Vor langer, langer Zeit stand „BTS“ noch für „behind the scenes“, und ein grünes Licht, gefolgt von einem roten, war fernab vom Straßenverkehr kein Grund zur Panik. Damals landete meist nur ein einziger Koreaner in den Schlagzeilen, und das im negativsten Kontext. Kim Jong-il hatte ich auch zu verdanken, dass ich dauernd erklären musste, dass die „Kims“ quasi die koreanischen „Schmidts“ sind.
Zahllose K-Pop-Gruppen und einen koreanischen Obersten Führer später hat sich daran aber so einiges geändert. Die „K-Wave“, also „koreanische Welle“, schwappte über den Globus, und K-Pop, K-Dramen und K-Beauty gehörten plötzlich zum Mainstream. Erst letztes Jahr hat das englische Oxford Dictionary ganze 26 koreanische Begriffe in sein Wörterbuch aufgenommen.
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Squid Game ist Netflix’ meistgesehene Serie, Parasite der erste nicht-englischsprachige Film, der bei den Oscars als „Bester Film“ ausgezeichnet wurde, und BTS haben so viele Chart-Rekorde geknackt wie Fan-Herzen erobert. All das sind Gründe dafür, warum mich meine weißen Kolleg:innen heute um koreanische Restaurant-Empfehlungen bitten, warum im Haarsalon meines Vertrauens Dynamite im Hintergrund läuft und mich völlig Fremde interessiert und aufgeregt angucken, wenn sie erfahren, dass ich koreanische Wurzeln habe.
Ich muss aber etwas gestehen: Ich bin eine Hochstaplerin. Ich leide unter einem „Kim-postor-Syndrom“. Nach außen hin bin ich durch und durch Koreanerin: Ich esse jeden Tag Kimchi, befolge in meiner Skincare-Routine ganze zehn Schritte und trinke Soju wie Leitungswasser. Wenn du mich aber fragst, welche koreanische Show du als Nächstes gucken solltest oder wen Lee Min-Ho gerade datet, kannst du dich schon mal auf Enttäuschung einstellen; da kannst du genauso gut eine Wache aus Squid Game um einen Tipp für das nächste Spiel bitten. Vergeblich!
Das war nicht immer so. Während meiner Schulzeit flirtete ich ein bisschen mit der koreanischen Popkultur – diese kurze Verknalltheit entsprang aber einfach nur einer Mischung aus Neugier, Pflichtgefühl und Gruppenzwang. Ich war enttäuscht: Jeder Song klang für mich absolut gleich, und koreanische Promis sahen aus, als kämen sie alle aus derselben Star-Fabrik. Überzogen dramatische Storys in koreanischen Serien und Filmen waren so berechenbar wie Kimchi zum Abendessen. Wahre Liebe wird durch einen tragischen Unfall oder eifersüchtige Konkurrenz verhindert? Ja, wow, große Überraschung.
Dennoch nahm die K-Wave an Fahrt auf und überrollte koreanische Nachbarländer wie Vietnam und Japan. Mit der Zeit breitete sich das Phänomen auf den ganzen Globus aus – und irgendwann überholten mich viele Leute im „Koreanisch-Sein“, ohne dass ich es mitbekam.
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Park Hae-Soo, Jung Ho-Yeon, and Lee Jung-Jae, the stars of @squidgame.
— Queue (@netflixqueue) February 17, 2022
The series continues to break records as the most watched program in Netflix history, and as the first Korean and non-English series nominated for Best Ensemble at the @sagawards. pic.twitter.com/F4ZdNftkaa
Erst bei der Geburtstagsparty eines Freundes wurde mir klar, dass ich hinterherhinkte. „Hier ist jemand, die dich unbedingt kennenlernen will!“, erklärte er mir.
Ich war neugierig, und irgendwie geschmeichelt, als er mich in eine Ecke des Raums zog, wo ich mit einem enthusiastischen „Annyeong!“ (z. Dt.: „Hi!“) begrüßt wurde. Die junge Frau, die mir gegenüberstand, war klein, brünett – und weiß. Direkt sprudelten ihr perfekt formulierte Sätze auf Koreanisch aus dem Mund, und sie zählte hintereinander alle BTS-Mitglieder auf, sortiert nach ihrer Attraktivität. Sie hatte gerade ihren Anfängerkurs in Koreanisch abgeschlossen und plante ihre dritte Reise nach Korea. Ich war extrem beeindruckt, aber auch echt eingeschüchtert.
