Für die meisten traditionellen Berufe brauchst du vorher erstmal eine „offizielle“ Ausbildung. Elektriker:innen, Pflegekräfte, Lehrer:innen – sie alle investieren viele Jahre ihres Lebens, um ihren Job zu erlernen. Für den schnell wachsenden Karrierezweig der Influencer:innen gibt es aber keine formale Ausbildung. Es gibt keine „Get Ready With Me“-Seminare, keine TikTok-Klausuren – vor allem, weil der Beruf von vielen Außenstehenden immer noch nicht als „echt“ empfunden wird. Während das Influencen aber langsam immer geläufiger (vielleicht auch angesehener) wird, versuchen einige, den Job leichter zugänglich zu machen – durch eine Art Influencer:innen-Ausbildung.
Eine davon ist Ivanka DeKoning, Content Creator und Social-Media-Strategin, die mir einen personalisierten, einstündigen Crashkurs im Influencen gab. (Sie bietet tatsächlich eine ganze Masterclass-Reihe zu dem Thema an – sozusagen ein „Wie werde ich Influencer:in“-Seminar.) Bei diesem Kurs gingen wir meine (hypothetischen) Gründe dafür durch, warum ich denn Influencerin werden wollte, was meine Absichten hinter meinem Content wären, welche Strategien ich beim Posten befolgen sollte, wie ich meinen Content für Google optimieren könnte, den Algorithmus ausnutzen sollte, und so weiter. All das in nur 60 Minuten. Es war zugegebenermaßen sehr viel Info auf einmal.
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Es gibt inzwischen viele verschiedene Formen dieser Influencing-Kurse, von How-tos über Sponsoring-Deals bis hin zur Rechnungserstellung. Mein Kurs fühlte sich aber sehr grundlegend an, quasi „Influencen für Anfänger:innen“. Weil ich in den Medien arbeite, kam mir vieles schon bekannt vor, wie zum Beispiel die Tipps dazu, wie ich meine Instagram-Bio optimieren könnte oder wie oft und wann ich posten sollte.
Abgesehen von diesem Crashkurs – der dich 700 US-Dollar (umgerechnet etwa 640 Euro) kostet – bietet DeKoning auch noch ein sechswöchiges Seminar an, das mehr in die Tiefe geht, inklusive Hausaufgaben, wöchentlichen Meetings und regelmäßigen Check-ins, um zu überprüfen, wie dein Content performt und wie du vorankommst. Weil sie ihren Schüler:innen so viel Aufmerksamkeit zukommen lässt, nimmt sie pro Monat nur drei bis vier neue Kursteilnehmer:innen auf. „Viele meiner Kund:innen erzählen mir, sie wollen ‚Instagram famous‘ werden“, sagt DeKoning. „Sie haben all die Vorzüge des Jobs im Kopf, ohne zu bedenken, wie viel Arbeit das eigentlich ist. Wenn ich ihnen klarmache, wie viel Mühe sie dafür aufbringen müssten, sind viele von ihnen wirklich schockiert.“ Obwohl ich selbst nicht gewillt bin, 700 Dollar für diesen Kurs hinzublättern, erkenne ich doch, dass er für all diejenigen sinnvoll sein könnte, die nichts oder nicht viel über Social Media wissen und gern mehr über die Welt der Content Creation erfahren würden.
DeKoning räumt ein, dass sich die Plattformen, über die sie in ihren Kursen spricht, natürlich im Laufe der Zeit verändern. Deswegen ändert sich auch ihr Infomaterial. „Wenn du ein Seminar zu Social Media anbietest, musst du deinen Content immer updaten, wenn sich die jeweilige Plattform verändert“, sagt sie. „Was ich an meinen Kursen liebe, ist die Flexibilität, etwas zu ändern, je nachdem, was gerade performt.“ Zum Beispiel pushte TikTok eine Zeit lang mal siebensekündige Videos; inzwischen mag der Algorithmus längere Videos mehr. DeKoning kann dir dabei helfen, dazu eine Strategie zu entwickeln – gegen eine Gebühr, versteht sich.
