Irgendwo in einem Städtchen in Mitteldeutschland: Es gibt eine Universität, eine Fachhochschule, ein paar Läden, Büros, eine kleine aber feine Partyszene. Nicht richtig groß, aber eben auch nicht richtig klein, in der Stadt, in der Emilia* lebt und studiert. Und arbeitet.
So ein Studium will finanziert sein, das weiß jeder Student. Bafög, Unterstützung der Eltern und trotzdem oder eben weil man das irgendwann nicht mehr möchte, muss der passende Studentenjob her. In einer mittelgroßen Studentenstadt gibt es viele Jobs; Emilias Kommilitoninnen kellnern, geben Nachhilfe und arbeiten als Aushilfen bei H&M und Douglas. Einer ihrer Freunde ist zwei Tage die Woche in einer Agentur am Empfang, ein anderer übernimmt Nachtschichten im Altersheim. Jobs wie diese hat Emilia in ihrem Bachelorstudium zu Genüge gehabt. „Das Kellnern hat mir eigentlich Spaß gemacht – aber ich musste oft und viel arbeiten, damit es gereicht hat für alles, was man so zum Leben braucht“, sagt die 28-jährige. „Die Doppelbelastung mit meinem ziemlich anstrengenden Studium hat mich müde gemacht und mich gestresst. Klar, das Trinkgeld war super, aber der Lohn? Lachhaft.“ Mindestlohn war damals noch ein Fremdwort und in einer echten Studentenstadt gibt es immer jemanden, der den Job für weniger Geld macht als man selbst.
Irgendwann steckte Emilia jemand auf einer Messe, auf der sie als Hostess arbeitete, ein Kärtchen zu. Der Name der Agentur sagte der damals 24-jährigen nichts. Bei Google gab es direkt den Treffer: Escort-Service. „Ich wusste gar nicht so richtig, was das heißt, wenn ich ehrlich bin“, lacht Emilia verlegen. „Aber die Seite sah seriös aus, nahezu edel. Man konnte nachlesen, worum es geht, aber keines der Mädchen anschauen – zumindest nicht ihre Gesichter. Das hat mich neugierig gemacht.“ Erst sei sie wie eine Katze um die Karte herum geschlichen, habe überlegt und abgewogen, dann aber einfach die Nummer der netten Dame gewählt. Mit einem Herz, dass bis zum Hals geklopft hat, aber auch mit viel Neugierde.
Beim Vorstellungsgespräch ging es ganz anders zu, als Emilia sich das ausgemalt hatte. Edle Business-Kleidung, eloquentes Gespräch. „Zuerst ging es eigentlich nur um mein Studium, meine Allgemeinbildung, meine Hobbies und Interessen. Ob ich schon mal in der Oper war, welche Fremdsprachen ich spreche, ob ich Zeitung lese und über das aktuelle Tagesgeschehen auf dem Laufenden sei.“ Erst im späteren Gespräch kam man auf die Konditionen zu sprechen und darauf, was dafür zu tun sei. „Ich wollte gern erstmal nur mit den Männern ausgehen und nicht gleich körperlich mit ihnen werden.“ Das war laut Emilia kein Problem.
Das ist selten bis unmöglich, zumindest heute, weiß Monique. Sie leitet die Escortagentur Elite Escorts. Und weiß: „Dass ein Kunde ein Mädchen bucht, aber nicht den sexuellen Service in Anspruch nehmen möchte oder nimmt, ist selten. Das kommt höchstens alle paar Jahre mal vor.“ Die intim verlebten Stunden sind für die meisten Kunden der Höhepunkt eines gelungenen Abends. „Und wenn ich für einen bestimmten Preis das Alles-Inklusive-Paket bekomme, möchte ich das ja auch in Anspruch nehmen.“ Monique hat lange in der Modebranche gearbeitet, bevor sie vor 12 Jahren ins Escortgeschäft wechselte; sie kennt die Branche mittlerweile wie ihre Westentasche, ist ein echter Profi.
