Im Jahr 2023 sind Influencer:innen mit Hollywood-Sternchen gleichzusetzen. Zum Beispiel war die TikTokerin Madeleine White ein wichtiger Gast bei den diesjährigen Grammys und Charli D’Amelio wurde vom Magazin Forbes zweimal in die „Top 7 der bestbezahlten TikTok-Stars“ aufgenommen. Influencer:innen ist einer der begehrtesten – und lukrativsten – Jobs, die es gibt. Und vor allem die Beauty-Content-Creators haben ihre Follower voll im Griff.
Im vergangenen Jahr haben Mikayla Nogueira, Meredith Duxbury und Alix Earle mit ihren „Get Ready With Me“-Reels, Make-up-Tutorials und Hautpflege-Tipps Millionen von Menschen beeinflusst und unsere Feeds überschwemmt. Allein die Empfehlungen der Influencer:innen haben Hunderten von Make-up-, Haut- und Haarprodukten zum viralen Status verholfen. Das Dior Addict Lip Glow Oil, die Caudalie Instant Detox Mask und das Rare Beauty Soft Pinch Liquid Blush sind nur einige Beispiele.
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Was ist De-Influencing?
Aber wenn es nach dem neuesten TikTok-Trend #deinfluencing geht, könnte das alles wieder zusammenbrechen. Bis jetzt hat der Hashtag #deinfluencing 151,5 Millionen TikTok-Aufrufe. Dort findest du Beauty-Fans, die die Fakten über vermeintlich bahnbrechende Feuchtigkeitscremes, revolutionäre Seren und magische Abdeckcremes enthüllen. Anstatt von strahlenden Neuerscheinungen zu schwärmen, empfehlen sie, was man nicht kaufen sollte, oder verraten ihren Followern die besten, günstigen Dupes und Alternativen.
Es ist kein Geheimnis, dass wir so viel Geld wie nie zuvor für Kosmetika ausgeben. Daten zeigen, dass die globale Kosmetikindustrie 511 Milliarden Dollar wert ist. Auch Influencer:innen verdienen viel Geld mit dem Empfehlen von Produkten, sei es authentisch oder durch gesponserte Beiträge. Der gesamte Influencer-Markt soll bis Ende 2023 ein Volumen von 17,4 Milliarden US-Dollar erreichen.
Wenn du ein Produkt kaufst, weil es von Influencer:innen empfohlen wurde, erwartest du, dass es funktioniert. Nach den unzähligen neuen TikTok-Videos zu urteilen, werden viele dieser von Influencer:innen angepriesenen Beauty-Produkte dem Hype jedoch nicht gerecht. Wenn sie nicht halten, was sie versprechen, fühlst du dich zu Recht um dein hart verdientes Geld betrogen – und das ist genau der Grund, warum Kosmetikfans von den Influencer:innen, denen sie folgen, zunehmend Ehrlichkeit verlangen. De-Influencing steht für den Beginn einer Revolution gegen Beauty-Influencer:innen, die irreführende Reviews posten und zu übermäßigem Konsum auffordern.
@kayli.boyle def gonna be taken off a lot of PR lists after this🤠 #hairtok #skincare #makeup #deinfluencing ♬ original sound - kayli
Ist De-Influencing etwas Gutes?
Expert:innen sind der Meinung, dass diese Entwicklung früher oder später unausweichlich war. Trina Albus ist Marketerin, Entwicklerin digitaler Inhalte und Beauty-Expertin mit 25 Jahren Erfahrung in der Branche. Sie sagt: „TikTok-Nutzer:innen schätzen Authentizität und haben keine Angst, jemanden zurechtzuweisen, wenn sie das Gefühl haben, dass er oder sie nicht authentisch ist.“ Genau diese Situation ist erst kürzlich eingetreten. Letzten Monat bewarb die Beauty-Influencerin Mikayla Nogueira (die 14,4 Millionen Follower auf TikTok hat) die Wimperntusche L'Oréal Paris Telescopic Lift Mascara, wurde aber von Zuschauer:innen beschuldigt, falsche Wimpern zu tragen. Einige von Nogueiras Followern waren überzeugt davon, dass sie ihren Look mit falschen Wimpern von Ardell Wispies aufgemotzt hatte, und viele fühlten sich betrogen. Als Antwort auf eine Followerin, die ihr vorwarf, das Tragen falscher Wimpern zu leugnen, schrieb Mikayla: „Diese Kommentare sind der buchstäbliche Beweis dafür, dass diese Mascara einfach nur geil ist.“
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So etwas wird auf TikTok nicht einfach ignoriert. Es hat Millionen von Nutzer:innen die rosarote Brille von der Nase gerissen, die sonst witzigen und sympathischen Content Creators wie Nogueira blind vertrauen und ihnen echte Empfehlungen abnehmen. TikToker bezeichneten die Kontroverse als #mascaragate. Nogueira hätte eigentlich keine Gesetze gebrochen, wenn sie falsche Wimpern getragen hätte und das Video eindeutig als bezahlte Partnerschaft gekennzeichnet gewesen wäre. Aber es muss darüber gesprochen werden, dass sowohl Beauty-Marken als auch Content Creators so ehrlich wie möglich sein sollten, wenn sie Beauty-Produkte vor der Kamera benutzen.
