Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich mir zum allerersten Mal einen Pickel ausdrückte. Ich war etwa zehn Jahre alt und stand auf einem Hocker vor dem Badezimmerspiegel, um die dunkle Beule auf meiner Nase genauer unter die Lupe zu nehmen. Nachdem ich ein wenig daran rumgestupst hatte, versuchte ich es mit energischem Quetschen. Ich weiß heute nicht, was ich mir davon eigentlich erhofft hatte – doch der Mitesser kam raus, und ich war völlig fasziniert. Meine Nase zierte jetzt ein dunkles, rotes Loch. An meiner Fingerspitze klebte etwas, das ich damals für Wachs hielt und ich empfand tiefe Genugtuung. Ich war so aufgeregt, so stolz, so neugierig, dass ich direkt zu meinen Eltern rannte, um ihnen das brandneue Loch in meinem Gesicht zu präsentieren. Von diesem Moment an war ich süchtig danach, an meiner fettigen, unreinen Haut herumzudrücken.
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Ja, ich weiß: Viele Leute dürften jetzt beim Lesen einen gewissen Brechreiz empfunden haben – vielleicht zurecht. Ich weiß aber auch, dass es viele Menschen gibt wie mich, denen es eine fast schon perverse Freude bereitet, zwanghaft an den eigenen Pickeln rumzudrücken. Und während dieser Trend sicher nicht mit Dr. Pimple Popper anfing, hat die Pickel-YouTuberin zumindest dabei geholfen, das Ausquetsch-Bedürfnis zu normalisieren. Und allein die Klickzahlen ihrer Videos beweisen eines: Im Gesicht rumzufummeln ist vielleicht nicht gut für unsere Haut – aber definitiv irgendwie befriedigend.
In meinen frühen Zwanzigern nahm meine sündhafte Angewohnheit allerdings eine dramatische Wendung. Dank meines frisch diagnostizierten Polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS) wurden aus meiner Teenie-Akne mit der Zeit ausgewachsene Zysten. Gleichzeitig entwickelte ich eine Angststörung – und im Nu wurde aus meinem nervigen Pickel-Laster ein angstbedingter Zwang. Obwohl sich meine Haut immer weiter verschlimmerte, half mir dieses Rumquetschen dabei, meine Zwangsgedanken zu bewältigen. Ein Teufelskreis – denn während die Narben tiefer wurden, wuchs auch meine Unsicherheit. Was einst mein peinliches kleines Geheimnis gewesen war, stand mir jetzt wortwörtlich ins vernarbte, hyperpigmentierte Gesicht geschrieben.
Es dauerte mehr als fünf Jahre, bis ich eine Routine gefunden hatte, die meine Haut zumindest ansatzweise unter meine Kontrolle brachte. Währenddessen versuchte ich auch mich selbst zu kontrollieren und meine Finger von meinem Gesicht fernzuhalten – doch blieben die nennenswerten Effekte aus. Meine Haut war so oder so „schlimm“, und da mein Rumgedrücke mindestens mal vorübergehend meinen Stress und meine Unruhe senkte, kümmerte es mich auch nicht weiter. Es kam, wie es kommen musste: Ich quetschte und drückte immer wieder.
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Inzwischen bin ich mit meiner Hautpflege-Routine recht zufrieden; sie besteht aus einer Kombination aus Tabletten, verschreibungspflichtigen Cremes und einigen anderen Extras, zu denen ich gleich noch komme. Im vergangenen August war meine Haut dann endlich so gut, wie ich sie seit meinem 19. Lebensjahr und der Prä-PCOS-Ära nicht mehr gesehen hatte. Klar hatte ich an einigen Stellen noch mit Hyperpigmentierung zu kämpfen, und anderswo versuche ich Narben zu akzeptieren, die wohl bleiben werden – doch bekomme ich heute nur noch selten die schmerzhaften Zysten, die mich früher täglich quälten. Und auch die Unebenheiten auf meiner Stirn habe ich heute größtenteils unter Kontrolle.