Gute vier Jahre ist Emilias Einstieg ins Escort-Geschäft nun her. Mittlerweile schläft Emilia mit den Männern, die sie begleitet. Sie besucht mit ihnen Geschäftsessen, Oper- oder Theateraufführungen, begleitet sie zu Empfängen oder Ausstellungen. Sie bekommt teure Handtaschen geschenkt, Parfum, trinkt Champagner und wird oft eingeladen. Ihre Kommilitonen wissen von ihrem Job. „Wenn man plötzlich viel teurere Kleidung trägt als vorher, ein Cabrio fährt und die Wohnung luxuriöser wird, fragen sich die Freunde natürlich, wie das als Studentin machbar ist“, Emilia blickt ein wenig verlegen an sich herunter. „Ich gehe offen mit dem Job um, beantworte Fragen und reagiere auf Kritik. Meine Eltern wissen jedoch nichts davon.“ Emilias Vater ist als Gastarbeiter aus Italien nach Deutschland gekommen, ihre Mutter ist Deutsche. „Papa ist stolz und eigen. Er würde das nicht verstehen und auch nicht dulden. Und brechen möchte ich mit meinen Eltern nicht.“ Für immer anlügen, will die Halbitalienerin sie aber auch nicht. „Das Ganze ist eine temporäre Sache. Sobald ich meinen Master durch habe, suche ich mir einen nach gesellschaftlichen Normen ,anständigen’ Job und höre auf mit dem Escort.“ Ihr Wunsch mit 24? Sie wollte nicht aufs Geld achten müssen, sich tolle Klamotten kaufen können, reisen. „Ich wollte gern einen Freund. Einen der ein paar Jahre älter ist, gutes Geld verdient und mir laufend Rosen schickt“, lacht sie.
Emilia wirkt heute reflektiert, intelligent und mit sich im Reinen. Ich frage sie, was sie denkt, wenn man das ganze teure ChiChi weglässt und sich dem Kern der Sache widmet: Prostitution – sofern das der Kern der Sache ist. „Machen wir uns nichts vor“, lacht sie ein wenig zynisch. „Natürlich ist das Prostitution. Die gesamte Escortszene bestreitet das, will etwas Besseres sein. Viele Escorts reden sich ein, das sei etwas völlig anderes. Schöner, besser, nicht so verrucht. Aber im Endeffekt ist es genau das.“ Sie genieße die Abende mit intelligenten, wortgewandten Männern, habe viel gesehen durch den Job. Kulturelles, aber auch fremde Städte und sich mit tollen Menschen unterhalten. Aber natürlich sei der sexuelle Aspekt, der, der für den Kunden am reizvollsten ist oder zumindest das, was für sie das gewisse Etwas ausmacht.
Wie sie das kann, will ich wissen. Jeder hat sicherlich schon mal mit jemandem geschlafen, den man am nächsten Tag unattraktiver als am Vorabend gefunden hat. Oder mit dem man plötzlich einfach nichts mehr anfangen konnte. Die Männer, die sich mit Emilia treffen, sind oft deutlich älter als sie, entsprechen vielleicht optisch auch nicht immer ihren Vorstellungen. „Das stimmt. Es hat ein wenig gedauert, bis ich da ein System hatte,“ verrät sie. „Der erste Gast, mit dem ich geschlafen habe, hatte mich dafür gar nicht gebucht. Wir haben uns einfach so gut verstanden, dass es dazu kam. So hat das eigentlich angefangen“, sinniert die Studentin.
