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Ich habe nackt vor 30 Fremden posiert & es hat mein Körperbild verändert

Ich bin in einem Raum voller Fremder. Niemand sagt ein Wort. Auf dem Zementboden stehen hier und da ein paar Kerzen und werfen ein orangefarbenes Licht an die Wände. Die Luft ist kühl und schwer; jemand hat hier vor nicht allzu langer Zeit Räucherstäbchen verbrannt. Auf Stühlen und Hockern sitzen Fremde um mich herum, meist in Zweier- und Dreiergruppen. Einige sind allein hier. Alle starren mich an. Natürlich – schließlich bin ich nackt.
An einem Abend voller Rotwein war mir irgendwann der Gedanke gekommen: „Wow, ich bin so verdammt heiß. Mich sollte definitiv mal jemand zeichnen.“ Und diesen Gedanken war ich danach einfach nicht mehr losgeworden. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es könnte ganz schön sein, meinen Körper als Kunst zu sehen. Ich wollte gern wissen, ob mein Bauch wirklich so groß aussieht, wie ich glaubte, oder ob meine Hüfte so asymmetrisch wirkt wie auf diesem einen Foto vor ein paar Jahren. Ich wollte mich selbst wunderschön gezeichnet sehen, in der Hoffnung, meinen eigenen Körper danach nicht mehr mit so einer erdrückenden Traurigkeit zu betrachten.
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Diese Neugier blieb in meinem Kopf hängen. Trotzdem war ich lange der Meinung, es sei eine Sache, mich nach ein, zwei Gläsern Wein wie die schönste Frau auf Erden zu fühlen – und eine ganz andere, in einem Zeichenkurs als Modell zu posieren. Die einzigen Beispiele, die ich dafür je gesehen hatte, stammten aus Serien oder Filmen. Diese schlanken, aufreizenden Frauen, die sich dort auf Samtsofas räkelten, hatten immer was von „Femme fatale“ – und das konnte ich über mich selbst überhaupt nicht behaupten. Ich hatte jedenfalls das Gefühl, mein Körper sei nicht schön genug, um gezeichnet zu werden.
Und genau da lag ich lächerlich, unglaublich falsch. Das wurde mir aber erst bewusst, als ich dann tatsächlich selbst einen solchen Zeichenkurs besuchte (als Künstlerin, nicht als Modell). Ich saß zwischen zwei talentierten Freund:innen auf einem muffigen Dachboden und führte peinlich berührten Smalltalk, um mich von der Angst abzulenken, ich könnte versehentlich über die Brüste des Modells kichern – oder von dem Druck, am Ende mein Bild neben den Meisterwerken meiner Freund:innen präsentieren zu müssen. Während in dem kleinen Raum also fröhlich geplaudert wurde, trat auf einmal eine Frau in unsere Mitte. Ich sah ihr dabei zu, wie sie zum Gürtel ihres seidenen Bademantels griff, und das Zimmer wurde plötzlich ganz ruhig. Und dann war sie nackt.

Ich wollte mich selbst wunderschön gezeichnet sehen, in der Hoffnung, meinen eigenen Körper danach nicht mehr mit so einer erdrückenden Traurigkeit zu betrachten.

