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Ist Fanliebe wirklich „Besessenheit“ – oder spricht da der Frauenhass?

In den späten 1990ern bekam meine Mutter einen Anruf von einer Talkshow, die über weibliche Teenie-Fans sprechen wollte. Das Thema der Sendung? Besessenheit. Meine damals 13-jährige Schwester, die kurz zuvor von einem Magazin zu Leonardo DiCaprios allergrößtem Fan gekürt worden war (es gab einen richtigen Wettbewerb), war am Boden zerstört, als meine Mutter der Talkshow absagte und sich weigerte, sie über meine Schwester berichten zu lassen. „Ich wusste genau, wie man meine Tochter dargestellt hätte“, erklärt mir meine Mutter heute. „Ich sagte ihnen, sie sei nicht besessen von Leonardo DiCaprio. Sie sei eine ganz normale Teenagerin, und ihr Interesse an ihm sei dasselbe wie das von Leuten, die Fans irgendwelcher Sportler:innen sind.“
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Die Angst davor, dass ein junges Mädchen als „verrückt“ dargestellt werden würde – zum Höhepunkt von Leos Titanic-Ruhm –, war durchaus berechtigt. Schon eine kurze Google-Suche führt mich zu Artikeln von 1998, die eine Menschenmenge vor der Londoner Premiere von Der Mann in der eisernen Maske als „hormonell aufgeladen“ bezeichnen, während Journalist:innen in anderen Videos erzählen, Mädchen hätten sich auf den Schauspieler „gestürzt“. Diese Art von Sprache ist in der Geschichte der Fan-Liebe alles andere als ungewöhnlich. Schon zu Zeiten der „Beatlemania“ wurde die Bewunderung der Beatles mit geistigen Erkrankungen verglichen, und auch die Beschreibung von Elvis Presleys Fan-Mengen als „hysterisch“ suggerierte eine emotionale Frauenkrankheit (das Wort „hysterisch“ stammt vom griechischen „hystera“ für „Gebärmutter“). 
Dieses Muster, dafür verurteilt zu werden, ein Mädchen bzw. eine Frau mit Gefühlen zu sein, kommt mir unangenehm bekannt vor. Mitte der 2010er war auch meine Fan-Liebe zu Justin Bieber (einem der erfolgreichsten Künstler:innen der Musikgeschichte) in der Schule immer wieder Grundlage für Witze. Meine Begeisterung als „Belieber“ wurde bestenfalls als uncool, schlimmstenfalls als gestört abgestempelt. Selbst die Medien machten sich über das „Bieber-Fieber“ lustig, und damals war das Internet voller Artikel zu Untersuchungen, die zeigten, diese ausgedachte „Krankheit“ sei „ansteckender als die Masern“. Zu den Symptomen, hieß es, gehörten „schlechte Lebensentscheidungen, unkontrollierbares Heulen und Kreischen“. 

Wenn Mädchen viel über etwas wissen, das sie lieben oder bewundern, sind sie „verrückt“; Jungs hingegen sind „leidenschaftlich“ oder „begeistert“.