Es war also der perfekte Zeitpunkt, um zugunsten meiner Haut eine meiner angstbedingten Angewohnheiten abzulegen. Außerdem wollte ich herausfinden, wie sich mein Zyklus eigentlich auf meinen Teint auswirkt; mit hormonellen Schwankungen habe ich nämlich weiterhin zu kämpfen, obwohl ich inzwischen für mein PCOS und die Akne die Pille nehme. War in Wahrheit bloß mein Rumgedrücke für meine schlimmsten Unreinheiten verantwortlich – oder lag es doch an den Hormonen? Ich nahm mir vor, meine Pickel 30 Tage lang in Ruhe zu lassen. Wie das lief, erzähle ich dir jetzt.
Woche 1
Die erste Woche war überraschend schwierig – einfach deswegen, weil ich mich so oft dabei ertappte, wie ich meinem Spiegel immer näher kam und die Mitesser auf meinem Kinn anstarrte. Wann immer mir dieser unbewusste Instinkt auffiel, musste ich mich geradezu selbst vom Spiegel wegzerren. Peinlich.
Abgesehen davon war meine Haut aber gerade ziemlich gut – mein Zyklus hatte erst begonnen. Keine großen Pickel, keine schmerzhaften Zysten weit und breit. Das wollte ich gern beibehalten; insofern fühlte ich mich gut dabei, die Finger von meiner Haut zu lassen.
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Zusätzlich setzte ich weiterhin auf meine bewährte, relativ simple Hautpflege-Routine. Zweimal am Tag reinige ich mir mit dem effektiven, aber sanften CeraVe Foaming Cleanser (6,90 €) das Gesicht. Danach switche ich zwischen Säuren, Seren und Retinoiden, um meiner Haut ein wenig Abwechslung zu gönnen: Morgens verwende ich das 100% Niacinamide Powder von The Ordinary (5,80 €); es ist das einzige Produkt, das wirklich gegen die Unebenheiten auf meiner Stirn hilft. Danach trage ich die Sonnencreme Heliocare 360 Fluid Cream SPF 50 (19,93 €). An Tagen, an denen meine Haut besonders schlimm ist, verwende ich statt Niacinamid mein verschreibungspflichtiges DUAC Akne Gel, gefolgt vom Vitamin-C-Serum Medik8 C-Tetra (39,79 €), das gegen Hyperpigmentierung hilft und mir einen schönen Glow verleiht. Auch darauf trage ich Sonnenschutz auf.
Abends wechsle ich zwischen meinem rezeptpflichtigen Retinol (Differin), Azelaic Acid von The Ordinary (die gut gegen Unebenheiten wirkt, leider aber aktuell überall ausverkauft ist), oder einer anderen säurebasierten Behandlung. Dafür liebe ich die Glykolsäure im Good Genes Serum von Sunday Riley (47,95 €) und die Salicylic Acid 2% Masque von The Ordinary (die ebenfalls aktuell ausverkauft ist). Dabei ist es wirklich praktisch, von zu Hause aus zu arbeiten: Ich kann die Produkte einzeln einwirken lassen, bevor ich das nächste auftrage, und zwischendurch immer mal wieder eine Gesichtsmaske machen.
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Ich sollte an dieser Stelle auch betonen, dass ich die Microgynon nehme – eine Kombinationspille mit Progestin und Östrogen, um meine PCOS-Symptome in den Griff zu bekommen. Die Pille hat mir sehr mit meiner zystischen Akne geholfen, die hormonell bedingt war und sich von keinem Pflegeprodukt beherrschen ließ. Die Pille ist aber natürlich nicht für jede*n eine Option.
