Als Lauren Manecke circa zehn Jahre alt war, verknallte sie sich zum allerersten Mal in einen Promi. Sie war total in John Stamos’ Charakter Onkel Jesse aus der Sitcom Full House verliebt und schaltete jeden Abend ein, um den Lederjacken- und Elvis-Fan im TV anzuschmachten.
„Abgesehen vom ganz Offensichtlichen – seinem tollen Aussehen – war Onkel Jesse auch noch clever und gerissen, und mir gefiel, wie albern er war“, erzählt die heute 26-jährige Lauren. „Er kann singen, ist ein Familienmensch, ist lustig und sieht gut aus. Was könnte man daran nicht lieben?“
Seit ich mich mit Lauren unterhalten habe, habe ich von vielen Leuten Ähnliches gehört – über alle Altersklassen und Gender hinweg. Irgendetwas an John Stamos, oder zumindest seiner Rolle, schien etwas in vielen Kindern und Jugendlichen anzusprechen, vor allem unter Millennials.
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Es kann lustig und sogar ein bisschen peinlich sein, sich an die Promis, Cartoon-Charaktere (hey, Shego aus Kim Possible!) oder Klassenkamerad:innen zurückzuerinnern, für die wir während unserer Jugend geschwärmt haben. Dabei sind diese ersten Verknalltheiten aber für unsere Entwicklung überraschend entscheidend: Prinzipiell können diese Crushes „ein gesunder und wichtiger psychologischer Schritt in der Entwicklung eines Kindes sein“, meint Dr. Rebecca (Riva) Tukachinsky Forster, Professorin an der Chapman University und Autorin von Parasocial Romantic Relationships: Falling in Love with Media Figures (z. Dt.: Parasoziale romantische Beziehungen: Verliebt in Medienfiguren). Diese Verknalltheit bereitet Kinder mental auf echte Beziehungen im späteren Leben vor. Während diese Crushes zwar meist einseitig sind (eine Verbindung, die parasoziale Interaktion bzw. Beziehung genannt wird), bieten sie „eine Möglichkeit zum Herumexperimentieren und Ausprobieren verschiedener romantischer Identitäten, um sich selbst, die eigenen Wünsche und Gedanken besser zu verstehen sowie erste Skripte für und Erwartungen an zukünftige Beziehungen zu entwickeln“, erklärt Dr. Tukachinsky Forster.
Die Sozialarbeiterin Nadine Thompson, 61, erinnert sich an ihren ersten Crush: Sie verknallte sich in ihrer Heimat Trinidad in ihren Babysitter. „Er war sehr clever und intelligent und las mir viele Kindergeschichten vor, wenn er vorbeikam“, sagt sie. „Das hat in mir eine tiefe Liebe zum Lesen verfestigt, und vor allem die Liebe dazu, etwas vorgelesen zu bekommen. Seitdem fühle ich mich zu intelligenten Männern hingezogen, die gerne lesen – und habe sogar [so einen Mann] geheiratet.“
Wie auch Lauren war die 23-jährige Shelby Hall in einen Jesse verknallt – nur nicht in Onkel Jesse aus Full House, sondern in den von Drew Roy gespielten Charakter in Hannah Montana. Sie glaubt, das sei das erste Anzeichen ihrer Vorliebe für sogenannte „Bad Boys“ gewesen, die sie bis in die ersten Studienjahre attraktiv fand. Für die 22-jährige Danielle Tancredi ging es in eine etwas andere Richtung: Ihr erster Crush war Johnny Depp als Willy Wonka in Charlie und die Schokoladenfabrik. „Meine Freunde standen alle auf Zac Efron und Nick Jonas, und ich dann immer nur so: ‚Aber Willy Wonka!‘ Auf diesen androgynen, genderfluiden Look stehe ich bis heute“, erzählt sie.
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Als Teil einer Umfrage fragte Dr. Tukachinsky Forster 566 Leute nach ihren ersten Verknalltheiten. Die meisten berichteten, das zuerst mit zehn oder elf Jahren erlebt zu haben – etwa im selben Alter also, als sich Lauren in Onkel Jesse verliebte. Dr. Tukachinsky Forster vermutet, dass wir uns meist zum ersten Mal ganz zu Beginn der Pubertät verlieben, was in manchen Fällen schon etwa im sechsten Lebensjahr sein kann. Stimmt diese Theorie, würde das bedeuten, dass unsere erste Verknalltheit zumindest zu einem gewissen Grad hormonell bedingt sein könnte.
Zu diesem Zeitpunkt sind die Interessen, Werte und Wünsche eines Kindes aber natürlich noch nicht vollständig entwickelt, weswegen sich Kinder bei den ersten romantischen Gefühlen noch leichter von außen beeinflussen lassen – zum Beispiel dadurch, wen ihre Freund:innen mögen, wer am häufigsten in der Bravo zu sehen ist oder wer in Filmen als besonders begehrenswert dargestellt wird. Shelby beispielsweise fühlte sich instinktiv zu Jesse in Hannah Montana hingezogen, erinnert sich aber auch noch daran, dass sie sich zu Beginn der Grundschulzeit in einen „sportlichen Jungen verknallte, auf den alle standen“. Der Sexualpädagoge Greg Smallidge nennt so etwas „community crushes“, sprich: „gemeinsame Verknalltheiten“. „Oft beobachten wir andere Leute und ahmen sie nach, bevor diese imitierten Gefühle, Ideen oder Handlungen wirklich zu unseren werden“, erklärt er.
