“Ich bin eine schlechte Mutter.“ Fünf Worte, die sich hinter dem Gefühl der Angst verstecken, es nicht richtig zu machen. Doch die Wahrheit ist, wenn es ums Muttersein geht, liegt die Latte extrem hoch. Zu hoch. Es ist einfach nicht möglich, immer alles richtig zu machen. Und Corona macht die Sache auch nicht gerade leichter. Wenn du deinem Kind in den letzten Wochen ab und zu Cornflakes zum Mittagessen vorgesetzt oder die Fernsehzeit deutlich raufgesetzt hast, bist du nicht allein. Wenn du gelegentlich von einer Welle der Panik überrollt wirst, weil du keine Ahnung hast, was die Zukunft für dich und deine Familie bereithält, bist du nicht allein. No Bad Moms ist eine Reihe, in der es nicht nur darum geht, die Latte tiefer zu legen, sondern sie komplett über Bord zu werfen. Es geht darum, die gute Mutter in uns allen zu finden und zu ehren – und zwar nicht nur am Muttertag, sondern an jedem einzelnen Tag.
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Wenn du unter Unfruchtbarkeit leidest, gewöhnst du dich irgendwann an die verletzenden Kommentare. Versteh mich nicht falsch: Nicht jede*r ist absichtlich unsensibel. Manchmal regt sich eine Freundin auch einfach nur über die peinlichen Spiele bei ihrer Babyshower auf. Manchmal machen Leute Bemerkungen wie: „Kinderlose Menschen haben es so gut, weil sie jedes Wochenende ausschlafen können“.
Situationen wie diese waren schon immer schwer für mich, aber die Corona-Krise macht die ganze Sache noch mal schwerer. Sehr viele Leute machen jetzt Witze darüber, dass uns in neun Monaten ein Baby-Boom erwartet – als könnte jede Frau, die gerade in der Selbst-Isolation ist, problemlos schwanger werden. Vor ein paar Tagen postete eine Freundin ein Meme, das Eltern zeigt, die Stoßstange an Stoßstange stehen, sobald sie nach Ende des Lockdowns ihre Kinder wieder in Kindergarten und Schule bringen dürfen. Und dann hab ich noch ein Meme gesehen, bei dem das Leben in der Selbst-Isolation von Menschen mit und ohne Kindern verglichen wird.
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Genau wie tausende andere Paare, deren Termine zur künstlichen Befruchtung wegen Corona verschoben oder gestrichen werden mussten, leben wir gerade im Limbus. Wir verlieren wertvolle Zeit.
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Ich will nicht gefühl- oder verständnislos gegenüber Eltern wirken, die gerade Home Office, Kinderbetreuung und Hausarbeit unter einen Hut bringen müssen. Aber glaub mir: Mein Ehemann und ich haben die letzten Wochen auch nicht mit meditativer Gartenarbeit, entspannendem Paar-Yoga und lustigen Weingelagen verbracht, wie es das Meme suggeriert. Genau wie Tausende andere Paare, deren Termine zur künstlichen Befruchtung wegen Corona verschoben oder gestrichen werden mussten, leben wir gerade im Limbus. Wir verlieren wertvolle Zeit. Und wir würden alles dafür geben, die Probleme mancher Eltern zu haben.
Meine Unfruchtbarkeitsgeschichte gleicht der vieler anderer Menschen. Wir hatten beschlossen, noch etwas zu warten, weil ich erst näher zu meiner Familie ziehen wollte. Und das taten wir 2016 dann auch. Noch im selben Jahr hörten wir auf, zu verhüten. Ich kannte die Statistiken über Frauen, die über 35 Jahre alt sind (ich war 36) und versuchen, Kinder zu bekommen. Doch ich machte mir aber trotzdem keine Sorgen. Wir waren beide gesund und fit. Meine Tante hatte ihre Kinder im Alter von 36 und 41 bekommen und ich glaubte, bei uns würde es bestimmt ähnlich laufen.
