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Akne inversa: Mein einsames Leben mit der chronischen Krankheit

Imani Futrell war elf Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine kleine Beule in ihrer Leistengegend bemerkte. Erst dachte sie sich dabei nichts – doch schon nach kurzer Zeit tauchte die nächste an ihrem Unterarm auf, gefolgt von einer auf der Pobacke. Schnell entwickelten sich diese kleinen Beulen zu großen Zysten, die sie mit einem Verband zu verstecken versuchte. Es vergingen aber ganze fünf Jahre, bevor Futrell damit zu ihrer Ärztin ging, um herauszufinden, was eigentlich los war.
„Sie sagte mir: ‚Wir glauben, es könnte an dieser Krankheit leiden – und die ist nicht heilbar‘“, erinnert sich Futrell. „Meine Reaktion war ein entgeistertes ‚Wie bitte?‘, weil ich davon noch nie gehört hatte.“ Die Rede war von Hidradenitis suppurativa (HS), auch bekannt als Akne inversa, wegen ihrer schmerzhaften, akneähnlichen Knötchen. Futrell hat jetzt schon seit über einem Jahrzehnt HS und wartet aktuell auf ihre zweite OP an den Armen, bei der die Geschwüre behandelt werden sollen. Diese Operation ist allerdings bloß eine vorübergehende Lösung für ein wiederkehrendes Problem. „Das ist das Ding mit diesen Beulen“, erzählt Futrell gegenüber R29. „Sie verheilen – aber es kommen immer neue dazu.“
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Was ist Hidradenitis suppurativa?

Auf den ersten Blick kann HS anderen geläufigen Hautproblemen wie normaler Akne oder eingewachsenen Haaren ähneln, ist aber in Wahrheit etwas ganz anderes. Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen weltweit davon betroffen sind; bekannt ist aber, dass Frauen häufiger als Männer an Akne inversa leiden, und insbesondere Schwarze Frauen, meint die American Academy of Dermatology Association.
Die Unebenheiten werden anfangs oft erst für Mitesser gehalten, entwickeln sich aber mit der Zeit zu tief sitzenden, schmerzvollen Zysten, Läsionen und eiternden Abszessen an Körperstellen, die viel Reibung (auch Haut-auf-Haut-Reibung) ausgesetzt sind und Haarwurzeln sowie Schweißdrüsen enthalten. Dazu gehören typischerweise die Achseln, der Schritt, die Oberschenkel und die Brüste. „Die schmerzhaften Zysten sind wie große Pickel – rot, empfindlich und geschwollen“, erklärt Dr. Sandra Lee, Dermatologin und Gründerin von SLMD Skincare. „Durch diese Zysten können Tunnel unter der Haut entstehen, die sich Fisteln bzw. Fistelgänge nennen.“ Das heißt: Vielleicht taucht an einer Stelle eine Beule auf, die sich unter der Haut einen Tunnel „gräbt“ und schließlich an einer nahegelegenen Stelle wieder auftaucht und dort eitert.

Wodurch entsteht Hidradenitis suppurativa bzw. Akne inversa?

