Wann immer ich etwas Wichtiges erledigen möchte – vom Sport übers Schreiben bis hin zu Treffen mit Freund:innen –, werfe ich einen Blick in meinen Kalender und richte mir die nötige Zeit dafür ein. Und das gilt auch für Sex.
Meinem Partner und mir nimmt das Planen unserer Intimität den Druck, „genug Sex“ haben zu müssen, und schenkt uns gleichzeitig etwas, worauf wir uns freuen (und gegebenenfalls vorbereiten) können. Dabei ist das Planen vom Sex aber viel komplizierter, als nur einen Tag und eine Uhrzeit auszumachen: Es ist emotional herausfordernd, ganz offen darüber zu sprechen, wie viel Sex beide Beteiligten haben möchten und was sie dafür gegebenenfalls zu opfern bereit sind – Zeit, Schlaf, eine Folge einer Netflix-Show? In manchen Fällen können diese Gespräche auch tiefe Probleme in einer Beziehung aufzeigen.
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Letzten Sommer habe ich Leute zu einem anderen Artikel zu diesem Thema interviewt und stolperte in dem Zusammenhang immer wieder über die dabei eine große Rolle spielende persönliche Identität. Es stellte sich heraus, dass viele Sex-Planer:innen – inklusive mir selbst – anfangs so ihre Schwierigkeiten damit hatten, die gemeinsame Intimsphäre in den Kalender zu schreiben, weil wir Angst vor dem hatten, was das über uns aussagen würde. Wir hatten alle die Message verinnerlicht, dass Sex etwas Spontanes sein sollte – und dass etwas mit uns, unseren Partner:innen oder Beziehungen nicht stimmte, weil wir ihn vorausplanen mussten.
Für Menschen wie Jenny True, Kolumnistin und Autorin von You Look Tired: An Excruciatingly Honest Guide to New Parenthood, steht das Planen vom Sex im direkten Widerspruch zu dem Bild, was sie von sich selbst haben. True erzählt mir, dass sie früher sexuell deutlich aktiver gewesen sei und diesen Teil ihres Lebens inzwischen vermisse. „Ich habe Dutzende Sexpartner:innen gehabt, in allen möglichen Situationen, und ein Teil meiner Identität war immer darauf aufgebaut, dass ich die war, die dazu ‚bereit‘ war“, sagt sie. „Falls sich nicht etwas dramatisch verändert, ist dieser Teil meines Lebens jetzt aber abgeschlossen, und das heißt, ja, ein Teil von mir ist fort. Manchmal fühle ich mich deswegen in Sachen Selbstidentität ein bisschen verloren.“
Ich kann das gut nachvollziehen. Als ich von einer extrem leidenschaftlichen, aber langfristig ungesunden Beziehung in eine respektvolle, schöne, weniger „wilde“ Ehe überging, veränderte sich auch meine Identität – insbesondere in Bezug auf meinen Körper. Meine vorherige Beziehung mit ihrem Fokus auf körperliche Nähe spielte damals eine große Rolle in meiner Akzeptanz meines eigenen Körpers. Als ich diese konstante Bestätigung verlor, warf mich das aus dem Gleichgewicht. Dating war nur ein trauriger Trost, und irgendwann wurde mir (durch jede Menge Therapie) klar, dass jedes Selbstbild, das von einer anderen Person abhängt, zwangsläufig zerbrechlich ist. Trotzdem herrscht bis heute noch immer Krieg zwischen meinem rationalen Denken und meinen instinktiven Selbstzweifeln.
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Mit dieser Seite meiner Identität habe ich häufig zu kämpfen. Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht gerade von einem anstrengenden Partner begehrt werde? Und was sagt das über meinen selbsterklärten Feminismus, dass ich mir überhaupt diese Frage stelle? Was sagt es über mich, meine Begehrlichkeit und meine Verbindung zu meiner eigenen Leidenschaft aus, dass ich mir Sex in den Kalender schreiben muss, um sicherzugehen, dass er nicht zugunsten von Schlaf oder anderen Verpflichtungen zu kurz kommt? Ist das einfach ein typisches Symptom des Älterwerdens oder Beschäftigtseins, oder ein Anzeichen einer tieferen Veränderung?
