Letztens ist mir auf dem Weg zum Adduktor eine komische Sache passiert. Das ist dieses Fitnessgerät, bei dem du dich mit gespreizten Beinen hinsetzt und dann deine Knie aufeinander zu bewegen musst, um die Gewichte zu heben und dadurch die Oberschenkel zu trainieren. Ich hörte einen Podcast und wollte mich gerade hinsetzen, da kam ein Mann auf mich zu und sprach mich an. Ich nahm meine Earbuds raus. „Ich hab nur gefragt, ob du hier bist, um abzunehmen“, sagte er.
Die Zahl, die angezeigt wird, wenn ich mich auf eine Waage stelle, sollte kein emotionales Thema sein. Wäre mein Gewicht das Bruttoinlandsprodukt eines instabilen Landes, von dem ich die Präsidentin wäre, würden mir doch auch keine Tränen in die Augen steigen, wenn mich ein Ökonom fragt, was ich wegen der Inflation machen will. Aber die Frage wirkte auf mich angreifend, persönlich und einfach unhöflich. Ich kannte diesen Mann ja noch nicht mal! Ich gehe davon aus, dass er mir als nächstes gesagt hätte, er sei ein Personal Trainer und könnte dafür sorgen, dass ich im Handumdrehen dünn bin, wenn ich drei Mal die Woche mit ihm trainiere. Vielleicht war auch nur unglaublich schlecht im Smalltalk und wollte jemanden kennenlernen, weil er neu im Gym ist. Ich weiß es nicht. Aber ich nuschelte irgendwas wie „Ich kann grad nicht reden“ oder so und setzte mir die Kopfhörer wieder auf. Erst schämte ich mich 30 Sekunden, dann war ich fünf Minuten wütend und dann fingen die Endorphine an, zu wirken und konzentrierte mich wieder auf mein Work-out.
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Was denkst du eigentlich wer du bist, dass du mir erzählen darfst, wie ich aussehen will?
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Im Nachhinein hätte ich gern Folgendes gesagt: „Nein, ich bin nicht hier, um abzunehmen. Ich bin hier, weil ich nach Jahren des Mobbings, der Anorexie und Bulimie und der viel zu engen Röcke, die ich nur trug, um zu beweisen, dass ich den Reißverschluss zukriege, endlich begriffen hatte, wie gut ich mich beim Sport fühle. Ich habe 13 Schuljahre damit verbracht, mich zu schämen, Panik zu haben und mir Sorgen zu machen, weil Leute wie du dafür gesorgt haben, dass ich Angst vorm Sportunterricht hatte. Wenn ich hierher komme, schaue ich nach dem Training in den Spiegel und mag, was ich sehe – auch wenn die Veränderung vielleicht nur in meinem Kopf ist. Aber es war schwer, einen Anfang zu machen. Wenn ich heute zum ersten Mal in diesem Gym wäre und du das zu mir gesagt hättest, wäre ich vielleicht nie wieder hergekommen. Das Fitnessstudio macht mich nicht dünn, aber es hilft mir dabei, zu realisieren, dass es mehr im Leben gibt, als besessen von meinem Gewicht zu sein. Das habe ich früher gemacht und ich möchte es nicht noch mal wiederholen. Und außerdem: Fick dich! Was denkst du eigentlich wer du bist, dass du mir erzählen darfst, wie ich aussehen will?“
Hast du damals mitbekommen, wie das Model Dani Mathers ein Bild einer fremden nackten Frau zusammen mit einem Bodyshaming-Kommentar auf Snapchat gepostet hat? Das Ganze war ein ziemlich großer Skandal und sie wurde anschließend aus dem Fitnessstudio geworfen. Und zwar nicht nur aus dem, in dem sie das Foto gemacht hat – sie darf auch keine andere der 800 Filialen mehr besuchen. Ich finde zwar, dass ihr Verhalten auf jeden Fall eine Strafe verdient, aber ich denke auch, wir sollten unsere Wut nicht nur an ihr auslassen und dabei den toxischen Teil unserer auf Äußerlichkeiten ausgerichteten Gesellschaft außer Acht lassen.
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2009 führte die Sportpsychologin Heather Hausenblas eine Studie an der University of Florida durch und fand heraus, Menschen fühlen sich fit, wenn sie regelmäßig Sport treiben – selbst, wenn sie keine “Meilensteine“ erreichen, wie ein bestimmtes Gewicht oder mehr Ausdauer. Laut der Untersuchung profitieren Frauen von diesem Vorteil mehr als Männer. Dabei ist es irrelevant, ob man in größeren Abständen trainiert oder fünf Mal die Woche.
Diese Ergebnisse könntest du natürlich auch negativ interpretieren und in Panik verfallen. Du könntest den anderen im Gym sagen, sie sind nicht so fit, wie sie vielleicht denken; dass sie aufhören sollen, zu glauben, es reicht, ab und zu mal zehn Minuten Sport zu machen und dann können sie anschließend eine Jumbopizza verdrücken. Aber ich denke, jede Art von Sport oder Bewegung ist gut für uns – sowohl für den Körper als auch für den Geist. Und wenn du anfängst, denn Leuten zu erzählen, es gäbe eine “falsche“ Art und Weise, Sport zu machen, dann verlieren sie wahrscheinlich jede Motivation, zu trainieren.
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Das Fitnessstudio macht meinen Körper nicht perfekt; es sorgt dafür, dass ich meinen nicht perfekten Körper mehr liebe.
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Ich weiß, ich sehe nicht wie ein typisches Muckibudenhäschen aus. Mein Körper ist nicht straff und meine Haut nicht makellos; ich habe einen kleinen Bauch und Cellulite an meinen Oberschenkeln. Wenn ich eine Weile nicht trainiere, fühle ich mich schuldig und faul und sehne mich nach einem komplett neuen Körper. Aber manchmal schaffe ich es drei, vier oder sogar fünf Mal in der Woche ins Fitnessstudio und dann wird mir bewusst: Das einzige, was sich wirklich verändert, ist die Art und Weise, wie ich mich fühle. Ich liebe es, zu schwitzen, meine schmerzenden Muskeln zu fühlen und einfach mal abzuschalten und mich nur auf meinen Körper zu konzentrieren. Das Fitnessstudio macht meinen Körper nicht perfekt; es sorgt dafür, dass ich meinen nicht perfekten Körper mehr liebe.
Wenn Menschen wie Dani Mathers glauben, beim Sport machen würde es nur darum gehen, ein bestimmtes Aussehen zu erreichen, dann haben sie etwas Wesentliches nicht begriffen. Hätte sie in meinem Fitnessstudio trainiert, hätte sie vielleicht ein Foto von mir gemacht und sich über mich lustig gemacht. Aber selbst wenn: Zum Glück habe ich mittlerweile dank des Sports die mentale Verfassung und Kraft, zu wissen, wo meine Prioritäten liegen. Ich habe besseres zu tun, als mir Gedanken über Leute zu machen, die wollen, dass ich abnehme. Ich denke, Menschen die Bodyshaming in einem Fitnessstudio betreiben, trainieren nicht richtig – denn wenn die Endorphinausschüttung beginnt, hast du gar kein Bedürfnis, jemanden fertigzumachen.
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