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DeKonings Kurs ist natürlich längst nicht der einzige seiner Art. Es gibt zahllose Influencing-Kurse, die behaupten, dir zum Erfolg verhelfen zu können; einige von ihnen sind gratis, andere wiederum kosten Tausende von Dollar. Die 26-jährige Lifestyle-Creator Karly Polkosnik postet Content über Themen von Selbstliebe bis hin zu persönlichen Finanzen. 2018 buchte sie für 900 Dollar (circa 820 Euro) ein solches Seminar, bevor sie in Vollzeit mit dem Influencing begann. „In dem Kurs ging es darum, Brands für Sponsorships zu gewinnen und diese Kontakte zu knüpfen. Das war der einzige Influencing-Kurs, den ich je gekauft habe, und er war das Geld für mich echt wert“, erzählt sie. „Trotzdem finde ich, dass viele dieser Kurse nicht hilfreich sind. Die meisten dieser Leute können dir nicht genau beibringen, wie du ihren Erfolg nachahmst. Der Kurs zu Sponsorships und Kontakteknüpfen war aber total nützlich für mich und hat meine Karriere als Influencerin wirklich vorangebracht.“ Polkosnik hat aktuell 1,2 Millionen Follower:innen auf TikTok, 34.000 auf Instagram und 9,570 auf YouTube.
Die 28-jährige Alexa Losey, die schon Lifestyle- und Beauty-Content postet, seit sie 16 war, glaubt ebenfalls nicht, dass die Grundlagenseminare wirklich nötig sind. „Ich denke, dir kann niemand beibringen, wie du eine Beziehung zu deinem Publikum aufbaust“, sagt sie. „Natürlich willst du, dass dein Content gesehen wird. Dazu geht nichts über eine echte Persönlichkeit. Nur so entwickelst du eine echte Verbindung zu deinen Follower:innen.“
Loseys Karriere überdauert jetzt schon mehr als ein Jahrzehnt. Sie startete während des goldenen Tumblr-Zeitalters und ist schon von Plattform zu Plattform umgezogen (erinnert ihr euch noch an Vine?). Bei den 2017er Shorty Awards wurde sie als „Breakout YouTuber of the Year“ nominiert und hat derzeit auf YouTube 841.000 Abonnent:innen, 680.000 Follower:innen auf Instagram und 121.000 auf TikTok. Aktuell verfolgt Losey keine spezifische Strategie, abgesehen davon, dass sie regelmäßig postet. „Am Ende hängt alles von Beständigkeit, Authentizität und Networking ab“, meint sie.
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Influencer:innen, die es „schaffen“, tun das meist scheinbar ohne den Fokus auf Hashtags, Strategien und sorgsam kuratierten Content. Sie schaffen es, wenn du, das Publikum, ihnen glaubst. Sie magst. Ihnen vertraust. Und obwohl sich die dazu benötigten technischen Fähigkeiten zwar erlernen lassen, und dir die richtigen Hashtags, SEO-Tricks und Algorithmus-Kenntnisse Tausende, oder sogar Hunderttausende Views einbringen können, garantiert all das nicht, dass dir diese Leute dann auch folgen wollen.
Ganz egal, wie viele Influencing-Kurse du belegst: Dein Erfolg kann am Ende einfach davon abhängen, ob dich die Leute eben mögen. Und obwohl Sympathie nicht zwangsläufig eine Fähigkeit ist, die sich lernen lässt, kannst du sehr wohl erlernen, die Aufmerksamkeit einer Community so weit zu erwecken, dass sie bei dir bleibt. Dr. Aaron Dinin gibt an der Duke University derzeit ein Seminar namens „Building Global Audiences“ („Aufbauen eines globalen Publikums“), wo die Student:innen lernen, auf akademische Weise eine Social-Media-Community aufzubauen. Er erklärt uns, dass der Job „Content Creator“ genau genommen keine neue Erfindung ist.