Obwohl HS demnach eine enorm kräftezehrende Krankheit sein kann, weiß die Forschung bis heute nicht komplett, wieso sie eigentlich entsteht. Der Dermatologe Dr. Dendy Engleman erklärt, dass vermutet wird, die Krankheit beginne damit, dass es in den Haarfollikeln zu einer Verstopfung durch Keratin (ein Protein, das die Haare, Nägel und äußere Hautschicht mitbildet) und Bakterienablagerungen kommt. Diese entzündeten Follikel platzen irgendwann, was dazu führt, dass die Ablagerungen ins umlegende Gewebe wandern und dort wiederum für Verstopfungen und Entzündungen sorgen. Ein Aufflammen dieser Beschwerden kann von verschiedenen Dingen ausgelöst werden, wie zum Beispiel Menstruation, Gewichtszunahme, Stress, Hormonveränderungen, Hitze, Rauchen und Schwitzen.
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Als jemand, die selbst unter HS leidet, weiß ich inzwischen, dass meine Hormone für meine milderen Ausbrüche verantwortlich sind. Ich weiß zum Beispiel genau, wann meine Periode kommt, weil sich meine Symptome verschlimmern. Obwohl sich diese Erkrankung sehr einsam anfühlen kann, habe ich aber trotzdem im Internet ein riesiges Support-Netzwerk gefunden. Auf Reddit teilen beispielsweise über 25.000 Leute ihre Trigger, Symptome und Behandlungstipps; auf TikTok hat der Hashtag #acneinversa über 60,5 Millionen Views und zusätzliche 564 Millionen Views für #hidradenitissuppurativa. Wir sind hier, und wir reden über unsere Krankheit – zwar leise, aber mutig. Trotzdem ist es eine große Herausforderung, von der Gesellschaft akzeptiert und verstanden zu werden. Futrell zum Beispiel wird oft zur Zielscheibe von TikToks Bemühungen, Accounts stillzulegen oder gar zu löschen, wenn ihre Besitzer:innen über weniger ästhetisch anzusehende Hautprobleme sprechen. Immer wieder werden ihre Posts gemeldet, und ihr HS-Content gebannt.

Wie ist es, mit Akne inversa zu leben?

