Lieber Paco,
meine Partnerin und ich teilen unser Geld ziemlich locker untereinander auf. Wir haben kein festes System, teilen uns aber zum Beispiel die Kosten für Einkäufe oder Restaurantbesuche und halten uns an eine „Du zahlst heute, ich nächstes Mal“-Regelung. Wir wohnen zusammen und teilen uns die Miete. Wir erzählen uns, wenn wir mal ein bisschen mehr Geld zur Verfügung haben, und reden ganz offen darüber, wenn das Geld bei ihr oder mir mal knapp wird. Wir sind in einer glücklichen Beziehung, und ich habe nie gierig auf „Ihrs“ und „Meins“ geachtet.
Letzte Woche habe ich aber erfahren, dass sie ein separates Sparkonto hat, das sie nie erwähnt hat. Ein geheimes Bankkonto, auf dem ein ordentlicher Batzen Geld liegt. Ich bin total perplex, aber es fällt mir schwer, ihr meine Gefühle dazu auszudrücken. Ich dachte, wir seien zusammen auf dieser Reise durch unsere 20er, während der wir nicht viel Geld verdienen, aber halbwegs über die Runden kommen und uns hoffentlich sogar ein bisschen steigern. Jetzt habe ich aber den Eindruck, wir gehen dabei nicht, wie gedacht, Hand in Hand – sondern laufen nur zufällig in dieselbe Richtung. Sie hat versucht, mir zu erklären, sie habe das Konto nicht absichtlich verheimlicht und dass es für unser Leben und unsere Finanzen irrelevant sei, weil es nur eine letzte Notfall-Lösung, ein „Flucht-Konto“ sei – etwas, worauf sie zurückgreift, wenn eine ernste Beziehung toxisch wird und sie einen Ausweg braucht. Dadurch fühlte ich mich aber noch schlimmer, nämlich so, als sei sie schon immer mit einem Fuß zur Tür raus gewesen. Ich weiß nicht, wie ich meine Gefühle dazu verarbeiten oder weiter mit ihr darüber sprechen soll.
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Liebe:r Verblüffte:r,
ich verstehe, dass dich diese Enthüllung verletzt hat. Aber selbst obwohl deine Partnerin genau genommen finanzielle Informationen vor dir verheimlicht hat, lässt sich das in diesem Kontext weder als „eindeutig richtig“ noch als „eindeutig falsch“ betrachten. So weh es auch tut – theoretisch ist es immer eine vernünftige Idee, getrennte Notfall-Ersparnisse zu haben. Bei der Umsetzung dieser Theorie in die Praxis läuft oft aber nicht alles so glatt wie geplant. Sehen wir uns mal genauer an, was hier passiert ist und wie ihr weitermachen könnt.
In diesem Fall scheint es, als gäbe es hier zwei verschiedene Probleme, denen ihr euch widmen solltet. Das erste: Trotz guter Absichten hat dich deine Partnerin genau genommen finanziell „betrogen“. Vielleicht hätte sie vorher schon offener mit ihren Nebenersparnissen umgehen können, und das hätte eventuell einen Unterschied gemacht – vielleicht aber auch nicht, weil da eben noch das zweite Problem ist: deine Gefühle dazu, dass sie ihre Ersparnisse als „Fluchtgeld“ bezeichnet.
Bei diesem zweiten Punkt hätte sie definitiv statt „Flucht-Konto“ etwas wie „Notfall-Geld“ sagen und damit deine Gefühle etwas schonen können – und vermutlich trifft es das sogar besser. Ich schätze, sie würde schließlich auch auf dieses Geld zurückgreifen, wenn sie nicht mehr arbeiten könnte oder es zu einer anderen unvorhersehbaren Situation käme. Es ist wichtig, dass du verstehst: Bloß, weil sie einen Finanzplan hat, der nach ihrem Worst-Case-Szenario benannt ist, ist das allein noch kein Beweis dafür, dass sie eure Beziehung nicht komplett ernst nimmt.
Überdenke deine Gefühle
Es hört sich an, als würdest du jetzt glauben, nachdem du von ihrem „Flucht-Konto“ und ihrer Verheimlichung erfahren hast, sie wolle eure Beziehung beenden. Das kannst du aber nicht wissen, bevor du mit ihr darüber gesprochen hast. Davor empfehle ich dir, deine eigenen Gefühle zu sortieren und, wo es nötig ist, Verantwortung zu übernehmen. Nur so kannst du sichergehen, dass du dich selbst klar ausdrücken und ganz ruhig für dich selbst argumentieren kannst.
