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Wie sich unsere Beziehung zu weiblicher Körperbehaarung im Lockdown verändert hat

Foto: Zaineb Abelque.
Von meinen Achseln bis hin zum Bauchnabel: Mir wachsen überall Haare, ganz egal, wie oft ich sie entferne. Ich schätze, dass ich im Jahr über 800 Euro dafür ausgebe, mir Körperhaare aus der Haut reißen zu lassen. Manchmal habe ich dabei das Gefühl, dass die Haare schon innerhalb weniger Stunden wiederkommen – aber als die Pandemie ihren Höhepunkt erreichte, machte es mir irgendwann Spaß, herauszufinden, wie lang diese Haare wohl werden könnten. 
Das ging so weit, bis meine Eltern mir einredeten, ich müsse sie mir wieder entfernen. Inzwischen enthaare ich mir aber nur die halben Beine, als kleine Rebellion sozusagen. Warum? Weil sich für mich 2020 dahingehend etwas änderte, und ich weiß, dass ich damit nicht allein bin. Anfangs hatte das ganz pragmatische Gründe: Kosmetikstudios waren schon seit Ewigkeiten geschlossen, wir an unser Zuhause gekettet – und ich hatte wirklich wichtigere Sorgen als meine Körperbehaarung. Würde ich gesund bleiben? Wann würde ich meine Liebsten wiedersehen können? Das letzte Jahr hat viele Leute dazu bewegt, ihre Körperbehaarung lieben zu lernen oder sie zumindest zu akzeptieren, denn mitten im Chaos wirkten Achselstoppeln und Flaum am Bein plötzlich ziemlich irrelevant. 
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Haben wir uns bisher die Körperhaare für uns entfernt – oder um unser Umfeld nicht zu verärgern? 

Im letzten November zierte die Schauspielerin Emma Corrin (The Crown) das Cover der Glamour – mit unrasierten Achseln. Im Interview dazu sagte Corrin: „Ich habe mich noch nie mit unrasierten Achseln gezeigt, weil ich in einer Beziehung war und scheinbar immer darauf programmiert war, zu denken, ich müsste mich für beide Beteiligten rasieren. Aber scheiß drauf – ich will mich gar nicht wirklich rasieren! Irgendwann dachte ich mir: ‚Warum habe ich mir die Mühe überhaupt gemacht?‘“ Corrin wirft da eine interessante Frage auf: Haben wir uns bisher die Körperhaare für uns entfernt – oder um unser Umfeld nicht zu verärgern? Und wie hat der Lockdown unsere Einstellung zum Thema Körperbehaarung verändert?
Dass wir unsere Körperbehaarung in der momentanen Situationen in einem anderen Licht sehen, ergibt Sinn. Die dauernden Lockdown-Beschränkungen heißt, dass wir weitestgehend von Freund:innen, Verwandten, Kolleg:innen, vielleicht sogar Partner:innen isoliert sind – Leute, vor denen uns unsere sichtbare Körperbehaarung sonst vielleicht peinlich wäre. Während der Pandemie hat sich unser gesamter Lifestyle verändert, und das spiegelt sich auch in unserer Körperpflege wider. Viele von uns sind zu der Erkenntnis gekommen, dass ihre rituelle Haarentfernung eher der Pflicht als der wirklichen Not entsprang. Studierende:r Sof zum Beispiel ließ die Körperhaare im Lockdown „aus Faulheit“ wachsen; inzwischen gefällt ihm:ihr der Look. „Ich werde meine Beinhaare auf jeden Fall behalten“, sagt Sof. „Die sind jetzt einfach ein Teil von mir, und ich liebe es, haarige Beine zu haben.“ Sof sagt zwar, dass er:sie sich trotzdem immer noch zwischendurch für die Körperhaare schämt, sie aber auch als Teil seiner:ihrer Abstammung akzeptiert. „Ich habe arabische Wurzeln und bin deswegen haariger als viele weiße Menschen. Dafür sollte ich mich aber nicht schämen, sondern es als Teil von mir akzeptieren“, erklärt Sof. 