Ich kam selbst schon auf die Diagnose Akne inversa, bevor meine Dermatologin mein Hautproblem erkannte. Es kann eine sehr einsame Erfahrung sein, damit zu leben. „Die Pusteln eitern und nässen, und weil die Körperstellen oft von Kleidung bedeckt sind, leiden Betroffene von HS oft im Stillen und erzählen anderen nicht davon. Meistens schämen sie sich enorm dafür und sind darüber sehr traurig“, erklärt Dr. Lee. Weil HS eben oft nicht sofort sichtbar ist, kann es Betroffenen schwer fallen, anderen von ihren Symptomen zu berichten. Akne inversa wirkt sich daher nachweislich auf das Selbstwertgefühl aus und verfälscht dein Empfinden deiner Attraktivität. Viele HS-Betroffene geben an, außerdem Angst vor der Ablehnung durch Sexualpartner:innen zu haben.
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2014 bekam Cydney Carter die Diagnose HS, nachdem sie sich schon seit acht Jahren mit den Symptomen herumgeschlagen hatte. Das fehlende Wissen rund um ihre Erkrankung frustrierte sie enorm, und es dauerte nicht lange, bis sich die Akne inversa auf ihre geistige Gesundheit auswirkte. „Ich war in meiner Scham gefangen“, erzählt sie. „Ich weiß gar nicht, wie oft ich deswegen geweint habe. Ich fühlte mich einfach nicht hübsch. Du siehst so viele Leute mit perfekter Haut und perfekten Körpern um dich herum, und manchmal willst du eben auch so sein. Das ist sehr schwer“, sagt sie. „Bei mir gab es definitiv viele Tränen und Schmerzen – vor allem, weil man deswegen schnell glaubt, man sei völlig allein mit dieser Erfahrung. Den Eindruck hatte ich jedenfalls. Ich fühlte mich sehr einsam.“ Während ihrer Jugend wusste laut Carter niemand von ihrer Diagnose. „Ich litt mental sehr darunter, vor allem während der Pubertät. In der Schule hatte ich immer das Gefühl, so anders zu sein, ohne dass jemand wusste, wieso eigentlich. Ich mochte mich selbst nicht sonderlich, also war ich auch zu anderen ziemlich gemein. Ich ließ meinen Frust auf eine Art raus, die mir heute total peinlich ist.“
Wie Futrell war auch Carter erleichtert, als sie ihre Diagnose bekam, weil sie ihre Symptome daraufhin endlich konkret benennen konnte. Gleichzeitig warf die Diagnose aber auch eine neue Frage auf: Würden sie ihre Beschwerden ein Leben lang begleiten? „Wenigstens weiß ich heute, womit ich es zu tun habe. Die Krankheit habe ich aber für immer“, sagt sie. Leider war ihre Diagnose auch der Anfang einer schwierigen Lebensphase: Sie bekam noch zu Schulzeiten ein Kind, und hatte stark mit dem Druck als alleinerziehende Teenager-Mutter zu kämpfen. Das sorgte für zusätzlichen körperlichen Stress – und somit für weitere HS-Beschwerden. Zu der Zeit begann sie, Drogen zu nehmen, um mit dem Stress in ihrem Privatleben klarzukommen, und auch das verschlimmerte ihre Akne inversa.
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Während Carters erster Schwangerschaft waren ihre HS-Schübe eher mild. Deren Auswirkung auf ihr Aussehen belastete sie aber enorm. „Rund um die Geburt war die Scham besonders stark. Bei wöchentlichen Kontrolluntersuchungen musste ich Leute zwischen meine Beine schauen lassen. Das war schon sehr nervenzehrend“, erzählt sie. Während ihrer zweiten Schwangerschaft spielten ihre Hormone verrückt, und damit auch ihre Akne inversa. „Ich war andauernd in der Notaufnahme, um mir einen Abszess aufstechen zu lassen. Meistens konnte ich deswegen nicht mal richtig laufen. Ich war überrascht, dass ich danach überhaupt nochmal schwanger wurde.“
Futrell erzählt, ihre HS habe ihren ganzen Lifestyle beeinflusst. So besitzt sie zum Beispiel weder weiße Bettlaken noch weiße Klamotten, weil ihre Läsionen eben eitern und bluten können. Sie trägt viele langärmelige Oberteile, um die Beulen zu verstecken, obwohl die Reibung durch die Klamotten alles verschlimmern könnte. Und auch in romantischer Hinsicht beeinflusst ihre Krankheit sie: Wann erzählt man potenziellen Partner:innen am besten von einer lebenslangen, chronischen Erkrankung, die für Narben und eben auch Eiter sorgen kann? „Was Dating angeht, bin ich noch nicht ganz soweit“, sagt sie. „Ich muss das den Leuten natürlich erklären, weiß aber noch nicht, wann – direkt beim Kennenlernen? Oder nach ein paar Dates? Ich werde das bis ans Ende meines Lebens haben. Um das zu verstehen, brauchte ich eine Weile. Das wird eben nicht einfach so weggehen.“
@mottsworld Im always pressing on my tracks 😂😭 but its just to get the puss out! #hidradenitissuppurativa #hs #acneinversa #hsproblems ♬ On My Mama (Official Sound) - Victoria Monét

Ich glaube, ich habe Hidradenitis suppurativa – was jetzt?

