„Ich glaube, ich wusste schon von klein auf, dass ich eines Tages Kinder haben wollte“, erinnert sich die britische Fotografin Imogen Freeland.
Diese angeborene Faszination fürs Muttersein bewegte Freeland zu ihrer neuen Serie Birth of a Mother (zu Deutsch: die Geburt einer Mutter), die intime Fotografien von schwangeren Frauen und jungen Müttern zu Hause zeigt. Einige davon kannte sie, andere lernte sie im Zuge dieses Projekts kennen. Einige von ihnen sind Fremde, die sich über Instagram an sie wandten, nachdem Freeland erste Bilder postete. Im Laufe der Zeit hat sie eine emotionale Collage aus Bildern zusammengestellt, die die kollektive und individuelle Erfahrung des Mutterwerdens – also Höhen, Tiefen und alles andere – beschreiben.
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Freeland wuchs zusammen mit zwei älteren Schwestern und einem Bruder in Cambridge auf. „Ich wurde von meinen Geschwistern sehr beeinflusst und inspiriert“, sagt sie. „Meine Schwester ist Künstlerin. Als ich klein war, hat sie in einem Schuppen in unserem Garten Kunstkurse für Kinder angeboten. Ich verbrachte meine Sommer damit, große Skulpturen mit ihr zu kreieren und lernte zu malen und zu zeichnen.“ Im Alter von etwa neun Jahren experimentierte sie erstmals mit Fotografie, nachdem ihr Bruder sein Schlafzimmer in eine Dunkelkammer verwandelt hatte. „Wir entwickelten unsere Filme zusammengekauert im Dunkeln im Kleiderschrank meiner Eltern“, erinnert sie sich gerne. Ihre Schwester ermutigte sie auch, ihre Gefühle in Form von Zeichnungen auszudrücken, und so ließ sie ihre Frustration oder ihren Ärger in Dinge einfließen, die sie mit ihren Händen gestalten konnte. „Diese Art, mit meinen Gefühlen umzugehen, hatte einen großen Einfluss darauf, wie ich Fotografie nutze, um meine Erfahrungen im Leben zu verarbeiten“, sagt sie. Später erkrankte Freeland an Lyme-Borreliose. Fünf Jahre lang hatte sie mit der Krankheit zu kämpfen. Das war eine sehr introvertierte und isolierte Phase in ihrem Leben. Diese frühen Lebenslektionen haben eine sehr große Rolle gespielt und sich enorm auf die Fotografin ausgewirkt. „Seitdem habe ich Fotografie zwar weiterhin auf diese Weise genutzt, habe aber auch gelernt, das mit mehr Bewusstsein zu tun.“
Im Laufe ihres Lebens beobachtete Freeland, wie aus ihren Geschwistern Eltern wurden, und fing an, sich Sorgen darüber zu machen, dass sie vielleicht niemals Mutter werden könnte. Sie machte einige schwierige Momente mit, die mit Mutterschaft, und damit mit einer Schwangerschaft, verbunden sein können. „Ich hatte einen Schwangerschaftsabbruch, der mir sehr zusetzte“, sagt sie. „Zu diesem Zeitpunkt versuchten viele meiner Freundinnen, schwanger zu werden, und hatten Schwierigkeiten damit.“ Einige davon hatten Fehlgeburten, andere bemühten sich mit Fruchtbarkeitsbehandlungen und künstlichen Befruchtungen darum, ihren Wunsch, ein Kind zu bekommen, zu erfüllen. „Diese Erfahrungen entsprachen in keiner Weise unseren Erwartungen vom Muttersein“, sagt sie.
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Daraufhin begann die Fotografin, sich Fragen zu stellen – wie: „Wann beginnt das Muttersein? Und die Qualen der Geburt? Und der Moment der Empfängnis? Oder ist es etwas, das darüber hinaus und davor zu suchen und tief in den Absichten des Menschen verwurzelt ist?“, dachte sie. „Hinter dem ‚Wunder der Empfängnis‘ verbergen sich unzählige Tragödien, Misserfolge und unglückliche Unfälle. Für mich beginnt Mutterschaft als Geflecht aus Hoffnung und Unglück – Momente, in denen die Grenze zwischen Frau- und Muttersein überschritten wird. Mit der Zeit wurde es immer wichtiger für mich, Arbeiten zu schaffen, die sich damit auseinandersetzen.“
Die Bilder in Birth of a Mother sind einfühlsam und unglaublich schön – sogar malerisch, wie klassische Porträts, die die Textur der Haut und die Feinheiten der menschlichen Gesten feiern. Sie sind aber auch unbestreitbar ehrlich und schrecken nicht davor zurück, die Narben echter Körper, die zärtlichsten Momente und Augenblicke voller Müdigkeit zu zeigen. Ein Foto zeigt eine stillende Frau, die sich mit ihrer Tochter neben ihrem zusammengerollten Sohn hinlegt, um sich auszuruhen; auf einem anderen streckt sich eine junge Frau in ihrem Bett und reibt sich die Augen im Morgenlicht. Die Kinder in den Aufnahmen sind durch ihre kleinen Hände und Münder eng mit den Körpern ihrer Mütter verbunden oder noch nicht auf der Welt. Für Freeland war es wichtig, Mutterschaft auf diese Weise darzustellen. „Ich denke, dass der Körper nach der Geburt oft in Scham gehüllt ist und versteckt wird, anstatt ihn zu zelebrieren. Aus diesem Grund wollte ich die Schönheit dieser körperlich vergänglichen und zerbrechlichen Zeit einfangen. Das Projekt entstand als Reaktion auf einen kulturell sehr leidenschaftslosen Blick, der durch unrealistische und nicht repräsentative Schönheitsstandards verzerrt ist und extrem herunterspielt, wie viel Heldentum mit dem Muttersein einhergeht.“
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Die Aufnahmen zeigen Momente voller Erwartungen und Vorfreude – Gefühle, die wirklich helfen, die stillen Ängste der bevorstehenden Mutterschaft und die körperliche und emotionale Vorbereitung von Frauen zu visualisieren. „Mutter zu werden, benötigt eine Menge Geduld, schon davor“, sagt sie. In Freelands Bildern scheint die Zeit ein wenig langsamer zu vergehen.
