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Bitte hört auf mich zu fragen, warum ich noch keine Kinder habe!

Foto: Eylül Aslan
Äpfel pflücken zu gehen ist, schon seit ich klein war, meine Lieblingsbeschäftigung im Herbst. Ich liebe es so sehr, dass ich vor ein paar Wochen sogar meine Freundin davon überzeugt habe, ein kariertes Flanellhemd anzuziehen und Äpfel pflücken zu gehen.
Alles war noch genau so, wie ich es noch in Erinnerung hatte – die Traktorfahrt zum Obstgarten. Die Kürbisse am Wegrand. Die eine alte rostige Rutsche. Was ich nicht erwartet hatte, waren die vielen Kinder dort. Der Ort war überfüllt mit jungen Familien, die Fotos mit Kürbissen machten und Säcke mit Äpfeln herumtrugen. Es war ein Chaos – ein schönes Chaos – aber ich war nicht bereit dafür. „Babe, ich bin froh, dass wir nie Kinder haben werden“, sagte ich zu meiner Freundin, als ich sah, wie ein kleiner Junge faule Äpfel umherschmiss. 
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Da nickte sie zustimmend. Sie ist vielleicht die einzige Person in meinem Leben, bei der ich mich nie für meine Entscheidung, keine Kinder haben zu wollen, rechtfertigen musste. Die eine Person, die mich nicht dazu bringt, eine gesellschaftlich zufrieden stellende Begründung dafür zu liefern, warum mir mein Leben so wie es gerade ist, vollkommen reicht. Bis zum Mittag in der Einzimmerwohnung (die wir uns tatsächlich leisten können) schlafen zu können und keine Kompromisse bei meinem Traumjob eingehen zu müssen, ist alles, was ich will.
Kinderlos zu bleiben, war für mich eine leichte Entscheidung. Allerdings wird eben diese Entscheidung oft als egoistisch, kindisch oder unerfahren abgestempelt. Kinderlos zu sein ist immer noch ein Tabu – egal, welche Gründe du auch dafür hast. Ich will einfach keine Kinder. Und mit dieser Einstellung bin ich keinesfalls allein: Immer mehr Millennials verschieben das Kinderkriegen oder verzichten komplett darauf. Und doch werden wir immer noch gezwungen überzeugende Argumente dafür zu bieten, warum wir so leben wollen.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich finde es toll, wenn Menschen eigene Kinder haben wollen, aber für mich ist das einfach nichts – in mir weckt sich kein Mutterinstinkt, nur weil ich einmal die kleine Hand des Babys meiner Freund*innen gehalten habe. Ich habe nie davon geträumt einen dicken Schwangerschaftsbauch zu haben oder mit den Kleinen Weihnachten zu feiern. Es ist auch nicht so, dass ich Kinder hasse. Im Gegenteil, an Halloween zum Beispiel habe ich mich sogar gerne auf die kalte Treppe vor meinem Appartementhaus gesetzt, um den winzigen Hexen und Mumien Süßigkeiten zu geben. Wenn ich sie sehe, denke ich mir aber nur: „Süß, aber nicht für mich.“
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Ein Leben voller Mimosas, Eier Benedikt (ich bin kein großer Fan von Avocadotoast) und demütiger Prahlereien über meine Reisen auf Instagram finde ich dagegen sehr erstrebenswert. Und ich bin sogar eine leidenschaftliche Hundepark-Besucherin. Ich habe zwar keinen Hund, aber der Freilaufpark in der Nähe meines Büros, gehört definitiv zu meinen Lieblingsspots. Wenn ich an die Zukunft denke, die meine Freundin und ich geplant haben, dann fühlt sich alles gut an.
Aber das ist für die meisten Menschen nicht gut genug – nicht für meine Mutter, deren Lieblingsspruch „man weiß nie“ ist. Auch nicht für die Leute, die ich auf einer Babyparty getroffen habe. Nicht einmal für die Ärzt*innen, die mir damals warnend sagten, dass ich aufgrund der Hormonschwankungen vielleicht Probleme dabei haben könnte, schwanger zu werden.

Keine Kinder zu haben, war für mich eine leichte Entscheidung.

Dabei gibt es natürlich einige sehr gute Argumente dafür, sich nicht fortzupflanzen: Die Immobilienpreise steigen immer weiter, während Löhne kaum höher sind und mittlerweile kommt man leichter an Drogen, als an einen Platz im Kindergarten. Seit einiger Zeit spielt auch der Klimawandel eine Rolle in der Entscheidung, ob man Kinder haben will. Manche Antinatalist*innen wollen zum Beispiel keine Kinder, weil sie es unmoralisch finden, sie in einer Welt aufwachsen zu lassen, die nicht mehr lebenswert ist.
Ich könnte mir sogar, einige persönliche Gründe ausdenken, warum ich kinderlos leben will. Wie zum Beispiel eine familiäre Vorgeschichte mit psychischen Problemen oder der Stress, den ein Kind auf meine Karriere ausüben könnte. Und sind wir mal ehrlich: Schwangere und Mütter, die die Kinderbetreuung übernehmen, ziehen karrieretechnisch immer den Kürzeren. 
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Dass ich überhaupt nach Argumenten suchen muss, zeigt doch nur, welche Erwartungen die Gesellschaft immer noch an Frauen hat. Selbst Lesben wie ich bekommen keinen Freibrief. Als ich mich damals vor meinen Eltern outete, änderte das nichts daran, dass sie sich für mich ein traditionelles Familienleben wünschten. In gewisser Weise war das ein Zeichen dafür, dass sich die Zeiten ändern. Lesbisch zu sein hinderte mich nicht daran, eine Familie zu haben. Außerdem könnte ich es mir als weiße, homosexuelle Frau in einem westlichen Land leisten, Kinder zu haben und sie würden sicher und wohlgehütet aufwachsen. Das ist schön, das ist es wirklich, aber ich komme gut ohne diese traditionelle Lebensweise klar.
Und genau darum geht’s: dieser Lebensweg wird bei Frauen vorausgesetzt und wenn sie es nicht tun, dann brauchen sie einen guten Grund dafür – aber warum? Warum werden Frauen aufgefordert, ihre Lebensentscheidungen zu begründen? Es fühlt sich so an, als würden wir uns immer entschuldigen und unsere Gefühle und unser Handeln erklären müssen. Niemand scheint das Gleiche von Männern zu erwarten. Im Endeffekt bin auch ich niemandem eine Rechenschaft schuldig.
Es dauerte einige Zeit, bis ich das glaubte und meine Freundin half mir sehr dabei. Gemeinsam schaffen wir unsere eigene Definition dessen, was Familie und Erwachsensein bedeuten. Das macht mich nicht egoistisch. Es bedeutet nicht, dass ich nicht erwachsen werden will. Es spielt auch keine Rolle, ob jemand denkt, dass ich eine Verschwendung einer Gebärmutter bin. Niemand hat Anspruch auf eine Erklärung, die über ein „Nein, danke“ hinausgeht.
Also, wenn du mich suchst: Ich bin im Hundepark und träume von einer Zukunft nach meinen eigenen Vorstellungen.

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