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Völlig pleite an Weihnachten: Warum die Feiertage für mich besonders schwer sind

Foto: Anna Jay
Mein Leben ist voller Kompromisse. Ständig stehe ich vor der finanziellen Qual der Wahl. Was will ich mir diesen Monat kaufen: Pflegeprodukte oder Gemüse? Schokolade oder Katzenfutter (die Katze gewinnt trotzdem immer)? Tee oder Milch?
Beim Kauf eines Weihnachtsbaums gehe ich aber niemals Kompromisse ein. Deswegen kann ich mir auch eigentlich gerade keine spontanen Mittagessen mit Freund:innen erlauben. Und doch sitze ich jetzt hier, im Restaurant. „Ich lad dich ein!“, verkündet mein Kumpel. Ich widerspreche ihm nicht, obwohl ich es eigentlich gern täte. Wenn dein Budget aber so knapp ist wie meins, denkst du zweimal darüber nach, bevor du so ein Angebot ablehnst. Spontane Treffen wie das hier sind sonst im Normalfall eher problematisch, weil Spontaneität für Leute, die wie ich pleite sind, purer Luxus ist. Und das merke ich immer wieder.
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„Falls du zum Weihnachtsessen kommen willst, dir aber Sorgen ums Geld machst, kannst du ja einfach was Günstiges von den Snacks an der Bar bestellen“, schreibt mir ein anderer Freund.
In meinem Freundeskreis hatte ich immer schon den Ruf der Freundin ohne Geld. Wenn du dich mit mir außerhalb meiner Schuhkarton-Wohnung treffen möchtest, bedeutet das, dass du mich entweder zum Mittagessen oder auf einen Drink einladen musst. Unser Treffen so weit im Voraus zu planen, dass ich bis dahin wieder flüssig bin, ist eine weitere Option, um mich aus meiner Wohnung zu locken. Und vor Weihnachten rackere ich mich ab, um Geschenke für die fünf wichtigsten Personen in meinen Leben zu besorgen, an denen einfach kein Weg vorbeiführt. Da kann ich es mir einfach nicht leisten, zusätzliche Präsente zu kaufen – egal, wie viel Zeitvorsprung mir meine Freunde bei Einladungen geben.
Und trotzdem: Selbst wenn Leute wissen, dass dein Budget knapp ist, können sich viele nicht in deine Lage versetzen. Deshalb habe ich immer Schuldgefühle, wenn ich Weihnachtseinladungen ablehnen muss – egal, wie verständnisvoll und nachsichtig, großzügig und hilfsbereit die anderen auch reagieren mögen. Es kommt mir unhöflich vor. Unter normalen Umständen, wenn gerade keine Pandemie herrscht, würde ich auf jeden Fall beim Weihnachtsessen vorbeischauen, auch wenn ich dann kein Essen bestellen und nur Leitungswasser trinken würde. Alle würden mich dazu ermutigen, was zu essen und Wein zu trinken und mir anbieten, für mich zu bezahlen. Ich bin meine Freund:innen für diese herzerwärmende Geste sehr dankbar. Trotzdem würde ich das Angebot nicht annehmen. Das ist einfach nicht mein Stil; schon gar nicht im Dezember. Dezember ist der eine Monat, in dem ich mich für die Großzügigkeit, die mir das ganze Jahr über von meinen Lieben entgegengebracht wird, dankbar erweisen möchte. In diesem Monat will ich mich für die Unterstützung meiner Freunde erkenntlich zeigen, die mich ermutigen und an mich glauben, auch wenn ich an mir selbst zweifle. Leider bin ich aber nie in der Lage, meine Dankbarkeit auf materielle Weise auszudrücken. Das Einzige, was ich tun kann, ist, mich bei den Veranstaltungen, die sie auf die Beine stellen, sehen zu lassen.
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Ich weiß, was einige von euch jetzt vielleicht denken: So pleite kannst du ja gar nicht sein, wenn du es dir leisten kannst, einen Baum zu kaufen. Bin ich aber, wirklich. Mit dem Geld, das ich für meinen Weihnachtsbaum ausgeben werde, könnte ich zwar Geschenke für meine Nichte und meinen Neffen besorgen oder für das Weihnachtsessen mit Freund:innen zahlen oder mir eine Flasche Prosecco in der Kneipe leisten oder statt einer hausgemachten Suppe aus den Gemüseresten, die die ganze Woche über im Kühlschrank liegen, drei anständige Mahlzeiten am Tag essen – aber die Summe reicht nicht für all das aus.