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Dieses vergangene Jahr hat uns vor die freie Wahl gestellt, unsere Körperbehaarung ganz, teilweise oder eben gar nicht zu entfernen – frei von äußeren Einflüssen. Die Isolation der Pandemie hat vielen einen ganz neuen Blick auf den eigenen Körper eröffnet, ohne den Druck von regelmäßigen Waxing- und Laser-Terminen. Das geht auch Ella* so. „Die Pandemie hat für mich alles ins rechte Licht gerückt“, sagt sie. „Vorher habe ich mir immer die Arm- und Gesichtsbehaarung entfernt, weil manche meiner Freund:innen meinten, ich hätte davon ‚zu viel‘. Als ich dann mit meinem Körper dauernd allein war, wurde mir klar: Es sind doch bloß Haare. Und obwohl ich mir zwar die Haare im Gesicht entfernen werde, sobald der Lockdown vorbei ist, ist es irgendwie befreiend, dass ich zumindest meine Arme nicht mehr enthaaren werde. Vor Corona habe ich so viel Geld und Zeit in die Haarentfernung investiert, aber in diesem Sommer werde ich mir darüber weniger den Kopf zerbrechen.“
Da stimmen auch andere zu: Olly zum Beispiel erzählt, dass es ja „kaum Leute überhaupt bemerken“, ob ihre Körperhaare im Lockdown rasiert sind. Princess geht das auch so und meint, dass ihr freier Terminkalender bedeutet, dass ihre Haarentfernungsroutine auf der Prioritätenliste immer weiter nach unten gerutscht ist. Als frischgebackene Mutter macht sie sich über ihre Körperbehaarung gerade auch gar nicht viele Gedanken – und wäre durch ihren Babybauch auch gar nicht gut rangekommen. Sobald der Lockdown endet, will Princess ihre Beinhaare behalten, wird sich aber die Achseln enthaaren. Sie betont dabei einen wichtigen Punkt: Mit dieser Entscheidung fühlt sie sich einfach am wohlsten, und dabei half es ihr, so viele andere in den sozialen Medien die eigene Körperbehaarung schätzen zu sehen. 
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Den meisten von uns wurde immer glaubhaft gemacht, Körperbehaarung sei ein Symbol von „Männlichkeit“. Die vermeintlich logische Schlussfolgerung: Je weniger Haare du hast, desto „weiblicher“ bist du.

Insbesondere TikTok hat durch die diversen Lockdowns im vergangenen Jahr an Beliebtheit gewonnen, und viele seiner User gehen aktiv gegen das Stigma rund um sichtbar behaarte Frauen vor. Der Hashtag #bodyhairisnatural zum Beispiel hat inzwischen rund 60 Millionen Aufrufe, #bodyhairpositivity ist bei über 23 Millionen. Die Videos decken thematisch alles ab: Manche User empfehlen natürliche Methoden zur Haarentfernung, wie zum Beispiel Sugaring, andere präsentieren stolz ihre Bein- und Achselbehaarung, ergänzt durch positive und Selbstliebe proklamierende Captions. Die britische TikTokerin Solana zum Beispiel nutzt den #bodyhairisnatural-Tag, um ihren >426.000 Followern zu signalisieren: Körperbehaarung ist völlig normal. In einem viralen Video fragt sie zum Beispiel: „Wie soll ich meine Haare als Nächstes färben? Ich tendiere zu Lila, Grün, vielleicht Rot.“ Dabei meint Solana übrigens ihre Achselhaare – und die positiven Kommentare zum Video beweisen, dass Tausende andere ebenfalls der Meinung sind, Körperhaare sollten gefeiert, nicht gehasst werden. Diese Message taucht auch drüben auf Instagram immer häufiger auf, zum Beispiel in den Posts von Harnaam Kaur und Paris Jackson.  
