„Welcome to the blonde world“, sagt Ruby, als sie meine frisch gefärbten Haare fertig geglättet hat. Ich blicke nach acht Stunden im Studio von Andreas Kurkowitz zum ersten Mal bewusst in den Spiegel. Die Farbe ist genauso, wie ich sie mir gewünscht habe. Außerdem sorgt der Ansatz dafür, dass ich nicht aussehe, als würde ich eine Perücke tragen. Alles ist perfekt – und trotzdem fange ich an zu weinen. Ich verstehe selbst nicht warum.
Ich war schon immer brünett. Egal, was sich in meinem Leben verändert hat, meine Haare blieben gleich. Bis jetzt. Ich sitze im Studio und komme mir verkleidet vor. Man kann dieses Gefühl vielleicht mit Khaleesi aus Game Of Thrones erklären: Erscheint sie mit ihrer platinblonden Mähne auf dem Bildschirm, würde man nie in Frage stellen, dass das nicht ihr natürlicher Look ist. Sieht man jedoch die Schauspielerin Emilia Clarke mit ihrer dunklen Naturhaarfarbe, muss man zweimal hingucken, um zu verstehen, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt.
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Am nächsten Morgen wache ich auf und hoffe, dass mein Badezimmerspiegel dafür sorgt, dass alles anders ist. Die Person, die mir darin entgegenblickt, ist immer noch blond. „Das bist doch nicht du“, denke ich wieder und wieder. In dieser Woche werde ich dreimal so lange brauchen, um mich für die Arbeit fertig zu machen. Ich habe das Gefühl, dass ich auf einmal kein Weiß mehr tragen kann, weil es mich blass wirken lässt. Meine Blousonjacke ist so gut wie verkauft. Normalerweise liebe ich schimmernde Outfits, aber jetzt passen sie nicht mehr zu mir. Mit der neuen Haarfarbe trage ich am liebsten weite Hoodies, Pullis von meinem Freund, meine langen Kleider und layere viel. Auch mein Make-up wirkt auf einmal übertrieben. Ich schminke mich seit Jahren gleich, trage Rouge und betone meine dunklen Augen. Damit habe ich jetzt das Gefühl, gewollt zu wirken, was ich absolut nicht leiden kann.
Also verbringe ich jede Menge Zeit damit, mich erst wie gewohnt und dann entspannter zu stylen. Das liegt wahrscheinlich gar nicht an den Haaren, sondern an dem Bild in meinem Kopf. Aus irgendeinem Grund assoziiere ich blond immer noch mit Attributen wie zart, lieblich und filigran. Deshalb glaube ich, dass mich andere Menschen automatisch so wahrnehmen.
Auf einmal spüre ich den dringenden Impuls, meinen halben Kleiderschrank loszuwerden. Vielleicht sollte Marie Kondo ihrem Magic Cleaning-Bestseller ein Kapitel hinzufügen: Einfach kurz zum Coloristen und die Sache mit der Ordnung zu Hause erledigt sich quasi von selbst.
Wenn ich auf dem Weg zur Arbeit an den Schaufenstern in Berlin-Mitte vorbeilaufe, kapiere ich im ersten Moment oft gar nicht, dass ich darin mein eigenes Spiegelbild sehe. Ich erschrecke allerdings auch nicht mehr. Erst fünf Sekunden später, wenn ich eigentlich schon vorbeigelaufen bin, realisiere ich, dass ich es bin. „Eigentlich sah das ja ganz cool aus“, denke ich. Vielleicht spreche ich mir Mut zu. Vielleicht gewöhne ich mich wirklich an das Leben mit hellen Haaren.
