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„Ich brauchte diese Jahre“: 5 Menschen, deren Abtreibung ihr Leben veränderte

Ballons im Blau der demokratischen Partei der USA und schluchzende Frauen: Das war das Erste, was El Sanchez durch den Kopf schoss, als er:sie davon erfuhr, dass der amerikanische Supreme Court höchstwahrscheinlich das Urteil Roe v. Wade kippen dürften – die bahnbrechende juristische Entscheidung von 1973, die die Abtreibung in den Vereinigten Staaten legalisierte. El Sanchez dachte direkt an den Abend der Präsidentschaftswahl von 2016 zurück, an dem er:sie bei einer Party in seinem:ihren Heimatstaat Washington war. Als damals klar wurde, dass Donald Trump den wichtigsten Job im ganzen Land – wenn nicht gar auf dem ganzen Planeten – bekommen würde, sah Sanchez ein paar Frauen in der Ecke des Raumes weinen, umringt von blauem Dekor und ebenso blauen Blumen. Sie alle hatten geglaubt, dass Trumps damalige Konkurrentin Hillary Clinton den Posten so gut wie sicher gehabt hatte. Als Sanchez zu den Frauen hinüberging, schrie eine von ihnen: „Sie kommen! Sie werden kommen. Sie nehmen uns unsere Rechte!“ Sanchez erzählt: „Ich weiß noch, dass ich dachte: Ich hoffe, ich erinnere mich später nicht an diese Worte.“
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Fast sechs Jahre später hat er:sie den Eindruck, die Frauen hatten womöglich Recht.
Obwohl Donald Trump sicherlich nur ein Faktor der langen Geschichte davon ist, wie vereinzelte Menschen und ganze Institutionen nach und nach an den Rechten zur reproduktiven Selbstbestimmung gekratzt haben, steht es um die Abtreibungs- und Menschenrechte in den USA aktuell besonders schlecht. Das mögliche Ende von Roe v. Wade könnte sich eventuell sogar auch über die Abtreibungsrechte hinaus auf den 14. Zusatzartikel der US-Verfassung auswirken und beispielsweise für LGBTQ+-Ehen und die Verhütungsrechte katastrophale Konsequenzen haben. Kein Wunder also, dass sich Sanchez Sorgen um die Zukunft macht – und dass er:sie als nichtbinäre Person im Kampf um ebendiese Rechte zu kurz kommen könnte.
Viele Amerikaner:innen haben eine komplizierte Beziehung zur Abtreibung – unter anderem wegen der damit verbundenen fortwährenden Stigmatisierung, meinen Expert:innen. Es gibt aber doch viele Menschen, die genau wissen, wie sie die Abtreibung betrachten: als lebensverändernden, manchmal sogar lebensrettenden Eingriff. Viele von ihnen hatten selbst schon eine oder haben sich stark dafür eingesetzt, dass andere eine bekommen können – oder beides. Wir haben mit fünf dieser Menschen darüber gesprochen, wie der freie Zugang zu einer Abtreibung ihr Leben veränderte, wie es zur jetzigen Situation überhaupt kommen konnte, sowie über all die Gefühle – sowohl die komplizierten als auch die ganz simplen –, die sie mit einer Abtreibung verbinden.
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Foto: bereitgestellt von Prisca Dorcas Mojica Rodríguez.

