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Wie es wirklich ist, Verstorbene für ihre Beerdigung zu schminken

Foto: Getty Images.
Six Feet Under – nur in echt
Ich bin in Kalifornien aufgewachsen und hier aufs College gegangen, bis ich entschloss, mir eine Auszeit zu nehmen und ein Praktikum als Make-up-Artist zu machen. Ich ging nach L.A. und meldete mich an einer professionellen Make-up-Schule an, beendete die Ausbildung dort und arbeitete eine Zeit lang als freiberufliche Make-up-Artist. Allerdings wurde mir schnell klar, dass die Realität des Berufs nicht halb so befriedigend war, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
Ich hatte zuvor bereits eine Freundin, die in einem Bestattungsunternehmen arbeitete, und trotzdem hatte ich den Beruf lange Zeit einfach nicht auf dem Radar. Aber dann fing der Beruf des Bestatters plötzlich an, interessanter zu sein. Make-up an Verstorbenen? Wenn das nicht cool klingt, weiß ich auch nicht. Also lernte ich das Werk der Bestattung – zwei Jahre später hatte ich meinen ersten Bestattungsjob auf dem legendären L.A. Forest Lawn Memorial Park Friedhof in den Hollywood Hills. Dort liegen viele berühmte Gesichter, wie etwa Liz Taylor oder Michael Jackson.
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Das Einbalsamieren ist eine vorwiegend von Frauen besetzte Domäne des Bestattertums, was verhältnismäßig überraschend ist, weil es das nicht immer war. Viele Menschen meinen, das liege daran, dass Frauen von Natur aus fürsorglicher, gütiger und netter sind, was jedoch der Tatsache widersprechen würde, dass das Werk so lange Zeit von Männern ausgetragen wurde.
Einbalsamieren, und Bestattungen allgemein, brauchen sowohl Fingerspitzengefühl, als auch pure, physische Kraft. Sie brauchen einen starken Magen und starke Hände, gleichzeitig aber auch Empathie, Mitgefühl und auf jeden Fall auch einen Sinn für Ästhetik. Außerdem ist das Business ziemlich gut dafür geeignet, wenn man sich eines Tages selbstständig sieht.
Auf Partys erzähle ich immer, ich sei Kellnerin, weil ich für blöde Fragen keine Geduld habe. Die meisten Menschen reagieren nämlich immer noch mit Unglauben und mehr oder weniger dummen Fragen: „Oh, also magst du tote Körper, oder was?“ und „Ich wette, du stehst auf Blut und Eingeweide.“ Natürlich ist das alles nicht wahr. Ich stehe auf Barbies und die kleine Meerjungfrau. Ich liebe Ausflüge in die Wüste, Sonnenbaden am Pool und meine Garderobe, die zum größten Teil von Cher und Lady Gaga inspiriert ist. Das hat alles nichts mit einer besonderen Liebe für Tote zutun.
Der Tod als Business
Bisher lief das immer so: Meine Chefs bekamen einen Auftrag, trafen sich mit der Familie des oder der Verstorbenen und besprachen, ob es eine Aufbahrung geben soll oder nicht. In der Regel haben sie alles dafür getan, dass es zu einer Aufbahrung kommt, weil das meist bedeutete, dass die Familie einen schöneren und nicht unwesentlich teureren Sarg auswählte. Außerdem würden dann Dienste wie der meine in Anspruch genommen. Sobald sich dafür entschieden wurde, bekam ich ein Bild der verstorbenen Person – was eigentlich immer mein Lieblingsmoment war, weil es das einzige Mal war, dass ich den Menschen, der wenig später leblos auf einer Liege zu mir gerollt wurde, noch lebendig sehen konnte.
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Auf Partys erzähle ich immer, ich sei Kellnerin, weil ich für blöde Fragen keine Gedult habe.

