Als wir neulich nach dem Dinner nach Hause liefen, erzählte mir eine Freundin, dass sie wieder single ist. Ein paar Monate lang war sie mit jemandem zusammen und alles schien super, bis er auf einmal keinen Bock mehr hatte. Einfach so. Er wollte keine Beziehung mehr führen, er wollte lieber frei sein. Von jetzt auf gleich ließ er sie sitzen. Während die Wut in mir immer stärker wurde, sagte meine Freundin etwas, das mich zum Nachdenken darüber brachte, was es für Frauen in unserer Gesellschaft bedeutet, single zu sein. Sie sagte, sie schäme sich, dass sie es nicht hatte kommen sehen.
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Überlegen wir mal, was das impliziert! Glaubt sie wirklich, sie wäre nicht intelligent oder aufmerksam genug, weil sie es nicht vorhergesehen hat, dass sich ein erwachsener Mann aus dem Nichts wie ein brünstiger Rüde verhält? Denkt sie ernsthaft, sie hätte ahnen müssen, dass er irgendwann durchdreht, weil er sich ein paar Monate mit ein und derselben Frau trifft? Hätte sie von Anfang an misstrauisch bleiben müssen, statt ihr Herz ihm gegenüber zu öffnen und ihm zu vertrauen? Ich finde es heftig, dass uns die Gesellschaft auch 2019 noch glauben lässt, wir alleinstehenden Frauen wären für alles selbst verantwortlich.
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Egal, was ich auch tue, hinter jeder Ecke lauert das Schamgefühl.
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Als Single-Frau kann ich bestätigen: Mein Status ist mit ständiger Scham behaftet. Die Leute stellen Vermutungen über mich an – Warum ist sie single? Was ist los mit ihr? –, gegen die ich nichts tun kann – und dann schäme ich mich. Ich versuche, etwas an meiner Situation zu ändern, will plötzlich jemanden kennenzulernen. Und was passiert? Ich bekomme eine Nachricht von einem Fremden, der mich nach Fotos von mir fragt, die er als Wichsvorlage benutzen kann. Und schon schäme ich mich wieder. Lerne ich doch mal jemanden kennen, gehe ich auf ein paar Dates, bis ich von heute auf morgen geghostet werde. Dann schäme ich mich, weil ich es nicht habe kommen sehen. Egal, was ich auch tue, hinter jeder Ecke lauert das Schamgefühl. Ich sitze in einem kleinen Hamsterrad, strample mich ab, aber nichts verändert sich. Auf diesen Bullshit habe ich einfach keine Lust mehr.
Dass Singlesein schlecht und Vergebensein gut ist, ist eine absolut veraltete Ansicht, die aber auch heute noch von vielen geteilt wird. Und deswegen werde ich immer noch oft bemitleidet. Menschen neigen den Kopf zur Seite, nicken leicht und kneifen die Lippen zu einem Alibi-Lächeln zusammen. Sie klopfen mir bedeutungsvoll auf die Schultern. Sie schauen mich mit ihrem traurigen Hundeblick an. Sie sagen Dinge wie „Ich bin mir sicher, dass du irgendwann jemanden kennenlernen wirst“, ohne, dass ich sie jemals nach ihrer Meinung gefragt hätte. Sie geben mir Tipps und weisen mich auf Sachen hin, die ich angeblich falsch mache. Schließlich ist es doch peinlich, oder nicht? Du bist der einzige Single an diesem Tisch, Shani. Ist das nicht peinlich? Du bist die Einzige in der Verwandtschaft, die keine Beziehung führt, Shani. Schon peinlich, oder? Du bist 37 Jahre alt, warst noch nie verheiratet und hast keine Kinder. Das ist doch peinlich. Oder nicht?
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Das sind die Gedanken, die bei einer Unterhaltung mit allen Menschen standardmäßig mitschwingen. Mein Familienstand ist immer direkt das erste Thema, das Leute, die nicht zu meinem engeren Freundeskreis gehören, anschneiden. Aus ihrer Sicht ist es einfach nur Small Talk, aus meiner ein Stempel, der mir aufdrückt wird und den ich einfach nicht abgewaschen bekomme. Ich finde, ich habe in den letzten Jahren viel erreicht und kann sehr gut mit meinem Single-Leben umgehen. Aber warum zur Hölle fällt es mir trotzdem so schwer, wenn das Thema im Gespräch mit Menschen aufkommt, die ich selten sehe oder kaum kenne?
