Ich liebe Berlin für seine Weltoffenheit und Internationalität, so erinnert mich Mitte zum Beispiel oft an meine früheren Reisen nach Russland. Meine Eltern waren schon immer sehr interessiert an anderen Kulturen und Länder, so sind wir direkt nach dem Mauerfall nach Sibirien in den Urlaub gefahren. Damals war ich elf Jahre alt und habe Russland zu einem Zeitpunkt kennen gelernt, als das Land sich gerade mitten im Umbruch, nämlich der Öffnung zum Westen, befand. Dieser Eindruck hat mich als Kind so geprägt, dass ich die Entwicklung Russlands und der Menschen dort bis heute verfolge. Umso mehr freut es mich, dass ich in Berlin Inna Leontenkova kennengelernt habe. Die 31-Jährige steht für mich für das neue Russland. Jung, ehrgeizig, mit internationaler, exzellenter Ausbildung hat Inna gerade ihr erstes Unternehmen in der Finanzbranche gegründet. Und das in Berlin. Wir trafen uns zum Mittagessen im Soho House.
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Du bist in Moskau aufgewachsen, an was erinnerst du dich am liebsten?
Ja, ich bin in Moskau geboren und aufgewachsen, dort kommen auch meine Eltern und Großeltern her. Die meiste Zeit meiner Jugend habe ich in Moskau gelebt, wobei wir den Sommer immer in unserer „Dacha”, das ist in Russland in Häuschen auf dem Land, 100 Kilometer südlich von Moskau verbracht haben. In einem kleinen Dorf namens Pokrovskoe. Daran erinnere ich mich sehr gerne, vor allem an die Gruselgeschichten, die wir uns nachts am Feuer erzählt haben. Und auch daran, dass wir alles, was wir gegessen haben auch selbst angebaut hatten.
Wann und warum hast du Russland verlassen?
Am 25. August 2007. An das Datum kann ich mich noch genau erinnern, weil ich mich so sehr danach gesehnt hatte, endlich nach London zu ziehen. Diese Stadt hat mich einfach fasziniert, vor allem, dass jeder in jeder Situation „Sorry” zu einem sagt und dabei lächelt - sogar, wenn man jemandem im Supermarkt aus Versehen anstößt. In Russland lacht man nicht so schnell. Meistens bedeutet dies sogar, dass etwas mit der Person, die man anlächelt, nicht stimmt, oder die Person, die lächelt ist einfach keine intelligente Person. Wenn ich mich genau erinnere, so lacht man in Russland einfach nie.
Die Sehnsucht nach einem Lächeln war nicht der einzige Grund...
Ich war überzeugt, dass man in Russland nur erfolgreich sein kann, wenn man in irgendeiner Art und Weise mit der Mafia oder der Regierung involviert ist. Ich wollte aber auf eine einfachere, und ehrlich gesagt, nettere Art und Weise zu Erfolg gelangen. Zum Glück sind meine Eltern ziemlich westlich eingestellt und hatten nichts dagegen, dass ich das Land verlasse. Beide sprechen perfekt englisch und mein Vater arbeitete sogar während der Olympischen Spiele 1980 für die BBC. Unabhängig davon würden sie sich natürlich immer noch wünschen, dass ich das kleine fünfjährige Mädchen bin, das bei ihnen zu Hause wohnt und lebt. Ich bin das einzige Kind meiner Eltern und auch das einzige Enkelkind meiner Großeltern. Sie warten sehnsüchtig darauf, dass ich, wie meine russischen Schulkameradinnen, ganz viele Kinder habe.
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Was waren deine ersten Karriereschritte im Ausland?
Bevor ich mein Studium an der London School of Economics im August 2008 abschloss, habe ich für die Modedesignerin Diane von Fürstenberg als Account Executive im Londoner Büro gearbeitet. In dieser Funktion war ich für Zentral- und Osteuropa verantwortlich. Der ideale Zeitpunkt, denn gerade war es für das Label sehr wichtig, Russland als attraktiven Markt aufzubauen. Das war mein Job. Mein persönlicher Höhepunkt war, während Diane’s Fashion Show in New York, neben dem berühmten russischen Model, und mittlerweile erfolgreiche Unternehmerin, Natalia Vodyanova und ihrem Sohn zu sitzen.