Wie viele andere ließ ich solche Kritik von mir abprallen und nannte sie „lustig“. Es war in Wahrheit schwer, mir nicht den Eindruck zu Herzen zu nehmen, von der ganzen Welt für albern gehalten zu werden. Während ich also dafür ausgelacht wurde, dass ich Justin Biebers Geburtstag kannte und jeden seiner Songs auswendig konnte, durften meine männlichen Freunde hingegen jede noch so kleine Verletzung diskutieren, die ihre liebsten Fußballspieler je gehabt hatten, und galten dafür als „gut informiert“. Wenn ich mir Poster von Justin aus Zeitschriften riss, las ich in den Artikeln drumherum oft Wörter wie „irre“, „Stalkerin“, und „gruselig“. Die Message war klar: Wenn Mädchen viel über etwas wissen, das sie lieben oder bewundern, sind sie „verrückt“; Jungs hingegen sind „leidenschaftlich“ oder „begeistert“.
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Diese Darstellung junger weiblicher Fans als unnormal wird im Buch Fangirls: Scenes From Modern Music gründlich beleuchtet. Das Sachbuch der ehemaligen Rolling-Stone-Redakteurin Hannah Ewens spricht darüber, wie die jungen Frauen, die die Musikindustrie mitbestimmt haben, immer wieder verspottet werden. Im Zusammenhang mit der lauten Fan-Kritik auf die 2013er-Doku Crazy About One Direction untersucht Ewens, wie der Film die Fans von One Direction nicht nur als besessen, sondern auch noch als potenziell gefährlich für die Band darstellte.
„Schon von Beginn der Doku an werden die Emotionen der Fans pathologisiert, als krankhaft inszeniert. Jedes kleine Gefühl, das Zuschauer:innen eines Films mit dem Titel Crazy About One Direction hier präsentiert bekommen, wird als ‚verstört‘ präsentiert, selbst wenn es ganz verständlich ist, dass ein Mädchen nach Tickets schreit oder versucht, auf diese Weise die Aufmerksamkeit ihres Idols zu bekommen“, erklärt Ewens. Sie interviewte auch Fans, die nicht in die finale Version der Doku aufgenommen wurden, die ihr erklärten, sie hätten nicht „verrückt genug“ gewirkt, um es in den Film zu schaffen. Ihnen zufolge seien die Produzent:innen explizit auf der Suche nach Storys zu „extremen Dingen“ gewesen, die die Fans für die Jungs von One Direction getan hätten.
Der Fokus der Dokumentation auf die extremeren Verhaltensweisen von Fans (wie das Versenden von Morddrohungen via Twitter an die Partnerinnen der Sänger) verärgerte viele Directioners. Sie hatten das Gefühl, die Doku habe die Handlungen weniger Fans auf die ganze Fan-Community verallgemeinert. In einem Essay schrieb die Macherin der Doku, Daisy Asquith, danach: „Es war wohl wenig überraschend, dass Channel 4 [der britische TV-Sender, der für die Doku verantwortlich war] uns Druck machte, die wütendsten und hysterischsten Fans zu zeigen, die verrückten Fans. Gegen diesen Stereotyp wehrte ich mich von Anfang an. Ich bin aber auch dazu gezwungen, mich an die geschäftlichen Forderungen zu halten, die meine Produktionen letztlich ja finanzieren.“
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Laut Prof. Sarah Banet-Weiser, Co-Autorin von Believability: Sexual Violence, Media, and the Politics of Doubt, hängt diese Darstellung von Fangirls als potenziell fanatisch auf unfaire Weise mit dem kritischen Blick zusammen, mit dem Frauen generell leben müssen. „Soweit ich weiß, stecken hinter den meisten Fällen von Fans, die Promis stalken oder ihnen gegenüber sogar gewalttätig werden, Männer“, erzählt sie Refinery29 (und tatsächlich sind Stalker:innen öfter cis Männer als Frauen). „Die Vorstellung, weibliche Fans seien ‚labil‘ oder unberechenbar, ist ein echtes Problem, weil es im Zusammenhang damit steht, dass Frauen prinzipiell häufig als irrational betrachtet werden“, erklärt sie.

Kunst gilt erst dann als bewundernswert, wenn auch ein männlich dominiertes Publikum und männergeführte Medien das so sehen.