Prisca Dorcas Mojica Rodríguez, 37, Nashville, Tennessee

Prisca Dorcas Mojica Rodríguez fand heraus, dass sie schwanger war, kurz nachdem sie beschlossen hatte, nach vier Jahren Ehe ihren Mann zu verlassen. „Ich hatte gerade alle meine Sachen gepackt, war in eine neue Wohnung gezogen und wollte jetzt eigentlich damit anfangen, mir mein neues Leben als Single auszumalen“, erzählt sie. Gleichzeitig steckte sie gerade mitten im Studium, von dem sie wusste, dass sie es würde abbrechen müssen, um zu ihrer Familie zu ziehen, falls sie das Kind bekam. „Die Schwangerschaft verwirrte mich total, weil wir Frauen von der Gesellschaft vermittelt bekommen, dass wir Kinder wollen sollten. Manchmal müssen wir aber selbst herausfinden, was wir wirklich wollen.“ Sie entschied sich für eine Abtreibung.
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Als sie diese Entscheidung traf, hatte Mojica Rodríguez aber auch die Erwartungen ihrer Familie zu bedenken. Sie war die Tochter eines Pastors und in einem konservativen Haushalt aufgewachsen – erst in Nicaragua, bis sie sieben Jahre alt war, und dann in Miami, Florida. Sie heiratete früh, schon mit 23, weil das so von ihr erwartet wurde. Auch ihre Adoptivschwester prägte ihre ersten Gedanken über eine Abtreibung. Die leibliche Mutter ihrer Schwester hatte in Nicaragua versucht, eine illegale Abtreibung durchführen zu lassen, war danach aber im Krankenhaus gelandet und entschied sich schließlich, das Kind zur Adoption freizugeben, anstatt ihren Eltern zu gestehen, dass sie schwanger gewesen war. „Meine Mutter hat immer gesagt, dass Frauen diese Entscheidung [zur Abtreibung] später bereuen“, erinnert sich Mojica Rodríguez. „Als ich also meine Abtreibung hatte, wollte ich sichergehen, dass ich [danach] gründlich in mich hineinhörte, um herauszufinden, ob ich es irgendwie bereute. Aber nein – ich fühlte mich erleichtert. Ich weiß noch, dass ich die Klinik verließ und das Gefühl hatte, es sei eine riesige Last von mir abgefallen. Es hätte einfach so viel auf dem Spiel gestanden, hätte ich das Baby bekommen.“
Jahre später, als sie ihre Karriere als Schriftstellerin begann, wurde sie erneut schwanger und hatte eine weitere Abtreibung. „[Mein Partner und ich] sprachen ganz ernst darüber, weil ich zwar wusste, dass ich mit ihm zusammen sein wollte, mir meine Karriere gerade aber auch unheimlich wichtig war“, erzählt sie. „Wir erkennen oft gar nicht an, wie viel unsichtbare Arbeit Frauen verrichten, wenn sie Mütter sind. Obwohl ich jemanden an meiner Seite hatte, der mich echt unterstützte, wusste ich, dass es sehr schwer werden würde. Das wünschte ich mir für mein Leben einfach nicht.“ Drei Jahre später zog sie dann ihren ersten Buchvertrag an Land. Heute ist sie die Autorin von For Brown Girls with Sharp Edges and Tender Hearts. Diesen Erfolg verdankt sie zum Teil „der Entscheidung, mich auf mich selbst zu konzentrieren – was definitiv einem Feminismus entsprang, der mir nie beigebracht wurde, den ich aber einfach auslebte.“
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Das Abtreibungsrecht ist Mojica Rodríguez daher eine Herzensangelegenheit. Sie schreibt, um gegen die Stigmatisierung der Abtreibung anzukämpfen – und gegen den Irrglauben, eine Abtreibung würde man immer später bereuen. „Manche Leute brauchen sie, manche Leute wünschen sie sich“, sagt sie. „Da ist nicht immer diese sofortige Reue. Manchmal quälen wir uns auch mit der Reue anderer Leute. Ich dachte früher: Vielleicht bereue ich das, wenn ich 40 bin und keine Kinder habe. Aber jetzt bin ich fast 40 und denke immer noch: Nein, das war die beste Entscheidung, die ich damals hätte treffen können. Ich wäre sonst heute nicht da, wo ich bin.“
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Foto: bereitgestellt von Angela Fremont.