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Wir hatten schon ein paar Monate versucht, schwanger zu werden, da klappte es bei einer engen Freundin von mir auf Anhieb. Sie war älter als ich und das traf mich sehr. Ich begann, meinen Eisprung zu tracken und kaufte diese überteuerten Teststreifen. Im April 2017 empfahl mir meine Ärztin dann, einen Termin bei der HART Fertility Clinic in Hamilton zu machen. Ich hatte keine Idee, was uns bevorstand.
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Beim Begriff IVF denken viele, du wirst ein paar Mal gespritzt und zack! bist du schwanger. Bei ein paar wenigen Menschen mag das ja so laufen, aber für den Großteil von uns bedeutet es einen jahrelangen Kampf.
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Beim Begriff IVF (In-vitro-Fertilisation) denken viele, du wirst ein paar Mal gespritzt und zack! bist du schwanger. Bei ein paar wenigen Menschen mag das ja so laufen, aber für den Großteil von uns bedeutet es einen jahrelangen Kampf. Seit meinem ersten Besuch bei einem Spezialisten habe ich mehr Tests und Untersuchungen machen müssen, als ich mir je hätte vorstellen können. Hormone, Blähungen, Injektionen, Probenentnahmen: Ich habe ein halbes Jahrzehnt damit verbracht, intravaginale Ultraschalluntersuchungen durchführen und mich piksen zu lassen. Es gab einen Punkt, an dem mein kompletter Arm ein einziger blauer Fleck war. Wir haben mit vier Runden IUI begonnen (bei der intrauteriner Insemination wird Sperma in deinen Uterus injiziert). Als wir merkten, dass das nicht funktioniert, ging es mit IVF weiter, was noch mal deutlich kostpieliger und invasiver ist (bei einer OP werden Eier aus dem Körper entnommen, damit sie im Labor befruchtet werden und anschließend wieder eingepflanzt werden können). Ontario gehört zu einer der wenigen Orte in Kanada, an denen der erste Versuch für Frauen unter 43 Jahren bezahlt wird, aber dafür muss man auf den Eingriff manchmal über zwei Jahren warten. (In Deutschland werden bei gesetzlich versicherten Paaren 50 bis 100 Prozent bei den ersten drei Versuchen (entspricht bis zu 10.000 Euro) übernommen. Das Paar muss allerdings verheiratet und die Frau jünger als 40 Jahre und der Mann jünger als 50 Jahre alt sein.)
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Nach dem zweiten Versuch machte ich zuhause einen Schwangerschaftstest. Er war positiv. Es war der Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages – ich weiß, das klingt wie in einer kitschigen Rom-Com. Wir waren so aufgeregt und riefen sofort unsere Familien an. Ich zeigte meiner Schwester sogar per FaceTime den Teststreifen, auf den ich gepinkelt hatte. Sechs Wochen später hatte ich eine Routineuntersuchung. Wir hörten den Herzschlag, alles schien großartig. Noch am selben Tag begannen die Krämpfe und Blutungen und ich hatte eine Fehlgeburt.
Ein paar Stunden zuvor waren wir noch überglücklich; jetzt waren wir am Boden zerstört. Das ist eine Erfahrung, die ich nicht mal meinem schlimmsten Feind wünsche.
Dieses Jahr wollten wir es dann ein drittes Mal versuchen – doch das war ein totaler Reinfall. Obwohl wir beschlossen hatten, einem neuen Arzt eine Chance zu geben, der “echte Wundertaten“ vollbringen sollte. Wir hatten nur ein brauchbares Embryo, was schon mal kein guter Anfang ist (bei den ersten beiden Versuchen waren es mehrere). Doch der Arzt sagte, die Qualität wäre sehr hoch und das bedeutete wiederum, die Chancen für eine erfolgreiche Schwangerschaft standen ganz gut. Das war Ende Januar. Man muss einen vollen Menstruationszyklus vor der Einpflanzung abwarten. Und dann kam Corona.
