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Nein, weiße Zähne sind nicht „gesunde“ Zähne

Foto: Myesha Evon Gardner.
Wenn du jemals Reality-TV geguckt oder dich auch einfach nur durch irgendeinen Social-Media-Feed gescrollt hast, hast du sie definitiv schon mal gesehen: die unfassbar geraden, perfekt rechteckigen Zähne, die häufig so weiß sind, dass sie fast schon blau wirken. Wenn ich mich als alt outen wollte, würde ich jetzt auf Ross’ im Dunkeln leuchtende Zähne in Friends anspielen. 
Weiße Zähne sind die besten Zähne – zumindest will uns die Gesellschaft das so einreden. Verfärbungen jeglicher Art sind absolut inakzeptabel, genau wie krumme und schiefe Beißer. Ein bisschen markante Zähne sind gerade noch verzeihlich, sofern du denn trotzdem ein strahlend weißes Lächeln hast (siehe: Kirsten Dunst). 
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Dieser Glaube – je weißer, desto besser – wird uns in vielen Formen eingetrichtert. Obwohl die Zahnaufhellung schon seit Jahrhunderten zur menschlichen Geschichte gehört, wurde sie erst durch die zufällige Entdeckung der aufhellenden Wirkung von Glyoxid (einem antiseptischen Mundreiniger) im 20. Jahrhundert zur geläufigen Praxis und spielte eine große Rolle in der Entwicklung der kosmetischen Zahnmedizin. Weiße Zähne wurden zu einem (von vielen) Inbegriffen von Schönheit und Mühelosigkeit. Begehrenswerte Nuancen reichen seitdem von „Gerade noch halbwegs natürlich“ bis hin zum blendend weißen Hollywood-Lächeln.
Veneers und Bleaching waren dabei lange Zeit für den Großteil von uns „Normalos“ viel zu teuer. Innovationen der Beauty-Branche und die wachsende Beliebtheit strahlender Zähne (insbesondere unter Promis) haben aber dafür gesorgt, dass kosmetische Zahnmedizin inzwischen nicht bloß leichter verfügbar ist als früher, sondern auch günstiger. 
Es ist demnach kein Wunder, dass Zahnaufhellung und kosmetische Zahnmedizin generell gerade boomen wie nie zuvor. Bei einer Umfrage von 2020 gaben 22 Prozent der Befragten (inklusive 40 Prozent der 18- bis 24-Jährigen) an, sie würden sich wahrscheinlich die Zähne aufhellen, und zehn Prozent sagten, sie würden es definitiv tun oder hätten es bereits getan. Wie auch in anderen Kosmetikbranchen haben auch hier die Pandemie und der sogenannte „Zoom-Boom“ dafür gesorgt, dass sich immer mehr Menschen die Zähne richten und/oder aufhellen lassen.
Gesunde Zähne – sprich: der problemlose Zugang zu Zahnmedizin und -hygiene – sollten ein Recht, kein Privileg sein. Leider sieht unsere Realität anders aus: Selbst in Ländern mit staatlichem Gesundheitssystem (wie das Vereinigte Königreich, Kanada und auch Deutschland, wo beispielsweise der Zahnersatz nur zu 60 Prozent von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen wird) ist die Zahnmedizin vielerorts von der allgemeinen medizinischen Versorgung getrennt und muss oft finanziell von den Patient:innen selbst (mit-)gestemmt werden. Dadurch entsteht eine Gesellschaft, in der der Zugang zur Zahnpflege durch die eigene gesellschaftliche Schicht und finanzielle Situation bestimmt ist. 
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Dabei müssen Zähne gar nicht weiß sein, um gesund zu sein. Wie in vielen Fällen verwechseln wir hier unsere ästhetische Vorliebe mit einem vermeintlichen Marker für Gesundheit (wie beispielsweise auch in Zusammenhang mit unserer wechselnden Definition einer „gesunden“ Figur). Weiße Zähne als primären Indikator für Gesundheit anzusehen, ermutigt viele Leute dazu, jede Menge Geld für teilweise gefährliche Bleaching-Methoden hinzublättern, dabei jedoch die grundlegende Zahnhygiene zu vernachlässigen.
Aber was genau sind denn gesunde Zähne? Die erkennst du schon an einigen simplen Anzeichen, meint Dr. Sahil Patel, Zahnarzt und Gründer der Marylebone Smile Clinic: keine Fäulnis, gesundes Zahnfleisch, keine Krankheiten, die deine orale Gesundheit beeinträchtigen könnten (wie Mundkrebs), keine groben Abnutzungserscheinungen. Alldem beugst du durch gründliche, tägliche Reinigung vor (inklusive Zahnseide!), indem du Zähneknirschen reduzierst und regelmäßig zur Kontrolluntersuchung gehst, um erste Anzeichen von Fäulnis oder Erkrankungen zu erkennen und zu beseitigen.