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Wenig später treffe ich Meli, meine Kindergartenfreundin aus meiner Heimatstadt Augsburg. Dort kennen mich alle schon ewig mit genau derselben Frisur: lange, dunkelbraune Haare, manchmal Highlights, mehr nicht. Meli meint, dass sie gar nicht sagen kann, ob mir braune oder blonde Haare besser stehen. Meine Veränderung würde sie allerdings dazu bringen, mich genauer zu betrachten und wieder mehr auf mein Gesicht zu achten. Dasselbe sagt mir ein Freund, der mir aber eröffnet, dass ihm meine alte Haarfarbe besser gefallen hat. Damit kann ich leben. Er erklärt, dass ihm Menschen mit dunkleren Haaren generell besser im Gedächtnis bleiben, weil er sich durch den Kontrast das Gesicht genau einprägen kann. Helle Haare würden alles mehr verschwimmen lassen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Mir wird bewusst, warum ich eine meiner liebsten Farben, nämlich Schwarz, jetzt auch im Kleiderschrank noch viel besser finde: Sie bildet den größtmöglichen Kontrast zu meiner neuen Haarfarbe. Ich habe das Gefühl, mehr zu strahlen und auf einmal herauszustechen – im Winter, wenn sich Berlin 24 Stunden am Stück grau anfühlt, aber auch jetzt.
Allerdings bringt die neue Farbe auch eine andere Nebenwirkung mit sich. Ich habe jetzt einen Stempel. Er trägt den Namen „Die Blonde da“ und wird mir vor allem vor die Nase gehalten, wenn ich ausgehe. Gerade erst saß ich mit zwei Freundinnen – beide brünett – im Restaurant. Die Männergruppe neben uns wirkte entspannt, suchte aber auf einmal offensiv das Gespräch und unterbrach uns mehrmals. Es wurde anstrengend, irgendwann ging ich für eine Zigarette vor die Tür. Meine Freundinnen wurden währenddessen gefragt, ob „die Blonde“ jetzt schon gegangen wäre oder noch einmal zurückkommen würde.
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Auch tagsüber pfeifen mir auf einmal wildfremde Männer auf der Straße hinterher. Ich bin wütend und fühle mich seltsam schutzlos. Als ich meiner Freundin Meli davon erzähle, deren Haare im Sommer automatisch blond werden, meint sie, dass sie bei Tinder mit hellen Haaren grundsätzlich andere Matches bekommen würde. Blond, der Garant, um Vollidioten sofort zu erkennen?
Meistens kann ich darüber lachen. Doch grundsätzlich ist das ständige Gefühl, sein Schutzschild verloren zu haben, ganz schön beängstigend. Bin ich unsicher, weil ich glaube, dass ich als Brünette tougher wäre?
Mit meinen blonden Haaren wirke ich definitiv nahbarer und offener – auf Frauen und auf Männer – was auch ein Vorteil sein kann, wenn es darum geht, ins Gespräch zu kommen. Mein Freund hat mir ganz offen erklärt, dass er meine Haarfarbe zuvor schöner fand. Er meint, dass er mich jetzt wahrscheinlich nicht ansprechen würde, wenn er mich nicht kennen und auf der Straße oder einer Party treffen würde. Ich sage ihm, dass ich glaube, dass das Vorurteil in meinem Kopf auch in seinem viel zu viel Platz einnimmt: Oh, eine Blondine.
Zurückfärben will ich meine Haare aber nicht. Ich bleibe blond und denke sogar darüber nach, demnächst noch heller zu werden. Allgemein bin ich auf meinen Look jetzt weniger festgelegt. Tatsächlich kann ich mir sogar vorstellen, meine Haare abzuschneiden. Außerdem verstehe ich jetzt auch viel besser, warum der Impuls so groß ist, nach einer Trennung die Haare zu verändern: Man schlüpft in eine andere Rolle – und durch die optische Veränderung wirkt die Hemmschwelle auf einmal viel niedriger, Eigenschaften anzunehmen und sich Dinge zu ermöglichen, die man sich sonst nicht getraut hätte.
Ich bin selbstbewusster, weil ich mit der neuen Haarfarbe auch verbinde, mehr aufzufallen. Dadurch habe ich das Gefühl, mich selbst weniger zu beschränken. Eine Veränderung von braunen zu blonden Haaren fühlt sich also an wie den eigenen Instagram-Feed zu kuratieren: Das Konzept bleibt gleich. Was sich verändert, sind die Bilder, die dein Umfeld mit bestimmten Looks verbindet.
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