Ich bin skeptisch. Was macht so etwas mit der Seele? Was macht ein Sich-Kaufen-Lassen oder eine Leistung verkaufen, die mit dem eigenen Körper zusammenhängt, mit dem Geist und dem Gefühl, nicht alles tun zu müssen und nur das, wonach einem wirklich der Sinn steht? Emilia zuckt mit den Achseln. „Ich denke meiner Seele geht es ganz gut. Ich führe ein tolles Leben und im Endeffekt ist es ein Job. Einer, der meine Miete bezahlt, meine Kleidung, mein Leben und eben noch ein bisschen mehr.“ Klar, habe sie manchmal nach einem anstrengenden Uni-Tag keine Lust mehr sich herauszuputzen, Small-Talk zu halten und sich dann auch noch in perfekter Manier im Hotelzimmer um einen Partner zu kümmern. Aber das sei eben ihr Job. Und sie müsse deutlich weniger und seltener arbeiten als ihre Kommilitonen. Emilia benutzt das Wort Partner. Denn es seien ja Partner für eine oder mehr Nächte. Gast erinnere sie zu sehr an eine Prostituierte. Paradox, wenn man bedenkt, was sie mir zuvor über die Abgrenzung zu Prostituierten erzählt hat.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Emilia nach Anerkennung strebt, dass sie sich definiert über die Kleidung, die sie trägt und das Auto, welches sie fährt. Dass sie nach Aufmerksamkeit heischt; bei den Männern, den Kommilitonen, bei mir. Sie musste nicht überredet werden ihre Geschichte zu erzählen. Vermutlich wäre es sogar okay gewesen, wenn ich ihren Klarnamen verwendet hätte. Dann aber ist ihr ihre Cousine eingefallen, die viel im Internet surft, bei Frauenmagazinen ebenso die Klickrate hochhält wie bei viralen Hits auf Facebook. Und ihr Vater, der darüber vielleicht über die jüngere Cousine erfahren könnte. Emilia ist der Name, den sie sich ausgesucht hat. „Er klingt so mädchenhaft, unschuldig, jung“, sagt sie verlegen. Jung ist sie, ein Jahr jünger als ich selbst, und ich merke das erste Mal einen gewissen Schutzinstinkt. Ich würde sie gern in den Arm nehmen und sagen „Mädchen, das hast du doch gar nicht nötig.“ Gleichzeitig erschrecke ich vor meinen eigenen Vorurteilen. Prostitution ist in Deutschland nicht nur erlaubt, sondern als geregelter Beruf auszuüben – inklusive Steuern zahlen, Sozialversicherung und allen Pflichten, die ein Arbeitnehmer hat. Escort gehört im weitesten Sinne vermutlich dazu, hüllt sich die Tätigkeit doch in ein anderes, eleganteres Gewand – und, das kann man nicht abstreiten, Escortagenturen vermitteln Männern Frauen, die eben nicht nur gut aussehen, sondern etwas im Kopf haben. Auch Emilia zähle ich dazu. Ich stelle mir irgendwie immer recht alte und auch unattraktive Männer vor, die sich dazu entscheiden ein Escort zu buchen. Das ist jedoch eher ein Vorurteil lerne ich durch meine Gespräche mit Emilia und Monique.
Der Kundenstamm von Elite Escorts ist relativ jung: Zwischen 35 und 55 Jahren sind die meisten der Kunden. Der durchschnittliche Buchende ist 42 Jahre alt. „Das ist deutlich jünger als in vielen anderen Agenturen. Oft sind das Männer, die zuhause vielleicht eine sehr junge Partnerin sitzen haben, aber sich gerne mal einen Abend auf Augenhöhe austauschen und vergnügen wollen,“ berichtet Monique.