Die Vorstellung dieser Irrationalität junger, weiblicher Fans sorgt außerdem dafür, dass ihre Interessen als weniger wertvoll erachtet werden. Frauengruppen, die Boybands bewundern, werden als hysterisch abgestempelt, weil die Kunst, die sie so verehren, eine solche Reaktion gar nicht „verdient“, meinen viele. Schon ein Artikel von 1964 im New Statesman über die Beatles, mit dem Titel „The Menace of Beatlism“ (z. Dt.: „Die Bedrohung des Beatle-ismus“), beschreibt die jungen Frauen, die sich „zur Hysterie kreischen“, als „die Stumpfsinnigen, die Faulen, die Versagerinnen“. 60 Jahre später hat die Band weltweit mehr als 600 Millionen Alben verkauft, und die Beatles gelten als die mitunter größten Musiker:innen aller Zeiten. Eins wird deutlich: Kunst gilt erst dann als bewundernswert, wenn auch ein männlich dominiertes Publikum und männergeführte Medien das so sehen.
Nehmen wir als Beispiel mal den britischen Schauspieler und Moderator James Corden, der während des Besuchs der K-Pop-Band BTS bei der UN Witze machte, „15-jährige Mädchen in aller Welt wünschten sich jetzt, sie wären UN-Generalsekretär António Guterres“. Diese Verkindlichung der Community machte die Fans zurecht wütend, die es immerhin geschafft haben, die talentierte Band zu den einzigen koreanischen Musiker:innen zu machen, die schon mit sechs verschiedenen Alben die US-Charts anführten. Corden entschuldigte sich nie für seine Witze – und solche spöttischen Kommentare über Fangirls sind leider auch heute keine Seltenheit. 2017 wurde Harry Styles in einem Artikel im Rolling Stone gefragt, ob er denn eigentlich auch Interesse daran habe, seine Fan-Community außerhalb der Teenagerinnen-Bubble aufzubauen (genau die Bubble, die seine Love On Tour zur zehnterfolgreichsten Tour aller Zeiten gemacht hat).
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Als willkommenes Zeichen der Solidarität verteidigte Styles daraufhin den Musikgeschmack seines Publikums: „Wer sagt eigentlich, dass junge Mädchen, die Fans von Popmusik sind – und das steht doch immerhin für ‚populär‘? –, einen schlechteren Musikgeschmack haben als ein 30-jähriger Hipster? […] Jungen Frauen gefielen auch die Beatles. Willst du mir sagen, dass man sie nicht ernst nehmen sollte? Wie kann man sagen, junge Mädchen ‚verstehen‘ keine Musik? Die sind unsere Zukunft.“

Wer sagt eigentlich, dass junge Mädchen, die Fans von Popmusik sind – und das steht doch immerhin für ‚populär‘? –, einen schlechteren Musikgeschmack haben als ein 30-jähriger Hipster?