Die Kontrollbehörden gehen hart gegen diese potenzielle Unehrlichkeit vor. In Großbritannien hat die Advertising Standards Authority (ASA) vor Kurzem Beauty-Marken und Influencer:innen angewiesen, keine Filter mehr in Social-Media-Kampagnen zu verwenden, da dies für die Nutzer:innen „irreführend“ sei. Seitdem wurden einige Werbeanzeigen wegen Missachtung der Regeln verurteilt. Auch in Deutschland wird eine Kennzeichnungspflicht für Beauty-Influencer:innen gefordert.
Wer steckt hinter dem De-Influencing-Trend?
„Ich möchte euch davon abhalten, eine Menge Produkte zu kaufen“, sagte TikTokerin @kayli.boyle in einem TikTok mit 369,7 Tausend Views. „Das kommt von einer, die buchstäblich Hunderte von Produkten wegen YouTube und TikTok gekauft hat und euch sagen kann: So viele virale Produkte sind nicht einmal gut.“ Kayli hebt hervor, dass Supergoop! Unseen Sunscreen, Laneige Lip Sleeping Mask und „so ziemlich alles von Olaplex“ zu den Marken und Produkten gehören, die auf TikTok hochgelobt wurden und ihr Geld nicht wert sind. Diese Welle der Kritik hat Beauty-Fans und sogar Influencer:innen selbst dazu veranlasst, Videos zu posten, die den Hype um bestimmte Beauty-Produkte entkräften sollen.
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Sogar medizinische Kosmetiker:innen und Dermatolog:innen mischen mit, und die Reviews über die schlechtesten Produkte entwickeln sich zu einem eigenen Genre. TikTokerin @morganturnermakeup stellt regelmäßig Marken und Produkte an den Pranger, die den Erwartungen nicht gerecht werden. Und dann ist da noch Alessandro (@mualesandro), dessen „Overhyped Makeup That Actually Sucks“-Video kürzlich enorme 3,1 Millionen Aufrufe hatte. Ein schnelles Scrollen beweist, dass diese Art von Videos zu den meistgesehenen von Alessandro gehört.
Beim De-Influencing geht es nicht darum, sich negativ über Kosmetikmarken zu äußern, nur um des Negativen willen. Albus sagt, dass der Trend zum De-Influencing die Social-Media-Plattformen zu einem besseren, vertrauenswürdigeren Ort macht. Sie ist der Meinung, dass die Nutzer:innen heute Authentizität über Anspruchsdenken stellen und verweist auf die Reaktionen auf die Make-up-Reise von Tarte, bei dem die Marke eine Gruppe von Influencer:innen nach Dubai geflogen hatte. TikTok-Nutzer:innen spekulierten, dass die Reise eine Unmenge an Geld gekostet haben könnte. Nicht nur, dass die TikTok-Nutzer:innen die Reise als unangemessen empfanden – vor allem in Zeiten, in denen die Lebenshaltungskosten so hoch sind – es gab auch noch weitere Reaktionen, als Kommentare unter einem viralen Video, in dem die Reise vorgestellt wurde, die Vermutung aufkommen ließen, dass die beteiligten Influencer:innen nicht einmal Produkte von Tarte verwendeten.
