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Wie drückst du deine Queerness mit deinem Style aus? 4 Menschen erzählen

Trotz der unzähligen Geschichten rund ums große „Coming-out“ ist das Verständnis und die Akzeptanz der eigenen Queerness für die meisten Leute kein einmaliges Event, sondern ein nicht endender Prozess. Vielleicht fühlst du dich dazu verpflichtet, dich gegenüber jeder neuen Bekanntschaft erstmal „outen“ zu müssen; womöglich hast du auch das Gefühl, deine Identität sei im ständigen Wandel. Fakt ist: Einen endgültigen, enthüllenden „Ta-dah!“-Moment gibt es dabei gar nicht. Stattdessen müssen wir alle lernen, uns einander so zu präsentieren, wie wir uns in jedem einzelnen Moment eben gerade fühlen – und dabei spielt der persönliche Style eine große Rolle. 
Die Kleidung, die wir als queere Personen tragen, erfüllen dabei jede Menge verschiedener Funktionen: Sie können unsere Ablehnung gesellschaftlicher Normen symbolisieren – oder in einer feindseligen Welt unsere Sicherheit gewährleisten. Sie können unsere eigene Gender-Identität festigen – oder zeigen, dass Klamotten nicht „von Natur aus“ gegendert sind. Sie können laut unsere Sexualität kommunizieren – oder sie ganz still und subtil nur für uns selbst ausdrücken. Und weil es immer noch riskant ist, sich öffentlich als queer und somit „anders“ zu zeigen (das gilt insbesondere für trans und gender-nonconforming Personen), müssen unsere Outfits die Gratwanderung zwischen Pride und der damit verbundenen Freiheit auf einer Seite, der sehr realen Gewaltgefahr auf der anderen meistern. Es ist genau diese Gratwanderung, bei der viele von uns neue Möglichkeiten entdecken, uns selbst auszudrücken.
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Wie hängt Queerness mit den Outfits zusammen, die wir tragen? Diese Frage haben wir vier Leuten gestellt. Hier erzählen sie uns, ob, wie und warum ihr jetziger Look ihre queere Identität unterstreicht. 
Das Outfit, das ich mir für heute ausgesucht habe, ist ein schwarzer Oversized-Hosenanzug mit einem Latex-Body darunter und meinen liebsten Boots von Margiela Tabi. Ich habe mich für diesen Look entschieden, weil er so viele Seiten meiner Identität vereint – meine Sexualität, meine Professionalität, meine maskuline und meine feminine Seite, meinen Humor und meine Ehrlichkeit.
Als ich jünger war, schränkte ich meinen Style jahrelang stark ein, weil ich auch meine Queerness unterdrückte. Als ich mich dann als queer outete – und nochmal, als ich mich als gender-nonconforming identifizierte –, war ich endlich dazu bereit, meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse voranzustellen. Das übertrug sich auf meinen Klamottenstil und mein Auftreten, und ich fing an, Kleidung zu tragen, in der ich mich wohl fühlte und die genau ausdrückte, wer ich bin.
Größtenteils präsentiere ich mich als Femme. Das kann schwer sein, weil ich schon immer fülliger war und eine Figur habe, die man als sehr „frauenhaft“ bezeichnen würde. Meine Queerness wird durch meine Figur und die Tatsache, dass ich mich in femininer Kleidung wohl fühle, oft ausradiert. Deswegen wird meine queere Identität oft als weniger „gültig“ angesehen, sowohl inner- als auch außerhalb der LGBTQ+-Community. Dadurch verwenden viele für mich die falschen Pronomen und stellen mein Gender infrage. Gender-Dysphorie gehört somit für mich zur Tagesordnung. 
Zusätzlich werden ich durch den Ausdruck meiner körperlichen und Gender-Identität dauernd zum Opfer sexueller Belästigung; auch sexuellen Missbrauch und das damit einhergehende Trauma habe ich schon erlebt. Als Überlebende:r ist es für mich sehr anstrengend, immer wieder die unwillkommenen Blicke ertragen zu müssen, die mein Körper auf sich zieht. Das bekräftigt mich zwar in meinem Körper und meinem Gender, kann aber auch schmerzhaft sein.
