Soweit ich zurückdenken kann, war ich ein Workaholic. Und da ich mich in romantischer Hinsicht immer zu Künstlern hingezogen gefühlt habe, bedeutet das, dass ich in all meinen bisherigen Beziehungen die Hauptverdienerin war.
Nur in meiner jetzigen Beziehung war das nicht von vornherein so: Jacob, mein Ehemann, ist mittlerweile Freelancer, während ich festangestellt in einem Start-up arbeite. Meine Arbeit sichert heute unser Einkommen und unsere Krankenversicherung. Als wir jedoch 2017 heirateten, sah die Situation noch ganz anders aus: Ich arbeitete von zu Hause aus als Communications Director für eine Agentur, während Jacobs Karriere als Creative Director gerade so richtig abhob. Es war das erste Mal in unseren sechs gemeinsamen Jahren, dass er mehr verdiente als ich. Trotzdem entschied er sich sechs Monate später, seine Agentur zu verlassen. Das Arbeitsklima dort war einfach ungesund. Die Entscheidung kam eher plötzlich und resultierte daraus, dass seine Chefin wenige Wochen zuvor ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund entlassen worden war. Klar unterstützte ich seine Entscheidung, denn es ging ihm nicht nur schlecht, ich verdiente auch genug, um unsere Miete erstmal allein zu finanzieren. Darüber hinaus wurden ihm ständig freiberufliche Jobs angeboten, die er wegen seiner Festanstellung ablehnen musste. Wir rechneten beide mit einem entspannten Übergang.
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Doch es kam anders: Auf einmal blieben die Freelance-Angebote aus und wir wurden beide immer und immer genervter. Ich war genervt, wenn ich nach Hause kam und sah, dass er dort zwar den ganzen Tag gewesen war, aber nichts im Haushalt erledigt hatte. Er war genervt, dass ich nicht sah, wie sehr er sich bemühte Arbeit zu finden. Ich war genervt, dass ich trotz meines Vollzeitjobs immer noch alle Supermarkteinkäufe erledigte und gleichzeitig nicht in der Lage war, mein Geld für die schönen neuen Schuhe auszugeben, die ich so gerne haben wollte, obwohl ich ohne Ende arbeitete. Gleichzeitig war ich neidisch auf die ganze Zeit, die er nun hatte und ich nicht. Ihn nervte die geringe Wertschätzung.
Nebenbei fing ich an zu freelancen und arbeitete die Nächte und Wochenenden durch. Der Gedanke, in meinem Job gefangen zu sein, weil wenigstens einer von uns für ein festes Einkommen und die Krankenversicherung aufkommen musste, machte mich wahnsinnig. Wieso sollte ich die ganze Verantwortung übernehmen? Obwohl meine Gefühle nachvollziehbar waren, waren sie nicht unbedingt fair. Jacobs Entscheidung, seinen Job zu verlassen, hatten wir gemeinsam gefällt.
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Ich war genervt, wenn ich nach Hause kam und sah, dass er dort zwar den ganzen Tag gewesen war, aber nichts im Haushalt erledigt hatte. Er war genervt, dass ich nicht sah, wie sehr er sich bemühte Arbeit zu finden.
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Natürlich bin ich mit meiner Beziehung nicht die einzige Hauptverdienerin auf der Welt, doch bei den meisten Paaren sind die Einkommensverhältnisse immer noch an den klassischen Geschlechterrollen orientiert: Studien belegen, dass beispielsweise in den USA 2014 Frauen in vier von zehn Haushalten mit Kindern unter 18 Jahren die einzigen oder die Hauptverdienerinnen waren, in Deutschland waren es 2013 sogar nur 13 Prozent.
Und obwohl ich davon überzeugt bin, dass die Rolle der oder des Hauptverdienenden, unabhängig vom Geschlecht, keine einfache ist, scheint es mir so, als wäre diese Rolle insbesondere für heterosexuelle Frauen besonders belastend. Es ist immer noch ein Thema, über das niemand gerne spricht. Jacob und ich haben ganz offen darüber gesprochen, doch als wir dann gemeinsam in diese Dynamik reinrutschten, war es auf einmal, als sprächen wir nicht mehr dieselbe Sprache.
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Ich war alleine und frustriert, also beschloss ich, 20 Hauptverdienerinnen zu interviewen. Sowohl hetero- wie homosexuelle cis-Frauen, die an unterschiedlichen Orten wohnen und die unterschiedlichsten Jobs haben. Ich wollte wissen, wie sie (und ihre Partner*innen) mit den Herausforderungen umgehen, die diese Situation mit sich bringt. Was mir schnell bewusst wurde, als ich diese Gespräche führte: Geld ist Macht. Immer noch. Und wenn eine Frau die traditionell männliche Rolle des Versorgers übernimmt, wird es schnell mal verwirrend. So fortschrittlich wir auch denken, es ist nicht einfach, den gesellschaftlichen Normen zu trotzen. Irgendwie scheinen wir manchmal noch so an den Klischees zu hängen, dass es wehtut: Der arme schusselige Mann, der nicht mal eine Waschmaschine bedienen kann und die überforderte Frau, die zwar alles wuppt, aber über die Zeit zu einer nervigen ollen Kuh geworden ist, die ständig etwas an ihrem Gegenüber auszusetzen hat.