Dr. Dinin vergleicht heutige Influencer:innen mit Dichter:innen und Schriftsteller:innen vergangener Zeiten – die, die sich ihre Fangemeinschaften noch im echten Leben aufbauen mussten, anstatt es online zu tun. „Wenn du dich in eine Zeitmaschine setzen und zum Beispiel nach 1865 zurückreisen könntest und dort Walt Whitman kennenlerntest, würdest du feststellen, dass Walt Whitman nicht unbedingt darauf aus war, zu einer großen literarischen Persönlichkeit zu werden“, erklärt Dr. Dinin. „Poesie war quasi das YouTube seiner Zeit, und er war ein YouTuber. Ralph Waldo Emerson, Henry David Thoreau… das waren die Creator ihrer Zeit.“
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Das klingt jetzt vielleicht weit hergeholt, aber er hat schon Recht. Das einzig Neue an unserer Creator-Generation sind die Plattformen, und die verändern sich andauernd. Die Fähigkeit dahinter bleibt aber immer dieselbe: ein Publikum für sich zu gewinnen – und es auch langfristig zu behalten.
Denn selbst, wenn du dich mit den technischen Aspekten des Influencing auskennst und es schaffst, viele Views zu generieren, ist damit nicht garantiert, dass dir dieses Publikum auch treu bleibt. Du musst ihnen schon einem Grund dafür geben, dir loyal zu sein – indem du einen Zweck in ihrem Leben erfüllst, sei das nun Entertainment, Bildung oder Inspiration. Golloria George, 22 Jahre alt, will mit ihrem Content zum Beispiel eine Lücke füllen: Junge Menschen, die aussehen wie sie, erkennen sich auf TikTok nur selten in Creators wieder. „Mir fiel auf, dass es viele junge Mädchen gab – vor allem mit dunkler Hautfarbe wie ich –, die nicht wussten, wie sie sich schminken sollten. Genauso ging es mir auch. Ich hatte keine Vorbilder in der Beauty-Influencer:innen-Bubble“, erzählt sie. „Mein Channel fing etwa vier bis fünf Monate, nachdem ich mit regelmäßigen Posts angefangen hatte, an zu wachsen. In kürzester Zeit hatte ich dann 100.000 Follower:innen. Das war echt eine große Sache, weil es in dieser TikTok-Bubble niemanden gab, der oder die mir ähnlich sah und das machte, was ich machte.“
Für den Erfolg als Creator ist es laut Dr. Dinin besonders wichtig, einen kritischen Blick dafür zu entwickeln, was jetzt gerade funktioniert, um ein Publikum aufzubauen, und warum. Genauso, wie sich ein Roman oder ein Gedicht analysieren lässt, kann man auch ein 60-sekündiges TikTok-Video untersuchen. Genau das wird in Dr. Dinins Seminar gemacht. „Eine der Aufgaben, die ich immer verteile, sind diese kreativen Fallstudien“, sagt er. „Ich lasse meine Student:innen eine:n Creator auswählen, den oder die sie wirklich mögen oder nachahmen möchten, und lasse sie dann die Strategie dieser Person analysieren. Was funktioniert, und wieso? Was nicht, und wieso? Ich will ihnen dabei helfen, einen kritischen Blick zu entwickeln.“
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Eine weitere seiner Aufgaben nennt Dr. Dinin „Am besten, am schlechtesten“. Dafür suchen sich die Student:innen ein Stück Content von einem:einer Creator aus, das besonders erfolgreich ist, und eins, das nicht gut ankam. „Warum performt ein Post so viel besser als der andere?“, fragt Dr. Dinin dann die Teilnehmenden. „Wenn du identifizieren kannst, wieso eins besser funktioniert als das andere, begreifst du allmählich die Grundprinzipien dessen, was erfolgreich beim Aufbau eines Publikums hilft.“
Die Hauptplattform, deren Content die Student:innen analysieren, ist TikTok, wo die meisten neuen, jungen Influencer:innen ihre Karriere starten. Obwohl Golloria George nie einen Influencing-Kurs belegt hat, dankt sie doch ihrer ehemaligen Mentorin und heutigen Managerin dafür, dass die ihr alles Wichtige rund um den Job vermittelte. „Sie war sehr bemüht darum, mir beizubringen, für mich selbst einzutreten, wie oft und was ich posten sollte und wie ich meinen Content für Google optimieren könnte“, erzählt sie. „Es war total hilfreich, jemanden zu haben, mit der ich reden konnte – vor allem in den Momenten, wo ich mich überfordert oder ausgebrannt fühlte, weil ich so viel arbeitete.“
Allein die Menge an Output ist aber eben nicht entscheidend. „Du kannst vier- bis fünfmal am Tag was posten und trotzdem keinen Erfolg haben, wenn du nicht authentisch bist oder es nicht schaffst, deinem Publikum auf eine Weise nah zu sein, die ihnen das Gefühl gibt, zu dir zurückkehren, mit dir reden und deine Videos anschauen zu wollen“, meint George.