Harry Styles
Die Vorstellung, dass sich junge Frauen für die Kunst, die sie lieben, schämen sollten, ist vielleicht auch der Grund für die „bedroom culture“, die „Schlafzimmerkultur“, in der sich viele Fans ihre Interessen hinter verschlossenen Türen hingeben. Von Wänden voller Poster bis hin zu detailverliebten Tumblr-Posts: Private Fan-Räume, im echten Leben und online, gehören zu den wenigen Orten, an denen junge, weibliche Fans ihre Fan-Liebe ausleben können, ohne sich dafür schämen zu müssen.
Jenseits der vier Wände ihrer Schlafzimmer sieht das nämlich leider oft anders aus – insbesondere, wenn sexuelle Aspekte mit im Spiel sind. Obwohl es nicht in allen Bereichen der Fan-Liebe auch um sexuelle Anziehung geht, werden junge Frauen, die ihre sexuelle Lust auf diese Weise offen ausdrücken, oft als Anfechtung der Hierarchie des Patriarchats betrachtet. So schreibt zum Beispiel die Akademikerin Tonya Anderson in ihrer Doktorarbeit von 2012 mit dem Titel „Still Kissing Their Posters Goodnight: Lifelong Pop Music Fandom“, die schamlosen Schreie und öffentlichen Lustgeständnisse gegenüber der Beatles seien „entscheidend für die Feminismusbewegung“ gewesen.
„Diese Veränderung der Verhaltensweisen [weiblicher Fans] wurde in einer Gesellschaft, deren dominante Philosophie stark auf patriarchalischen Ideologien fußte und immer noch fußt, als bedrohlich empfunden. Seitdem hat es die Community weiblicher Musik-Fans nie geschafft, ihren wegen ihres Verhaltens aufgestempelten ersten Ruf als ‚unladylike‘ abzuschütteln“, erklärt Anderson. Bis heute wird die Sexualität junger Frauen und deren Entscheidung, die damit verbundenen Interessen auch öffentlich kundzutun, immer noch lächerlich gemacht und als „übertrieben“ verurteilt.
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In anderen Bereichen der Fan-Welt spielt romantische Anziehung gar keine so große Rolle, und doch begegnet man dort überall demselben Frauenhass. Fans von Taylor Swift sind zwar so einflussreich, dass ihre Nachfrage nach Tour-Tickets vor Kurzem sogar die Plattform Ticketmaster in die Knie zwang, doch wird diese Macht weiterhin oft heruntergespielt. Laut Banet-Weiser liegt diese Kleinrederei vermutlich daran, dass sich Menschen außerhalb der Fan-Community von so großen, frauengeführten Gruppen eingeschüchtert fühlen. „Wenn es eine Fan-Community gibt, die größtenteils aus Frauen besteht und in der sich Männer ihren Platz erstmal verdienen müssten, anstatt ihn automatisch zugesprochen zu bekommen, wird so etwas als sehr bedrohlich empfunden. Was machst du also dagegen? Du behauptest, diese Community sei wertlos und hysterisch, machst abfällige Kommentare, um diese Gruppe zu delegitimieren – weil du nicht dazu eingeladen bist“, erklärt sie.

Der Spott, den junge, weibliche Fans abbekommen, ist unfair. Das Gefühl, in der Begeisterung für jemandes Kunst nicht allein zu sein, ist aber ein Teil dessen, was das Ganze erträglich macht.

Der Umgang mit Frauen in Fan-Communitys wirft nochmal ein grelles Licht auf die Misogynie, den Frauenhass, der uns auch im Rest der Welt begegnet. Vielleicht sind frauengeführte Fandoms gerade deswegen so außergewöhnlich, weil sich die Fans zusammen gegen Hass und Feindseligkeit einsetzen, um sich gemeinsam ihren Interessen hingeben zu können.
„Sich gemeinsam mit Gleichgesinnten einem Star nah zu fühlen, bedeutet, dass deine Gefühle nicht nur in einer Kultur anerkannt werden, die junge Frauen oft nicht ernst nimmt, sondern auch, dass du jeglichen Hass, jegliche Misogynie, dann abstrahieren kannst: Es geht dabei nicht um dich, sondern um Männer, die sich bedroht fühlen und der Meinung sind, sie hätten ein Anrecht auf diesen Raum der Community. Das Gefühl des Zusammenhalts in einer Fan-Gemeinschaft ist daher unheimlich stark“, erklärt Banet-Weiser.
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Der Spott, den junge, weibliche Fans abbekommen, ist unfair. Das Gefühl, in der Begeisterung für jemandes Kunst nicht allein zu sein, ist aber ein Teil dessen, was das Ganze erträglich macht. Das Wissen, dass es da draußen noch so viele andere junge Frauen gibt, die genauso fühlen wie du, erleichtert die Last der Scham und erlaubt es dir, deine Emotionen als völlig legitim zu betrachten. Jedes Mal, wenn ich vor einer Konzerthalle campte, war ich dabei nie allein. Jedes Mal, wenn ich mich online in einen Warteraum für den Ticketverkauf klickte, warteten gleichzeitig Tausende andere mit mir. Und jedes dieser Erlebnisse war eine dringend nötige Erinnerung daran, dass geteilte, gemeinsame Freude den Kern der menschlichen Erfahrung ausmacht. Und Fan-Liebe beweist, dass junge Frauen das wohl am allerbesten verstehen.
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