Eleanor* ist 39 Jahre alt und leitet ihre eigene Firma. Dass ihr Mann „so eine beschissene Einstellung zum Haushalt hat“ schiebt sie auf seine Erziehung. Dass sie ihre Konflikte über haushältliche Pflichten nicht mit ihrer Position als Hauptverdienerin in Verbindung bringt, sagt aber sicher auch etwas über ihre eigene Erziehung aus. Mich hat es nicht verwundert, dass ein Drittel der Frauen, mit denen ich sprach, erzählte, dass Streitigkeiten über den Haushalt mit ihrem Aufstieg zur Versorgerin in der Beziehung zunahmen. Es scheint noch immer so zu sein, dass von Frauen, unabhängig von ihrem Gehalt, gesellschaftlich erwartet wird, mehr Hausarbeiten zu erledigen als männliche Partner. Es ist bewiesen, dass je größer die Lücke zwischen dem Gehalt der Frauen und dem der Männer war, die Frauen umso mehr Haushaltstätigkeiten übernahmen. Zusätzlich zu ihrem Vollzeitjob und nur, um ja zu vermeiden, dass ihre Partner sich „entmännlicht“ fühlen.
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„Frauen kennen die Regeln“, sagt Farnoosh Torabi, Finanzberaterin und Autorin des Buches When She Makes More. „Das Haus ist unsere Domäne, wenn wir nicht arbeiten. Und klar machen wir da einen guten Job. Männer haben diesen Instinkt nicht.“
Um zu erfahren, woran das liegt, müssen wir gar nicht so lange suchen: Der Stereotyp der Frau, die sich ums Haus kümmert, ist sowohl in Serien als auch in Waschmittelwerbungen nach wie vor omnipräsent und viele von uns werden ihn auch noch aus dem eigenen Elternhaus kennen. Wenn Männer auf einmal diese Rolle übernehmen sollen, fehlt es ihnen an Vorbildern, an die sie sich instinktiv halten können. In den letzten Jahren wurden große Bemühungen unternommen, Mädchen weibliche Vorbilder in Forschung und Technik zu zeigen. Nach dem Motto: Mädchen können nicht werden, was sie nicht sehen können. Dass das gleiche für Jungen gilt, wird an unserem Beispiel sichtbar.
Doch es gab auch Frauen, die ich interviewte und die keine Konflikte über dreckiges Geschirr austrugen. Ihre Beziehungen fußen auf dem Prinzip, dass ihre Partner auch nicht-traditionelle Aufgaben übernehmen – von der Kindererziehung übers Putzen bis hin zur emotionalen Unterstützung. Und dass ihnen für ihren Beitrag Wertschätzung entgegengebracht wird.
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Es gibt auch Frauen, die keine Konflikte über dreckiges Geschirr austragen. In ihren Beziehungen übernehmen die Partner auch nicht-traditionelle Aufgaben – und dafür wird ihnen auch Wertschätzung entgegengebracht.
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Sara ist 37 und Rechtsanwaltsfachangestellte. Unglücklicherweise wurden ihr Mann und sie zum gleichen Zeitpunkt entlassen, doch sie fand schneller als er einen neuen Job. Nachdem sie ihr erstes Kind geboren hatte, schien es sinnvoll, dass ihr Mann zu Hause bei dem Baby bleibt. „Die größte Herausforderung für mich war, ihm zu vertrauen, dass er zu Hause das Ruder in die Hand nimmt. Ich habe von Anfang an klargestellt, dass ich nicht vorhabe, nach meiner Arbeit noch eine zweite Schicht als Hausfrau zu wuppen, während mein Mann daneben steht und vielleicht mal assistiert. Dafür musste ich ihm die Freiheit zugestehen, die Sachen auf seine Art zu machen. Und das Vertrauen, dass er seine Vaterrolle gut ausfüllt. Ich konzentriere mich auf meinen Part, er sich auf seinen. Und ansonsten freue ich mich einfach, Zeit mit ihm und unserem Sohn verbringen zu können.“Mit dieser Einstellung ist Sarah aber eher die Ausnahme. Gerade wenn Kinder involviert sind, funktioniert die Organisation nicht immer so reibungslos.