Obwohl DeKoning zwar glaubt, es gäbe da draußen für uns alle die richtigen Influencer:innen, weiß sie auch, dass man sich genau deswegen als Influencer:in viel Feindseligkeit aussetzt. „Du kannst einfach nicht jeden Geschmack bedienen“, sagt sie. „Ich bin eine queere Influencerin. Als ich über meine Frau und unsere Hochzeit postete, verlor ich 500 Follower:innen. Jedes Mal, wenn ich meine Frau erwähne, verliere ich mehr. Das gehört zur Natur von Social Media. Es gibt immer Negativität.“
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Auch die Rolle von Privilegien im Influencing lässt sich nicht ignorieren: Die meisten Influencer:innen sind dünne, konventionell attraktive, finanziell gesicherte, weiße cis Frauen, die oft auch entscheidende Kontakte in der Branche haben. „Damit jemand erfolgreich genug wird, um sich damit den Lebensunterhalt finanzieren zu können, passiert im Hintergrund oft eine ganze Menge“, meint Dr. Emily Hund, Autorin von The Influencer Industry: The Quest for Authenticity on Social Media. „Und diesen Erfolg gibt es ohnehin nur sehr selten.“
Selbst die entsprechende „Ausbildung“ kann eine finanzielle Hürde sein. Nicht alle von uns könnten es sich leisten, mehr als 600 Euro für einen einstündigen Kurs auszugeben, oder sich für ein Studium an einer Privat-Uni wie der Duke University einzuschreiben – oder auch nur eine Wohnung zu mieten, die gut beleuchtet ist und in Videos hübsch aussieht.
Dr. Dinin zufolge gibt es zwei Möglichkeiten, Content Creation zu lehren: über die Plattform und über die Prinzipien dahinter. „Ich warne alle vor denjenigen, die behaupten, sie könnten dich ‚TikTok famous‘ machen“, sagt er. „Du willst nämlich gar nicht ‚TikTok famous‘ sein, weil TikTok nicht ewig das primäre Medium bleiben wird.“ Was du stattdessen lernen solltest – wie auch sein Seminar vermittelt –, ist, wie du dir ein Publikum aufbaust und dann die jeweiligen Plattformen dahingehend nutzt.
„Es geht nicht darum, auf einer bestimmten Plattform ein großes Publikum zu erreichen“, erklärt er. „Es geht darum, ein Publikum zu haben, das du gut im Griff hast. Dann sind diese Plattformen nur Tools, um die Aufmerksamkeit dieser Leute auf das zu lenken, was du erschaffen willst.“
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Obwohl es bisher keine Influencing-Schule oder einen -Studienabschluss gibt, mit deren Wissen du dir deine persönliche Brand kreieren könntest, gibt es sehr wohl bereits zahlreiche Ressourcen, die dir beibringen, wie du es zumindest versuchen kannst. Letztlich liegt es aber ganz bei dir, ob du es schaffst, dir dein eigenes Publikum aufzubauen.
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