“Ich bin eine schlechte Mutter.“ Fünf Worte, die sich hinter dem Gefühl der Angst verstecken, es nicht richtig zu machen. Doch die Wahrheit ist, wenn es ums Muttersein geht, liegt die Latte extrem hoch. Zu hoch. Es ist einfach nicht möglich, immer alles richtig zu machen. Und Corona macht die Sache auch nicht gerade leichter. Wenn du deinem Kind in den letzten Wochen ab und zu Cornflakes zum Mittagessen vorgesetzt oder die Fernsehzeit deutlich raufgesetzt hast, bist du nicht allein. Wenn du gelegentlich von einer Welle der Panik überrollt wirst, weil du keine Ahnung hast, was die Zukunft für dich und deine Familie bereithält, bist du nicht allein. No Bad Moms ist eine Reihe, in der es nicht nur darum geht, die Latte tiefer zu legen, sondern sie komplett über Bord zu werfen. Es geht darum, die gute Mutter in uns allen zu finden und zu ehren – und zwar nicht nur am Muttertag, sondern an jedem einzelnen Tag.
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Fünf Monate nachdem ich mein erstes Kind zur Welt gebracht hatte, wurde mir ein Job beim BBC in London angeboten. Ich steckte mitten in dieser unglaublich herausfordernden Anfangsphase des Elterndaseins, bei der die Tage miteinander verschwimmen und man einfach nur versucht, zu überleben. Eine Entscheidung für die Stelle hätte einen Umzug weg aus Toronto bedeutet – und damit die Entwurzelung meiner neuen Familie. Zwar spürte ich einen großen Druck in mir, selbstlos oder mütterlich sein zu müssen, aber ich beschloss dennoch, das Angebot anzunehmen. Und irgendwie fiel es mir gar nicht so schwer, diese Entscheidung zu treffen, denn schließlich war es schon immer mein Traum, dort zu arbeiten – warum sollte mein Baby dem im Wege stehen?
Diese Gedanken habe ich aber natürlich nie laut ausgesprochen. Immerhin ist das nicht gerade das, was man gemeinhin von einer Mutter erwarten würde – besonders, wenn sie gerade ihr allererstes Kind bekommen hatte. Ich habe auch niemandem erzählt, wie froh ich war, wieder arbeiten gehen zu können. Wenn mich meine Familie und Freund*innen fragten, ob es nicht unglaublich schwer für mich ist, nicht bei meinem Baby zu sein, stimmte ich ihnen nickend zu. Doch was ich eigentlich hätte antworten wollen, war, dass mir die Arbeit dabei half, zurück zu mir zu finden. Dass Kinder zu bekommen (ich bin gerade hochschwanger mit dem zweiten) meinen Selbsterhaltungstrieb nur noch gestärkt hat und dass ich mir jetzt mehr Zeit für mich nehme – weg von klebrigen Kleinkindhänden und schreienden Neugeborenen. Aber ich teile diese Meinung ungern mit anderen. Besonders mit anderen Eltern. Denn obwohl unsere Gesellschaft mittlerweile zumindest kleine Schritte gemacht hat, was Themen wie geteilte Hausarbeit und Elternzeit für Väter angeht, gibt es immer noch ein großes Tabu: das Tabu, als Mutter offen und unverfroren darüber zu reden, dass es nicht nur okay, sondern notwendig ist, der Mittelpunkt der eigenen Welt zu sein.
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Promimütter wie Chrissy Teigen oder Kristen Bell stehen stolz zu ihrem chaotischen Elterndasein und haben keine Angst davor, zu zeigen, dass Muttersein nur ein Teil ihres facettenreichen Lebens ist. Teigen nahm sich ein paar Wochen nach der Geburt ihres Kindes die Zeit, mit ihrem Mann schick essen zu gehen. Bell erzählte davon, was sie macht, damit ihr Sexleben mit Ehemann Dax Shepard aufregend bleibt. Doch die beiden gehören zu einer Minderheit – zu einer Gruppe von Müttern, die mit ihren Meinungen und ihrem Verhalten oft auf Widerstand stoßen. Auch die Autorin Ayelet Waldman gehört zu dieser Gruppe, weil sie 2005 in einem Essay für die New York Times schrieb, sie würde ihren Mann mehr lieben als ihre Kinder. „Wenn ich, Gott bewahre, eines meiner Kinder verlieren würde, oder sogar alle meine Kinder (Gott bewahre!), hätte ich immer noch ihn, meinen Ehemann“, schrieb sie. „Aber ich kann mir einfach keine Zukunft nach dem Tod meines Ehemanns vorstellen.“ Mit diesen paar Zeilen hat Waldman einen Shitstorm ausgelöst, bevor es dieses virale Phänomen überhaupt gab.