Angela Fremont, 71, New York City 

Schon seit Monaten taucht Angela Fremont bei jeder Demo für Abtreibungsrechte auf, die sie finden kann – immer mit einem schwarzpinken Schild, auf dem steht: „Ich habe 1969 eine illegale Abtreibung in Birmingham, Alabama, überlebt. #NieWieder.“ Damit zieht sie jede Menge Aufmerksamkeit auf sich. Am Tag, nachdem bekannt wurde, dass Roe v. Wade womöglich kippen könnte, war sie bei der großen Demo am Foley Square in New York City dabei. Viele junge Menschen kamen dort auf sie zu und dankten ihr dafür, dass sie ihre Story erzählte – einige teilten auch ihre eigenen Erfahrungen mit einer Abtreibung mit ihr. Eine junge Frau fing sogar an zu weinen, und Fremont drückte sie mit einem Arm eng an sich, während sie ihr Schild mit der freien Hand weiter hochhielt.
In genau solchen Momenten ist Fremont froh, ihre Erfahrungen teilen zu können – obwohl sie selbst glaubt, sie hätte ihre eigene Erfahrung gar nicht machen sollen müssen. „Warum ich hier bin und meine Geschichte erzähle, ist simpel: Die Leute sollten wissen, dass die Frauen auch weiter abtreiben lassen werden“, sagt sie. „Das haben sie schon immer getan. Die Frage ist nur: Werden sie weiterhin sichere Abtreibungen haben können?“ Obwohl sich die meisten Expert:innen darin einig sind, dass die USA nun nicht direkt wieder in die Zeit der unsicheren Abtreibungen von vor 1973 zurückfallen werden – dank Fortschritten wie medizinischen Abtreibungspillen und einem besseren und leichter verfügbaren Wissen rund um mögliche Optionen –, würde ein Abtreibungsverbot schwangeren Menschen doch ein gewisses Maß an Sicherheit rauben.
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„Ich habe Angst davor, dass Frauen im selben Zustand wie ich 1969 ins Krankenhaus fahren – ausblutend, mit Fieber, septisch, kurz vorm Sterben“, sagt sie. Damals war sie 18 und lebte in Miami. Der erste Arzt, an den sie sich damals wandte, fragte sie, „ob ich verheiratet sei, und als ich das verneinte, nannte er mich eine Hure und forderte mich auf, seine Praxis zu verlassen“, erinnert sich Fremont. Der zweite Arzt sagte ihr, er könne ihr nicht helfen, empfahl ihr aber, die Abtreibung in Puerto Rico durchführen zu lassen – was für sie zu teuer war. Sie fand schließlich eine günstigere Option in Alabama, wo ihr der Arzt mitteilte – während er mit einem Auge ein Baseball-Spiel im TV schaute –, sie sei schon zu weit fortgeschritten in der Schwangerschaft. Trotzdem verwies er sie an eine Frau, die ihr würde helfen können.
Am Ende fuhr sie eine Schotterstraße entlang zu einer heruntergekommenen Hütte, in der drei Hunde in „einem Zimmer [eingesperrt waren], in dem eine nackte Glühbirne über zwei Sägeböcken von der Decke baumelte, auf denen eine Sperrholzplatte lag“, erinnert sie sich. „[Die Frau, die die Abtreibung durchführte] erklärte mir, sie würde einen Schlauch über meinen Gebärmutterhals in meinen Uterus einführen und ich solle den Schlauch 24 bis 36 Stunden lang darin behalten.“ Fremont flog daraufhin nach Tallahassee in Florida, um sich bei Freund:innen zu erholen, die ihr dabei geholfen hatten, für die Abtreibung zu zahlen. Die waren aber irgendwann so besorgt, weil Fremont ein starkes Fieber entwickelte, dass sie sie vor einem Krankenhaus absetzten. Nachdem sie dort aggressiv von der Polizei verhört worden war, erfuhr sie, dass sie nicht als Patientin aufgenommen werden konnte, weil sie minderjährig war. Also musste sich eine andere Freundin für sie am Telefon als ihre Mutter ausgeben. Schließlich wurde sie doch im Krankenhaus aufgenommen, wo sie eine Ausschabung bekam. „Ich habe überlebt“, sagt Fremont heute. „Und da hatte ich echt Glück.“
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Ihre Abtreibung erlaubte es ihr, zu dem Menschen zu werden, der sie heute ist. Inzwischen ist sie verheiratet, zweifache Mutter, Künstlerin, Lehrerin und Aktivistin, die ihre eigenen Erfahrungen und ihre Plattform nutzt, um sich für Veränderungen einzusetzen.
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Foto: bereitgestellt von Ebony Wiggins.