In einer E-Mail an Vogue Business äußerte sich die Gründerin und CEO von Tarte, Maureen Kelly, zu den Reaktionen auf die Reise. „Das ist nicht unsere erste Tour“, sagte Kelly, „aber ich kann natürlich verstehen, dass die Leute bei einer solchen Überfrachtung mit Inhalten eine reflexartige Reaktion zeigen.“ Kelly fügte hinzu: „Jeden Tag treffen Marken Entscheidungen darüber, wie sie ihre Marketingbudgets ausgeben. Für manche Unternehmen bedeutet das einen riesigen Super Bowl-Werbespot oder einen millionenschweren Vertrag mit einem berühmten Sportler:innen oder Musiker:innen. Wir haben noch nie traditionelle Werbung gemacht und investieren stattdessen in den Aufbau von Beziehungen und Communities. Wir hoffen, dass die Menschen, wenn sie sehen, was wir gemeinsam tun und worum es uns geht, eine stärkere Verbindung zu Tarte entwickeln werden.“
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@ghidaarnaout You don’t need 10 mascaras that you’re gonna throw away anyway! #deinfluencing #makeuphacks #millenialsoftiktok #over30club #nomakeup ♬ original sound - Ghida Arnaout
Ist De-Influencing besser für die Umwelt?
Influencer:innen benutzen oft Übertreibungen, wenn sie über bestimmte Beauty-Produkte sprechen. Im Vergleich zu den „Du musst dieses Produkt sofort ausprobieren“-Inhalten, die früher überall auf meiner For-You-Page zu finden waren, fühlt sich das De-Influencing wie eine frische Brise an.
Vor ein paar Tagen, als ich mich durch ein Meer von Beauty-Produkten scrollte, die ich nicht brauchte, stieß ich auf TikTokerin @ghidaarnaout. „Das ist dein Zeichen, kein Make-up mehr zu kaufen“, sagte sie in die Kamera. „Wenn ich mit diesen hier fertig bin“, sagte Ghida und zeigte auf ihren minimalen Make-up-Vorrat, „gehe ich los und kaufe andere. Ich muss nicht tonnenweise Make-up haben, das ich nicht benutze.“ Das nächste Video, das ich sah, wurde von TikTokerin @gabyhunt11 gepostet. „Es ist an der Zeit, dass du aufhörst, modische Beautyprodukte zu horten, die du nicht benutzen wirst“, betitelte Gaby den Clip. „Benutzt sie oder gebt sie weg. Hört auf, mehrere Produkte zu kaufen, die das Gleiche bewirken. Schluss mit dem Durcheinander. Schluss mit der Verschwendung. Spare das Geld. Mach es einfach und effektiv.“
Die Botschaften von „De-Influencing“ wirken wirtschaftlicher und vernünftiger, aber ist diese neue, sparsame Ära der Kosmetik-Influencer:innen auch besser für die Umwelt? Zero Waste Week hat bereits berichtet, dass die globale Kosmetikindustrie jedes Jahr 120 Milliarden Verpackungseinheiten produziert. Es ist umso besser, je mehr Social-Media-Persönlichkeiten darauf aufmerksam machen, dass der Besitz aller neuen Kosmetikprodukte unnötig ist und die meisten Produkte ohnehin verstauben und im Müll landen werden. Viele Verpackungen können nachgefüllt oder recycelt werden, aber es ist kein Geheimnis, dass viele kleinere Schönheitsprodukte aus Plastik (wie Lippenstifthülsen und Lidschattentöpfchen) zu klein sind, um recycelt zu werden, und schließlich auf der Mülldeponie landen.
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Es ist auch wichtig zu wissen, dass etablierte und auch kleinere Influencer:innen Beauty-Produkte umsonst erhalten. Das gilt auch für Beauty-Redakteur:innen, einschließlich der Redakteur:innen von Refinery29. Der ständige Videofluss, in dem eine Fülle von Beauty-Launches präsentiert wird, kommt in Zeiten der Lebenshaltungskostenkrise nicht gut an, vor allem, wenn man bedenkt, dass die Preise im Beauty-Einzelhandel in den letzten zehn Jahren gestiegen sind und selbst preisgünstige Marken wie The Ordinary und The Inkey List ihre Preise erhöht haben. TikToks De-Influencing-Community erinnert uns alle daran, die Beziehung zwischen Influencer:innen und Marken, deren Ziel es ist, Geld zu verdienen, zu hinterfragen.