Bevor ich mein Studium an der London School of Economics im August 2008 abschloss, habe ich für die Modedesignerin Diane von Fürstenberg als Account Executive im Londoner Büro gearbeitet. In dieser Funktion war ich für Zentral- und Osteuropa verantwortlich. Der ideale Zeitpunkt, denn gerade war es für das Label sehr wichtig, Russland als attraktiven Markt aufzubauen. Das war mein Job. Mein persönlicher Höhepunkt war, während Diane’s Fashion Show in New York, neben dem berühmten russischen Model, und mittlerweile erfolgreiche Unternehmerin, Natalia Vodyanova und ihrem Sohn zu sitzen.
Das klingt spannend. Warum hast du bei Diane von Fürstenberg aufgehört?
Für eine Arbeitserlaubnis in Großbritannien musste ich ein bestimmtes Mindestgehalt verdienen, ich wurde aber in Kleidern bezahlt. Also fing ich als Wirtschaftsexpertin bei Aviva an, einem der größten Versicherer und Vermögensverwalter in Europa, mit der Aufgabe eine Strategie für das Unternehmen in Folge der Sub-Prime-Mortage Crisis (Finanzkrise) zu entwickeln. Das war auch eine sehr spannende Phase.
Wann hast du deine unternehmerische Ader für dich entdeckt?
Als ich meinen Master in Finance an der London School of Economics gemacht habe. Ich habe hier so viele tolle Unternehmer und Unternehmerinnen kennen gelernt und gemerkt, dass man auch auf anderem Weg Karriere machen kann als jeden Tag das gleiche in in einem Großkonzern zu machen. Für meine Großeltern war dies undenkbar, da sie und ihre Familien schon immer für den Staat gearbeitet hatten und die erste Reaktion meiner Mutter war, als ich ihr ankündigte, dass ich zu dem Unternehmen Groupon gehen würde: „Inna, wie kannst du zu einem solchen Unternehmen? Die Firma ist ja jünger als deine Katze!”
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Mit Groupon kamst du also vor vier Jahren nach Berlin.
Genau. Ich war vorher noch nie in Berlin, aber schon nach kurzer Zeit wusste ich, dass ich diese Stadt nicht so schnell verlassen werde und möchte. Im vergangenen Jahr hat mich der Berliner Company Builder und Investor FinLeap, eine Unternehmensgruppe, die StartUps im Bereich FinTech, also Technologien und Services im Finanzsektor, aufbaut, angesprochen, ob ich nicht mit ihnen zusammen ein neues Unternehmen gründen möchte, welches den Versicherungsmarkt umkrempelt. Das passte perfekt zu dem, was ich bisher gemacht hatte. Ich sagte sofort zu und baue jetzt an meinem eigenen Unternehmen, was wir dieses Jahr auf den Markt bringen werden.
FinLeap ist ein Company Builder, das heißt, die Idee kommt meistens von der Unternehmensgruppe, welche sich dazu die passenden Gründer bzw. Gründerinnen sucht. Fühlst du dich denn in diesem Konstrukt als echte Gründerin?
Ja, denn ich baue etwas selbst auf, was es vorher so noch nicht gab. Unternehmerin zu sein bedeutet für mich viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu jonglieren und parallel das große Ganze nach vorne zu treiben.
Was macht aus deiner Sicht eine gute Führungskraft aus?
Ich denke die Fähigkeit zu priorisieren, schwierige Entscheidungen zu treffen und das Team zusammenzuhalten und zu motivieren. Ein gutes Team aufzubauen, ist eine der schwierigsten und nachhaltigsten Aufgabe, welche nicht an andere abgegeben werden sollte.