Weiße Zähne erwecken den Eindruck, dass du deine Zähne reinigst, und Studien zufolge hat das einen messbaren Effekt darauf, wie wahrscheinlich es ist, dass andere mit dir zusammenarbeiten, befreundet oder sogar in einer Beziehung sein wollen.

Dr. Sahil patel
Obwohl die Farbe deiner Zähne also nicht auf dieser Liste steht, gibt es Dr. Patel zufolge einen konkreten Grund dafür, warum wir weißere Zähne als gesünder empfinden. „Weiße Zähne erwecken den Eindruck, dass du deine Zähne reinigst, und Studien zufolge hat das einen messbaren Effekt darauf, wie wahrscheinlich es ist, dass andere mit dir zusammenarbeiten, befreundet oder sogar in einer Beziehung sein wollen. So ungünstig das auch ist: Wir Menschen sind soziale Wesen – daher verlassen wir uns unbewusst oft schon auf den ersten Eindruck einer Person. Da spielt das Visuelle eine große Rolle, unter anderem eben das Aussehen der Zähne.“
Hier sollten wir unbedingt erwähnen, dass Zahnverfärbungen sehr wohl ein Anzeichen für Krankheit und/oder schlechte Hygiene sein können. Dr. Aneka Khaira, kosmetische Zahnärztin und Gründerin von Vogue Dental, erklärt, dass diese Verfärbungen meist lifestyle- und ernährungsbedingt sind und sich in zwei Kategorien aufteilen lassen: intrinsisch oder extrinsisch. „Intrinsische Verfärbungen befinden sich im Inneren des Zahnes und können durch ein Trauma oder eine Pulpitis [eine Entzündung des Zahnfleischs] entstehen. Extrinsische Verfärbungen bilden sich meist durch Ablagerungen [verfärbender Substanzen] auf der äußeren Zahnschicht.“ Letzteres kann beispielsweise durch Essen und Getränke, manche Medikamente und Rauchen entstehen.
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Extrinsische Verfärbungen können zusätzlich für die Ablagerung von Plaque (Zahnbelag) sorgen, aber nicht zwangsläufig. Manche Verfärbungen ergeben sich auch durch die Gene sowie das fortschreitende Alter, wenn der weißere Zahnschmelz (die äußere Zahnschicht) abnutzt und das gelbliche Zahnbein darunter durchscheint. Ohne ordentliche Mundhygiene und regelmäßige Check-ups kann diese Verfärbung auf einen möglichen Schaden am Zahn hinweisen, aber genauso gut auch oberflächlich sein. Daher ist es wichtig, regelmäßig eine:n Zahnmediziner:in draufschauen zu lassen, um aktive Zahnerkrankungen auszuschließen. Dr. Khaira ergänzt: „Wenn die Zahnoberfläche sauber und der Zahn dennoch dunkler ist, vielleicht gelblich wirkt, ist das nicht zwangsläufig ein ungesundes Zeichen. Du kannst dennoch völlig gesunde Zähne haben, solange du an deiner oralen Gesundheit arbeitest.“
Auch hier müssen wir noch etwas hinzufügen: Die eigene Zahngesundheit nicht gewährleisten zu können, ist kein Beweis für „Faulheit“, sondern oft ein Indiz für fehlenden Zugang zur Zahnmedizin – und das ist ein weit verbreitetes Problem. Zähne, die Anzeichen von Krankheit und/oder Fäulnis aufweisen und demnach eindeutig ungesund sind, werden dennoch zusammen mit „normal“ verfärbten Zähnen als „schlechte Zähne“ abgestempelt. Und bei dieser Vorstellung von „schlechten Zähnen“ schwingen zahlreiche klassistische Vorurteile mit. Viele Menschen verbinden gelbe Zähne mit Armut, Faulheit und Vernachlässigung, wohingegen strahlend weiße Beißer vermeintlich Wohlstand, Gesundheit und Selbstdisziplin symbolisieren.
Leider sind gesunde Zähne eben auch keine einmalige Investition, sondern erfordern konsequente Mühe. Selbst das beste Bleaching wird im Laufe der Jahre verblassen und muss erneuert werden, und auch die generelle Zahnhygiene nimmt viel Zeit (und gegebenenfalls hohe Kosten) in Anspruch. Wenn du zusätzlich kosmetische Extras wie Veneers hast, ist auch das eine weitere zeitliche und finanzielle Verpflichtung. Kurz gesagt: Sobald du dich dazu entscheidest, Geld für die Zahnaufhellung auszugeben, musst du dranbleiben und immer wieder neues Geld investieren. Und wer es sich leichter machen will und günstigere, nicht-professionelle Zahnaufhellungsmethoden ausprobiert, riskiert damit leider auch die eigene Zahngesundheit.
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In der BBC-Dokumentation The Truth About Your Teeth von 2015 erklärt der Zahnaufhellungsexperte Dr. Wyman Chan, die Chemikalien in rezeptfreien Zahnaufhellungsmitteln seien nicht ansatzweise stark genug, um die Farbe deiner Zähne wirklich zu verändern. EU-Regulierungen beschränken die Menge entsprechend starker Chemikalien in solchen Mitteln; nur Zahnmediziner:innen haben Zugang zu höher konzentrierteren Wirkstoffen. Daher sind frei erhältliche Produkte oft so wirkungslos. Stattdessen setzen sie auf andere Methoden, um so zu tun, als seien sie effektiv; neuere Produkte verlassen sich zum Beispiel auf Aktivkohle oder andere dunkle Pigmente, um das Auge auszutricksen und ihm beim Entfernen der Paste vorzugaukeln, der Zahn darunter sei heller geworden.