HS ist schwer auszusprechen und noch schwerer zu diagnostizieren. Obwohl sie auch den Beinamen „Akne inversa“ trägt, handelt es sich dabei nicht wirklich um Akne. Was Dermatolog:innen auf jeden Fall betonen möchten, ist außerdem, dass HS nicht aufgrund von schlechter Hygiene, schmutziger Haut oder einer Entzündung entsteht, sondern dass dabei viele Faktoren eine Rolle spielen. „HS ist eine chronische Erkrankung, die das Potenzial hat, sich schwerwiegend auf die Lebensqualität und die geistige Gesundheit auszuwirken“, erklärt Dr. Engleman. „Obwohl es kein endgültiges Heilmittel gibt, lässt sich HS doch durch Medikamente oder, in schweren Fällen, Operationen bewältigen.“
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Wie bei vielen Hauterkrankungen wird auch in die Forschung zur Akne inversa nicht viel Geld investiert. Im Laufe des letzten Jahrzehnts sei das wissenschaftliche Interesse daran aber gestiegen, sagt die Dermatologin Dr. Alia Ahmed. Als Konsequenz dessen kommen immer weitere Behandlungsoptionen hinzu – wie die bereits erwähnten Operationen sowie orale Retinoide, Steroide, immunsuppressive Behandlungen und Antibiotika. Auch neue Fortschritte wie eine neue Medikamentenklasse namens „Biologika“ und chirurgische Eingriffe wie ein „Deroofing“ (Abdeckeln) der Fistelgänge erleichtern das Leben mit HS. Es gibt aber weiterhin keine eindeutige Lösung. „Eine frühe Diagnose ist entscheidend dafür, den Umgang mit der Krankheit zu verbessern sowie ihre Schwere zu reduzieren“, betont Dr. Engleman.
HS ist eine für Betroffene schwierige Krankheit, und viele von ihnen schämen sich zu sehr, um sich medizinische Hilfe zu suchen. Wenn du aber darunter leidest, ist es wichtig, direkt dagegen vorzugehen. Dazu besuchst du am besten einen Dermatologen bzw. eine Dermatologin – am besten mit Erfahrung mit Akne inversa. Dr. Ahmed zufolge kann eine verspätete Hilfesuche (und damit eine späte Diagnose) nämlich dafür sorgen, dass der Zugang zu Behandlungsoptionen erschwert wird. „Weil es nicht die eine Behandlungsmöglichkeit gibt, kann es auch eine Weile dauern, bis ihr eine effektive Strategie findet“, ergänzt sie. „Das kann für Patient:innen sehr deprimierend sein und dazu führen, dass sie die Behandlung frühzeitig abbrechen.“

Warum redet niemand über Hidradenitis suppurativa?

Carter hält das fehlende Wissen rund um HS für schädlich. „HS ist keine seltene Erkrankung, wird aber kaum erwähnt. Es liegt an uns, uns dafür einzusetzen“, sagt sie. Mich persönlich hat meine Akne inversa dazu gezwungen, genauer zu hinterfragen, wie „perfekte Haut“ eigentlich aussieht. Dank der wachsenden Beliebtheit von Körperpflege sind wir umso fokussierter auf jeden vermeintlichen „Makel“. Wenn du dann Beulen und Zysten am Körper hast, die Narben und dunkle Flecken an deinen intimsten Körperpartien hinterlassen, ist es daher oft dein erster Instinkt, sie auslöschen zu wollen. Aber eben vielleicht auch nur, weil du fast nirgendwo ähnliche Körper zu sehen bekommst.
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Carter spricht inzwischen öffentlich über ihre Akne inversa, unterstützt vom Support ihres Mannes und ihrer Kinder. Futrell unterzieht sich in diesem Monat einer Deroofing-Operation und macht via TikTok weiterhin auf die Krankheit aufmerksam (ganz egal, wie oft man versucht, ihre Posts zu löschen). Sie versucht, das Ganze positiv zu sehen. „Das ist manchmal schwer, vor allem, weil ich 25 Jahre alt bin und mir gesagt wird, ich sei jetzt in meinen besten Jahren. Eigentlich sollte ich jetzt viel unterwegs und glücklich sein. Ich habe aber dieses kleine Geheimnis“, erzählt sie. „Es stört mich, aber ich sage mir, dass ich das einfach akzeptieren muss.“ Carter fügt hinzu: „Meine Schwester meinte zu mir, ich sollte zu meiner eigenen Erfahrung stehen, um mir von meinen Schmerzen Antrieb verleihen zu lassen. Man weiß ja auch nie, wie die eigene Offenheit zu dem Thema vielleicht jemand anderem helfen könnte. Sprich laut über deine HS – sprich laut über dein Leid!“
Auch Futrell ist es inzwischen egal, wenn sich andere an ihren Zysten und Narben stören: „Hab keine Angst davor, das Kleid anzuziehen, das du tragen willst. Hab keine Angst vor dem Tanktop, auf das du gerade Lust hast. Finde heraus, was sich für dich gut anfühlt – egal, was andere denken.“
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