Als ihr ihr Bademantel von den Schultern fiel, drehte sie sich weg, um ihn säuberlich gefaltet auf den Boden zu legen, und irgendwas in meinem Kopf machte „Klick“. Während der nächsten zwei Stunden verteilte ich mehr Zeichenkohle auf meinen Klamotten als auf meinem Papier, aber als ich den Dachboden verließ, fühlte ich mich glücklicher, als ich in letzter Zeit gewesen war. Während der Busfahrt nach Hause schrieb ich dann eine E-Mail an ein Zeichenstudio in der Nähe. Ich erklärte, dass ich zwar keine Erfahrung, aber doch das starke Bedürfnis hatte, in einem Zeichenkurs als Modell zu dienen.
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Die Vorstellung, dass völlig Fremde meine Poritze – und, noch schlimmer, meine Zehen – sehen würden, ließ mich zwar einige Male nervös kichern. Als mir das Studio aber antwortete und einen Termin anbot, atmete ich tief durch, schickte ein Ja zurück und fragte mich, wie ich eigentlich so lange still halten sollte.
Und da war ich dann also, nackt in einem Raum voller Fremder. Meine Arme zeigen in Richtung Decke und greifen nach etwas, was nicht wirklich da ist. Der Song im Hintergrund endet, ein neuer beginnt, und ich weiß, dass es an der Zeit für eine neue Pose ist. Ich setze mich auf den Boden, winkle meine Beine an und kauere mich zusammen. Ich spüre, wie mein Bauch eine, vielleicht zwei, vielleicht drei Falten wirft. Anstatt mich aber schnell wieder zurückzulehnen oder mich dafür zu schämen, dass mein Bauch eben den Raum einnimmt, den er braucht, atme ich die kühle, schwere Luft ein und verharre für die nächsten zehn Minuten in dieser Position.

Als Modell zu posieren, ließ mich all das an meinem Körper lieben, von dem ich vorher geglaubt hatte, es sei nicht schön oder liebenswert.

Und auch da machte es „Klick“. Ich wusste, dass ich am Ende der Sitzung aufstehen, meinen Bademantel anziehen und die Künstler:innen darum bitten würde, mir ihre Zeichnungen ansehen zu dürfen. Ich würde mit ihnen darüber lachen, wie sehr mein Nacken während der Pose wehgetan hatte, die ihnen am meisten gefallen hatte. Sie würden mir die Bilder zeigen, auf die sie am meisten stolz waren – oder vielleicht die, die auf lustige Weise irgendwie schief gelaufen waren. Ich wusste, dass jede einzelne Person meinen Körper auf ganz andere Weise betrachtet hatte. Und das gab mir ein tiefes Gefühl von Ruhe.
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Mir ist klar, dass ich wohl nie genau verstehen werde, wie mein Körper auf andere Leute wirkt – aber das brauche ich auch gar nicht. Sie alle hatten denselben Körper angestarrt, aber etwas ganz Einzigartiges daraus erschaffen. Die Bauchröllchen, für die ich mich vorher so geschämt hatte, sahen auf dem einen Bild so weich aus, und auf dem anderen so stark.
Das komische Ding, das meine Hüfte tut, wenn ich mein Gewicht auf ein Bein verlagere, sah auf einer Zeichnung ganz lässig aus, auf einer anderen hingegen sehr elegant. Sogar meine Finger waren von einer Person zur anderen völlig anders gezeichnet worden. Wieso sollte ich behaupten, mein Körper sei nicht schön oder gut genug, wenn er mit all seinen Rollen und Kanten und Falten doch Kunst ergibt? Wieso sollte ich mir darüber den Kopf zerbrechen, was andere vielleicht von meinem Körper halten könnten, wenn ich daran doch Dinge finden kann, die ich liebe und schätze?
Einige Künstler:innen entschieden sich dazu, meine Bauchfalten nicht zu zeichnen. Manche malten mir eine perfekte Sanduhr-Silhouette und Brüste, die allen physikalischen Gesetzen widersprechen – und das ist okay. Vor ein paar Monaten hätte ich genau diese Zeichnungen noch eingerahmt über meinem Bett aufgehangen. Das mache ich heute aber nicht.
Als Modell zu posieren, ließ mich all das an meinem Körper lieben, von dem ich vorher geglaubt hatte, es sei nicht schön oder liebenswert. Ohne diese Facetten wäre ich nicht ich. Ich erkannte mich selbst in den Zeichnungen wieder. Ich wusste die Bilder zu schätzen, bei denen sich die Künstler:innen die Zeit genommen hatten, jede Bauchrolle zu malen und meine ungleichmäßige Hüfte darzustellen. Ich erkannte mich selbst in der sanften Kurve meines Rückgrats, den aneinanderreibenden Oberschenkeln, dem nachdenklichen Gesichtsausdruck und den dunklen Wimpern wieder.
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Und wenn ich mich heute selbst ansehe, erkenne ich darin ein lebendes Kunstwerk.
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