Du baust dein Unternehmen zusammen mit einem Mitgründer auf, den du vorher noch nicht kanntest. Werdet ihr gleich behandelt und auch bezahlt?
Mein Unternehmen benötigt für den Markteintritt eine Versicherungslizenz - und muss dadurch zwei Personen in der Geschäftsführung nachweisen, die bereits eine Zustimmung seitens der Finanzaufsichtsbehörde erhalten haben. Solch eine Person haben wir durch meinen Mitgründer gefunden und ich gehe davon aus, dass er fair bezahlt wird.
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Wieso denkst du, dass es für eine Frau ein Vorteil sein kann, in einem von Männern dominierten Umfeld zu arbeiten?
Es gibt einfach so wenige, dass die Frauen, die in dieser Branche arbeiten, auch gesehen werden. Ich selbst habe damit bisher nur gute Erfahrungen gemacht und wurde immer angemessen behandelt. Es gab Situationen, dass mich männliche Kollegen nach einem Date gefragt haben, aber das war’s auch schon.
Du wohnst jetzt schon einige Zeit in Deutschland. Was ist für dich typisch deutsch?
Was mir aufgefallen ist, dass hier jeder einen Satz beginnt oder beendet mit „Ja”. Das finde ich komisch. Auch beschweren sich hier oft sehr viele – egal über was. Das Wetter, die Arbeit und so weiter. Man erzieht auch gerne mal eine fremde Person, zum Beispiel, wenn man bei Rot über die Ampel geht. Und, ihr habt immer dieses furchtbare, kalte Abendbrot. Wir in Russland essen abends immer warm. Was ich allerdings sehr schön finde, sind die deutschen Autos!
Welche russischen Eigenschaften helfen dir in deinem Job?
In Russland ist es ganz normal, dass Frauen viel arbeiten. Meine Urgroßmutter war Aufseherin in einer Fabrik, in einem Arm trug sie eine Waffe, im anderen ihr ein Jahr altes Baby. Es gibt nicht die typischen Arbeiten für Frauen oder für Männer. Beide arbeiten, wenn und wo sie gebraucht werden. Ich bin sehr stolz auf die russische Kultur und Geschichte. Ich trage einen Pelzmantel, auch wenn dies höchst gefährlich im veganen Berlin Mitte ist, aber es macht mich einfach glücklich, da es mich an meine Heimat erinnert. Um ehrlich zu sein, mache ich ab und zu auch richtig blöde Witze über unsere russischen Traditionen. Wenn ich zum Beispiel im Team etwas Druck ausüben möchte, setze ich meinen russischen Akzent ein und agiere in russischem Militärbefehlston, natürlich mit einem Augenzwinker.
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Deine Eltern leben nach wie vor in Russland. Bekommen sie eigentlich mit, was in Deutschland gerade los ist?
Ich muss sagen, dass der Umgang mit Medien in Russland „speziell” ist, so dass sie gar nichts über die Willkommenskultur und Flüchtlingskrise mitbekommen haben. Was sie allerdings mitbekommen haben, war der Vorfall der sexuellen Belästigungen in der Silvesternacht in Köln vor einem Jahr. In den russischen Medien wurde das den Flüchtlingen angelastet. Allerdings wird Angela Merkel sehr positiv angesehen, zumal sie aus Ostdeutschland kommt und auch russisch spricht.
Ist es für dich einfach, Freundschaft mit Deutschen zu schließen?
Die meisten Freundschaften schließe ich durch meine Arbeit und da sind über 70% aus einem internationalen Umfeld. Ich hätte gerne mehr deutsche Freunde, insbesondere auch Freundinnen. Das würde mir auch helfen, schneller und besser Deutsch zu lernen, weil ich im Job hauptsächlich englisch spreche. Ich möchte in Deutschland bleiben, weil ich mich hier sehr wohl fühle, auch wenn ich hier die höchsten Steuern als jedem anderen Land zuvor bezahlen muss. Hier fühle ich mich vor allem sehr sicher und frei.
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