Den meisten von uns wurde immer glaubhaft gemacht, Körperbehaarung sei ein Symbol von „Männlichkeit“. Die vermeintlich logische Schlussfolgerung: Je weniger Haare du hast, desto „weiblicher“ bist du. Einige TikTok-User kommentieren genau deswegen, diese oder jene TikToker seien „zu“ behaart; solche Kommentare werden aber schnell von anderen übertönt. Gleichzeitig betont die Community immer wieder, dass diese neue Ära der Positivität so schnell nicht vergehen wird. Die TikTokerin Anna zum Beispiel, die offen darüber spricht, eine Asiatin mit „dickem, grobem, dunklem Haar“ zu sein, hat genau darüber vor Kurzem gesprochen. Als Antwort auf einen Kommentar eines männlichen Followers sagte sie: „Es ist ein weitverbreiteter Glaube, Frauen sollten haarlos sein – und ich denke, für viele ist es ein Schock, wenn sie sehen, wie viele Haare einer Frau wachsen können.“ In Bezug auf ein anderes Video, in dem sie ihre Achselhaare gezeigt hatte, erzählte sie weiter: „Als ich dieses Video gefilmt habe, waren die Haare nicht mal so lang, wie sie sein könnten. Wenn die dich also anekeln, ist das wohl eher dein Problem, denn Körperbehaarung ist total natürlich. Wenn du sie selbst nicht entfernen willst, musst du es erst recht nicht für andere tun.“
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„Meine Körperbehaarung zu akzeptieren, ist kein offener Widerstand. Ich will einfach frei sein.“

Carol
Diese Unsicherheit ist in vielen von uns dennoch tief verwurzelt – und wird von der Beauty- und Medien-Industrie schamlos ausgenutzt. Das trifft dann vor allem Frauen südländischer Abstammung, deren Haare oft dunkler und dicker sind als die von weißen Frauen. Bei der Erinnerung daran, wie sie früher von Frauenzeitschriften und Werbung, in denen haarlose Frauen zu sehen waren, beeinflusst wurde, sagt Olly: „Ich denke, uns ging es [bei der Haarentfernung] darum, uns wie Erwachsene zu fühlen und das nachzumachen, was wir im TV und den Medien gesehen hatten.“ Was dort gezeigt wird, ändert sich aber ganz langsam. Die Beauty-Brand Billie, zum Beispiel, promotet ihre Rasierer-Kampagne „Project Body Hair“ mit Werbespots im Kino und Fernsehen, in denen weibliche Körperbehaarung zu sehen ist, und seit 2020 zeigt auch der Instagram-Account von Billie zahlreiche Frauen mit ganz verschiedenen Arten der Körperbehaarung
Ich persönlich fühle mich durch sowas gesehen, weil solche Posts endlich etwas anderes sind – sie zeigen keine schon perfekt rasierten Frauen, die sich dann nochmal rasieren. Nachdem ich die „Project Body Hair“-Kampagnenbilder gesehen hatte, wurde mir klar: Ich musste meine Abneigung für die Haarentfernung nicht mehr verheimlichen. Viele andere waren da nämlich genau meiner Meinung. Eine neue Rasierer-Marke, die im letzten Jahr durch ihre haarpositiven Einstellung immer populärer wurde, ist Sunny. Deren Slogan lautet: „Rasieren oder nicht – ist doch keine große Sache. Ob du nun stoppelig oder glatt bist, wird die Welt nicht verändern.“ Carol sieht das genauso: „Meine Körperbehaarung zu akzeptieren, ist kein offener Widerstand. Ich will einfach frei sein.“ Sie fügt hinzu, dass sie sich nach dem Lockdown nur dann die Haare entfernen wird, wenn sie Bock darauf hat. Das Gefühl, mehr Kontrolle zu haben, hat sie auch dazu ermutigt, ihre monatlichen Termine zur Haarentfernung zu canceln.
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Gleichzeitig kann die Haarentfernung aber natürlich auch eine Form von Self-care sein, insbesondere während eines so stressigen Jahres. Und da muss ich zustimmen. Obwohl ich mir die Haare nicht immer entferne, gebe ich zu: Seidig glatte Haut kann das Selbstbewusstsein stärken. Das geht auch Refinery29-Beauty-Redakteurin Jacqueline so. Sie schrieb letztes Jahr: „Für manche Menschen kann die Entscheidung, Körperbehaarung nicht zu entfernen, empowernd und befreiend sein. Für mich ist es mindestens genauso befriedigend, jeden Morgen diese unbequemen kratzigen Haare zu entfernen. Es ist eine der einzigen Routinen, die ich noch während der Selbst-Isolation habe und ich fühle mich dadurch etwas weniger gestresst und ängstlich – irgendwie etwas ‚normal‘.“
Ganz egal, ob du dich im Lockdown umso lieber oder auch gar nicht mehr enthaarst: Die Pandemie hat unser aller Blick auf die eigene Körperbehaarung  verändert, bei manchen kaum, bei manchen aber umso mehr. Vielen von uns gibt die Körperbehaarung im Lockdown aber eindeutig ein Gefühl von Freiheit. Vielleicht staunst du darüber, wie lang deine Körperhaare werden, wenn du sie mal nicht wachst oder rasierst; vielleicht freust du dich aber auch jetzt schon auf den nächsten professionellen Waxing-Termin. Ob du deine Haare behältst oder nicht: Das ist deine persönliche Entscheidung, und wenn uns das letzte Jahr eines gelehrt hat, dann, dass wir einander dafür niemals verurteilen, sondern Akzeptanz und gegenseitiges Verständnis praktizieren sollten. Und das gilt eben auch für Beauty
*Name wurde von der Redaktion geändert
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