Ich war erst einmal im Heimatland meiner Mutter. Das war 2009, direkt nach der Schule, und die Reise war kurz – es hatte für mich gerade mal gereicht, um zu begreifen, dass ich auf meine Mit-Koreaner:innen ungefähr so ausländisch wirkte wie ein Weißwurstfrühstück. Ladenbesitzer:innen begrüßten mich auf Englisch oder sogar Japanisch, und Einheimische machten sich lieb über mein winziges, veraltetes Wissen über koreanische Promis lustig.
Seit dieser Reise fiel mir immer häufiger auf, wie un-koreanisch ich war. Eine meiner weißen Kolleginnen zeigt mir immer mehr koreanische Snacks. Sie hat einen koreanischen Supermarkt in der Nähe unseres Büros entdeckt (von dem ich bis dahin keine Ahnung gehabt hatte), und ihr neuester Fund war Maxim-Kaffeemischung, ein koreanischer Standard, den sie in den Küchen vieler koreanischer Filme gesehen hatte. Sie erzählt mir bis heute enthusiastisch von den neuesten koreanischen Serien, die sie durchgesuchtet hat, obwohl sie genau weiß, dass ich kein K-Drama mehr geschaut habe, seit DVDs die Videokassette ablösten.
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Ich hatte ein 13-minütiges Gespräch mit einer Uber-Fahrerin, die jede koreanische Serie auf Netflix geguckt hat. Sie hatte sogar ihren Mann zum Fan gemacht. Dessen Favorit: Boys Over Flowers.
Ein anderer Kollege, ebenfalls weiß, ist begeisterter Koch und Fan von koreanischem Essen. Er kocht sich selbst zu Hause oft etwas Koreanisches und bringt mir etwas ins Büro mit, um sich mein Feedback einzuholen. Diesen Austausch fand ich echt cool, bis er mich fragte, wie man Kimchi macht. Ich hatte mich bis dahin immer eher als Connoisseur betrachtet – nicht als Köchin. Meine Küchen-Skills beschränken sich auf Omelette, und ich habe nicht die Geduld, um drei Tage auf eine Fermentation zu warten. Für sowas gibt’s Omas, dachte ich.
Ich stellte kurz darauf fest, dass Omas auch für anderes gut sind: Als die offizielle Verkosterin und Sous-Küchenchefin meiner Oma verbrachte ich ganze Stunden in der Küche damit, ihr die Zutaten zu reichen und mir ihre Geschichten anzuhören. Heute ist sie quasi meine Koreanisch-Lehrerin und hilft mir dabei, meine Sprach-Fähigkeiten zu verbessern, während ich ihre Kreation des Tages verschlinge. Zugegeben: Das alles ist ein Vorwand, um mehr Zeit mit ihr zu verbringen – aber unser Deal ist eine eindeutige Win-Win-Situation. Ich helfe ihr dabei, ihren Kühlschrank leerzufuttern, während ich gleichzeitig mehr über meine Wurzeln erfahre.
Seitdem stürze ich mich ganz ohne Scham in den K-Trend, wann immer mir gerade danach ist. Insbesondere, als 2019 Parasite erschien und bei den Oscars abräumte, entdeckte ich meine Liebe für die koreanische Kultur völlig neu. Voller Stolz tauschte ich mein iPhone gegen ein Samsung aus und erstellte mit auf Spotify eine K-Pop-Playlist. Vielleicht war meine Abneigung gegen alles Koreanische vorher nichts weiter als jugendliche Rebellion gewesen – genau so, wie du als Teenie ja auch nicht mit deinen Eltern rumhängen willst. Wenn dann aber eine:r deiner Freund:innen das Auto deines Vaters bewundert oder den Musikgeschmack deiner Mutter lobt, sind dir die „Alten“ plötzlich doch nicht mehr so peinlich.
Ich habe mich inzwischen damit abgefunden, dass mich viele Nicht-Koreaner:innen inzwischen wohl in meiner eigenen Kultur übertreffen – gleichzeitig habe ich aber akzeptiert, dass sich mein Geschmack einfach immer weiterentwickeln wird. Und solange die K-Wave weiterhin so positiv altert wie guter Kimchi, hole ich mir gerne immer wieder Nachschlag.
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