Emilia war jung als sie angefangen hat diesen lukrativen Nebenjob auszuüben. Für Monique und ihr Vermittlungsagentur Elite Escorts wäre sie ein wenig zu jung gewesen. Sie lebt in ihrem Job ganz bestimmte Grundsätze, hat gefestigte Meinungen und jede Menge Erfahrung beim Thema Escort. Emilia hätte nur unter ganz besonderen Umständen eine Chance gehabt. „Wir nehmen grundsätzlich nur Frauen in unsere Vermittlungsagentur auf, die mit beiden Beinen im Leben stehen und einem Beruf nachgehen“, sagt sie. „Der Großteil der Frauen sind Akademikerinnen und gehen einem geregelten Leben als Anwältin, Designerin oder Marketingchefin nach. Und das ist auch so gewünscht. Wir möchten Escort-Damen, die diesen Job aus Spaß an der Sache machen. Für mich persönlich fängt das ideale Alter da einfach erst ab 30 Jahren an.“ Und da kommt auch der Unterschied zur klassischen Prostitution ins Spiel. „Es wird immer so sein, dass Menschen Escort mit Prostitution in Verbindung bringen – einfach weil der Kern der Sache ja auch Sexualität ist“, weiß Monique. Die Geschäftsfrau sieht aber auch ganz klare Unterschiede zwischen beiden Bereichen: Im Escort gehe es im Gegensatz zur klassischen Prostitution nicht nur um Sex. Hier stünden auch andere Themen im Mittelpunkt. „Ein großes Thema ist und bleibt einfach die Konversation. Männer buchen unsere Damen auch um sich zu unterhalten, sich auszutauschen, einen schönen Abend mit einem echten Gegenüber zu verbringen“, weiß Monique. „Der Umgang zwischen beiden Parteien ist absolut respektvoll. Hier wird quasi eine echte Verabredung simuliert, bei der es den Männern auch darum geht, die Escort-Dame zufrieden zu stellen und ihr zu gefallen.“ Und das klappt nicht immer. Wenn es menschlich einfach nicht passt zwischen Kunde und Escort besteht durchaus die Möglichkeit sich nach einer gemeinsamen Aktivität zu trennen und nicht miteinander zu schlafen. „Wir lehnen täglich Kunden ab, weil sie nicht in unser Klientel passen oder die falschen Vorstellungen von Escort und der Leistung, die damit einhergeht, haben.“
Ich bin mir fast sicher, dass ein Mann, der nur auf schnellen Sex aus ist, eher eine klassische Prostituierte besuchen würde, als eins der kostspieligen Escorts aus Moniques Agentur zu buchen. Denn die haben nicht nur selbst ihren Preis, sondern sind es auch gewohnt in hochklassigen Etablissements wie Restaurants, Hotels und Lofts empfangen zu werden. Außerdem sind sie ihren Gästen gewachsen, eloquent und selbstbewusst. Auch den Grundsatz, keine zu jungen Mädchen zu beschäftigen, halte ich für vernünftig. Jeder von uns, der über die 25 Jahre hinaus gewachsen, weiß, dass es seine Zeit braucht, bis man als Frau mit sich und seiner Sexualität zufrieden ist; sich in seinem Körper wohlfühlt und klar ja oder nein sagen kann. Wenn ich auf mich selbst zurückblicke als ich 24 Jahre alt war, so alt wie Emilia als sie begonnen hat als Escort zu arbeiten, dann gehe ich d’accord mit Moniques weitläufiger Ansicht, man müsse ein gewisses Alter erreicht haben, um mit beiden Beinen im Leben zu stehen und diesen besonderen Beruf oder Nebenjob auszuüben. Emilia ist meiner Ansicht nach schlichtweg zu jung gewesen. Aber das ist meine ganz persönliche Meinung. Und Emilia? Die ist heute auch älter und hat viel nachgedacht. „Ich kann gut mit und von dem Job leben“, sagt sie wieder selbstbewusst. „Ich genieße viele Aspekte davon. Aber heute weiß ich, ich war zu jung und unbedarft als ich angefangen habe. Habe mich in etwas gestürzt ohne eine Strategie zurecht gelegt zu haben – für mich und mein Inneres. Das hat mich vieles gelehrt. Aber eben auf die harte Art und Weise.“ Was sie sich wünscht, möchte ich von ihr wissen. Sie überlegt und kichert. Ein bisschen so wie ein verlegener Teenager. „Wenn mein Studium zu Ende ist, hätte ich gern endlich wieder einen Freund. Einen ohne Geld und Prestige. Der in einer Studentenwohnung wohnt und die Spülmaschine offen stehen lässt. Und mir zum Geburtstag irgendetwas Klassisches schenkt, so wie früher. Ein Mixtape vielleicht. Designerhandtaschen habe ich genug.“
· Name wurde von der Redaktion geändert.
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