Wenige Tage bevor der Eingriff hätte stattfinden sollen, bekam ich einen Anruf bei dem man mir mitteilte, der Termin wurde gestrichen – er zählte zu den geplanten OPs, die wegen der Pandemie abgesagt wurden. Ich hatte es mir zwar fast schon gedacht, aber trotzdem fragte ich mich: Wollt ihr mich eigentlich alle verarschen? Muss diese Pandemie wirklich gerade jetzt passieren – fünf Tage vor der Implantation? Ein Teil von mir ist unglaublich frustriert. Warum konnten wir den Eingriff nicht schon ein paar Wochen früher machen? Warum konnte die Pandemie nicht ein paar Wochen später beginnen? Vielleicht wäre es ganz schön gewesen, jetzt schwanger zu sein und eine Aufgabe zu haben, während wir zuhause festsitzen. Aber irgendwie bin ich auch froh, nicht schwanger zu sein, bei all den Unsicherheiten gerade.
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Ich bin vor kurzem 40 geworden. Ich weiß, das ist nur eine Zahl. Aber es ist auch ein Meilenstein. Ich habe nie gedacht, ich könnte irgendwann mal über 40 und kinderlos sein.
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Unser Embryo hält 100 Jahre. Das ist also schon mal nicht das Problem. Doch das heißt nicht, dass die Zeit kein Thema für uns wäre. Wenn es bei diesem Versuch nicht klappt, wird es immer schwerer. Ich bin vor kurzem 40 geworden. Ich weiß, das ist nur eine Zahl. Aber es ist auch ein Meilenstein. Ich habe nie gedacht, ich könnte irgendwann mal über 40 und kinderlos sein.
Das Abwarten und die Unsicherheit sind zwei Dinge, die die Unfruchtbarkeit so schwer für mich machen. Aber ich versuche, optimistisch zu bleiben und den Kontakt zu meinen Lieben zu halten. Ich fühle mich oft einsam und allein durch meine Unfruchtbarkeit. Die meisten Menschen in meinem Leben haben Familien und es ist kein schönes Gefühl, nicht Teil dieses “Clubs“ zu sein. Ich bin besessen von meinen Nichten und Neffen. Wir haben in den letzten Wochen sehr oft gefacetimt und das ist wirklich schön. Aber per Video-Call einen Blick in das Zuhause anderer Familien zu werfen… ist nicht leicht. Meistens geht es mir ganz okay – ich habe das Gefühl, im letzten Jahr so viel geweint zu haben, dass meine Tränendrüsen ausgetrocknet sind. Doch ab und zu kommt diese tiefe Trauer, Angst, Verzweiflung und Wut wieder hoch. An manchen Tagen schaffe ich es, ruhig zu bleiben und ganz pragmatisch über die ganze Sache nachzudenken. An anderen schreie ich (innerlich): MEIN BABY IST EINGEFROREN IN EINEM LABOR UND ES GIBT NICHTS, WAS ICH TUN KANN.
Mein Ehemann Chris ist großartig. Natürlich hat er mit seinen eigenen Problemen zu kämpfen, aber er schafft es immer, optimistisch zu bleiben. Es gibt Menschen, deren IVF-Behandlung noch vor der Entnahme abgesagt werden musste. Auf sie wartet kein Embryo in einem Labor. Sie haben all die Hormone umsonst genommen. Sie haben umsonst viel Geld ausgegeben. Zumindest können wir noch hoffen. Wir haben unser Embryo. Ich habe das Gefühl, es ist ein Mädchen. Du wirst mich vielleicht für verrückt erklären, aber letztens habe ich ein Buch gekauft und es in das Zimmer gestellt, das hoffentlich irgendwann das Kinderzimmer wird. Es heißt I Love You To The Moon And Back. Es passt perfekt zu uns. Chris und ich witzeln manchmal, dass unser Weg zum Elterndasein so lang ist wie die Entfernung von der Erde zum Mond und wieder zurück – aber irgendwann werden wir ankommen.
Dieser Artikel basiert auf einem Interview mit Courtney Shea und wurde aus Gründen der Lesbarkeit angepasst und vom Englischen ins Deutsche übersetzt.
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