Meine Be_hinderung zeigt sich im Vorstellungsgespräch – ist das schlimm?
Mit einer Be_hinderung kann der Bewerbungsprozess zum Minenfeld werden.
„Und… wie wirkt sich das Winterwetter auf Sie aus?“
Ich saß gerade in einem Bewerbungsgespräch für einen Job, den ich wirklich machen wollte, und hatte keine Ahnung, wie ich auf diese Frage antworten sollte.
Es war im Frühling 2016, und ich hatte mich auf über 100 Stellen in der Journalismusbranche beworben. Ich stand damals kurz vor meinem Masterabschluss und wusste, dass ich bei den Bewerbungen so offen und flexibel wie möglich sein sollte, weil der Jobmarkt in den Medien hart umkämpft ist. Außerdem habe ich eine körperliche Be_hinderung und trage eine Trachealkanüle am Hals, die mir beim Atmen hilft. Meine Be_hinderung ist sichtbar und mitunter das Erste, was jemand an mir bemerkt, wenn man mich kennenlernt.
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Mein Vorstellungsgespräch an diesem Tag war für eine Content-Manager-Position in einer örtlichen Nachrichtenredaktion. Es war ein Schreibtischjob. Ich würde Artikel veröffentlichen und die Homepage updaten.
Ich war darauf vorbereitet, jede Frage zu der Stelle zu beantworten, aber als mich mein Gegenüber mit einem Finger auf meine Kanüle zeigend im Gespräch fragte: „Wie wirkt sich das Winterwetter auf Sie aus? Trocknet Sie die kalte Luft nicht aus?“, war ich erstmal verblüfft. Das war kein Reportage-Job, für den ich durch die Gegend würde reisen müssen, also würde ich nicht sonderlich viel Zeit draußen verbringen. Warum also diese Frage?
Ich zögerte, weil mir klar war: Jede Antwort würde meine Be_hinderung anerkennen und eine Frage klären, die überhaupt nichts mit dem Job zu tun hatte. Aber hatte ich denn wirklich eine andere Wahl? Ich betonte also, dass das Wetter keinen Unterschied machte und führte nochmal alle Punkte auf, die mich zu einer guten Kandidatin für den Job machten.
Die Person hörte mir zu und stellte noch einige Fragen; dann war es vorbei. Am selben Tag hatte ich noch drei Stunden lang aufeinanderfolgende Vorstellungsgespräche, aber dieses erste hatte mich für den restlichen Tag aus der Bahn geworfen. Die ganze Nacht lang zerbrach ich mir darüber den Kopf, ob ich meine Chance auf den Job ruiniert hatte. Ein paar Tage später erfuhr ich, dass ich ihn tatsächlich nicht bekommen würde.
Überraschend ist das leider nicht: Menschen mit Be_hinderungen haben es am Arbeitsmarkt nicht leicht, insbesondere mit Schwerbe_hinderungen. Im letzten Jahrzehnt waren in Deutschland meist über 170.000 Menschen mit einer Schwerbe_hinderung arbeitslos. Besonders schwer haben es dabei Frauen mit Schwerbe_hinderungen: Nur 37 Prozent von ihnen arbeiten in Vollzeit. Einer der stressigsten Aspekte der Jobsuche mit Be_hinderung ist die Frage, ob Bewerber:innen mit ihrer Be_hinderung ganz offen umgehen sollten – und falls ja, wann sie sie ansprechen sollten. Dabei macht es auch einen Unterschied, ob die Be_hinderung unsichtbar (wie bei chronischem Schmerz beispielsweise) oder direkt erkennbar ist, wie in meinem Fall.
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Obwohl es unangebracht und sogar unzulässig sein kann, wenn dich ein:e potenzielle:r Arbeitgeber:in nach deiner Be_hinderung fragt, fühlt es sich in diesem Moment eben oft so an, als hättest du gar keine andere Wahl, als zu antworten.
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Dabei sollte es gar nicht so schwer sein, auch mit einer Be_hinderung einen Job zu finden. In Deutschland sind Arbeitgeber:innen, die jährlich pro Monat über mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen, nämlich sogar dazu verpflichtet, mindestens fünf Prozent dieser Stellen mit Menschen mit Schwerbe_hinderung zu besetzen. Vielleicht wunderst du dich jetzt darüber, warum das für deine Firma nicht zu gelten scheint – das liegt aber vermutlich daran, dass das mithilfe eines finanziellen Ausgleichs an die Integrationsämter umgangen werden kann. Gerade in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt scheinen viele Arbeitgeber:innen lieber diese Zahlung zu leisten, als Mitarbeiter:innen mit Schwerbe_hinderungen einzustellen.
Bleibt aber immer noch die Frage, ob ein:e Arbeitgeber:in überhaupt das Recht hat, sich nach der eventuellen Be_hinderung von Mitarbeiter:innen oder Bewerber:innen zu erkundigen. Die Antwort ist klar: Nur, wenn „eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eine wesentliche und entscheidende Anforderung des konkreten Arbeitsplatzes ist“. Andersrum sind Bewerber:innen auch nicht dazu verpflichtet, ihre Be_hinderung während der Bewerbung zu offenbaren, wenn sich diese prinzipiell nicht auf den Job auswirkt.