@makeupbymonicaa Replying to @strawberryketchup Not all influencers are liars 😭 and part of my job is to review/recommend products and my aim has always been to be helpful 🤎 especially for my #browngirls #influencerintegrity#makeupgrwm#browngirlmakeup#deinfluencing#grwmmakeup ♬ original sound - Monica
Sind Beauty-Influencer:innen unehrlich?
Sophie Attwood, Gründerin der PR-Agentur Sophie Attwood Communications, ist der Meinung, dass De-Influencing ein neues Kapitel im Marketing einläutet. Laut Attwood sind nutzergenerierte Rezensionen und Inhalte jetzt beliebter als hochglanzpolierte Werbung oder namhafte Influencer:innen. „Wir suchen nach echten Empfehlungen von anderen Nutzer:innen, Rezensent:innen oder authentischen Macher:innen“, sagt Attwood. „Eine wahrheitsgemäße Berichterstattung hat mehr Macht als große Werbebudgets oder Hochglanzanzeigen“. Attwood sagt, dass makellose Kampagnen weitgehend überflüssig werden.
Unverfälschte und ungefilterte Rezensionen schaffen ein gewisses Vertrauen. Albus, die glaubt, dass das De-Influencing die Beauty-Influencer-Branche verändert, weist darauf hin, dass Content-Creator, denen Geld und Deals wichtiger sind als Authentizität, besorgt sein sollten. Sie schlägt vor, dass sie ihre Strategie komplett überdenken sollten, zumal der allgemeine Trend zum De-Influencing sie zwangsläufig viel stärker ins Visier von Beauty-Fans rücken wird.
Eine Beauty-Influencerin, die es richtig macht, ist @makeupbymonicaa aka dein „#browngirlmakeup bestie“. Monica hat kürzlich ein Video über die Integrität von Influencer:innen gepostet. „Ich bin seit fast drei Jahren Content Creator auf TikTok“, sagte sie. „Sicher, ich mache viele Videos, die auf Reviews basieren, aber mein Schwerpunkt war schon immer Bildung.“ Monica fordert Werbung, die den Richtlinien der US Federal Trade Commission (FTC) entspricht, Produktbewertungen, die den Leuten wirklich gefallen, und filterfreie Inhalte. „Das ist der Standard, an den ich mich halte und von dem ich hoffe, dass andere ihn auch für sich selbst halten.“
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@morganturnermakeup As always, these are just my experiences with these products! Feel free to share youre in the comments! #concealers #worstmakeup #badmakeup #overhypedmakeup #worstconcealers #worstof22 #worstmakeupof2022 #worstconcealers2022 #dontbuythese #whatnottobuy #concealerfails #badconcealers ♬ Blue Blood - Heinz Kiessling
Monica ging kürzlich viral, weil sie ein Video veröffentlichte, in dem sie darüber sprach, wie man sich „richtig influencen“ lässt. „Wenn du diese Hinweise befolgst, kaufst du nicht nur bessere Produkte“, sagte Monica, „sondern auch weniger.“ Eine Regel lautet: Schau dir deinen Hauttyp und deinen Hautton an: Gleicht er dem:der Influencer:in, der:die empfiehlt, eine bestimmte Feuchtigkeitscreme oder Foundation zu kaufen? Zweitens: Verwenden sie einen Beauty-Filter? Wenn ja, kann das makellose Ergebnis, das du in ihren Videos siehst, in Wirklichkeit unmöglich zu erreichen sein.
Die TikTok-Beauty-Community ist sich aber darüber im Klaren, dass De-Influencing immer noch Influencing ist. Influencer:innen, die ihren Follower:innen vom Kauf bestimmter Produkte abraten, bieten oft bessere Alternativen an, von denen sie überzeugt sind. Sie beeinflussen dich also immer noch dazu, Geld auszugeben. Aber diese neue Ära erinnert uns daran, dass Filter, geschickte Beleuchtung und vor allem Geld die größten treibenden Kräfte hinter einem Großteil des Beauty-Contents auf Social Media sind.
De-Influencing ermutigt uns, alles (selbst so etwas Kleines wie eine Mascara-Review) mit Vorsicht zu genießen. Wenn das bedeutet, dass wir langfristig bessere Entscheidungen für unsere Haut, unser Portemonnaie und die Umwelt treffen, ist das auf jeden Fall eine gute Sache.
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