Als erstes wird dann der Körper gewaschen, so richtig von Kopf bis Fuß. Dann balsamieren wir, waschen noch einmal, dann geht es mit Shampoo und Conditioner ans Haar. Viele Menschen haben furchtbare Knoten im Haar, weil sie so lange lagen; das führt oft zu richtigen Dreads am Hinterkopf. Das muss ich dann mühevoll hinkriegen.
Das Make-up kann eigentlich direkt vor der Aufbahrung aufgetragen werden, denn standardgemäß warten wir nach der Einbalsamierung darauf, dass der Körper noch etwas abkühlt. Manchmal dauert das Einbalsamieren, Make-up und die Aufbahrung insgesamt drei Stunden. Wir tragen zuerst das Make-up und dann eine schwere, fetthaltige Feuchtigkeitscreme auf, damit sie nicht austrocknen. Dann legen wir ein Stück Klarsichtfolie über das Gesicht des Verstorbenen, damit die Schminke einziehen kann und sich kein Staub absetzt. Kurz vor der Aufbahrung wird dann noch einmal „poliert“ und geschaut, dass nichts verwischt ist.
Die ethischen Grundsätze des Balsamierens
Besonders aufmerksam sollte man bei den Anmerkungen der Angehörigen sein und auch dem Bild, das von ihnen mitgegeben wird, sollte ganz genau betrachtet werden. Es darf nicht dazu kommen, dass ein oder eine Angehörige irgendetwas am Look des oder der Verstorbenen als störend empfindet. Sie dürfen nicht plötzlich aussehen wie ein Paradiesvogel, wenn sie zu Lebzeiten nur dezentes Make-up getragen haben. Einmal zum Beispiel war einer meiner Kollegen am Werk und bekam riesigen Ärger von der Familie der Toten, als er ihr ein besonders langes Haar an einem Muttermal zupfte. Die Angehörigen der Frau waren außer sich vor Wut, weil genau dieses Mal und dieses lange Haar ihr Aussehen so bestimmt hatten.
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Wir benutzen außerdem so etwas wie einen „Feature Filler“ – einen chemischen Stoff, mit dem bestimmte Charakteristika im Gesicht unterspritzt werden, der diese dann auffüllt und wieder so aussehen lässt wie zu Lebzeiten. Oft sacken die Gesichtszüge so zusammen, wie es bei einer lebendigen Person nicht passieren würde. Manche Einbalsamierer sind geradezu erpicht darauf, eine 80-Jährige auf ihrem Begräbnis wieder wie eine 50-Jährige aussehen zu lassen. Das ist allerdings keine so gute Idee, wenn das beispielsweise Falten beseitigt, die auch zu Lebzeiten schon da waren. Das ist so etwas wie eine ethische Grauzone. Hierbei kommt es auch auf die Feinheiten unterschiedlicher Kulturen an. Für manche ist es zum Beispiel wichtig, dass die Nägel nicht geschnitten werden.
Was sich in meinem Schminktäschchen befindet
Es gibt nur wenige Anlässe, zu denen ich wirklich mein ganzes Make-up-Equipment zücke, da die meisten Menschen im Alter nicht sehr stark geschminkt sind. Da heißt es dann schon eher „Bitte lassen Sie meine Oma nicht aussehen, als hätte sie bei MAC gearbeitet.“ Ehrlich gesagt, haben wir in der Regel wirklich nicht viel mehr als eine Foundation benutzt. Vielleicht etwas Rouge hier und da, in sanften Rosé- und Rottönen. Ebenso bei den Lippen. Die Nägel haben wir meist hautfarben gehalten, diverse Beige-Braun-Nuancen. Kein Contouring, keine Highlighter – niemanden interessieren die Wangenknochen einer verstorbenen Großmutter.

Die meisten sagen, „Bitte lassen Sie meine Oma nicht aussehen, als hätte sie bei MAC gearbeitet.“

Wenn die Haut sich verfärbt hat, gibt es noch ein wenig Color-Correction, genauso, wie man es bei Sephora lernt: auf Rot kommt Grün, und so weiter. Die meiste Zeit sehen die Menschen allerdings von sich aus relativ gut aus. Die meisten Hautverfärbungen sind durch den Blutkreislauf bedingt. Somit heben sie sich ganz von selbst auf, wenn das Blut aufhört, zu fließen. Stattdessen kann Formaldehyd zur Konservierung verwendet und etwa mit Farbstoffen gemischt werden. Man kann sich das so vorstellen, als würde man rosa getöntes Wasser unter die Haut spritzen – das bringt einen ganz natürlichen Teint, vor allem dann, wenn man etwas durchsichtig bis bläulich wirkt.
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Der Weg als Ziel
Wenn ich daran denke, was ich mit meiner Arbeit im Idealfall erreichen möchte, dann ist es eine Geschichte, die mir schnell in den Sinn kommt: Eine Mutter verstarb. Ihre Töchter brachten mit eine ganze Kiste mit Fotos – sie trug einen phänomenalen Bouffant von den 60ern, über die 70er und 80er, bis in die 90er. Ich wusste, dass ich das Styling alleine nie so hinkriegen würde. Nicht, ohne die Töchter bodenlos zu enttäuschen. Also bat ich sie zu mir, besorgte Haarspray und Kämme und sagte: „Ich habe jetzt alle Bilder eurer Mutter studiert und habe bemerkt, wie viel Wert sie auf ihre Frisur gelegt hat. Ich habe mein Bestes gegeben, aber ich kriege es nicht ganz hin – könnt ihr mir helfen?“
Die beiden waren anfangs etwas nervös, verständlicherweise. Doch ich versprach ihnen, dass sie sie anfassen könnten und fragte sie nach Geschichten und Anekdoten über ihre Mutter. Sie halfen mir dabei, sie vorzubereiten, hübsch zu machen und erzählten mit dabei viele persönliche Mutter-Tochter-Anekdoten. Sie waren ihr so nah und es war wunderschön. Ein perfekter Moment in einer Welt, in der sie gerade ihre Mutter verloren hatten.
Amber Carvaly ist Bestatterin in Los Angeles, USA. Mit ihrem Unternehmen Untertaking LA versucht sie, den Tod zu entkommerzialisieren, indem sie selbst kein Einbalsamieren anbietet. Protokolliert, angepasst und gekürzt wurde ihre Geschichte von Alix Tunnel.
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