Auch hier zeigt sich die fehlende Repräsentation und Diversität in den Medien – insbesondere bei jungen Kindern, die erst nach und nach eigene Vorstellungen davon entwickeln, welche Art von Beziehungen „in Ordnung“ sind, betont Dr. Tukachinsky Forster. „Forderst du ein junges Kind dazu auf, dir ein Date zu beschreiben, wird es vermutlich etwas antworten wie: ‚Der Junge holt das Mädchen ab und geht mit ihr in ein schönes französisches Restaurant‘“, meint sie. „Das ist sehr stereotypisch und heteronormativ. Repräsentation ist extrem wichtig, und Studien haben erwiesen, dass insbesondere LGBTQ+-Teenager Rollenvorbilder brauchen, mit denen sie sich identifizieren können und von denen sie sich vertreten fühlen.“
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Das soll nicht heißen, dass queere Kinder in der weißen, heterosexuellen, cis Medienwelt bisher nicht herausfinden konnten, worauf sie eigentlich stehen. Dr. Tukachinsky Forster erzählt, dass sich viele Menschen der LGBTQ+-Community daran erinnern, schon früh in Charaktere desselben Geschlechts verknallt gewesen zu sein – selbst wenn diese Figuren als heterosexuell dargestellt wurden. Eine Person, die Dr. Tukachinsky Forster für ihre Studie befragte, erzählte ihr, Jennifer Lawrence aus Die Tribute von Panem sei ihr erster Crush und ein wichtiger Bestandteil ihrer Erkenntnis gewesen, dass sie queer war. Eine stärkere Medienpräsenz unterschiedlicher Körpertypen, Identitäten und Beziehungen kann jungen Erwachsenen auf ihrem Weg der Selbstentdeckung und -akzeptanz eine große Hilfe sein.
Natürlich stehen nicht alle Erwachsenen, die als Kinder in Onkel Jesse verliebt waren, heute auf Musiker:innen mit tollem Haar, Lederjacke und einem Herz aus Gold. „Zu welchem Grad deine ersten Verknalltheiten deine späteren Interessen beeinflussen, ist noch unklar“, sagt Dr. Tukachinsky Forster. „Einige der Personen, die ich interviewt habe, sind davon überzeugt, dass diese ersten Crushes auch ihre Vorlieben als Erwachsene beeinflusst haben; andere wiederum nicht.“
Der 27-jährige Billy Dyke gehört zu Ersteren: Er erkennt in seinem jetzigen Liebesleben eindeutige Spuren seiner Kindheits-Verknalltheiten. Er weiß noch, dass er damals oft an Will Smith dachte, obwohl er seine Gefühle damals nicht als Verliebtheit erkannte. „Ich bevorzuge immer noch Männer mit starken Persönlichkeiten und einer Tendenz zur Angeberei – solange sie letztlich trotzdem nette Leute sind, natürlich“, erzählt Dyke. „Außerdem war ich ein bisschen in Sigourney Weaver in Alien verliebt.“ Er ergänzt: „[Als Kind] wirkt diese Verknalltheit aber einfach wie eine extreme Version davon, jemanden als deine:n beste:n Freund:in zu sehen.“
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„So sehe ich das jedenfalls“, fährt er fort. „Rückblickend. Ich finde auch, dass sich diese Gefühle abhängig von der jeweiligen Persönlichkeit des Kindes immer anders anfühlen – vor allem als LGBTQ+, wie in meinem Fall.“ Da stimmt ihm der Sexualpädagoge Greg Smallidge zu. „Dein erster Crush ist vielleicht nicht jemand, zu dem:der du dich später wirklich sexuell hingezogen fühlst. Das ist aber auch normal, weil diese Gefühle meist nicht auf etwas Sexuellem basieren. Dabei geht es oft um ein warmes Gefühl, um freudige Aufregung“, erklärt er.
Während sich Billy Dyke in Will Smith verknallte, verknallte ich mich in Bylle Dyke. Wir waren in derselben Kindergartengruppe, und ich verbrachte viele Pausen damit, ihn quer über den Spielplatz zu jagen und zu versuchen, ihn zu küssen (rückblickend definitiv kein cooles Verhalten).
„Ich fand das Gejage über den Spielplatz damals ziemlich normal, glaube ich“, erzählt er mir heute. „Es war nur deswegen was Besonderes, weil du meine treueste Spielgefährtin warst, bist du wegzogst. Die meisten anderen Kinder spielten immer mal mit anderen Gruppen, aber du bliebst an meiner Seite – und umgekehrt.“
Der Hauptgrund für meine Gefühle für Billy damals war seine süße Art, und als wir jetzt nochmal miteinander quatschten, erkannte ich, dass sich daran kaum was geändert hatte. Er beantwortete meine Fragen so lieb. Ich hoffe, dass sich meine kindliche Anziehung zu netten Typen auch bis ins Erwachsenenalter durchgesetzt hat; ich könnte mich glücklich schätzen, mal einen lieben Kerl wie Billy zu daten.
Selbst, wenn dein erster Crush eine totale Anomalie war, macht es letztlich trotzdem Spaß, dich daran zu erinnern. „Das Coolste an einem Kindheitsschwarm ist, dass er nur dir gehört“, meint Smallidge. „Die Erinnerung daran trägst du schon sehr lange mit dir rum, und das kann etwas sehr Süßes sei. Manchmal sehen wir diese Gefühle als Kompliment für die Person, auf die sie gerichtet sind; dabei zeigt eine Verknalltheit vor allem, dass die verknallte Person ein offenes Herz hat und bereit ist, sich für diese Liebe verwundbar zu machen. Diese Gefühle sind ganz und gar deine. Sei stolz darauf – denn sie haben dich gelehrt, was es bedeutet, andere zu lieben.“
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