Dafür, dass Frauen und Menschen mit Gebärmutter so oft unterstellt wird, sie seien schwach und übersensibel, schaffen sie es dennoch erstaunlich gut, ihren Alltag mit Schmerzen zu bewältigen.
Die Menstruation ist so viel mehr als nur das Blut, das sich aus dem Ablösen der Gebärmutterschleimhaut ergibt. Die Blutung bringt gleichzeitig auch mentale, soziale, körperliche und kulturelle Herausforderungen mit sich. Bestenfalls ist die Periode einfach lästig; schlimmstenfalls kann sie die Lebensqualität enorm beeinträchtigen.
Schon seit ihrem 12. Lebensjahr leidet Natasha unter ihrer heftigen Menstruation. Als Jugendliche verpasste sie deswegen regelmäßig die ersten Schulstunden, und als dreifache Mutter musste sie feststellen, dass ihre Tage mit jeder Entbindung belastender wurden.
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„Es sind nicht nur die heftigen Blutungen, sondern auch alles, was damit einhergeht“, erzählt sie gegenüber Refinery29. „Ein Beispiel: Weil du im Laufe der Nacht mehrmals den Tampon wechseln musst, schläfst du nie sonderlich gut und bist am nächsten Tag nicht ganz du selbst.“ Nach einem besonders anstrengenden Tag, der mit einem tränenreichen Telefonat mit ihrer Schwester endete, entschied sie sich schließlich dazu, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Körperliche Schmerzen, Aufgeblähtsein, Müdigkeit, die fehlende Kontrolle über die eigenen Emotionen, innerliche Unruhe… Das Schwierigste im Umgang mit heftigen Menstruationsblutungen sind oft nicht ihre diversen Begleiterscheinungen, sondern die Tatsache, dass Betroffenen oft erzählt wird, diese Symptome seien normal.
Die abnormal heftigen oder langen Blutungen, auch bekannt als „Hypermenorrhoe“ bzw. „Menorrhagie“ – die oft zusammen auftreten –, bestimmen oft darüber, was Betroffene (nicht) tun können – und wirken sich damit auf ihren Lebensstandard aus.
Vor ein paar Jahren bekam das die olympische Goldmedaillengewinnerin und Australian-Football-Spielerin Chloe Dalton am eigenen Körper zu spüren. Ihre schweren Blutungen sorgten dafür, dass sie sich dafür fürchtete, zur Arbeit und zum Training zu gehen – eine Angst, die sich sehr einsam anfühlte. Obwohl sie zwar insgeheim wusste, dass „da was nicht stimmte“, redete ihr eine andere innere Stimme ein, das sei vermutlich noch normal.
„Es fing an, sich auf meinen Alltag auszuwirken. Ich hatte irgendwann das Gefühl, nichts mehr normal tun zu können, ohne mich zwischendurch in Embryonalstellung hinzulegen und abzuwarten, bis die Schmerzen nachließen“, erzählt Dalton gegenüber Refinery29. Schließlich hatte sie sogar Angst davor, während ihrer Tage das Haus zu verlassen. „Ich hatte total Schiss davor, in einer unbekannten Umgebung zu sein. Ich fühlte mich auch nicht wohl damit, meinen Vorgesetzten oder meinen Coaches davon zu erzählen, dass ich so darunter litt. Ich hatte das Gefühl, das einfach durchstehen zu müssen.“
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Mit ihren Erfahrungen ist Dalton längst nicht allein. Tatsächlich leidet etwa jede zehnte Person mit Gebärmutter unter einer starken Regelblutung, die einen häufigen Binden- oder Tamponwechsel (nach ein bis zwei Stunden) oder ein häufiges Leeren der Menstruationstasse erfordert, dicke Blutklumpen enthält, die Schwindel und Erschöpfung hervorrufen kann und Betroffene dazu zwingt, ihren Tagesablauf um ihre heftigen Blutungen herum zu planen.
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Viele [Menschen mit Uterus] wissen gar nicht, dass sie überdurchschnittlich stark bluten, weil die Gesellschaft ihre Probleme so verharmlost.
Dr. Talat Uppal
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Noch dazu erleben etwa die Hälfte von ihnen auch Beckenschmerzen, erklärt die Gynäkologin Dr. Talat Uppal. „Sie leiden also an zwei Fronten. Viele [Menschen mit Uterus] wissen dabei aber gar nicht, dass sie überdurchschnittlich stark bluten, weil die Gesellschaft ihre Probleme so verharmlost. Dadurch wird die [Hypermenorrhoe und Menorrhagie] von Betroffenen seltener erkannt und somit auch seltener diagnostiziert.“
Dr. Uppal bemerkt in ihrer eigenen Praxis, dass Betroffene ihre Beschwerden selbst häufig herunterspielen. „Frauen sind oft damit beschäftigt, sich um andere Menschen zu kümmern, und sind generell echte Alltagsheld:innen“, sagt sie und meint damit, dass viele Frauen diverse belastende Situationen gleichzeitig zu bewältigen haben – wie die Pflege älterer Eltern, Job-Deadlines und die Versorgung von Kindern.
