“ ist dabei natürlich nicht neu und bezeichnet das Bewusstsein für soziale Ungerechtigkeit – also beispielsweise bezüglich Rassismus und Sexismus. Das Konzept des Wokefishing hingegen ist typisch für 2020. Noch nie hat der Kampf gegen Rassismus so stark gewütet wie in diesem Sommer, und das rund um den Globus. Smith schrieb nach den Morden an Breonna Taylor, George Floys, Dominique Fells, Ahmaud Arbery und Riah Milton auf Vice: „Es ist nicht überraschend, dass sich Singles nun bewusst neue Partner*innen suchen, die mit ihnen auf einer Wellenlänge sind. Ebenso wenig überraschend passen sich diese potentiellen Partner*innen daran an, um das zu umgehen.“
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Für die Tendenz zu solchem trügerischen Verhalten beim Dating gibt es einige psychologische Erklärungen. „Für gewöhnlich lügt niemand, um anderen absichtlich damit wehzutun. Normalerweise zögern wir, bevor wir lügen – es sei denn, die Wahrheit würde unseren Zielen im Weg stehen.“ Daher: Ja, manche Menschen würden es eventuell mit Wokefishing versuchen, um in deinem Bett zu landen. Vielleicht scheuen sie aber auch bloß vor Konflikten zurück oder möchten dich unbedingt für sich gewinnen.
Solltest du selbst einen Wokefish daten, fällt dir das vermutlich nicht so schnell auf wie bei einem Wald-und-Wiesen-Catfish. Tatsächlich können Jahre vergehen, bis eine solche Person mit der Wahrheit herausrückt, warnt Hoffman. Und das kann ich bestätigen: Ich war mal monatelang mit einem Kerl zusammen, bevor ich irgendwann begriff, dass er deutlich konservativer eingestellt war, als er mir eigentlich hatte glaubhaft machen wollen. Das wurde mir schmerzhaft bewusst, als er bei einem Spieleabend plötzlich behauptete, der Gender Pay Gap existiere gar nicht.
Auch Hoffman kann solche Geschichten erzählen – zum Beispiel die einer Frau, die anderthalb Jahre mit jemandem zusammen war, bevor sie seine wahren Ansichten durchschaute. „Von seiner Mutter hatte sie schon lange grenzwertige Sprüche toleriert, aber nach dem Mord an George Floyd und der damit einhergehenden Debatte um soziale Ungerechtigkeit stellte sie fest: Auch er teilte einige dieser Familienwerte,“ berichtet Hoffman. „Daraufhin mussten sie sich trennen.“
Die Frage ist: Istes überhaupt möglich, einen Wokefish zu erkennen, bevor du ihn an der Angel hast? Und die Antwort lautet: Ja. Manchmalschon.
Schreibt euch nicht zu lange einfach bloß via WhatsApp oder irgendwelchen Dating-Apps; echte Gespräche können am besten helfen. Wenn ihr euch am Telefon oder via FaceTime und Co. unterhaltet – oder euch zu einem Date (mit Abstand) trefft –, kannst du dir einen besseren Eindruck davon verschaffen, ob dein Gegenüber wirklich ehrlich zu dir ist.
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Solltest du dennochauf einen Wokefish reingefallen sein, fühlst du dich womöglich erst einmalhintergangen, getäuscht und fängst vielleicht sogar an, dich und deine guteMenschenkenntnis beim Dating infrage zu stellen. Aber beschuldige dich nichtselbst: Du warst schließlich ehrlich!
Bist du allerdings selbst der Wokefish, bittet Hoffman dich höfflich darum, des doch bitte sein zu lassen – ganz egal, ob du es aus Konfliktangst oder tatsächlicher Bosheit tust. Das ist einfach nicht die feine Art des Datings, und außerdem auch noch eine besonders gemeine Art, jemandes Zeit zu verschwenden. „Ich rate meinen Klient*innen, bei der Partner*innenwahl auf gemeinsame Werte zu achten“, sagt Hoffman. „Wenn jemand aber seine oder ihre Ansichten falsch darstellt, um an Dates zu kommen, basiert diese Beziehung auf einer Lüge. Gespräche über solche Werte führen dann ins Leere und am Ende steht jemand mit einem gebrochenen Herzen da.“
Übrigens gibt es noch eine andere Gattung vom Wokefish. „Viele Menschen haben ein Problem mit der Erkenntnis, dass sie gar nicht so fortschrittlich oder offen sind, wie sie selbst dachten“, erklärt Hoffman. „Diese geistige Unstimmigkeit kann sich überraschend auf das Verhalten auswirken, zum Beispiel eben in Form von Wokefishing.“ Erkennst du dich darin jetzt selbst wieder, wäre es eine gute Idee, dich mithilfe von Büchern und Dokumentationen besser über soziale Ungerechtigkeit zu informieren und dir Gedanken zu deinen Werten zu machen. Stellst du dabei fest, dass du schon aus lauter Scham für deine Ansichten eine*n potentielle*n Partner*in belogen hast, überlege dir, warum. Und am besten, bevor du dich das nächste Mal zu tief in den Dating-Pool wagst.
Am Ende ist Dating schon kompliziert genug, ohne dass wir uns gegenseitig belügen. Seid nett zueinander. Und lass die Wokefishs dieser Welt am besten wieder direkt von der Angel.
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