Ebony Wiggins, 30, Nashville, Tennessee 

Es war ein eiskalter Wintertag, als die 22-jährige Ebony Wiggins im Pyjama in einer Praxis der Wohltätigkeitsorganisation Planned Parenthood auftauchte, die medizinische Dienste rund um die Sexualmedizin und Familienplanung anbietet. Am selben Morgen hatte sie zu Hause einen Schwangerschaftstest gemacht und sofort ihre Frauenärztin angerufen, als der positiv ausfiel. Dort hatte man sie an die Planned-Parenthood-Klinik verwiesen, wo sie direkt hektisch hingefahren war, ohne sich überhaupt die Zähne zu putzen oder die Haare zu kämmen. Sie bekam direkt eine medizinische Abtreibung, weil Tennessee zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Regel eingeführt hatte, dass Patient:innen erst 48 Stunden nach einem Beratungstermin eine Abtreibung bekommen dürfen. Sie ist heute froh darüber, dass ihr dieser verpflichtende, oft voreingenommene Beratungstermin erspar blieb. Trotzdem hätte sie die Abtreibung auch unter den heutigen Bedingungen durchgezogen – egal, was sie dafür hätte tun müssen, sagt sie.
Heute arbeitet sie in Vollzeit bei Planned Parenthood und setzt sich dort für diejenigen ein, die noch weniger Möglichkeiten haben als sie selbst. „Ich bin unheimlich dankbar für meine Abtreibung. Wenn die damals nicht möglich gewesen wäre, hätte ich jetzt womöglich ein achtjähriges Kind, und mein Leben wäre völlig anders“, erzählt Wiggins. „Ich könnte heute nicht diesen Job machen und hätte gar nicht die Zeit und den Freiraum, um zu dem Menschen zu werden, zu dem ich mich langsam entwickle.“ Das sind einige große Faktoren dessen, wie die Abtreibung ihr Leben zum Besseren verändert hat; ihr fallen aber auch ein paar kleinere Gründe dafür ein, warum sie heute so dankbar dafür ist. „Ich kann nach Hause kommen und mir dann aussuchen, worauf ich Lust habe“, erzählt sie. „Ich kann mir Real Housewives angucken, die Musik laut aufdrehen, ohne mir dabei Gedanken um ein kleines Kind machen zu müssen. Das ist ein großer Unterschied dazu, wie mein Leben [ohne die Abtreibung] heute sonst ausgesehen hätte. Gleichzeitig hat es mir erlaubt, mir darüber Gedanken zu machen, was für eine Mutter ich denn gern wäre, wann und falls ich mich für ein Kind entscheide. Ich sehe das so: Sobald ich Mutter bin, geht es nicht mehr um mich.“
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Bei der Arbeit hingegen geht es ihr vor allem um andere. Sie ist wütend darüber, dass Roe v. Wade womöglich fallen könnte – und über andere Gesetze und die Rhetorik, die die Abtreibung weiter stigmatisieren. „Niemand sollte sich für eine Abtreibung schämen“, meint Wiggins. „Es ist absolut nichts Verwerfliches, und die Entscheidung dazu ist eine ganz persönliche.“
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Foto: bereitgestellt von El Sanchez.

El Sanchez, 39, Olympia, Washington

El Sanchez ist der Meinung, dass alle Menschen ein Recht und einen Zugang zur Abtreibung haben sollten – egal, wie oft sie eine brauchen. Er:sie hat selbst schon zwei hinter sich. Bei der ersten war er:sie Mitte 20, als er:sie sich noch als Frau identifizierte. Die zweite folgte sechs Jahre darauf, nachdem sich Sanchez schon als nichtbinär geoutet hatte und Verhütungskomplikationen zu einer erneuten Schwangerschaft geführt hatten. Bei einer zweiten Abtreibung „giltst du plötzlich als furchtbarer Mensch“, erzählt er:sie. Bei der ersten Abtreibung fühlte er:sie sich noch total von feministischen Freund:innen mit Ohrringen in Form einer Spirale unterstützt; beim zweiten Mal hingegen hatte er:sie den Eindruck, fallen gelassen und verurteilt zu werden.
Es waren nicht nur Freund:innen und Verwandte, die die Entscheidung zur zweiten Abtreibung nicht zu verstehen schienen. Auch die medizinische Seite der Erfahrung war wahnsinnig isolierend, erzählt Sanchez. Während des ersten Eingriffs „brachte ich die Ärztin zum Lachen, sie schenkte mir Blumen und nannte mich die lustigste Abtreibungspatientin, die sie je gehabt habe“, erzählt Sanchez, der:die Stand-up-Comedy macht. Beim zweiten Mal hingegen „sprach das Personal dauernd mit dem falschen Pronomen von mir. Während des Eingriffs korrigierte ich sie immer wieder. Am Ende lag ich einfach da und weinte, weil ich mich so unverstanden fühlte.“
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Für Sanchez brachte diese Erfahrung auch eine verinnerlichte Scham an die Oberfläche. „Als mexikanische indigene Person habe ich schon an einigen Orten gelebt, die vor allem weiß waren, und musste dort immer gegen den Stereotyp ankämpfen, ich sei weniger wert“, erzählt er:sie. „Da ist außerdem dieses stereotypische Klischee, lateinamerikanische Menschen hätten immer viele Kinder. Das löste in mir Angst aus: Was würden die Leute von mir denken, weil ich mehrere Abtreibungen hinter mir habe?“
Obwohl er:sie diese verinnerlichte Scham und andere mit der Abtreibung verbundene Gefühle immer noch zu verarbeiten versucht, „glaube ich immer noch, dass es das Richtige war“, betont Sanchez. „Ich brauchte diese Jahre, um mich als Mensch weiterzuentwickeln. Das hätte ich nicht tun können, während ich einen anderen Menschen hätte großziehen müssen.“ Er:sie fügt hinzu, dass seine:ihre Karriere so auch nicht möglich gewesen wäre. „Ich wäre wohl in einem Kreislauf der Armut hängen geblieben, wenn ich früh Kinder bekommen hätte“, meint Sanchez.
Heute hat er:sie ein vierjähriges Kind. „Ich glaube, wenn ich mich nach meiner zweiten Abtreibung nicht so scheiße gefühlt hätte, hätte ich mein jetziges Kind vielleicht nicht bekommen“, gesteht Sanchez. „Das fällt mir schwer zu sagen, weil ich mein Kind heute als Menschen kenne – als Menschen, den ich liebe. Ich bin heute durch meine zwei Abtreibungen ein besserer Elternteil, wäre aber wohl ein noch besserer geworden, wenn ich mich dazu entschieden hätte, auch diese letzte Schwangerschaft abzubrechen.“ Er:sie beschreibt das als kompliziertes Gefühl und als schwierige Überlegung, weil Sanchez sein:ihr Kind schließlich liebt und alles für es tun würde. Letztlich findet er:sie aber, die Vorstellung einer dritten Abtreibung hätte nicht solche Schamgefühle auslösen sollen – und auch nicht bei der zweiten Abtreibung. „Es ist aber schwierig, weil dir diese Stigmata so aufgedrückt werden. Das ist so unfair.“
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Sanchez sieht das Ganze heute so: „Wenn du pro-choice bist, also für freie Abtreibungsrechte, solltest du auch dafür sein, dass jede Entscheidung der jeweiligen Person überlassen werden dürfte.“
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Foto: bereitgestellt von Valerie Peterson.