„Dann frage ich sie: ‚Wo stehst du selbst auf deiner Prioritätenliste? Dein Name steht da nirgendwo.‘ Ein Teil meines Jobs hat daher gar nichts mit der Medizin an sich zu tun. Stattdessen sage ich ihnen: ‚Jetzt bist du mal an der Reihe. Wir konzentrieren uns jetzt mal auf dich und stellen sicher, dass bei dir alles okay ist‘“, meint Dr. Uppal.
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Ich habe das Gefühl, mir werden die besten Jahre meines Lebens geraubt.
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Ihrer Erfahrung nach öffnen sich oft die Fluttore, wenn ihre Patient:innen mit schweren Blutungen bei ihr einen sicheren Raum geboten bekommen, in dem sie sich auch mal verletzlich zeigen dürfen. Dann bekommt Dr. Uppal Dinge zu hören wie: „Mein Uterus ist ein Fluch. Diese Blutungen nehmen mir die Lebensfreude“, „Meine Badewanne war voller Blut. Mein Haus sah aus wie ein Tatort“, „Mein Monat ist nicht 30 Tage lang, sondern sechs Tage kürzer. An diesen sechs Tagen versuche ich nämlich einfach nur zu überleben“, oder: „Ich habe das Gefühl, mir werden die besten Jahre meines Lebens geraubt.“
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Diese Geständnisse in ihrer Praxis zeigen, wie überwältigend und verheerend unregelmäßige Menstruationsblutungen sein können. Die damit verbundenen Stigmata und Schamgefühle verhindern jedoch, dass Betroffene offen darüber reden können. Laut einer Bayer-Umfrage in Australien gab jede:r fünfte Betroffene an, es sei ihnen selbst gegenüber Ärzt:innen zu unangenehm, das Thema selbst anzusprechen.
Dalton beklagt vor allem den verschiedenen Umgang mit Sportverletzungen (ein „gut erforschtes, respektiertes Feld“) und Periodenschmerzen. Ihr eigenes Australian-Football-Team, die GWS Giants, haben jedoch ein Team aus Ärzt:innen, die sich darum bemühen, die Bildungslücke in Sachen Menstruation zu schließen, erzählt sie.
„Sie klären uns Spieler:innen darüber auf, was [bei der Menstruation] normal ist und was nicht. Dabei holen sie auch die Männer dazu. Deren Wissenslücke ist einfach enorm“, sagt sie.
Diese Bemühungen spiegeln sich glücklicherweise auch auf internationaler Profisport-Ebene wider. Die australische Football-Liga, die AFL, hat beispielsweise vor Kurzem aus Rücksicht auf Menstruierende die Regel widerrufen, alle Spieler:innen müssten auf dem Feld weiße Shorts tragen. Dalton war deswegen „enorm erleichtert“ und ist dankbar dafür, ein Team aus medizinischen Profis an ihrer Seite zu haben, die ihr helfen wollen.
Natasha hingegen hat sich inzwischen für eine Ablation entschieden (eine Operation, die die Gebärmutterschleimhaut zerstört), nachdem diverse Pillen und andere Medikamente nicht gereicht hatten, um ihre Blutung ausreichend zu reduzieren.
„Diese Entscheidung war das Ergebnis absoluter Verzweiflung. Ganz ehrlich, ich hatte es einfach satt“, sagt sie. „Ich konnte nicht die richtigen Klamotten tragen. Ich machte während der Woche vor meinen Tagen keinen Sport mehr, weil ich nicht im Fitnessstudio sein wollte, wenn es losging. Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich hatte Kopfschmerzen, mir war schwindelig, ich war schwerfällig, hatte Durchfall und Verstopfung.“
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Durch die Operation änderte sich Natashas Leben jedoch: Anstatt sich jetzt vor dem Sport zu fürchten und Urlaube mit Freund:innen rund um ihren Zyklus planen zu müssen, kann sie heute die Mutter sein, die sie schon immer sein wollte. „Ich habe endlich mehr Freiheit. Die Ängste und Depressionen rund um meine Periode sind vorbei“, erzählt sie.
Dr. Uppal, Dalton und Natasha hatten zum Abschluss ihrer jeweiligen Interviews allesamt denselben Rat für Betroffene von schweren Regelblutungen.
„Ich würde dir raten, Hilfe zu suchen, weil ich oft sage, dass es für dieses Problem viele Lösungen gibt – sowohl medizinische als auch chirurgische. Es macht mich traurig, wenn ich so viele Betroffene sinnlos leiden sehe“, meint Dr. Uppal.
„Du musst das nicht still durchstehen. Sprich mit deinem Arzt oder deiner Ärztin, der:die das richtige Wissen und die nötigen Informationen für dich hat“, empfiehlt Dalton.
„Das ist nicht normal und du musst das nicht ertragen, sondern dir medizinische Hilfe holen. Ich wünschte, das hätte ich schon viel früher gemacht. Ich habe mir das länger angetan, als nötig gewesen wäre“, meint Natasha.
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