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Der „Jennifer-Lawrence-Effekt“ & Hollywoods absurde Erwartungen an Frauen

Foto: Getty Images.
Jennifer Lawrence ist wieder da. Die Oscar-Gewinnerin, die einst Hollywoods selbstironisches Kronjuwel war, ist in den vergangenen Jahren ein bisschen in der Versenkung verschwunden. Jetzt tritt sie langsam zurück ins Rampenlicht – angefangen mit ihrem neuen Film Don’t Look Up. Und im ersten großen Interview seit ihrem bewussten Rückzug aus der Öffentlichkeit wird klar: Die Last der öffentlichen Meinung hat ganz schön an Lawrences Selbstbewusstsein gekratzt.
„Ich glaube, alle hatten mich irgendwie satt. Ich hatte mich satt. Irgendwann war einfach der Punkt erreicht, an dem ich scheinbar nichts mehr richtig machen konnte“, erzählt sie gegenüber der Vanity Fair. „Wenn ich über einen roten Teppich schlenderte, fragten die Leute: ‚Wieso ist sie nicht gerannt?‘ … Ich glaube, ich habe den Großteil meines Lebens versucht, anderen zu gefallen. Die Arbeit gab mir das Gefühl, niemand konnte wütend auf mich sein: ‚Okay, ich habe Ja gesagt, wir machen das also. Niemand ist sauer.’ Und dann habe ich irgendwann den Punkt erreicht, an dem ich den Eindruck hatte, dass meine Existenz allein nicht mehr ausreichte. Dadurch verlor ich die Überzeugung, dass dir deine Arbeit oder Karriere wirklich ein Gefühl von Seelenfrieden bringen können.“
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Ich glaube, alle hatten mich irgendwie satt. Ich hatte mich satt. Irgendwann war einfach der Punkt erreicht, an dem ich scheinbar nichts mehr richtig machen konnte.

Jennifer Lawrence
Das Interview ist voller Pausen, in denen sich Lawrence ihre Worte genau überlegt. „Ich bin so nervös. Ich habe so lange nicht mehr mit der Welt geredet“, erzählt sie der Interviewerin Karen Valby.
Die Konsequenz davon, dass sie lange Zeit eine der sichtbarsten Frauen der Welt war (wenn man bedenkt, dass sie Anfang 2018 eine der bestbezahlten Schauspieler:innen überhaupt war und 2014 ihre privaten Nacktbilder geleakt wurden), ist, dass sie heute reservierter ist denn je. Es ist eine wichtige Entscheidung der schwangeren Schauspielerin, nicht zu viel über ihr Baby zu verraten – schließlich wurden die Grenzen ihres Privatlebens schon oft überschritten.
Aber was ist eigentlich mit Jennifer Lawrence passiert? Wie konnte die einst als liebenswürdig und bescheiden empfundene Leinwand-Heldin zu einem Star werden, den sogar andere Promis nervig finden?
Dazu hat die Comedienne und TikTokerin Keara Sullivan eine Theorie, die sie die „Jennifer-Lawrence-Pipeline“ nennt. Damit meint sie das Phänomen, wenn eine enorm beliebte Schauspielerin die Anerkennung der Öffentlichkeit verliert. Dafür gibt es laut Sullivan ein paar Anzeichen: Meist fängst es mit einem Filmgenre-Wechsel an – die meisten betroffenen Darstellerinnen fangen in Komödien an und gehen dann in andere Genres über (bei Lawrence war es umgekehrt). Zweitens hängt der Fall in Ungnade auch oft mit den Offscreen-Persönlichkeiten der entsprechenden Schauspielerinnen zusammen.
„Ich glaube, weil der Erfolg einer Frau in Hollywood enorm von ihrem Auftreten fernab der Leinwand abhängt, kommt es [bei Frauen] viel häufiger zu diesem Absturz“, sagt Sullivan. „Wir, als Publikum, erwarten viel mehr emotionale Arbeit von Frauen; wir verlangen, viel mehr Persönliches über sie zu erfahren. Wir bilden uns unsere Meinung von ihnen nicht basierend auf ihrer schauspielerischen Arbeit, sondern auf ihnen als Menschen.“
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@superkeara Reply to @ashbey18 introducing The Jennifer Lawrence Pipeline™️ #chrispratt #scarlettjohansson #rebelwilson #awkwafina #ellendegeneres ♬ original sound - Keara Sullivan
Durch Interviews und öffentliche Auftritte landen Promis wie Jennifer Lawrence ganz schnell im Medien-Schleudergang – und sind plötzlich gefühlt überall. Sobald wir als Publikum aber den Eindruck haben, genug intime Einblicke in die Leben dieser Stars bekommen zu haben, sind wir sie irgendwann „satt“ und stempeln sie vielleicht sogar als narzisstisch oder aufmerksamkeitsgeil ab.
Dieser Zyklus nagt bis heute an Lawrences Selbstbild. „Meine größte Sorge [am Set von Don’t Look Up] war, Meryl Streep auf die Nerven zu gehen“, erzählt sie. „Das war mein schlimmster Albtraum. Also sprach ich nur, wenn ich angesprochen wurde. [In der Hoffnung,] dadurch die am wenigsten nervigste Person im Raum zu sein.“
Aber natürlich hat sich Lawrence auch schon Fehler und Fehltritte geleistet. Sie ist ein selbsternanntes „Arschloch“ zu ihren Fans, machte mal einen unsensiblen Witz über heilige hawaiianische Steine und übernahm die Lautsprecheranlage eines Flugzeugs, um einen Sieg der Philadelphia Eagles zu feiern. 
Was ihr endgültig den Stempel als „cooles Mädchen“ einbrachte, war ihr hartnäckiges Bedürfnis, sich als „normaler Mensch“ zu beweisen. Anfang der 2010er wiederholte Lawrence immer wieder, wie sehr sie doch Fast Food liebe, machte sich über ihre „ekligen“ Körperfunktionen lustig und winkte Komplimente ab. 

Wir stellen Frauen ungefragt auf ein Podest und schlagen sie dann mit denselben Händen, mit denen wir ihnen vorher applaudiert haben.

Sie war das perfekte Beispiel für Gillian Flynns Konzept vom „cool girl“: „Die ‚Coole‘ zu sein, heißt, dass ich eine heiße, brillante, lustige Frau bin, die Football, Poker, dreckige Witze und Rülpsen liebt, Videospiele spielt, billiges Bier trinkt, auf Dreier und Analsex steht und sich Hotdogs und Burger in den Mund stopft, als würde sie darin den größten kulinarischen Gangbang veranstalten, und trotzdem nur eine Größe S trägt“, schreibt Flynn in Gone Girl.
Natürlich bedeutet diese schädliche Erwartungshaltung, dass alle Frauen zwangsläufig daran scheitern. Wir stellen Frauen ungefragt auf ein Podest und schlagen sie dann mit denselben Händen, mit denen wir ihnen vorher applaudiert haben. Wir lassen ihnen gar keine andere Wahl, als früher oder später zu verschwinden und die Klappe zu halten. Und wenn sie sich eines Tages wieder aus der Versenkung hinaustrauen, sind sie eine zurückhaltendere, vorsichtigere Version ihrer selbst.
Ja, Jennifer Lawrence ist wieder da. Aber dass sie überhaupt erst verschwinden musste, sollte uns zu denken geben.
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