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Für mich ist meine Kleidung eine Möglichkeit, all diesen Erfahrungen standzuhalten. Dadurch stelle ich mich einer Gesellschaft entgegen, die davon besessen ist, meinen Körper zu kontrollieren, einzuschränken und zu verletzen; ich sage ihr dadurch ganz klar: Fuck off. Durch meine Klamotten widersetze ich mich dem sehr beschränkten Ideal, das von mir erwartet wird, weil ich mit einem bestimmten Gender geboren wurde und mich jetzt mit einem anderen identifiziere. Ich sollte nicht meine Weiblichkeit und die Elemente des Frauseins aufgeben müssen, die mich glücklich machen und mit denen ich mich frei fühle, um als queer gelten zu „dürfen“. Diese Weiblichkeit sollte aber auch nicht bedeuten, dass ich mich deswegen automatisch als Frau identifiziere. Ich dachte, wir wollen genau mit diesem beschränkten binären System brechen?
Durch meine Kleidung befreie ich meinen Körper von der Meinung anderer Leute. Ich mache meine eigenen Regeln – und ebne mir so selbst den Weg. Mich wirklich wie ich selbst zu fühlen, heißt für mich, Kleidung zu tragen, die mich glücklich macht. Das können Outfits sein, die meinen Style, meine Sexualität, meine politischen Ansichten oder meine Persönlichkeit ausdrücken; es kann etwas Pinkes, Flauschiges sein, oder etwas Superbequemes. Ich kleide mich je nach meiner Stimmung – und meine Stimmung schwankt oft. Spontan umzukrempeln, wie ich mich anziehe und der Welt präsentiere, fühlt sich für mich befreiend an, und erst dann fühle ich mich komplett wie ich.
Für das Shooting zog ich ein Outfit an, das ich eine Woche vorher schon mal getragen hatte – und als ich in den Spiegel guckte, sagte ich zu mir selbst: „Fuck, yes.“ Ich liebe einen schönen Zwiebellook, und es ist ein gutes Zeichen, wenn ich mich in einem Outfit so fühle, als könnte ich darin jemanden niederstampfen. 
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Ich würde nicht sagen, dass [mein Style] unbedingt meine Queerness widerspiegelt – eher meine trans Identität. Ich kann jetzt all die Klamotten tragen, die ich früher nicht tragen konnte. Ein großer Teil meiner Looks ist sehr fiktional und fantasy-inspiriert, und immer von meiner Tagesstimmung abhängig. Ich überlege mir immer eine Geschichte zu einem Outfit oder eine bestimmte Energie, die ich an diesem Tag ausstrahlen möchte. Wenn ich’s tragen will, trage ich’s. Ich mag es, mir Charaktere für jeden Tag auszudenken.
Ich habe nicht das Gefühl, durch meine Kleidung andere in meine Queerness einzuladen. Sie können aber gerne reinkommen und einen Tee schlürfen, solange sie nicht die Kekse aufessen. 
Ich war schon immer ich selbst. In jedem Moment meines Lebens war jedes Outfit ein Experiment; was ich trage, definiert nicht meine trans Identität. Wenn ich im transparenten Kleid mit einem Tanga und Boots zu Lidl gehe, definiert das nicht meine trans Identität. Auch meine Jogginghose und mein Schlabberpulli definieren nicht meine trans Identität. All diese Kleidungsstücke sind für mich aber Zugänge zu meiner Weiblichkeit. Ich bin inzwischen definitiv aus meinem Schneckenhaus rausgekommen und nehme meine Outfits nicht mehr so superernst – es ist bloß Stoff. Trotzdem gibt es da immer den Überlebensaspekt der Looks zu bedenken, weswegen ich mich in Spiegeln genau auschecke und auch in Spiegelungen in der Öffentlichkeit jede Kurve und Silhouette meines Körpers überprüfe und versuche, ihn durch die Augen von Fremden und insbesondere Männern zu betrachten. Im Laufe der Jahre ist das immer schlimmer geworden; ich schätze, das liegt an der zunehmenden Transphobie und meiner eigenen Dysphorie.
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Ich bin immer ich selbst, egal, was ich trage. Das Wichtige ist für mich, dass ich mich darin wohl fühle und es dem entspricht, was ich an diesem Tag an meinem Körper präsentieren möchte. In diesem Outfit fühlte ich mich gut. Ich fühlte mich sexy, ich fühlte mich albern, ich fühlte mich umwerfend.
Für das Shooting zog ich den Anzug meines verstorbenen Großvaters und ein goldenes Spitzentuch an, das ich vorher nie getragen oder auch nur beachtet habe. Die rosafarbenen Sneaker verdanke ich meinem:meiner Freund:in Steph, die grüne Daunenjacke hätte ich am liebsten nie wieder ausgezogen, und den Schmuck habe ich von Freund:innen und aus einem Charity-Laden. 
Ich weiß nicht genau, wie mein Stil mit meiner Queerness zusammenhängt. Ich könnte dir jetzt die Pride-Antwort geben – aber eigentlich ist es so: Ich bin queer und trage, was ich will. Wenn ich mich danach fühle, mache ich mich für meine Freund:innen schick; das ist für mich Liebe und ein Geschenk. 