Valerie Peterson, 43, Las Vegas, Nevada 

Valerie Peterson war 17, als sie ihr erstes Kind bekam. Sie zog ihre Tochter während des Studiums groß und arbeitete nebenbei, als sie erfuhr, dass sie wieder schwanger war. Sie entschied sich für eine Abtreibung, um ihrer Tochter ihre volle Aufmerksamkeit schenken und sich selbst gleichzeitig ihren Traum erfüllen zu können, die Uni abzuschließen. Vier Jahre darauf hatte sie ihren Bachelor in der Tasche, auf den später noch ein Master und ein Doktortitel folgten.
Rund 17 Jahre nach dieser Abtreibung lebte die damals 36-Jährige mit ihren inzwischen zwei Kindern in Texas, als sie erneut schwanger wurde. Nach etwa zwölf Wochen fiel bei einer Untersuchung aber eine Abnormalität im Nasenknochen des Kindes auf. „Ich erfuhr, dass sich das Gehirn meines Sohnes nicht richtig entwickelt hatte“, erinnert sich Peterson. „Meine Ärzt:innen klärten mich gründlich darüber auf, was das bedeuten könnte. Sie sagten mir, ich könnte die Schwangerschaft abbrechen – oder eine Fehl- oder Totgeburt riskieren.“
Sie entschied sich für die Abtreibung und wollte sie direkt durchführen lassen, doch war das Ganze nicht so leicht. „Wegen eines Gesetzes wurden viele Abtreibungskliniken in Texas geschlossen. Es gab eine dreiwöchige Warteliste und die Uhr tickte: In meinem Bundesstaat war die Abtreibung nur bis zur 20. Schwangerschaftswoche erlaubt“, sagt sie. Außerdem hätte sie ein verpflichtendes Beratungsgespräch über sich ergehen lassen müssen, während dessen sie ein Foto des Babys gezeigt bekommen hätte, von dem sie wusste, dass sie es niemals würde aufwachsen sehen. All das war ihr zu viel. Nach einiger Überzeugungsarbeit seitens ihrer Familie reiste sie nach Florida und ließ dort eine Abtreibung durchführen. Heute ist Peterson dankbar dafür, dass sie die nötigen Ressourcen hatte, um dafür in einen anderen Bundesstaat zu fahren.
Ohne ihre Abtreibung hätte sie noch mehr „mentales Leid“ erfahren müssen, als sie ohnehin schon durchmachte, sagt sie. „Dieser Zugang zur Abtreibung hätte sich langfristig mental und emotional auf mich ausgewirkt, weil ich ein Kind in mir getragen hätte, das mich getreten oder sich gedreht hätte. Ich hatte die ganze Zeit Angst: Werde ich heute eine Fehlgeburt haben?“ Peterson hat ihre Geschichte öffentlich gemacht, weil sie der Meinung ist, dass niemand dasselbe durchmachen sollte wie sie, und dass jede:r die freie Entscheidung zu einer Abtreibung haben sollte – ohne dafür verurteilt zu werden.
„Ich bin ein Mensch“, sagt sie abschließend. „Ich spreche offen über meine Geschichte, weil ich zeigen will: Ich bin ein Mensch, der eine menschliche Erfahrung gemacht hat, der aber von vielen Leuten unmenschlich behandelt wurde.“

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