Wir brauchen unsere Zähne, ja. Es ist aber wichtiger, dass sie gut funktionieren, als dass sie hell strahlen.

Aber auch solche Produkte bergen gewisse Risiken, zum Beispiel das einer erhöhten Zahnempfindlichkeit, einer Zahnfleischreizung oder -entzündung. Dieses Risiko steigt, wenn die Zahnaufhellung außerhalb lizenzierter medizinischer Einrichtungen durchgeführt wird. Wasserstoffperoxid- und carbamidperoxidbasierte Zahnaufhellungen sind zwar prinzipiell sicher und effektiv (vorausgesetzt, du hältst dich an die Anleitung oder lässt die Aufhellung von einem:einer Profi durchführen), doch bleibt das Risiko, dass die säurebasierte Aufhellung deinen Zahnschmelz verdünnen könnte, warnt Dr. Patel. „Dann scheint die darunterliegende Zahnstruktur im Laufe der Zeit immer stärker durch. Vielleicht bemerkst du eine kurzzeitige Aufhellung der Zahnfarbe – wenn du die Aufhellung aber häufiger wiederholst, werden deine Zähne womöglich immer gelber. Das zu beheben, kann schwierig sein.“ Auch hochkonzentrierte Bleichelösungen können in einem kontrollierten Umfeld sehr effektiv sein, meint Dr. Patel, können aber auch extrem schmerzhaft werden, wenn sie nicht korrekt angewendet werden (mit einer gut sitzenden Zahnschiene). 
In anderen Worten: Ein Bleaching überlässt du im Zweifelsfall lieber den Profis – den Zahnärzt:innen. Die können nämlich auch gleich überprüfen, ob deine Zähne die Behandlung überhaupt vertragen. Wie die kosmetische Zahnärztin Jennifer Jablow gegenüber Reader’s Digest sagte: „Zahnbleaching auf Peroxid-Basis soll den Zahnschmelz aufhellen, nicht die Zahnstruktur [darunter] in der Nähe des Nervs. Wenn der Zahnschmelz aber nicht intakt ist, zum Beispiel aufgrund von Löchern im Zahn oder anderen Schäden, kann das Aufhellungsgel ins Nervengewebe durchdringen und unwiderrufliche Schäden anrichten.“
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Weil uns strahlend weiße Beißer als immer leichter verfügbar angepriesen werden, sollten wir uns der damit verbundenen Risiken bewusst sein – vor allem, wenn wir dabei die alltägliche Zahnpflege vernachlässigen. Die Farbe deiner Zähne zu verändern, ist kein schnelles, günstiges oder leichtes Unterfangen. Wenn du das Glück hast, es dir leisten zu können, gibst du dein Geld aber besser für die weniger „spannenden“ Seiten der Zahnmedizin aus: regelmäßige Kontrolluntersuchungen, Prophylaxe-Behandlungen, Zahnseide und, natürlich, das tägliche Zähneputzen.
Wie in jeder anderen Hierarchie auch, die „gut“ mit „gesund“ und „schlecht“ mit „ungesund“ gleichsetzt, kann der Wunsch nach weißen Zähnen leider dazu führen, dass wir gefährliche Dinge ausprobieren, einander diskriminieren und uns selbst für etwas schämen, was effektiv unsere sichtbaren Knochen sind. Wir brauchen unsere Zähne, ja. Es ist aber wichtiger, dass sie gut funktionieren, als dass sie hell strahlen.
Wenn du deine Zähne aufhellen möchtest, probier’s aus. Schließlich kann es sich ganz konkret auf dein Leben auswirken, wenn dein Selbstbewusstsein unter der Farbe deiner Zähne leidet. Trotzdem solltest du besser zweimal drüber nachdenken, bevor du das nächste Mal auf die nächste Instagram-Werbung für irgendein virales Bleachingprodukt klickst – vielleicht tut’s auch schon ein bisschen Zahnseide?
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