Woche 2
Vielleicht war es nur Wunschdenken mit einem Hauch von Selbstgefälligkeit, aber: Zu Beginn der zweiten Woche bildete ich mir ein, schon erste Unterschiede zu sehen. Jedenfalls war meine Haut definitiv nicht schlimmer geworden – nicht einmal an meinen Wangen, die aufgrund meiner offenen Poren normalerweise eine echte Infektions-Gefahrenzone sind. Zwar sah ich vereinzelte Mitesser, erfreute mich aber zu sehr am fehlenden Schmerz, um mich auf sie zu stürzen. Ich bin schon immer davon ausgegangen, jeder ausgedrückte Mitesser oder Pickel (vor allem auf den Wangen) würde in einer Katastrophe enden – mit einer Entzündung, die nicht nur wehtut, sondern auch noch viel mehr auffällt als die ursprünglichen Unreinheiten.
Dr. Zainab Laftah ist Dermatologin in der Londoner Klinik HCA The Shard – und sie stimmt mir zu: „Obwohl es schwer sein kann, den Drang zu unterdrücken, sorgt das Rumdrücken an Pickeln womöglich nur für noch mehr Hautunreinheiten, -verfärbungen und Narben.“ Insbesondere das Quetschen an sich kann Entzündungen unter der Hautoberfläche verteilen, anstatt sie herauszubefördern. Vor allem bei Zysten (einer Ansammlung aus Eiter, toten Hautzellen und Talg) „kann das Drücken die Bakterien und Öle nur noch tiefer in die Haut drängen, wodurch es zu Schwellungen und Entzündungen kommt. Dadurch steigt das Narbenrisiko“, erklärt Dr. Laftah.
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Und obwohl ich all das weiß, fällt es mir schwer, den Gedanken loszulassen, ich müsste die Entzündung rausbekommen. Dr. Laftah betont aber: Das ist ein Irrglaube. „Kurzfristig sorgt das Ausdrücken von Pickeln für weitere Entzündungen, Schmerzen und das Entstehen von Zysten; langfristig kann es zu Hautverfärbungen und Narben kommen.“
Mit diesem Wissen und dem High einer erfolgreich bewältigten zweiten Woche wappnete ich mich gegen Woche 3. Dort fürchtete ich mich nämlich vor einer besonderen Herausforderung: meinem PMS.
Woche 3
Und ich sollte Recht behalten. Diese Bilder stammen noch vom Beginn der Woche, bevor mein Experiment entgleiste. Am Tag, nachdem ich die Fotos gemacht hatte, bemerkte ich an meinem linken Kiefer nämlich eine Schwellung, die einfach nicht verschwinden wollte – auch nicht aus meinen Gedanken. Zwar drückte ich bewusst nicht daran herum, fasste aber doch einige Male hin, und die Stelle wurde langsam rot.
Und dann kam der Samstagabend. Ich hatte ein bisschen zu viel Rotwein intus, kämpfte mit PMS-bedingten Stimmungsschwankungen und stand im Badezimmer, kurz vorm Zähneputzen. Und dann riss mir der Geduldsfaden: Ich lehnte mich nach vorn und fing an zu drücken. Nachdem ich den roten Pickel erleichtert abgehakt hatte, kannte ich kein Halten mehr. Ich arbeitete mich systematisch weiter vor – quer über die Nase, mein Kinn und, am schlimmsten, meine Wangen. Die Euphorie, mir selbst freien Lauf gelassen zu haben, verebbte jedoch schnell. Als ich mein entzündetes, rotes Gesicht betrachtete, fühlte ich mich schuldig. Ich verfluchte mich selbst und ging ins Bett.