Das Planen vom Sex kann die eigene Identität in vielerlei Hinsicht infragestellen. Der Beziehungscoach Andrew Thomas Roth empfiehlt seinen Klient:innen häufig, den Sex im Voraus zu vereinbaren – und tut das in seiner Ehe selbst –, erzählt aber, dass viele seiner cis männlichen Kunden in heterosexuellen Beziehungen ein wenig überheblich auf seinen Rat reagieren. „Als Männer wurden sie darauf konditioniert, zu erwarten, dass Frauen mit ihnen schlafen wollen“, sagt er. „Zu unterstellen, ein Mann müsse dafür arbeiten, eine Frau sexuell zu interessieren, kommt ihnen schnell wie eine Beleidigung ihrer Männlichkeit vor.“
Um damit umzugehen, empfiehlt Roth seinen Klient:innen, „selbst die Verantwortung für die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu übernehmen. Es ist ein Privileg, einem Partner bzw. einer Partnerin sexuell nah zu kommen, und das sollte man sich verdienen wollen“. Er rät zu einem „respektvollen, verführerischen Mindset“ und dazu, Leidenschaft und Erregung aktiv zu fördern. „Ein wenig psychologische Bildung hilft meinen Klient:innen stark, wenn sie in einer Kultur aufgewachsen sind, in der die Pornografie die stärkste Quelle der Sexualkunde ist.“
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Unser Mindset dementsprechend in neue Bahnen zu lenken, kann aber eine große Herausforderung sein. Ich habe immer noch manchmal das Gefühl, versagt zu haben, wenn mein Partner nicht durchgehend Lust auf mich hat. Dann mache ich vermeintliche „Witze“ darüber, ob ich mich „gehen gelassen“ habe, um zu erfühlen, ob er sich immer noch zu mir hingezogen fühlt. Ob wir wollen oder nicht – wir verbinden unseren Selbstwert automatisch mit unserer Begehrlichkeit. Was sind wir eigentlich wert, wenn wir nicht alle Blicke auf uns ziehen?
Als jemand, die sich während ihrer Jugend weitestgehend unsichtbar gefühlt hat, kann ich nicht leugnen, dass es sich gut anfühlt, begehrt zu werden. Und unter anderem deswegen ist es so schwierig, mich mit der Idee anzufreunden, Sex zu planen. Im Gegensatz zu anderen Faktoren, die unsere Identität beeinflussen, ist die Häufigkeit vom Sex nicht komplett unabhängig von anderen Menschen, wenn wir in einer monogamen Beziehung sind. Da spielt noch eine andere Person eine Rolle, und deren Leidenschaft und Energie hat mit uns vielleicht gar nichts zu tun. Oder vielleicht empfindet diese Person doch jede Menge Leidenschaft, hat aber einfach gerade nicht genug Kraft, um spontanen Sex zu initiieren. Wenn ich damit aufhöre, in dieser Gleichung immer nur meine Seite zu bedenken, erinnere ich mich bewusst daran, dass ich selbst zwar oft Lust auf meinen Partner habe, das Timing aber gerade vielleicht einfach nicht mitspielt.
Leidenschaft ist eben keine binäre Angelegenheit, die sich in „geil“ / „nicht geil“ aufteilen lässt. Obwohl es sehr wohl zum spontanen Verlangen kommen kann, passiert das für viele Menschen immer seltener, je älter wir (oder unsere Beziehungen) werden. Oft tritt dann reagierendes Verlangen an seine Stelle, wo sich die Erregung erst als Reaktion auf eine verbale oder körperliche Interaktion ergibt. Wie Roth sagt: „Verlangen passiert im Kopf, Erregung im Körper.“ Und genau deswegen kann es sich lohnen, Sex zu planen, meint er. Dadurch können sich Pärchen „darauf konzentrieren, den Partner bzw. die Partnerin zu erregen, indem sie die Situation schaffen, in der das Verlangen wachsen kann.“ Durch nicht-sexuelle Berührungen oder andere Interaktionen lässt sich die Vorfreude vertiefen, bevor es dann richtig losgeht. So machen wir es schließlich auch in den Anfangszeiten einer jeden Beziehung, wenn wir unsere Partner:innen vielleicht tagelang nicht sehen. Warum sollten wir diese Energie nicht auch unseren Langzeitbeziehungen einhauchen?
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True jedenfalls fühlt sich in ihrer Identität wieder bestätigt, wenn sie sich daran erinnert, dass sich auch in anderen Lebensbereichen vieles bei ihr geändert hat. Sie plant ihren Sex heute größtenteils deswegen, weil sie und ihr:e Partner:in ein kleines Kind haben, das viel Zeit und Energie erfordert. „Dadurch habe ich die Verbindung zu vielem verloren, von dem ich mir vorher sicher war, es würde mich ausmachen“, erzählt sie. „Spontaner Sex spielte darin eine große Rolle. Ein Teil meiner Leidenschaft ist aber in andere Bereiche übergegangen.“
Diese Veränderungen gehören zum Leben dazu. Ich habe während meiner 20er gedacht, ich würde niemals ein Haus besitzen – und dann freute ich mich doch darüber, mir mit 33 eines leisten zu können. Dafür kann ich heute nicht mehr einfach alles abreißen und in ein anderen Land ziehen, wie ich es nach dem Studium getan habe. Gleichzeitig arbeite ich darauf hin, irgendwann zur Mutter zu werden, und weiß, dass ich viele Freiheiten für das Privileg hergeben werde, ein Kind großziehen zu dürfen. Ich bin nicht mehr derselbe Mensch wie in meinen 20ern. Manchmal trauere ich dieser Frau hinterher. Trotzdem weiß ich, dass ich sie niemals mehr sein möchte sein.
Ich habe begriffen, dass das Einplanen der Intimität eine wichtige Methode war, um ihr und meinem Mann die nötige Priorität einzuräumen. Im Voraus darüber zu sprechen, stärkt die gemeinsame Kommunikation und damit auch die Beziehung – und je mehr Zeit wir uns für Sex nehmen, desto klarer wird uns, wie viel Spaß er uns macht. Ja, sogar mehr als eine Extrastunde Schlaf.
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