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Einige Frauen, mit denen ich gesprochen habe, meinen trotzdem, dass eine Ausgeglichenheit der Rollen über die Zeit erreicht werden kann. Wichtig dafür sei, dass sich die oder der Hauptverdiener*in über die Jahre immer mal wieder ändere.
„Wir sind jetzt 20 Jahre zusammen und wer mehr Geld macht als die andere, hat sich in dieser Zeit immer mal wieder abgewechselt“, erzählt Jamie Beth, 42, die als Autorin und Verwaltungsassistentin arbeitet. Auch Talentagentin Julie, 41, empfindet dieses Geben und Nehmen in ihrer Ehe als Bereicherung. „Wir wechseln uns immer mal wieder damit ab, wer gerade den Job macht, der das Geld reinbringt und wer in der Zeit etwas Kreatives machen darf. Sechs Jahre lang war ich die Hauptverdienerin, aber jetzt habe ich meine eigene Firma gegründet und mein Mann hat sich einen Job gesucht, mit dem er uns beide versorgen kann.“
Für andere Frauen war jedoch klar, dass sie dauerhaft diejenige in der Beziehung sein wollten, die Karriere macht. Jane ist Creative Director und erzählte mir im Interview, dass ihre Partnerschaft erst dann anfing zu laufen, als sie und ihr Partner sich dazu entschlossen, auf gesellschaftliche Normen zu pfeifen. „Wir haben versucht, eine ‚normale‘ Beziehung zu führen, aber darin sind wir einfach nur gescheitert. Als wir dann anfingen, so zu leben, wie wir wollten anstatt so, wie es von uns erwartet wird, wurde es immer besser.“
Geschichten wie die von Jane fand ich persönlich am hilfreichsten. Die Hauptverdienerin zu sein ist hart, aber viele der Frauen, mit denen ich gesprochen habe, haben es geschafft, dieses Modell zum Laufen zum bringen. Daran ist auch ihre Beziehung gewachsen. Jennifer, 32, arbeitet als Merchandiserin und sagt: „Die Situation legt alle Probleme, die du davor schon hattest, unter ein Mikroskop. Doch das ist gar nicht schlimm, weil es dir die Möglichkeit gibt, sie zu erkennen und zu lösen. Wenn einem das als Paar gelingt, wird man dadurch stärker denn je.“
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Martha, 33, ist Marketingfachfrau und gibt an, dass es ein Segen sein kann, eine*n Partner*in zu haben, der oder die keine Angst vor dieser Dynamik hat. Wenn beide Partner*innen einen klaren Plan von ihrem Leben haben und sich wertgeschätzt und produktiv fühlen, kann das für alle gut funktionieren. Sie jedenfalls fühlt sich selbstbewusster denn je.
Mir scheint, als sei der Schlüssel zu einer glücklichen Beziehung, in der die Frau die Hauptverdienerin ist, dass keine*r der Partner*innen denken sollte, dass ihre Bemühungen für selbstverständlich genommen werden. Eigentlich grundsätzlich eine gute Idee. Jeder Beitrag zu einer funktionierenden Beziehung ist wertvoll und keine*r sollte das Gefühl haben, seiner oder ihrer sei weniger oder mehr wert, egal ob es sich um häusliche oder finanzielle Dinge handelt. Außerdem ist wohl nichts toller, als eine*n Partner*in zu finden, die uns in unseren Plänen unterstützt.
So sieht es auch Creative Director Jane: „Ich stehe in meiner beruflichen Blüte und erlebe und erreiche gerade die Dinge, von denen ich als Kind immer geträumt habe. Das ist nur deshalb möglich, weil mein Partner immer für mich da ist. Er stellt mir frisches Wasser hin, wenn ich seit Ewigkeiten in einem Telefonat hänge und erinnert mich regelmäßig daran, auch mal eine Privatperson zu sein.“
Trotzdem ist es immer noch beängstigend, die Hauptverdienerin zu sein. Ich habe mich definitiv eingeschlossen, wütend und allein mit der Verantwortung gefühlt, die ich auf mich geladen hatte, ohne zu begreifen, was das eigentlich bedeutet. Trotzdem hat mich die Rolle auch stärker, erfinderisch und mutig genug gemacht, Dinge klarer anzusprechen. Ich bin stolz darauf, dass ich meiner Familie finanzielle Unterstützung bieten konnte, als diese sie brauchte. Ich weiß, dass ich ein Workaholic bin, aber ich weiß auch, dass die jetzige Situation nicht für immer so sein wird. Wenn sie sich eines Tages wieder ändert, kann ich mit Stolz sagen, dass unsere Beziehung diese Veränderung im Machtgefüge aushält, auch wenn uns das einige lange Diskussionen kostet. Und vielleicht wird es mich auch ein wenig traurig machen, dass ich dann meinen Status als Hauptverdienerin nicht mehr als Ausrede nutzen kann, wieso ich morgens nicht das Bett mache.
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