Trotz dieser Schutzregelungen fürchten sich viele Bewerber:innen mit Be_hinderungen im Bewerbungsprozess vor eventuellen Vorurteilen. Um diese Vorurteile zu vermeiden, versuchen viele, ihre Be_hinderung gar nicht erst zu thematisieren; in der Praxis ist das aber oft kompliziert. Wenn dich zum Beispiel jemand in einem Bewerbungsgespräch direkt auf eine Be_hinderung anspricht (wie in meinem Fall), liegt die Entscheidung bei dir, wie du darauf am besten reagierst. Und obwohl es unangebracht und gegebenenfalls sogar unzulässig sein kann, wenn dich ein:e potenzielle:r Arbeitgeber:in nach deiner Be_hinderung fragt, fühlt es sich in diesem Moment eben oft so an, als hättest du gar keine andere Wahl, als zu antworten. Du willst ja nicht als schwierig oder unkooperativ rüberkommen und dir damit eventuell die Chancen auf den Job versemmeln – und Diskriminierung im Job ist noch dazu häufig schwer nachzuweisen.
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War die Frage der Chefredaktion in meinem Vorstellungsgespräch zum Winterwetter also okay? Nein, denn mit dem Job selbst hatte sie absolut nichts zu tun. Allein die Tatsache, dass ich die Frage überhaupt gestellt bekam, machte mir aber schmerzhaft bewusst, dass der offene Umgang mit der eigenen Be_hinderung ein zweischneidiges Schwert ist. Per Definition ist geht es im Bewerbungsgespräch darum, dein Können zu beweisen – und eine Be_hinderung wird oft als Schwäche gesehen. Natürlich hängt das Risiko, das mit der Offenlegung einer Be_hinderung einhergeht, auch von den eventuellen Vorurteilen des Arbeitsgebers bzw. der Arbeitgeberin ab. Dein Gegenüber schätzt deine Kompetenz daher vielleicht völlig falsch ein. Trotzdem kann es kritisch sein, die Be_hinderung erst zu kommunizieren, wenn du den Job in der Tasche hast – deine neuen Arbeitgeber:innen könnten sich dann womöglich fragen, warum du damit gewartet hast oder, im schlimmsten Fall, vielleicht sogar daran zweifeln, dass du „wirklich“ eine Be_hinderung hast. Zwischen „nicht zu dem Job fähig“ und „nicht be_hindert genug für eventuelle Bevorteilung“ verläuft ein schmaler Grat.
In manchen Fällen ist es aber im Vorstellungsgespräch wichtig, die eigene Be_hinderung zu offenbaren, damit die nötigen Anpassungen für spezielle Bedürfnisse vorgenommen werden können. Weiß der:die Arbeitgeber:in nichts von diesen Bedürfnissen, kann das natürlich nicht passieren. Wer aber eine unsichtbare Be_hinderung hat, muss die womöglich nachweisen – was wiederum die Angst vor dem Be_hinderungs-Betrug befeuert, der ableistischen Vermutung, Menschen mit Be_hinderungen würden „nur so tun“, um unfaire Vorteile zu bekommen.
Andererseits kann das offene Gespräch über Be_hinderungen eben auch dabei helfen, das damit verbundene Stigma zu beseitigen. Sobald ich anfing, meine Fähigkeiten als Reporterin für Be_hinderungs-Themen zu festigen, fiel es mir leichter, bei Bewerbungsgesprächen ehrlicher über meine eigene Be_hinderung zu sprechen. Es half mir dabei, die Stärken meiner Arbeit zu betonen: Ich habe direkte, persönliche Erfahrungen mit der Community, über die ich schreibe. Manchmal wurde ich in diesen Gesprächen direkt nach meiner Be_hinderung gefragt; die bezogen sich dann aber doch meist auf den Job selbst und trafen mich daher anders als die Winterwetter-Frage, die mir ein unwohles Gefühl gemacht und an meinem Selbstbewusstsein gekratzt hatte.
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Fast zwei Jahre und Dutzende Bewerbungen später fand ich endlich meinen jetzigen Job als Redakteurin bei der amerikanischen Huffington Post. Alle, mit denen ich hier zusammenarbeite, wissen, dass meine Be_hinderung meine Arbeit als Journalistin nur noch besser macht. Aber natürlich haben nicht alle Menschen mit Be_hinderung genauso viel Glück.
Für Arbeitgeber:innen, die den Bewerbungsprozess vereinfachen wollen, habe ich einen grundlegenden Tipp: Sagt euren Bewerber:innen ganz klar schon in der Ausschreibung, was der Bewerbungsprozess von ihnen verlangt, und bittet sie darum, eventuelle speziellen Bedürfnisse direkt zu kommunizieren, die dabei berücksichtigt werden sollten. Das hilft bei der Normalisierung, macht den Bewerber:innen Mut und bekräftigt sie darin, das Thema offen anzusprechen.
Das ist aber nur ein Schritt in die richtige Richtung. Damit wir irgendwann einen Arbeitsmarkt kreieren können, an dem Menschen mit Be_hinderungen keinerlei Nachteile mehr haben, brauchen wir eine Arbeitsumgebung, in der Be_hinderungen kein Grund zur Scham sind und in der sich die Betroffenen wohl damit fühlen, ganz offen damit umzugehen. Anstatt Menschen mit Be_hinderungen nur anzustellen, um irgendwelchen Quoten zu entsprechen oder Ausgleichszahlungen zu entgehen, sollten Arbeitgeber:innen verstehen, dass der Arbeitsplatz durch diese Inklusion zu einem besseren, innovativeren Ort wird. Anstatt selbst zu spekulieren, was manche Menschen (nicht) leisten können, sollte proaktiv am gemeinsamen Erfolg gearbeitet werden. Und wenn all das so klappt, können sich Bewerber:innen mit Be_hinderung auch endlich sicher sein: Hier passt nicht nur der Job, sondern auch die Arbeitgeber:innen.
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