Dr. Sheri Jacobson, Gründerin der Londoner Therapiepraxis Harley Therapy, erklärt mir die Ursache solcher Gewohnheiten: Wir wollen uns entweder selbst etwas Gutes tun, oder innere Unruhe abbauen. „Das Herumdrücken an der eigenen Haut ist eine Art der Stressbewältigung; das kann auch mit Unsicherheiten bezüglich des eigenen Aussehens zusammenhängen. Diese ästhetischen Aspekte untersuchen wir [in der Therapie], um herauszufinden, wie weit sie die jeweilige Person beeinflussen. Für manche Leute spielt das nämlich gar keine Rolle.“
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Für mich schon; und in Anbetracht dessen, wie sehr mich dieser rote Pickel verrückt gemacht hatte, ergab es wohl Sinn, dass ich nicht dieselbe Geduld der vergangenen Wochen hatte bewahren können. Irgendwann war bei mir ein Knoten geplatzt, und sobald ich angefangen hatte, an meinem Gesicht rumzudrücken, ging mir schuldbewusst durch den Kopf: Ich verdiene es, hässlich zu sein. Warum also aufhören? Das erklärt Sheri folgendermaßen: „Wir wissen genau, es hilft uns nicht – aber machen trotzdem weiter. Das liegt womöglich daran, dass wir diesen Kreislauf so tief verinnerlicht haben. Es ist schwer, solche Angewohnheiten mit einem Mal abzulegen. Das kann auch eine Form von Selbstverletzung sein. Unterbewusst glauben wir vielleicht, wir verdienen es gar nicht, uns selbst besser zu behandeln.“
Wow. Ich fühlte mich ertappt.
Woche 4
Was eigentlich eine triumphale letzte Woche hätte sein können, war stattdessen irgendwie demütigend. Jeden Tag erinnerte mich der Blick in den Spiegel aufs Neue an meine Sünden. Auf meinem Wangenknochen war ein neuer, schmerzhafter Pickel aufgetaucht, begleitet von zwei weiteren auf meiner Wange. Der ausgedrückte Pickel an meinem Kiefer hatte einen dunkelroten Fleck hinterlassen; den Rest meiner Haut zierten rosa- und pinkfarbene Stellen. Wie du auf den Bildern siehst, war auch die Hyperpigmentierung noch längst nicht verschwunden. Aus der Vergangenheit weiß ich, dass es Wochen, vielleicht sogar Monate dauern kann, bis sie komplett verbleicht.
Und doch hat mir das Experiment eine gewisse Hoffnung gegeben. Ich weiß jetzt: Meine heutigen Pickel verdanke ich den Mitessern, die ich in der vergangenen Woche ausgedrückt habe. Abgesehen von der einen, der mich „rückfällig“ werden ließ, hätte ich vermutlich während meines Zyklus nur sehr wenige Hautunreinheiten bemerkt.
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Mein Zyklus spielt aber in anderer Hinsicht eine große Rolle: Er beeinflusst mich geistig hinsichtlich meiner Körperwahrnehmung und Stimmung sehr stark; gelegentlich treibt er mich offenbar sogar zur Selbstschädigung. Mich mit Sheri darüber zu unterhalten hat mir den Zusammenhang meiner geistigen Gesundheit und meiner Haut gezeigt. Meine Zwangsstörung wirkt sich direkt auf mein Bedürfnis aus, in meinem Gesicht herumzudrücken; meine Akne wiederum beeinflusst mein Körpergefühl und Selbstbewusstsein; meine Unruhe und schlechte Stimmung bestärken die „Scheiß drauf“-Einstellung der Selbstgeißelung.
Ich sollte nicht nur zugunsten der reinen Haut, die ich mir schon so lange wünsche, daran arbeiten, mein zwanghaftes Quetschen sein zu lassen. Auch will ich mich nicht jedes Mal dafür hassen, „versagt“ zu haben. Um das zu schaffen, muss ich nicht nur die Pickel selbst, sondern vor allem meine Stimmung im Auge behalten.
Ich werde wohl nie die Haut einer Person haben, die nie mit zystischer Akne zu kämpfen hatte; damit kann ich aber leben. Und hoffentlich höre ich irgendwann auch damit auf, mich während eines PMS-Wutausbruchs für meine Haut zu bestrafen.
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