Mit meiner Kleidung drücke ich hoffentlich aus, dass ich glamourös und lustig bin. Queer auszusehen, fällt mir nicht schwer – ich strahle geradezu Faggot aus. Ich hoffe, das sehen die Leute, wenn ich meine Ohrringe, meine Ringe, mein schlimmes Outfit anziehe und mein Rouge auftrage und dann mit 30 km/h die Straße entlanglaufe, während „Free“ von Ultra Naté aus meinen Kopfhörern tönt. Ich hoffe, meine Queerness ist ganz deutlich zu erkennen, und dass du schon Bescheid weißt, bevor du stehen bleibst und mich ansprichst. 
In den letzten Jahren habe ich eingesehen, dass ich nicht als feminin durchgehe, und ich empfinde es nicht als befreiend, dafür zum Opfer von Gewalt zu werden. Also habe ich aufgehört, mich feminin zu kleiden. Dadurch fühle ich mich sicherer als damals, als ich als sichtbar trans durch die Straßen gelaufen bin. Seit über einem Jahrzehnt bin ich jetzt offen nichtbinär und habe festgestellt, dass mein Kleidungsstil und Aussehen meine Gender-Identität nicht mehr so stark ausmachen wie früher. Das übernehmen jetzt meine Seele, meine Großzügigkeit und mein Verlangen, und alles, was ich kreiere. Ich habe meinen Blick verlagert; ich betrachte mich nicht mehr selbst aus der Ferne, als sei ich jemand Fremdes, den:die ich zu verstehen versuche. Inzwischen bin ich stärker und geduldiger geworden und sehe für mich eine femininere Zukunft – aber eine voller Selbstliebe und Vergebung. 
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Ich glaube, ich habe mich schon seit Jahren nicht mehr nur durch ein Outfit wie „ich selbst“ gefühlt. Für mich trägt die Mode einfach nicht mehr dieses Gewicht und diese Verantwortung; der optische Aspekt der Präsentation ist für mich nicht mehr so relevant. Trotzdem fühle ich mich durch nichts anderes meinen Leuten so verbunden, wie wenn ich nachts allein in der Sicherheit meines Zimmers ein Kleid anziehe, wie es schon Tausende Crossdresser:innen vor mir getan haben, die nicht als feminine oder maskulin durchgehen. Ich hoffe, niemand fühlt sich davon verletzt, dass ich nicht die stolze, offene trans Frau bin, die sich alle wünschen; jetzt gerade bin ich aber hinter verschlossener Tür trotzdem umwerfend. Ich trage keine Scham mehr in mir und möchte dich dazu einladen, es mir gleichzutun.
Ich finde, dass Neuanfänge mit neuen Klamotten einhergehen – und daran ist leicht zu erkennen, wann immer ich bereit bin, neu in die Welt hinauszutreten. Viele der Begriffe, die beschreiben, wie mein Style meine Queerness widerspiegelt, widersprechen einander – bei einem großen Teil meiner Garderobe, den ich schon seit Jahren habe, würde ich „willkürlich“ sagen; dann wiederum muss ich aber auch „anstrengend“ sagen, weil viele der Stücke, die mich „sichtbar“ machen, dabei sehr viel Arbeit leisten müssen. Ich habe dieses Outfit gewählt, weil ich in letzter Zeit sehr gerne Sport-BHs trage.
Wer gender-nonconforming ist, öffnet sich damit oft gegenüber den Kommentaren der Öffentlichkeit. Da passiert es dann, dass jemand alles in dich hineininterpretiert, was er:sie über trans Identitäten und Gender weiß. Dadurch wird jede trans Person zur Austragungsstätte einer lauten Diskussion; ich war schon in Situationen, in denen ich zur Zielscheibe für die Meinungen und Überzeugungen anderer wurde. Das können nette Kommentare wie „Toll siehst du aus“ sein – oder verbale Angriffe, bei denen mein Gegenüber dann auf das binäre Geschlechtssystem pocht. Oft passiert sowas im Zug. 
Für mich ist Mode oft eine sichere, unterhaltsame Art des Solipsismus –sprich: des Gefühls, nur das eigene Ich würde existieren – und gleichzeitig die Erschaffung von etwas Interessantem. Die Aufmerksamkeit, die das auf sich zieht, will ich nicht komplett verdammen; aber sie ist mehr ein Kollateralschaden. Abgesehen davon ist meine Kleidung idealerweise ein Signal für all diejenigen, die ich zu meiner Gemeinschaft zähle: Wer Bescheid weiß, weiß Bescheid. 

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