15 Jahre später haben sich die Dinge zwar etwas verändert, doch auch heute stellen sich viele die ideale Mutter immer noch als weiße, gutbürgerliche Frau vor, die zuhause bleibt und sich ausschließlich auf den Nachwuchs konzentriert. Doch die Realität sieht anders aus: Die meisten Millennial-Mamas müssen arbeiten gehen, um ihrer Familie ein Dach über dem Kopf, Nahrung und Co. bieten zu können. Und trotzdem werden moderne Mütter in den Medien als geschlechtslose Hausmütter dargestellt, die befreit von der Last jeglicher Wissbegierde sind und deren Gedanken und Handlungen sich einzig und allein um die Wünsche und das Wohl ihrer Kinder dreht. Doch diese eng gefasste Definition des Begriffs “Mutter“ ist nicht nur erdrückend, sondern auch gefährlich. So zeigt beispielsweise eine Studie zu den Auswirkungen des “Intensive Parentings“ – einem Erziehungsstil, bei dem sich die Eltern übermäßig engagieren, sich in alle Entscheidungen und Aspekte des Lebens des eigenen Kindes einmischen und sich dadurch selbst kaum Raum lassen, ein eigenes Leben zu führen –, die Lebenszufriedenheit ist geringer bei Frauen, bei denen sich alles ums Kind dreht.
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Es ist einfach, in diese Falle zu tappen. Als unser Sohn auf die Welt kam, war ich so überwältigt von der psychischen und physischen Belastung, dass ich das Gefühl hatte, meine Welt verkleinern und meine komplette Aufmerksamkeit und Energie auf ihn richten zu müssen. Mein natürlicher Impuls war, für ihn Zeit von der Beziehung mit meinem Mann abzuzwacken. Dabei war es doch unsere Liebe gewesen, die diese hilflose kleine Person überhaupt erst kreiert hatte. Also haben wir beschlossen, uns wieder bewusst Zeit für einander zu nehmen – sei es in Form von Wochenendtrips, zusammen netflixen oder einfach nur gemeinsam einen Kaffee trinken, wenn unser Sohn noch schläft. Denn auch wenn es Waldman zugegeben sehr drastisch formuliert hat, im Prinzip drückt sie damit ja nur das aus, was viele fühlen: das Gefühl, vom Idealbild einer Mutter erstickt zu werden. In ihrem Essay macht sie eindeutig klar, dass sie nicht frei von sexuellem Verlangen und von der Sehnsucht nach ihrem Partner ist und das sie sich deswegen aber auch nicht schlecht fühlt. Diese Abwesenheit von Schuldgefühlen war für manche vielleicht das Krasseste an dem Artikel. Schuldgefühle scheinen die vorrangige Emotion zu sein, die von Müttern erwartet werden.
Ich kenne viele Mütter, die stolz ihre Kinder an der kurzen Leine führen und verkünden, dass sie noch nie eine Nacht getrennt von ihrem Nachwuchs verbracht haben. Doch ist es wirklich eine gute Idee, den ganzen Tag mit den Kindern zu verbringen?
Die Corona-Krise zwingt besonders Eltern von jüngeren Kindern zur 24/7-Kinderbetreuung. Doch ich frage mich manchmal, ob das wirklich noch “Quality Time“ ist und ob ich wirklich genug tue. Es vergeht ein Tag nach dem anderen und ich habe nicht mal einen Moment Zeit, um auch nur zu überlegen, wie es mir eigentlich geht, wie ich mit der Pandemie klarkomme. Vom Thema Selfcare ganz zu schweigen. Doch das ist nicht gesund. Gerade in stressigen, unsicheren, furchteinflößenden Phasen wie diesen ist es für jede Mutter wichtig, nein notwendig, sich Zeit für sich zu nehmen.
Während ich die Tage bis zum errechneten Geburtsterminmeines zweiten Kindes runterzähle, spüre ich, wie mich der Ehrgeiz antreibt undzurückhält. Ich hoffe, dass ich relativ kurz nach der Geburt meines Babyswieder mit dem Freelancen anfangen kann. Ich sehne mich danach, als physischesWesen wahrgenommen zu werden, als Summe meiner Rollen. Ich bin der Mittelpunktmeiner Welt und je besser es mir geht, desto besser bin ich auch als Partnerin,Autorin und Mutter. Das laut auszusprechen, sollte sich nicht wie Ketzereianfühlen.
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