Den Baum nicht zu kaufen, könnte tatsächlich vielleicht ein Problem lösen und mir einen Moment der Erleichterung verschaffen. Den Baum zu kaufen, gibt mir aber so viel mehr: Ich fange an, den Weihnachtszauber zu spüren, selbst wenn ich Einladungen ablehnen muss. Ich komme mir erwachsen vor, obwohl ich mich an den meisten anderen Tagen immer noch wie ein 15-jähriges Mädchen fühle, das immer noch darauf wartet, von der Schule namens „Leben“ abgeholt zu werden; die Leere unter den Zweigen, wo die Geschenke eigentlich liegen sollten, erinnert mich daran, wie glücklich ich mich schätzen kann, so viele geliebte Menschen um mich herum zu haben, für die ich Geschenke kaufen möchte, auch wenn ich dazu eigentlich nicht in der Lage bin.
Als ich in einer WG wohnte, teilten wir uns die Kosten für den Baum. Außerdem hatte ich Unterstützung dabei, das verfluchte Ding nach Hause zu schleppen, aufzustellen und zu schmücken. Den Weihnachtsbaumschmuck hatten uns frühere Mitbewohner:innen dagelassen. Das war nur nicht nur ein Ritual, sondern auch eine nette Ausrede, um Zeit für einander zu finden und endlich mal ohne Zeitdruck miteinander abzuhängen.
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Als ich in meine eigene winzige Wohnung zog, dachte ich nicht, dass ich mir einen Baum leisten könnte – oder, wenn doch, müsse er so klein wie eine Topfpflanze sein. Während meiner ersten Weihnachtsfeiertage dort kaufte ich mir einen, der zu groß für meine Wohnung war. Ich kaufte billige Lichterketten und zerschnitt alte Bänder, die ich dann zur Dekoration um die Zweige band. Im Laufe der Jahre habe ich auch ein paar Kugeln dazugekauft. Die Bänder, die ich jedes Jahr aufs Neue sehe, erinnern mich daran, dass Armut mich zu einigen meiner besseren Ideen inspiriert hat. Not macht eben erfinderisch.
Wenn dein Budget knapp ist, bleibt dir nichts anderes übrig, als deiner Vorstellungskraft und Kreativität freien Lauf zu lassen: von einem Rezept mit trockenen Linsen und einer halben fragwürdigen Zwiebel, wenn das alles ist, was man noch übrig hat, über DIY-Geschenke und selbstgebastelten Weihnachtsdekor, bis hin zur Zweckentfremdung einer alten Schublade als provisorisches Regal.
Völlig pleite zu sein, beflügelt deine Fantasie aber auch in anderer Hinsicht. Im Dezember suche ich mir immer zusätzliche Arbeit, um etwas Geld dazuzuverdienen. Während der Feiertage gibt es immer wieder Unternehmen im Einzelhandel oder Bars, die zusätzliches Personal für Veranstaltungen benötigen. Irgendwie gelingt es mir am Ende immer, wirklich immer, Geld für Geschenke aufzutreiben.
Ich werde nie jemand sein, der bereits im Januar Weihnachtsgeschenke kauft. Ich besorge meine immer auf den allerletzten Drücker. Ich mache Extraschichten, arbeite bei neuen Veranstaltungen, nehme temporäre Jobs an, nur um dann bis auf die letzte Minute zu warten, Präsente zu beschaffen. Während der Feiertage werde ich aber seelenruhig in meiner gemütlichen Wohnung sitzen und den Geruch meines Weihnachtsbaums und den wunderschönen Anblick der Weihnachtsbeleuchtung genießen. Das ist all die Mühe wert.
Als ich den Baum kaufe, bin ich ganz aufgeregt, weil ich Weihnachten nach Hause bringen und meine alten Bändchen herausholen kann. Und, hey, dieses Jahr habe ich in der Nähe meiner Wohnung Topfbäume gefunden, die kostenlos geliefert werden. So muss ich mich nicht mehr wie in den vergangenen Jahren mit zwei Bussen einen Baum schleppend nach Hause quälen. Es geht bergauf.
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