Kein Wunder, dass es so viele Survival Guides gibt, die Singles Tipps geben, damit sie die Weihnachtszeit unbeschadet überstehen! Sie helfen uns dabei, mit der Scham zu leben, statt unter der Last zusammenzubrechen. Unsere besten Freund*innen haben wir vielleicht gut genug trainiert, aber Tante Ute und Opa Friedrich denken immer noch, unser Leben wäre eine Tragödie. „So schaffst du es, deinen Single-Freund*innen nicht das Gefühl zu geben, sie müssten sich für irgendetwas schämen“ scheint sich nicht gerade ein Kassenschlager zu sein…
Während ich diesen Artikel schreibe, plane ich ein Jahrgangstreffen (Was? Sind wirklich schon 15 Jahre seit dem Studium vergangen?). So gut wie alle außer mir werden in Doppelzimmern übernachten. Sie reisen zu zweit an, ich allein. Ich schreibe ständig über mein Single-Leben. Ich habe einen eigenen Podcast zum Thema. Ich arbeite pausenlos daran, dass sich die Wahrnehmung der Gesellschaft in Bezug auf mich und andere Singles endlich ändert. Und dennoch habe ich Probleme damit, mich mental auf diese Veranstaltung vorzubereiten. Das sind Leute, die mich lieben. Wir kennen uns verdammt noch mal seit 15 Jahren. Aber jede*r Einzelne war schon vor dem 30. Geburtstag verheiratet. Sie leben ein anderes Leben als ich und können sich nur schwer in mich hineinversetzen. Umgekehrt sieht das nicht anders aus. Und während ich so meine Sachen packe, denke ich noch ein wenig über das Thema Schamgefühl nach...
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Das Lustige ist, ich selbst schäme mich gar nicht dafür, single zu sein. Das kommt alles nur von außen.
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Das Lustige ist, ich selbst schäme mich gar nicht dafür, single zu sein. Das kommt alles nur von außen. Das unangenehme Gefühl entsteht durch die Interaktion mit anderen. Trotzdem fällt es mir nicht immer leicht, andere davon zu überzeugen, dass es nicht peinlich ist, alleinstehend zu sein. Es ist so, als hätte irgendjemand die Menschheit so programmiert, dass sie Mitleid mit Singles haben. Diese innere Einstellung von außen zu verändern, ist eine echt Herausforderung.
Ich habe beschlossen, meine Freund*innen, mich und alle, die das hier lesen, umzuprogrammieren. Und das geht am besten mit Taten und nicht mit Worten. Ich lebe kein peinliches Leben. Ich arbeite aktiv daran, jedes Schamgefühl zu beseitigen. Früher habe ich mich für meine Single-Wohnung geschämt, wenn ich Freund*innen eingeladen habe. Heute wohne ich in einem Apartment, auf das ich stolz bin. Früher war es mir peinlich, Dating-Apps zu benutzen. Im Februar habe ich alle gelöscht und es nie bereut. Früher habe ich meine Wünsche und Absichten oft versteckt. Ich schämte mich dafür, zu denken, ich verdiene, dass sie gehört und erfüllt werden. Heute fällt es mir immer leichter, laut auszusprechen, was ich will (und was ich nicht will).
Es gibt wirklich nichts, wofür du dich schämen müsstest, wenn du single bist. Und wenn du mal in Ruhe darüber nachdenkst, weißt du das auch. Scheiß doch drauf, was die anderen denken! Ich schäme mich für keine meiner Entscheidungen. Ich schäme mich nicht dafür, das ganze Bett für mich zu haben und keine Angst zu haben, jemanden aufzuwecken, sobald ich mich rumdrehe. Ich schäme mich nicht dafür, mich frei zu fühlen. Niemals. Je öfter ich mich selbst daran erinnere, wie stolz ich auf mich und das Leben, das ich mir aufgebaut habe bin, desto einfacher wird es auch für andere, stolz auf mich zu sein.
Es wird noch eine Weile dauern, bis die Gesellschaft damit aufhört, den Singlestatus als traurig und peinlich zu bewerten. Und es wird immer wieder Situationen und Events geben, in denen mein Familienstand zum Thema gemacht wird und in denen mir das Gefühl vermittelt wird, ich müsse mich dafür schämen. Jedes Mal wird es mir ein kleines bisschen leichter fallen, damit umzugehen. Ich werde immer besser darin, die positiven Seiten des Singledaseins zu kommunizieren und mich gegen die mutmaßliche Scham und Verlegenheit zu behaupten. Denn weißt du, was wirklich eine Schande wäre? Die Scham zu verinnerlichen und mit ihr zu leben. Es wäre eine Schande, mich an der einen Sache festzuhalten, die ich nicht habe, statt mich über die Dinge zu freuen, die ich habe.
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