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Das Ziel dabei sollte sein, darüber zu sprechen, wie die Enthüllung dieses Kontos bei dir ankam, wieso sie damit nicht offener umgegangen ist und warum sie das Geld für nötig hält. Du hast erwähnt, dass du nicht weißt, wie du deine Gefühle dazu strukturieren sollst. Wie machst du das denn sonst? Wie hast du in der Vergangenheit versuchst, deine Gefühle zu verstehen und verarbeiten? Vielleicht hilft dir dabei ein Tagebuch, oder eine Therapie, oder künstlerische Arbeit, oder eine Jogging-Runde um den Block?
Hier ein paar Fragen, die ich mir selbst in deiner Situation stellen würde: Spiegelt das Verhalten meiner Partnerin ein größeres Problem in unserer Beziehung wider? Was bedeutet das „Flucht-Konto“ meiner Partnerin für mich und unsere Beziehung? Warum? Entspricht das der Wahrheit? Wann habe ich schon mal Situationen wie diese erlebt, in der ein:e Partner:in nicht komplett offen mir gegenüber war? Was ist in diesem Szenario passiert? Beeinflusst der Kontext ihres Verhaltens meine Gefühle? Vor welchem Worst-Case-Szenario fürchte ich mich?
Es ist völlig normal, beim Verarbeiten deiner Gefühle ganz viele verschiedene Emotionen zu durchleben. Lass dir Zeit, bleib geduldig und nimm dir den Freiraum zum Heilen.
Bedenke den Kontext
Es ist wichtig, dass du dabei bedenkst: Jede:r hat eine ganz eigene Vorstellung davon, wie Geld funktioniert oder funktionieren sollte. Unsere persönlichen Erfahrungen beeinflussen unsere Einstellungen, Ideen und Überzeugungen.
Vielleicht wurde deine Partnerin in einem Umfeld erzogen, in dem ihr immer der Wert eines finanziellen Notfallplans vermittelt wurde. Womöglich haben ihr ihre Eltern schon früh gesagt, dass sie – und alle Frauen – immer eigenes Geld parat haben sollte. Oder vielleicht hat sie ihr „Flucht-Konto“ vor zehn Jahren eröffnet, nachdem sie in einem Artikel gelesen hat, wie wichtig das sein kann. Eventuell hat sie auch miterlebt, wie jemand in einer scheinbar perfekten Beziehung dieser plötzlich mithilfe eines solchen „Flucht-Kontos“ entkommen musste.
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Als Frau in dieser Welt fühlt man sich fast immer in gewisser Hinsicht unsicher. In vielen Situationen und in manchen Beziehungen ist das Machtverhältnis unausgeglichen, und das vielleicht nicht zu deinen Gunsten. Um diese Realität zu bewältigen, muss man manchmal aktiv werden – zum Beispiel durch einen Selbstverteidigungskurs, oder eben durch ein finanzielles Sicherheitspolster. Noch dazu ist finanzielle Sicherheit für Frauen, unabhängig von einem:einer Partner:in, noch ein relativ neues Konzept.
Was könnt ihr unternehmen, um da zusammenzufinden?
Während ich selbst zwar nichts gegen getrennte Notfall-Konten habe, gibt es ein paar finanzielle Schritte, mit denen du und deine Partnerin eure Beziehung wieder kitten könnt.
Regelmäßige Finanz-Dates, bei denen ihr euch die Zeit und den Freiraum nehmt, um eure jeweiligen Finanzen und Situationen besser zu verstehen, bauen für euer jetziges und zukünftiges finanzielles Leben ein solides Gerüst auf. Nutzt diese Zeit, um euch gemeinsam über ein finanzielles Thema zu informieren, diskutiert miteinander und arbeitet zusammen auf Ziele hin. Managt euer Budget und organisiert eure Finanzen.
Wenn ihr gerne noch einen Schritt weiter gehen würdet, solltet ihr darüber nachdenken, ein gemeinsames Konto einzurichten und geteilte Ausgaben darüber zu bezahlen. Das kann eurem jetzigen Modell sehr ähnlich sein – anstatt aber alles von euren getrennten Konten zu bezahlen, zahlt jede:r von euch monatlich einen bestimmten Betrag auf das gemeinsame Konto, das ihr dann zusammen nutzt.
Ihr wollt noch mehr? Dann setzt euch gemeinsame Sparziele und richtet euch ein geteiltes Sparkonto ein. Ich würde außerdem empfehlen, dass ihr ein schlichtes Schriftstück aufsetzt, in dem ihr festhaltet, wie ihr eure Ersparnisse aufteilen wollt, falls ihr euch doch mal trennt. Niemand plant oder wünscht sich eine Trennung – aber wir sind Erwachsene und sollten uns selbst und einander schützen, während wir gerade kühle Köpfe haben.
Paco de Leon ist persönlicher Finanzberater.
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