Als sie mit ihrem eigenen Sohn schwanger wurde, empfand Freeland die Schwangerschaft als sehr anstrengend. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich zu irgendeinem Zeitpunkt ‚strahlte‘. Außerdem litt ich unter pränatalen Depressionen, weil ich das Gefühl hatte, dass meine Erfahrung nicht der gesellschaftlichen Norm entsprach.“ Obwohl es ihr zufolge „unglaublich prägend“ war, Mutter zu werden, hebt sie hervor, dass die alltäglichen Dinge, die mit dem Muttersein verbunden sind, unbestreitbar herausfordernd sein können. Das sollte nicht vergessen oder verdrängt werden. „Das ist völlig normal. Die meisten Mütter machen sich Sorgen, durchleben Gefühle wie Enttäuschung und Frustration, haben Schuldgefühle und Angst und vergleichen sich mit anderen Müttern.“ Sie überlegt oft, was sie von der Zeit, die sie mit diesen Frauen verbracht hat, mitnehmen kann. Vieles davon hat mit Repräsentation zu tun. „Das Instagram-Image der schwangeren und postpartalen Super-Mama ist für die meisten ein Schwindel oder schlichtweg Fiktion. Es ist ein unrealistisches Beispiel, das Frauen das Gefühl gibt, unzulänglich zu sein, wenn sie diesen unmöglichen Standard anstreben und ihn nicht erreichen können.“ Es ist wichtiger denn je, wahrheitsgetreue Darstellungen von Mutterschaft zu sehen und dass eine Vielzahl von unretuschierten Körpern in den Mainstream gelangt.
Für Freeland war es ein wirklich bewegender Prozess, wie sehr sich die Frauen im Gespräch öffneten. „Viele von ihnen erzählten mir von ihren Erfahrungen mit Fehlgeburten, künstlicher Befruchtung und Abtreibungen und sprachen ungehemmt über ihre Ängste und Herausforderungen. Das hatte einen tiefgreifenden Einfluss darauf, wie ich mich als Frau fühle.“ Kürzlich fotografierte sie eine Frau, die mithilfe eines Samenspenders und einer künstlichen Befruchtung ein Kind auf die Welt gebracht hatte. Sie wollte eine Familie, unabhängig davon, ob der richtige Partner oder die richtige Partnerin in der Zukunft auftauchen würde oder nicht. „Ich fühle mich durch sie unglaublich bestärkt. Es sind Erfahrungen wie diese, die unsere Arbeit hervorheben.“
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Der emotionale Aufwand, der mit der Kreation einfühlsamer, gesellschaftlich engagierter Bilder dieser Art verbunden ist, wirkt sich darauf aus, wie sich bestimmte Momente im Gedächtnis eines Fotografen oder einer Fotografin einprägen. Das gilt besonders für Freeland, für die jeder neue Austausch mit geteilter Empathie und Liebe verbunden ist. Ihr Lieblingsbild aus der Serie zeigt schwangere Zwillingsschwestern, die auf einem Bett sitzen und deren Babybäuche sich berühren. Dieses Bild wird immer etwas Besonderes bleiben, sagt sie, „weil es ein so seltener, besonderer und bedeutender Moment war, zwei Zwillingsschwestern ablichten zu können, die zur gleichen Zeit schwanger waren.“
Von Anfang an wollte Freeland einen echten und offeneren Dialog über die Höhepunkte und Herausforderungen, die das Muttersein auszeichnen, vorantreiben. „Als Frauen haben wir gelernt, unsere Herausforderungen als Misserfolge zu verinnerlichen und unsere Erfahrungen immer mehr zu verschweigen. Das verursacht einen Dominoeffekt, durch den sich viele Mütter mit Kindern sehr einsam fühlen.“ Sie hofft, dass diese Bilder den Frauen, die sie sehen wollen, Trost spenden und uns allen helfen, uns weniger allein zu fühlen.
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